Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Morhof, Daniel Georg: Unterricht Von Der Teutschen Sprache und Poesie. Kiel, 1682.

Bild:
<< vorherige Seite

Das XIV. Cap. Von den
weilen ein Meister ist/ wird sich nicht so
fort unterstehen/ in einem grossen Wer-
cke die Meisterschafft zu führen. Es kan
offtmahls ein Meister ein kleines Bild be-
reiten/ der eben den Colossum Rhodium
nicht auffrichten kan. Der vornehmste
Meister/ den wir in alten Zeiten gehabt
ist Virgilius gewesen/ ein Mann von un-
vergleichlichem Urthel und hohem Geiste.
Dann ob zwar einige ihn deßhalben
verkleinern wollen/ daß er seine Erfin-
dung andern abgesehen/ so urtheilen die-
selben eben so/ als wann sie einen vortrefli-
chen Mahler deßhalben geringsch ätzig und
ohne Erfindung halten wolte/ wann er
bekante Historien in einem künstlichen Ge-
mählde vorgestellet. Virgilius hat viel
besser gethan/ daß er ein bekantes Hel-
denmässiges und zur Römschen Herr-
lichkeit zielendes Getichte außzuarbeiten
vorgenommen/ als wann er etwas
frembdes und neues auff die Bahn ge-
bracht/ davon er noch die allgemeine Be-
liebung erwarten müssen. Zudem stecket

die

Das XIV. Cap. Von den
weilen ein Meiſter iſt/ wird ſich nicht ſo
fort unterſtehen/ in einem groſſen Wer-
cke die Meiſterſchafft zu fuͤhren. Es kan
offtmahls ein Meiſter ein kleines Bild be-
reiten/ der eben den Coloſſum Rhodium
nicht auffrichten kan. Der vornehmſte
Meiſter/ den wir in alten Zeiten gehabt
iſt Virgilius geweſen/ ein Mann von un-
vergleichlichem Urthel und hohem Geiſte.
Dann ob zwar einige ihn deßhalben
verkleinern wollen/ daß er ſeine Erfin-
dung andern abgeſehen/ ſo urtheilen die-
ſelben eben ſo/ als wann ſie einen vortrefli-
chen Mahler deßhalben geringſch aͤtzig und
ohne Erfindung halten wolte/ wann er
bekante Hiſtorien in einem kuͤnſtlichen Ge-
maͤhlde vorgeſtellet. Virgilius hat viel
beſſer gethan/ daß er ein bekantes Hel-
denmaͤſſiges und zur Roͤmſchen Herr-
lichkeit zielendes Getichte außzuarbeiten
vorgenommen/ als wann er etwas
frembdes und neues auff die Bahn ge-
bracht/ davon er noch die allgemeine Be-
liebung erwarten muͤſſen. Zudem ſtecket

die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0696" n="684"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das <hi rendition="#aq">XIV.</hi> Cap. Von den</hi></fw><lb/>
weilen ein Mei&#x017F;ter i&#x017F;t/ wird &#x017F;ich nicht &#x017F;o<lb/>
fort unter&#x017F;tehen/ in einem gro&#x017F;&#x017F;en Wer-<lb/>
cke die Mei&#x017F;ter&#x017F;chafft zu fu&#x0364;hren. Es kan<lb/>
offtmahls ein Mei&#x017F;ter ein kleines Bild be-<lb/>
reiten/ der eben den <hi rendition="#aq">Colo&#x017F;&#x017F;um Rhodium</hi><lb/>
nicht auffrichten kan. Der vornehm&#x017F;te<lb/>
Mei&#x017F;ter/ den wir in alten Zeiten gehabt<lb/>
i&#x017F;t <hi rendition="#aq">Virgilius</hi> gewe&#x017F;en/ ein Mann von un-<lb/>
vergleichlichem Urthel und hohem Gei&#x017F;te.<lb/>
Dann ob zwar einige ihn deßhalben<lb/>
verkleinern wollen/ daß er &#x017F;eine Erfin-<lb/>
dung andern abge&#x017F;ehen/ &#x017F;o urtheilen die-<lb/>
&#x017F;elben eben &#x017F;o/ als wann &#x017F;ie einen vortrefli-<lb/>
chen Mahler deßhalben gering&#x017F;ch a&#x0364;tzig und<lb/>
ohne Erfindung halten wolte/ wann er<lb/>
bekante Hi&#x017F;torien in einem ku&#x0364;n&#x017F;tlichen Ge-<lb/>
ma&#x0364;hlde vorge&#x017F;tellet. <hi rendition="#aq">Virgilius</hi> hat viel<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er gethan/ daß er ein bekantes Hel-<lb/>
denma&#x0364;&#x017F;&#x017F;iges und zur Ro&#x0364;m&#x017F;chen Herr-<lb/>
lichkeit zielendes Getichte außzuarbeiten<lb/>
vorgenommen/ als wann er etwas<lb/>
frembdes und neues auff die Bahn ge-<lb/>
bracht/ davon er noch die allgemeine Be-<lb/>
liebung erwarten mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Zudem &#x017F;tecket<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[684/0696] Das XIV. Cap. Von den weilen ein Meiſter iſt/ wird ſich nicht ſo fort unterſtehen/ in einem groſſen Wer- cke die Meiſterſchafft zu fuͤhren. Es kan offtmahls ein Meiſter ein kleines Bild be- reiten/ der eben den Coloſſum Rhodium nicht auffrichten kan. Der vornehmſte Meiſter/ den wir in alten Zeiten gehabt iſt Virgilius geweſen/ ein Mann von un- vergleichlichem Urthel und hohem Geiſte. Dann ob zwar einige ihn deßhalben verkleinern wollen/ daß er ſeine Erfin- dung andern abgeſehen/ ſo urtheilen die- ſelben eben ſo/ als wann ſie einen vortrefli- chen Mahler deßhalben geringſch aͤtzig und ohne Erfindung halten wolte/ wann er bekante Hiſtorien in einem kuͤnſtlichen Ge- maͤhlde vorgeſtellet. Virgilius hat viel beſſer gethan/ daß er ein bekantes Hel- denmaͤſſiges und zur Roͤmſchen Herr- lichkeit zielendes Getichte außzuarbeiten vorgenommen/ als wann er etwas frembdes und neues auff die Bahn ge- bracht/ davon er noch die allgemeine Be- liebung erwarten muͤſſen. Zudem ſtecket die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/morhof_unterricht_1682
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/morhof_unterricht_1682/696
Zitationshilfe: Morhof, Daniel Georg: Unterricht Von Der Teutschen Sprache und Poesie. Kiel, 1682, S. 684. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/morhof_unterricht_1682/696>, abgerufen am 15.05.2024.