Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
Weise bewerkstelligt hätten, eine Frist von funfzehn Tagen, welche
dazu benutzt ward die Rhonebrücke bei Genava (Genf) abzubre-
chen und das südliche Ufer der Rhone durch eine fast vier deut-
sche Meilen lange Verschanzung dem Feinde zu sperren -- es
war die erste Anwendung des später in so ungeheurem Umfang
durchgeführten Systems der Römer durch eine Kette von einzel-
nen durch Wälle und Gräben mit einander in Verbindung gesetz-
ten Schanzen die Reichsgrenze militärisch zu schliessen. Die Ver-
suche der Helvetier mittelst Schiffen oder durch Furthe an ver-
schiedenen Stellen das andere Ufer zu gewinnen wurden in diesen
Linien von den Römern glücklich vereitelt und die Helvetier ge-
nöthigt von dem Rhoneübergang abzustehen. Dagegen vermittelte
die den Römern feindlich gesinnte Partei der Kelten, die an den
Helvetiern eine mächtige Verstärkung zu erhalten hoffte, nament-
lich der Haeduer Dumnorix, des Divitiacus Bruder und wie die-
ser an der Spitze der römischen so in seinem Gau an der Spitze
der nationalen Partei, ihnen den Durchmarsch durch die Jura-
pässe und das Gebiet der Sequaner. Dies zu verwehren hatten
die Römer keinen Rechtsgrund; allein es standen für sie bei dem
helvetischen Heerzug andere und höhere Interessen auf dem Spiele
als die Frage der formellen Integrität des römischen Gebiets --
Interessen, die nur gewahrt werden konnten, wenn Caesar, statt,
wie alle Statthalter des Senats, wie selbst Marius (II, 173) ge-
than, auf die bescheidene Aufgabe der Grenzbewachung sich zu
beschränken, an der Spitze einer ansehnlichen Armee die bisherige
Reichsgrenze überschritt. Caesar war Feldherr nicht des Senats,
sondern des Staates; er schwankte nicht. Sogleich von Genava aus
hatte er sich in eigener Person nach Italien begeben und mit der
ihm eigenen Raschheit die drei dort cantonnirenden so wie zwei
neu formirte Rekrutenlegionen herangeführt. Diese Truppen ver-
einigte er mit dem bei Genava stehenden Corps und überschritt
mit der gesammten Macht die Rhone. Sein unvermuthetes Er-
scheinen im Gebiet der Haeduer brachte natürlich daselbst sofort
wieder die römische Partei ans Regiment, was der Verpflegung
wegen nicht gleichgültig war. Die Helvetier fand er beschäftigt
die Saone zu passiren und aus dem Gebiet der Sequaner in das
der Haeduer einzurücken; was von ihnen noch am linken Saone-
ufer stand, namentlich das Corps der Tigoriner, ward von den
rasch vordringenden Römern aufgehoben und vernichtet. Das
Gros des Zuges war indess bereits auf dem rechten Ufer des Flus-
ses angelangt; Caesar folgte ihnen und bewerkstelligte den Ueber-
gang, den der ungeschlachte Zug der Helvetier in zwanzig Tagen

DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
Weise bewerkstelligt hätten, eine Frist von funfzehn Tagen, welche
dazu benutzt ward die Rhonebrücke bei Genava (Genf) abzubre-
chen und das südliche Ufer der Rhone durch eine fast vier deut-
sche Meilen lange Verschanzung dem Feinde zu sperren — es
war die erste Anwendung des später in so ungeheurem Umfang
durchgeführten Systems der Römer durch eine Kette von einzel-
nen durch Wälle und Gräben mit einander in Verbindung gesetz-
ten Schanzen die Reichsgrenze militärisch zu schlieſsen. Die Ver-
suche der Helvetier mittelst Schiffen oder durch Furthe an ver-
schiedenen Stellen das andere Ufer zu gewinnen wurden in diesen
Linien von den Römern glücklich vereitelt und die Helvetier ge-
nöthigt von dem Rhoneübergang abzustehen. Dagegen vermittelte
die den Römern feindlich gesinnte Partei der Kelten, die an den
Helvetiern eine mächtige Verstärkung zu erhalten hoffte, nament-
lich der Haeduer Dumnorix, des Divitiacus Bruder und wie die-
ser an der Spitze der römischen so in seinem Gau an der Spitze
der nationalen Partei, ihnen den Durchmarsch durch die Jura-
pässe und das Gebiet der Sequaner. Dies zu verwehren hatten
die Römer keinen Rechtsgrund; allein es standen für sie bei dem
helvetischen Heerzug andere und höhere Interessen auf dem Spiele
als die Frage der formellen Integrität des römischen Gebiets —
Interessen, die nur gewahrt werden konnten, wenn Caesar, statt,
wie alle Statthalter des Senats, wie selbst Marius (II, 173) ge-
than, auf die bescheidene Aufgabe der Grenzbewachung sich zu
beschränken, an der Spitze einer ansehnlichen Armee die bisherige
Reichsgrenze überschritt. Caesar war Feldherr nicht des Senats,
sondern des Staates; er schwankte nicht. Sogleich von Genava aus
hatte er sich in eigener Person nach Italien begeben und mit der
ihm eigenen Raschheit die drei dort cantonnirenden so wie zwei
neu formirte Rekrutenlegionen herangeführt. Diese Truppen ver-
einigte er mit dem bei Genava stehenden Corps und überschritt
mit der gesammten Macht die Rhone. Sein unvermuthetes Er-
scheinen im Gebiet der Haeduer brachte natürlich daselbst sofort
wieder die römische Partei ans Regiment, was der Verpflegung
wegen nicht gleichgültig war. Die Helvetier fand er beschäftigt
die Saone zu passiren und aus dem Gebiet der Sequaner in das
der Haeduer einzurücken; was von ihnen noch am linken Saone-
ufer stand, namentlich das Corps der Tigoriner, ward von den
rasch vordringenden Römern aufgehoben und vernichtet. Das
Gros des Zuges war indeſs bereits auf dem rechten Ufer des Flus-
ses angelangt; Caesar folgte ihnen und bewerkstelligte den Ueber-
gang, den der ungeschlachte Zug der Helvetier in zwanzig Tagen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0239" n="229"/><fw place="top" type="header">DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.</fw><lb/>
Weise bewerkstelligt hätten, eine Frist von funfzehn Tagen, welche<lb/>
dazu benutzt ward die Rhonebrücke bei Genava (Genf) abzubre-<lb/>
chen und das südliche Ufer der Rhone durch eine fast vier deut-<lb/>
sche Meilen lange Verschanzung dem Feinde zu sperren &#x2014; es<lb/>
war die erste Anwendung des später in so ungeheurem Umfang<lb/>
durchgeführten Systems der Römer durch eine Kette von einzel-<lb/>
nen durch Wälle und Gräben mit einander in Verbindung gesetz-<lb/>
ten Schanzen die Reichsgrenze militärisch zu schlie&#x017F;sen. Die Ver-<lb/>
suche der Helvetier mittelst Schiffen oder durch Furthe an ver-<lb/>
schiedenen Stellen das andere Ufer zu gewinnen wurden in diesen<lb/>
Linien von den Römern glücklich vereitelt und die Helvetier ge-<lb/>
nöthigt von dem Rhoneübergang abzustehen. Dagegen vermittelte<lb/>
die den Römern feindlich gesinnte Partei der Kelten, die an den<lb/>
Helvetiern eine mächtige Verstärkung zu erhalten hoffte, nament-<lb/>
lich der Haeduer Dumnorix, des Divitiacus Bruder und wie die-<lb/>
ser an der Spitze der römischen so in seinem Gau an der Spitze<lb/>
der nationalen Partei, ihnen den Durchmarsch durch die Jura-<lb/>
pässe und das Gebiet der Sequaner. Dies zu verwehren hatten<lb/>
die Römer keinen Rechtsgrund; allein es standen für sie bei dem<lb/>
helvetischen Heerzug andere und höhere Interessen auf dem Spiele<lb/>
als die Frage der formellen Integrität des römischen Gebiets &#x2014;<lb/>
Interessen, die nur gewahrt werden konnten, wenn Caesar, statt,<lb/>
wie alle Statthalter des Senats, wie selbst Marius (II, 173) ge-<lb/>
than, auf die bescheidene Aufgabe der Grenzbewachung sich zu<lb/>
beschränken, an der Spitze einer ansehnlichen Armee die bisherige<lb/>
Reichsgrenze überschritt. Caesar war Feldherr nicht des Senats,<lb/>
sondern des Staates; er schwankte nicht. Sogleich von Genava aus<lb/>
hatte er sich in eigener Person nach Italien begeben und mit der<lb/>
ihm eigenen Raschheit die drei dort cantonnirenden so wie zwei<lb/>
neu formirte Rekrutenlegionen herangeführt. Diese Truppen ver-<lb/>
einigte er mit dem bei Genava stehenden Corps und überschritt<lb/>
mit der gesammten Macht die Rhone. Sein unvermuthetes Er-<lb/>
scheinen im Gebiet der Haeduer brachte natürlich daselbst sofort<lb/>
wieder die römische Partei ans Regiment, was der Verpflegung<lb/>
wegen nicht gleichgültig war. Die Helvetier fand er beschäftigt<lb/>
die Saone zu passiren und aus dem Gebiet der Sequaner in das<lb/>
der Haeduer einzurücken; was von ihnen noch am linken Saone-<lb/>
ufer stand, namentlich das Corps der Tigoriner, ward von den<lb/>
rasch vordringenden Römern aufgehoben und vernichtet. Das<lb/>
Gros des Zuges war inde&#x017F;s bereits auf dem rechten Ufer des Flus-<lb/>
ses angelangt; Caesar folgte ihnen und bewerkstelligte den Ueber-<lb/>
gang, den der ungeschlachte Zug der Helvetier in zwanzig Tagen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[229/0239] DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS. Weise bewerkstelligt hätten, eine Frist von funfzehn Tagen, welche dazu benutzt ward die Rhonebrücke bei Genava (Genf) abzubre- chen und das südliche Ufer der Rhone durch eine fast vier deut- sche Meilen lange Verschanzung dem Feinde zu sperren — es war die erste Anwendung des später in so ungeheurem Umfang durchgeführten Systems der Römer durch eine Kette von einzel- nen durch Wälle und Gräben mit einander in Verbindung gesetz- ten Schanzen die Reichsgrenze militärisch zu schlieſsen. Die Ver- suche der Helvetier mittelst Schiffen oder durch Furthe an ver- schiedenen Stellen das andere Ufer zu gewinnen wurden in diesen Linien von den Römern glücklich vereitelt und die Helvetier ge- nöthigt von dem Rhoneübergang abzustehen. Dagegen vermittelte die den Römern feindlich gesinnte Partei der Kelten, die an den Helvetiern eine mächtige Verstärkung zu erhalten hoffte, nament- lich der Haeduer Dumnorix, des Divitiacus Bruder und wie die- ser an der Spitze der römischen so in seinem Gau an der Spitze der nationalen Partei, ihnen den Durchmarsch durch die Jura- pässe und das Gebiet der Sequaner. Dies zu verwehren hatten die Römer keinen Rechtsgrund; allein es standen für sie bei dem helvetischen Heerzug andere und höhere Interessen auf dem Spiele als die Frage der formellen Integrität des römischen Gebiets — Interessen, die nur gewahrt werden konnten, wenn Caesar, statt, wie alle Statthalter des Senats, wie selbst Marius (II, 173) ge- than, auf die bescheidene Aufgabe der Grenzbewachung sich zu beschränken, an der Spitze einer ansehnlichen Armee die bisherige Reichsgrenze überschritt. Caesar war Feldherr nicht des Senats, sondern des Staates; er schwankte nicht. Sogleich von Genava aus hatte er sich in eigener Person nach Italien begeben und mit der ihm eigenen Raschheit die drei dort cantonnirenden so wie zwei neu formirte Rekrutenlegionen herangeführt. Diese Truppen ver- einigte er mit dem bei Genava stehenden Corps und überschritt mit der gesammten Macht die Rhone. Sein unvermuthetes Er- scheinen im Gebiet der Haeduer brachte natürlich daselbst sofort wieder die römische Partei ans Regiment, was der Verpflegung wegen nicht gleichgültig war. Die Helvetier fand er beschäftigt die Saone zu passiren und aus dem Gebiet der Sequaner in das der Haeduer einzurücken; was von ihnen noch am linken Saone- ufer stand, namentlich das Corps der Tigoriner, ward von den rasch vordringenden Römern aufgehoben und vernichtet. Das Gros des Zuges war indeſs bereits auf dem rechten Ufer des Flus- ses angelangt; Caesar folgte ihnen und bewerkstelligte den Ueber- gang, den der ungeschlachte Zug der Helvetier in zwanzig Tagen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/239
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/239>, abgerufen am 30.04.2024.