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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786.

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"Die Gedanken des Taubstummen, fährt Herr S. fort, sind viel größer vom Umfange, viel lebhafter, viel schneller, nicht so zerstückt und unterbrochen, als die unsrigen."

"Daher kömmt es, daß der Taubstumme so gern mahlt."

Dieß stimmt mit meiner vorher geäußerten Jdee, daß in der Seele des Taubstummen überhaupt mehr zusammenfassende Gemählde, als successive Vorstellungen statt finden.

Der Taubstumme mahlt gern -- denn alles mahlet sich in ihm, weil es nicht in ihm tönet.

"Die Gedanken des Taubstummen sind von weitläuftigem Umfange und größerer Stärke, als die unsrigen, aber sie haben den unvermeidlichen Fehler der Schwierigkeit, abstrakte Jdeen zu formiren" --

Wiederum sehr natürlich, weil die Vorstellungen, sobald sie total sind, sobald sie im Zusammenhange mit mehreren nothwendig gedacht werden müssen, eben dadurch individualisirt werden. --

Freilich kann in manchen Fällen, durch die Leichtigkeit des pantomimischen Zeichens, auch die Abstraktion einigermaßen erleichtert werden. -- Ein König z.B. wird durch Bezeichnung eines Sterns auf der Brust, ein Arzt durch einen Griff an den Puls bezeichnet. -- Ein solches


»Die Gedanken des Taubstummen, faͤhrt Herr S. fort, sind viel groͤßer vom Umfange, viel lebhafter, viel schneller, nicht so zerstuͤckt und unterbrochen, als die unsrigen.«

»Daher koͤmmt es, daß der Taubstumme so gern mahlt.«

Dieß stimmt mit meiner vorher geaͤußerten Jdee, daß in der Seele des Taubstummen uͤberhaupt mehr zusammenfassende Gemaͤhlde, als successive Vorstellungen statt finden.

Der Taubstumme mahlt gern — denn alles mahlet sich in ihm, weil es nicht in ihm toͤnet.

»Die Gedanken des Taubstummen sind von weitlaͤuftigem Umfange und groͤßerer Staͤrke, als die unsrigen, aber sie haben den unvermeidlichen Fehler der Schwierigkeit, abstrakte Jdeen zu formiren« —

Wiederum sehr natuͤrlich, weil die Vorstellungen, sobald sie total sind, sobald sie im Zusammenhange mit mehreren nothwendig gedacht werden muͤssen, eben dadurch individualisirt werden. —

Freilich kann in manchen Faͤllen, durch die Leichtigkeit des pantomimischen Zeichens, auch die Abstraktion einigermaßen erleichtert werden. — Ein Koͤnig z.B. wird durch Bezeichnung eines Sterns auf der Brust, ein Arzt durch einen Griff an den Puls bezeichnet. — Ein solches

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[12/0012] »Die Gedanken des Taubstummen, faͤhrt Herr S. fort, sind viel groͤßer vom Umfange, viel lebhafter, viel schneller, nicht so zerstuͤckt und unterbrochen, als die unsrigen.« »Daher koͤmmt es, daß der Taubstumme so gern mahlt.« Dieß stimmt mit meiner vorher geaͤußerten Jdee, daß in der Seele des Taubstummen uͤberhaupt mehr zusammenfassende Gemaͤhlde, als successive Vorstellungen statt finden. Der Taubstumme mahlt gern — denn alles mahlet sich in ihm, weil es nicht in ihm toͤnet. »Die Gedanken des Taubstummen sind von weitlaͤuftigem Umfange und groͤßerer Staͤrke, als die unsrigen, aber sie haben den unvermeidlichen Fehler der Schwierigkeit, abstrakte Jdeen zu formiren« — Wiederum sehr natuͤrlich, weil die Vorstellungen, sobald sie total sind, sobald sie im Zusammenhange mit mehreren nothwendig gedacht werden muͤssen, eben dadurch individualisirt werden. — Freilich kann in manchen Faͤllen, durch die Leichtigkeit des pantomimischen Zeichens, auch die Abstraktion einigermaßen erleichtert werden. — Ein Koͤnig z.B. wird durch Bezeichnung eines Sterns auf der Brust, ein Arzt durch einen Griff an den Puls bezeichnet. — Ein solches

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 2. Berlin, 1786, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0402_1786/12>, abgerufen am 27.04.2024.