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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
nicht hatte vollenden können, in vierundzwanzig Stunden. Fortan
heftete er sich an die Fersen des Feindes. Funfzehn Tage mar-
schirte das römische Heer in dem Abstand etwa einer deutschen
Meile von dem feindlichen hinter demselben her, immer auf einen
günstigen Augenblick hoffend um den feindlichen Heereszug un-
ter den Bedingungen des Sieges anzugreifen und zu vernichten.
Allein dieser Augenblick kam nicht; wie schwerfällig auch die
helvetische Karawane einherzog, die Führer wussten einen Ueber-
fall zu verhüten und zeigten sich wie mit Vorräthen reichlich ver-
sehen so durch ihre Spione von jedem Vorgang im römischen
Lager aufs Genaueste unterrichtet. Dagegen fingen die Römer
an Mangel an dem Nothwendigsten zu leiden, namentlich als die
Helvetier sich von der Saone entfernten und der Flusstransport
aufhörte. Das Ausbleiben der von den Haeduern versprochenen
Zufuhren, aus dem diese Verlegenheit zunächst hervorging, erregte
um so mehr Verdacht, als beide Heere immer noch auf ihrem
Gebiete sich herumbewegten. Es zeigte sich ferner die ansehn-
liche fast 4000 Pferde zählende römische Reiterei als völlig unzu-
verlässig -- was freilich erklärlich war, da dieselbe fast ganz aus
keltischer Ritterschaft und namentlich den Rittern der Haeduer
unter dem Befehl des wohlbekannten Römerfeindes Dumnorix
bestand und Caesar selbst sie mehr noch als Geisseln denn als
Verbündete übernommen hatte. Man hatte guten Grund zu glau-
ben, dass eine Niederlage, die sie von der weit schwächeren hel-
vetischen Reiterei erlitten, durch sie selbst herbeigeführt worden
war und dass durch sie der Feind von allen Vorfällen im römi-
schen Lager unterrichtet ward. Caesars Lage wurde bedenklich;
in leidiger Deutlichkeit kam es zu Tage, was selbst bei den Hae-
duern, trotz ihres officiellen Bündnisses mit Rom und der nach
Rom sich neigenden Sonderinteressen dieses Gaus, die keltische
Patriotenpartei vermochte; was sollte daraus werden, wenn man
in die gährende Landschaft tiefer und tiefer sich hineinwagte und
von den Verbindungen immer weiter sich entfernte? Eben zogen
die Heere in mässiger Entfernung von der Hauptstadt der Hae-
duer Bibracte (Autun) vorüber; Caesar beschloss dieses wichti-
gen Ortes sich mit gewaffneter Hand zu bemächtigen, bevor er
die Verfolgung der Helvetier fortsetzte. Allein da er von dem
Feinde ablassend sich gegen Bibracte wendete, meinten die Hel-
vetier, dass die Römer zur Flucht Anstalt machten und grif-
fen nun ihrerseits an. Auf zwei parallel laufenden Hügelreihen
stellten die beiden Heere sich auf; die Kelten begannen das Ge-
fecht, sprengten die in die Ebene vorgeschobene römische Rei-

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nicht hatte vollenden können, in vierundzwanzig Stunden. Fortan
heftete er sich an die Fersen des Feindes. Funfzehn Tage mar-
schirte das römische Heer in dem Abstand etwa einer deutschen
Meile von dem feindlichen hinter demselben her, immer auf einen
günstigen Augenblick hoffend um den feindlichen Heereszug un-
ter den Bedingungen des Sieges anzugreifen und zu vernichten.
Allein dieser Augenblick kam nicht; wie schwerfällig auch die
helvetische Karawane einherzog, die Führer wuſsten einen Ueber-
fall zu verhüten und zeigten sich wie mit Vorräthen reichlich ver-
sehen so durch ihre Spione von jedem Vorgang im römischen
Lager aufs Genaueste unterrichtet. Dagegen fingen die Römer
an Mangel an dem Nothwendigsten zu leiden, namentlich als die
Helvetier sich von der Saone entfernten und der Fluſstransport
aufhörte. Das Ausbleiben der von den Haeduern versprochenen
Zufuhren, aus dem diese Verlegenheit zunächst hervorging, erregte
um so mehr Verdacht, als beide Heere immer noch auf ihrem
Gebiete sich herumbewegten. Es zeigte sich ferner die ansehn-
liche fast 4000 Pferde zählende römische Reiterei als völlig unzu-
verlässig — was freilich erklärlich war, da dieselbe fast ganz aus
keltischer Ritterschaft und namentlich den Rittern der Haeduer
unter dem Befehl des wohlbekannten Römerfeindes Dumnorix
bestand und Caesar selbst sie mehr noch als Geiſseln denn als
Verbündete übernommen hatte. Man hatte guten Grund zu glau-
ben, daſs eine Niederlage, die sie von der weit schwächeren hel-
vetischen Reiterei erlitten, durch sie selbst herbeigeführt worden
war und daſs durch sie der Feind von allen Vorfällen im römi-
schen Lager unterrichtet ward. Caesars Lage wurde bedenklich;
in leidiger Deutlichkeit kam es zu Tage, was selbst bei den Hae-
duern, trotz ihres officiellen Bündnisses mit Rom und der nach
Rom sich neigenden Sonderinteressen dieses Gaus, die keltische
Patriotenpartei vermochte; was sollte daraus werden, wenn man
in die gährende Landschaft tiefer und tiefer sich hineinwagte und
von den Verbindungen immer weiter sich entfernte? Eben zogen
die Heere in mäſsiger Entfernung von der Hauptstadt der Hae-
duer Bibracte (Autun) vorüber; Caesar beschloſs dieses wichti-
gen Ortes sich mit gewaffneter Hand zu bemächtigen, bevor er
die Verfolgung der Helvetier fortsetzte. Allein da er von dem
Feinde ablassend sich gegen Bibracte wendete, meinten die Hel-
vetier, daſs die Römer zur Flucht Anstalt machten und grif-
fen nun ihrerseits an. Auf zwei parallel laufenden Hügelreihen
stellten die beiden Heere sich auf; die Kelten begannen das Ge-
fecht, sprengten die in die Ebene vorgeschobene römische Rei-

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[230/0240] FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. nicht hatte vollenden können, in vierundzwanzig Stunden. Fortan heftete er sich an die Fersen des Feindes. Funfzehn Tage mar- schirte das römische Heer in dem Abstand etwa einer deutschen Meile von dem feindlichen hinter demselben her, immer auf einen günstigen Augenblick hoffend um den feindlichen Heereszug un- ter den Bedingungen des Sieges anzugreifen und zu vernichten. Allein dieser Augenblick kam nicht; wie schwerfällig auch die helvetische Karawane einherzog, die Führer wuſsten einen Ueber- fall zu verhüten und zeigten sich wie mit Vorräthen reichlich ver- sehen so durch ihre Spione von jedem Vorgang im römischen Lager aufs Genaueste unterrichtet. Dagegen fingen die Römer an Mangel an dem Nothwendigsten zu leiden, namentlich als die Helvetier sich von der Saone entfernten und der Fluſstransport aufhörte. Das Ausbleiben der von den Haeduern versprochenen Zufuhren, aus dem diese Verlegenheit zunächst hervorging, erregte um so mehr Verdacht, als beide Heere immer noch auf ihrem Gebiete sich herumbewegten. Es zeigte sich ferner die ansehn- liche fast 4000 Pferde zählende römische Reiterei als völlig unzu- verlässig — was freilich erklärlich war, da dieselbe fast ganz aus keltischer Ritterschaft und namentlich den Rittern der Haeduer unter dem Befehl des wohlbekannten Römerfeindes Dumnorix bestand und Caesar selbst sie mehr noch als Geiſseln denn als Verbündete übernommen hatte. Man hatte guten Grund zu glau- ben, daſs eine Niederlage, die sie von der weit schwächeren hel- vetischen Reiterei erlitten, durch sie selbst herbeigeführt worden war und daſs durch sie der Feind von allen Vorfällen im römi- schen Lager unterrichtet ward. Caesars Lage wurde bedenklich; in leidiger Deutlichkeit kam es zu Tage, was selbst bei den Hae- duern, trotz ihres officiellen Bündnisses mit Rom und der nach Rom sich neigenden Sonderinteressen dieses Gaus, die keltische Patriotenpartei vermochte; was sollte daraus werden, wenn man in die gährende Landschaft tiefer und tiefer sich hineinwagte und von den Verbindungen immer weiter sich entfernte? Eben zogen die Heere in mäſsiger Entfernung von der Hauptstadt der Hae- duer Bibracte (Autun) vorüber; Caesar beschloſs dieses wichti- gen Ortes sich mit gewaffneter Hand zu bemächtigen, bevor er die Verfolgung der Helvetier fortsetzte. Allein da er von dem Feinde ablassend sich gegen Bibracte wendete, meinten die Hel- vetier, daſs die Römer zur Flucht Anstalt machten und grif- fen nun ihrerseits an. Auf zwei parallel laufenden Hügelreihen stellten die beiden Heere sich auf; die Kelten begannen das Ge- fecht, sprengten die in die Ebene vorgeschobene römische Rei-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/240>, abgerufen am 30.04.2024.