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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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schlägen mehr zu finden als den Beweis dafür, dass Caesar sein
Spiel selbst als verloren betrachte, lässt sich nicht mehr mit
Sicherheit entscheiden. Die Wahrscheinlichkeit ist dafür, dass
Caesar weit eher den Fehler allzu kecken Spielens als den
schlimmeren beging etwas zu versprechen, was er nicht zu
halten gesonnen war und dass, wenn wunderbarer Weise seine
Vorschläge angenommen worden wären, er sein Wort gut ge-
macht haben würde. Curio übernahm es seinen Herrn noch
einmal in der Höhle des Löwen zu vertreten. In drei Tagen
durchflog er die Strasse von Ravenna nach Rom; als die neuen
Consuln Lucius Lentulus und Gaius Marcellus der Jüngere* zum
ersten Mal am 1. Jan. 705 den Senat versammelten, übergab er
in voller Sitzung das von dem Feldherrn an den Senat gerich-
tete Schreiben. Die Volkstribune Marcus Antonius, in der Scan-
dalchronik der Stadt bekannt als Curios vertrauter Freund und
aller seiner Thorheiten Genosse, aber zugleich auch aus den
ägyptischen und gallischen Feldzügen als glänzender Reiteroffi-
zier, und Quintus Cassius Longinus, Pompeius ehemaliger Quä-
stor, welche beide jetzt an Curios Stelle Caesars Sache in Rom
führten, erzwangen die sofortige Verlesung der Depesche. Die ern-
sten und klaren Worte, in denen Caesar den drohenden Bürger-
krieg, den allgemeinen Wunsch nach Frieden, Pompeius Ueber-
muth, seine eigene Nachgiebigkeit mit der ganzen unwidersteh-
lichen Macht der Wahrheit darlegte, die Vergleichsvorschläge von
einer ohne Zweifel seine eigenen Anhänger überraschenden Mäs-
sigung, die bestimmte Erklärung, dass hiemit die Hand zum
Frieden zum letzten Mal geboten sei, machten den tiefsten Ein-
druck. Trotz der Furcht vor den zahlreich in die Hauptstadt
geströmten Soldaten des Pompeius war die Gesinnung der Ma-
jorität nicht zweifelhaft; man durfte nicht wagen sie sich aus-
sprechen zu lassen. Ueber den von Caesar erneuerten Vor-
schlag, dass beiden Statthaltern zugleich die Niederlegung ihres
Commandos aufgegeben werden möge, so wie über den von Mar-
cus Caelius Rufus und Marcus Calidius gestellten Antrag, Pom-
peius zur sofortigen Abreise nach Spanien zu veranlassen, wei-
gerten sich die Consuln, wie sie als Vorsitzende es durften, die
Abstimmung zu eröffnen. Selbst der Antrag eines der entschie-

* Zu unterscheiden von dem gleichnamigen Consul des J. 704; dieser
war ein Vetter, der Consul des J. 705 ein Bruder des Marcus Marcellus
Consul 703.
22*

DER BRUCH DER GESAMMTHERRSCHER.
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Spiel selbst als verloren betrachte, läſst sich nicht mehr mit
Sicherheit entscheiden. Die Wahrscheinlichkeit ist dafür, daſs
Caesar weit eher den Fehler allzu kecken Spielens als den
schlimmeren beging etwas zu versprechen, was er nicht zu
halten gesonnen war und daſs, wenn wunderbarer Weise seine
Vorschläge angenommen worden wären, er sein Wort gut ge-
macht haben würde. Curio übernahm es seinen Herrn noch
einmal in der Höhle des Löwen zu vertreten. In drei Tagen
durchflog er die Straſse von Ravenna nach Rom; als die neuen
Consuln Lucius Lentulus und Gaius Marcellus der Jüngere* zum
ersten Mal am 1. Jan. 705 den Senat versammelten, übergab er
in voller Sitzung das von dem Feldherrn an den Senat gerich-
tete Schreiben. Die Volkstribune Marcus Antonius, in der Scan-
dalchronik der Stadt bekannt als Curios vertrauter Freund und
aller seiner Thorheiten Genosse, aber zugleich auch aus den
ägyptischen und gallischen Feldzügen als glänzender Reiteroffi-
zier, und Quintus Cassius Longinus, Pompeius ehemaliger Quä-
stor, welche beide jetzt an Curios Stelle Caesars Sache in Rom
führten, erzwangen die sofortige Verlesung der Depesche. Die ern-
sten und klaren Worte, in denen Caesar den drohenden Bürger-
krieg, den allgemeinen Wunsch nach Frieden, Pompeius Ueber-
muth, seine eigene Nachgiebigkeit mit der ganzen unwidersteh-
lichen Macht der Wahrheit darlegte, die Vergleichsvorschläge von
einer ohne Zweifel seine eigenen Anhänger überraschenden Mäs-
sigung, die bestimmte Erklärung, daſs hiemit die Hand zum
Frieden zum letzten Mal geboten sei, machten den tiefsten Ein-
druck. Trotz der Furcht vor den zahlreich in die Hauptstadt
geströmten Soldaten des Pompeius war die Gesinnung der Ma-
jorität nicht zweifelhaft; man durfte nicht wagen sie sich aus-
sprechen zu lassen. Ueber den von Caesar erneuerten Vor-
schlag, daſs beiden Statthaltern zugleich die Niederlegung ihres
Commandos aufgegeben werden möge, so wie über den von Mar-
cus Caelius Rufus und Marcus Calidius gestellten Antrag, Pom-
peius zur sofortigen Abreise nach Spanien zu veranlassen, wei-
gerten sich die Consuln, wie sie als Vorsitzende es durften, die
Abstimmung zu eröffnen. Selbst der Antrag eines der entschie-

* Zu unterscheiden von dem gleichnamigen Consul des J. 704; dieser
war ein Vetter, der Consul des J. 705 ein Bruder des Marcus Marcellus
Consul 703.
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[339/0349] DER BRUCH DER GESAMMTHERRSCHER. Seite bereits zu weit gegangen sei um in diesen Vergleichsvor- schlägen mehr zu finden als den Beweis dafür, daſs Caesar sein Spiel selbst als verloren betrachte, läſst sich nicht mehr mit Sicherheit entscheiden. Die Wahrscheinlichkeit ist dafür, daſs Caesar weit eher den Fehler allzu kecken Spielens als den schlimmeren beging etwas zu versprechen, was er nicht zu halten gesonnen war und daſs, wenn wunderbarer Weise seine Vorschläge angenommen worden wären, er sein Wort gut ge- macht haben würde. Curio übernahm es seinen Herrn noch einmal in der Höhle des Löwen zu vertreten. In drei Tagen durchflog er die Straſse von Ravenna nach Rom; als die neuen Consuln Lucius Lentulus und Gaius Marcellus der Jüngere * zum ersten Mal am 1. Jan. 705 den Senat versammelten, übergab er in voller Sitzung das von dem Feldherrn an den Senat gerich- tete Schreiben. Die Volkstribune Marcus Antonius, in der Scan- dalchronik der Stadt bekannt als Curios vertrauter Freund und aller seiner Thorheiten Genosse, aber zugleich auch aus den ägyptischen und gallischen Feldzügen als glänzender Reiteroffi- zier, und Quintus Cassius Longinus, Pompeius ehemaliger Quä- stor, welche beide jetzt an Curios Stelle Caesars Sache in Rom führten, erzwangen die sofortige Verlesung der Depesche. Die ern- sten und klaren Worte, in denen Caesar den drohenden Bürger- krieg, den allgemeinen Wunsch nach Frieden, Pompeius Ueber- muth, seine eigene Nachgiebigkeit mit der ganzen unwidersteh- lichen Macht der Wahrheit darlegte, die Vergleichsvorschläge von einer ohne Zweifel seine eigenen Anhänger überraschenden Mäs- sigung, die bestimmte Erklärung, daſs hiemit die Hand zum Frieden zum letzten Mal geboten sei, machten den tiefsten Ein- druck. Trotz der Furcht vor den zahlreich in die Hauptstadt geströmten Soldaten des Pompeius war die Gesinnung der Ma- jorität nicht zweifelhaft; man durfte nicht wagen sie sich aus- sprechen zu lassen. Ueber den von Caesar erneuerten Vor- schlag, daſs beiden Statthaltern zugleich die Niederlegung ihres Commandos aufgegeben werden möge, so wie über den von Mar- cus Caelius Rufus und Marcus Calidius gestellten Antrag, Pom- peius zur sofortigen Abreise nach Spanien zu veranlassen, wei- gerten sich die Consuln, wie sie als Vorsitzende es durften, die Abstimmung zu eröffnen. Selbst der Antrag eines der entschie- * Zu unterscheiden von dem gleichnamigen Consul des J. 704; dieser war ein Vetter, der Consul des J. 705 ein Bruder des Marcus Marcellus Consul 703. 22*

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/349>, abgerufen am 16.05.2024.