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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785.

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oder unangenehmes wiederfahren war, konnte ich keinen Augenblick schlafen. Hatte sie auch nur in der Ferne Musik gehört, so tanzte sie im Schlafe, warf sich im Bette herum, und sang die Melodie der Tänze, (ihr verstorbner Vater, obgleich von seinem 12. Jahre an blind, war ein geschickter Musicus gewesen) mit so starker Stimme, daß ich zu ihr gehen und sie aufwecken mußte, damit das Kind meiner verstorbnen Schwester, dessen Wiege vor meinem Bette stand, nicht im Schlafe gestört ward; das zum Glücke immer fest schlief.

Um sie zu ermuntern, mußte ich sie allezeit in die Höhe richten und lange schütteln. Zuweilen zankte sie im Schlafe sehr heftig, mit jemanden, der Obst aß, und dem Kinde nichts davon geben wollte -- und überhaupt träumte ihr oft vom Obste. Jhr väterliches Haus lag mitten in einem grossen Obstgarten.

Dabei war sie aber von Natur gutmüthig, und folgte gerne den Ermahnungen, die ich ihr zuweilen gab, wenn ich ihre kleinen Thorheiten des vorigen Tages in der folgenden Nacht, aus ihren Sprechen erfahren hatte.

Sie ward bald mit einem wohlgestalten jungen Manne, von ihres Vater Stande, der das väterliche Haus annahm, dem Ansehen nach glücklich verheurathet; und ich hatte nach meiner Verheurathung wohl in zehn Jahren nichts von ihr gehört, als ich meine Vaterstadt besuchte, wo man mir


oder unangenehmes wiederfahren war, konnte ich keinen Augenblick schlafen. Hatte sie auch nur in der Ferne Musik gehoͤrt, so tanzte sie im Schlafe, warf sich im Bette herum, und sang die Melodie der Taͤnze, (ihr verstorbner Vater, obgleich von seinem 12. Jahre an blind, war ein geschickter Musicus gewesen) mit so starker Stimme, daß ich zu ihr gehen und sie aufwecken mußte, damit das Kind meiner verstorbnen Schwester, dessen Wiege vor meinem Bette stand, nicht im Schlafe gestoͤrt ward; das zum Gluͤcke immer fest schlief.

Um sie zu ermuntern, mußte ich sie allezeit in die Hoͤhe richten und lange schuͤtteln. Zuweilen zankte sie im Schlafe sehr heftig, mit jemanden, der Obst aß, und dem Kinde nichts davon geben wollte — und uͤberhaupt traͤumte ihr oft vom Obste. Jhr vaͤterliches Haus lag mitten in einem grossen Obstgarten.

Dabei war sie aber von Natur gutmuͤthig, und folgte gerne den Ermahnungen, die ich ihr zuweilen gab, wenn ich ihre kleinen Thorheiten des vorigen Tages in der folgenden Nacht, aus ihren Sprechen erfahren hatte.

Sie ward bald mit einem wohlgestalten jungen Manne, von ihres Vater Stande, der das vaͤterliche Haus annahm, dem Ansehen nach gluͤcklich verheurathet; und ich hatte nach meiner Verheurathung wohl in zehn Jahren nichts von ihr gehoͤrt, als ich meine Vaterstadt besuchte, wo man mir

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[28/0028] oder unangenehmes wiederfahren war, konnte ich keinen Augenblick schlafen. Hatte sie auch nur in der Ferne Musik gehoͤrt, so tanzte sie im Schlafe, warf sich im Bette herum, und sang die Melodie der Taͤnze, (ihr verstorbner Vater, obgleich von seinem 12. Jahre an blind, war ein geschickter Musicus gewesen) mit so starker Stimme, daß ich zu ihr gehen und sie aufwecken mußte, damit das Kind meiner verstorbnen Schwester, dessen Wiege vor meinem Bette stand, nicht im Schlafe gestoͤrt ward; das zum Gluͤcke immer fest schlief. Um sie zu ermuntern, mußte ich sie allezeit in die Hoͤhe richten und lange schuͤtteln. Zuweilen zankte sie im Schlafe sehr heftig, mit jemanden, der Obst aß, und dem Kinde nichts davon geben wollte — und uͤberhaupt traͤumte ihr oft vom Obste. Jhr vaͤterliches Haus lag mitten in einem grossen Obstgarten. Dabei war sie aber von Natur gutmuͤthig, und folgte gerne den Ermahnungen, die ich ihr zuweilen gab, wenn ich ihre kleinen Thorheiten des vorigen Tages in der folgenden Nacht, aus ihren Sprechen erfahren hatte. Sie ward bald mit einem wohlgestalten jungen Manne, von ihres Vater Stande, der das vaͤterliche Haus annahm, dem Ansehen nach gluͤcklich verheurathet; und ich hatte nach meiner Verheurathung wohl in zehn Jahren nichts von ihr gehoͤrt, als ich meine Vaterstadt besuchte, wo man mir

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 3, St. 2. Berlin, 1785, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0303_1785/28>, abgerufen am 27.04.2024.