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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
densten Gesinnungsgenossen, der nur nicht über die militärische
Lage der Dinge so blind war wie seine Partei, des Marcus Mar-
cellus: die Beschlussfassung auszusetzen, bis der italische Land-
sturm unter Waffen stehe und den Senat zu schützen vermöge,
durfte nicht zur Abstimmung gebracht werden. Pompeius liess
durch sein gewöhnliches Organ Quintus Scipio erklären, dass er
jetzt oder nie die Sache des Senats aufzunehmen entschlossen sei
und sie fallen lasse, wenn man noch länger zaudere. Der Con-
sul Lentulus sprach es unumwunden aus, dass es gar auf den
Beschluss des Senats nicht mehr ankomme, sondern, wenn der-
selbe bei seiner Servilität verharren sollte, er von sich aus han-
deln und mit seinen mächtigen Freunden das Weitere veranlas-
sen werde. So terrorisirt beschloss die Majorität, was ihr befoh-
len ward: dass Caesar bis zu einem bestimmten nicht fernen Tage
das jenseitige Gallien an Lucius Domitius Ahenobarbus, das dies-
seitige an Marcus Servilius Nonianus abzugeben und das Heer zu
entlassen habe, widrigenfalls er als Hochverräther erachtet werde.
Als die Tribunen von Caesars Partei gegen diesen Beschluss ihres
Intercessionsrechts sich bedienten, wurden sie nicht bloss, wie
sie wenigstens behaupteten, in der Curie selbst von pompeia-
nischen Soldaten mit den Schwertern bedroht und, um ihr Leben
zu retten, in Sclavenkleidern aus der Hauptstadt zu flüchten ge-
zwungen, sondern es behandelte auch der Senat ihr formell
durchaus verfassungsmässiges Einschreiten wie einen Revolu-
tionsversuch, erklärte das Vaterland in Gefahr und rief in den
üblichen Formen die gesammte Bürgerschaft unter die Waffen
und an die Spitze der Bewaffneten die sämmtlichen verfassungs-
treuen Beamten (7. Jan. 705).

Nun war es genug. Wie Caesar durch die flüchtigen Tri-
bune, die schutzflehend zu ihm in das Lager kamen, von der Auf-
nahme in Kenntniss gesetzt ward, welche seine Vorschläge in der
Hauptstadt gefunden hatten, rief er die Soldaten der dreizehnten
Legion, die inzwischen aus ihren Cantonnirungen bei Tergeste
(Triest) in Ravenna eingetroffen war, zusammen und entwickelte
vor ihnen den Stand der Dinge. Es war nicht bloss der geniale
Herzenskündiger und Geisterbeherrscher, dessen glänzende Rede
in diesem erschütternden Wendepunkt seines und des Weltge-
schicks hoch empor leuchtete und flammte; nicht bloss der freige-
bige Heermeister und der sieghafte Feldherr, welcher zu Soldaten
sprach, die von ihm selbst unter die Waffen gerufen und seit acht
Jahren mit immer steigernder Begeisterung seinen Fahnen gefolgt
waren; es sprach vor allem der energische und consequente

FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX.
densten Gesinnungsgenossen, der nur nicht über die militärische
Lage der Dinge so blind war wie seine Partei, des Marcus Mar-
cellus: die Beschluſsfassung auszusetzen, bis der italische Land-
sturm unter Waffen stehe und den Senat zu schützen vermöge,
durfte nicht zur Abstimmung gebracht werden. Pompeius lieſs
durch sein gewöhnliches Organ Quintus Scipio erklären, daſs er
jetzt oder nie die Sache des Senats aufzunehmen entschlossen sei
und sie fallen lasse, wenn man noch länger zaudere. Der Con-
sul Lentulus sprach es unumwunden aus, daſs es gar auf den
Beschluſs des Senats nicht mehr ankomme, sondern, wenn der-
selbe bei seiner Servilität verharren sollte, er von sich aus han-
deln und mit seinen mächtigen Freunden das Weitere veranlas-
sen werde. So terrorisirt beschloſs die Majorität, was ihr befoh-
len ward: daſs Caesar bis zu einem bestimmten nicht fernen Tage
das jenseitige Gallien an Lucius Domitius Ahenobarbus, das dies-
seitige an Marcus Servilius Nonianus abzugeben und das Heer zu
entlassen habe, widrigenfalls er als Hochverräther erachtet werde.
Als die Tribunen von Caesars Partei gegen diesen Beschluſs ihres
Intercessionsrechts sich bedienten, wurden sie nicht bloſs, wie
sie wenigstens behaupteten, in der Curie selbst von pompeia-
nischen Soldaten mit den Schwertern bedroht und, um ihr Leben
zu retten, in Sclavenkleidern aus der Hauptstadt zu flüchten ge-
zwungen, sondern es behandelte auch der Senat ihr formell
durchaus verfassungsmäſsiges Einschreiten wie einen Revolu-
tionsversuch, erklärte das Vaterland in Gefahr und rief in den
üblichen Formen die gesammte Bürgerschaft unter die Waffen
und an die Spitze der Bewaffneten die sämmtlichen verfassungs-
treuen Beamten (7. Jan. 705).

Nun war es genug. Wie Caesar durch die flüchtigen Tri-
bune, die schutzflehend zu ihm in das Lager kamen, von der Auf-
nahme in Kenntniſs gesetzt ward, welche seine Vorschläge in der
Hauptstadt gefunden hatten, rief er die Soldaten der dreizehnten
Legion, die inzwischen aus ihren Cantonnirungen bei Tergeste
(Triest) in Ravenna eingetroffen war, zusammen und entwickelte
vor ihnen den Stand der Dinge. Es war nicht bloſs der geniale
Herzenskündiger und Geisterbeherrscher, dessen glänzende Rede
in diesem erschütternden Wendepunkt seines und des Weltge-
schicks hoch empor leuchtete und flammte; nicht bloſs der freige-
bige Heermeister und der sieghafte Feldherr, welcher zu Soldaten
sprach, die von ihm selbst unter die Waffen gerufen und seit acht
Jahren mit immer steigernder Begeisterung seinen Fahnen gefolgt
waren; es sprach vor allem der energische und consequente

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[340/0350] FÜNFTES BUCH. KAPITEL IX. densten Gesinnungsgenossen, der nur nicht über die militärische Lage der Dinge so blind war wie seine Partei, des Marcus Mar- cellus: die Beschluſsfassung auszusetzen, bis der italische Land- sturm unter Waffen stehe und den Senat zu schützen vermöge, durfte nicht zur Abstimmung gebracht werden. Pompeius lieſs durch sein gewöhnliches Organ Quintus Scipio erklären, daſs er jetzt oder nie die Sache des Senats aufzunehmen entschlossen sei und sie fallen lasse, wenn man noch länger zaudere. Der Con- sul Lentulus sprach es unumwunden aus, daſs es gar auf den Beschluſs des Senats nicht mehr ankomme, sondern, wenn der- selbe bei seiner Servilität verharren sollte, er von sich aus han- deln und mit seinen mächtigen Freunden das Weitere veranlas- sen werde. So terrorisirt beschloſs die Majorität, was ihr befoh- len ward: daſs Caesar bis zu einem bestimmten nicht fernen Tage das jenseitige Gallien an Lucius Domitius Ahenobarbus, das dies- seitige an Marcus Servilius Nonianus abzugeben und das Heer zu entlassen habe, widrigenfalls er als Hochverräther erachtet werde. Als die Tribunen von Caesars Partei gegen diesen Beschluſs ihres Intercessionsrechts sich bedienten, wurden sie nicht bloſs, wie sie wenigstens behaupteten, in der Curie selbst von pompeia- nischen Soldaten mit den Schwertern bedroht und, um ihr Leben zu retten, in Sclavenkleidern aus der Hauptstadt zu flüchten ge- zwungen, sondern es behandelte auch der Senat ihr formell durchaus verfassungsmäſsiges Einschreiten wie einen Revolu- tionsversuch, erklärte das Vaterland in Gefahr und rief in den üblichen Formen die gesammte Bürgerschaft unter die Waffen und an die Spitze der Bewaffneten die sämmtlichen verfassungs- treuen Beamten (7. Jan. 705). Nun war es genug. Wie Caesar durch die flüchtigen Tri- bune, die schutzflehend zu ihm in das Lager kamen, von der Auf- nahme in Kenntniſs gesetzt ward, welche seine Vorschläge in der Hauptstadt gefunden hatten, rief er die Soldaten der dreizehnten Legion, die inzwischen aus ihren Cantonnirungen bei Tergeste (Triest) in Ravenna eingetroffen war, zusammen und entwickelte vor ihnen den Stand der Dinge. Es war nicht bloſs der geniale Herzenskündiger und Geisterbeherrscher, dessen glänzende Rede in diesem erschütternden Wendepunkt seines und des Weltge- schicks hoch empor leuchtete und flammte; nicht bloſs der freige- bige Heermeister und der sieghafte Feldherr, welcher zu Soldaten sprach, die von ihm selbst unter die Waffen gerufen und seit acht Jahren mit immer steigernder Begeisterung seinen Fahnen gefolgt waren; es sprach vor allem der energische und consequente

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/350>, abgerufen am 29.04.2024.