über untröstlich waren, u. s. w. -- Auch fand er in Leydings Handbibliothek, die ihm jemand geliehen hatte, ein rührendes Drama in Ver¬ sen: der Einsiedler welches er gern mit J. . . aufführen wollte. -- Er wünschte sich denn eine recht affektvolle Rolle, wo er mit dem größten Pathos reden und sich in eine Reihe von Em¬ pfindungen versetzen könnte, die er so gern hatte, und sie doch in seiner wirklichen Welt, wo alles so kahl so armselig zuging, nicht haben konnte. -- Dieser Wunsch war bei Reisern sehr natür¬ lich; er hatte Gefühle für Freundschaft, für Dankbarkeit, für Großmuth, und edle Ent¬ schlossenheit, welche alle ungenutzt in ihm schlum¬ merten; denn durch seine äußere Lage schrumpfte sein Herz zusammen. -- Was Wunder, daß es sich in einer idealischen Welt wieder zu erwei¬ tern, und seinen natürlichen Empfindungen nach¬ zuhängen suchte! -- In dem Schauspiel schien er sich gleichsam wieder zu finden, nachdem er sich in seiner wirklichen Welt beinahe verlohren hatte -- Darum wurde auch in der Folge seine Freundschaft mit Philipp Reisern beinahe eine the¬ athralische Freundschaft, die oft so weit ging, daß
G 2
uͤber untroͤſtlich waren, u. ſ. w. — Auch fand er in Leydings Handbibliothek, die ihm jemand geliehen hatte, ein ruͤhrendes Drama in Ver¬ ſen: der Einſiedler welches er gern mit J. . . auffuͤhren wollte. — Er wuͤnſchte ſich denn eine recht affektvolle Rolle, wo er mit dem groͤßten Pathos reden und ſich in eine Reihe von Em¬ pfindungen verſetzen koͤnnte, die er ſo gern hatte, und ſie doch in ſeiner wirklichen Welt, wo alles ſo kahl ſo armſelig zuging, nicht haben konnte. — Dieſer Wunſch war bei Reiſern ſehr natuͤr¬ lich; er hatte Gefuͤhle fuͤr Freundſchaft, fuͤr Dankbarkeit, fuͤr Großmuth, und edle Ent¬ ſchloſſenheit, welche alle ungenutzt in ihm ſchlum¬ merten; denn durch ſeine aͤußere Lage ſchrumpfte ſein Herz zuſammen. — Was Wunder, daß es ſich in einer idealiſchen Welt wieder zu erwei¬ tern, und ſeinen natuͤrlichen Empfindungen nach¬ zuhaͤngen ſuchte! — In dem Schauſpiel ſchien er ſich gleichſam wieder zu finden, nachdem er ſich in ſeiner wirklichen Welt beinahe verlohren hatte — Darum wurde auch in der Folge ſeine Freundſchaft mit Philipp Reiſern beinahe eine the¬ athraliſche Freundſchaft, die oft ſo weit ging, daß
G 2
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0109"n="99"/>
uͤber untroͤſtlich waren, u. ſ. w. — Auch fand<lb/>
er in Leydings Handbibliothek, die ihm jemand<lb/>
geliehen hatte, ein ruͤhrendes Drama in Ver¬<lb/>ſen: <hirendition="#fr">der Einſiedler</hi> welches er gern mit J. . .<lb/>
auffuͤhren wollte. — Er wuͤnſchte ſich denn eine<lb/>
recht affektvolle Rolle, wo er mit dem groͤßten<lb/>
Pathos reden und ſich in eine Reihe von Em¬<lb/>
pfindungen verſetzen koͤnnte, die er ſo gern hatte,<lb/>
und ſie doch in ſeiner wirklichen Welt, wo alles<lb/>ſo kahl ſo armſelig zuging, nicht haben konnte.<lb/>— Dieſer Wunſch war bei Reiſern ſehr natuͤr¬<lb/>
lich; er hatte Gefuͤhle fuͤr Freundſchaft, fuͤr<lb/>
Dankbarkeit, fuͤr Großmuth, und edle Ent¬<lb/>ſchloſſenheit, welche alle ungenutzt in ihm ſchlum¬<lb/>
merten; denn durch ſeine aͤußere Lage ſchrumpfte<lb/>ſein Herz zuſammen. — Was Wunder, daß<lb/>
es ſich in einer idealiſchen Welt wieder zu erwei¬<lb/>
tern, und ſeinen natuͤrlichen Empfindungen nach¬<lb/>
zuhaͤngen ſuchte! — In dem Schauſpiel ſchien<lb/>
er ſich gleichſam wieder zu finden, nachdem er<lb/>ſich in ſeiner wirklichen Welt beinahe verlohren<lb/>
hatte — Darum wurde auch in der Folge ſeine<lb/>
Freundſchaft mit Philipp Reiſern beinahe eine the¬<lb/>
athraliſche Freundſchaft, die oft ſo weit ging, daß<lb/><fwplace="bottom"type="sig">G 2<lb/></fw></p></body></text></TEI>
[99/0109]
uͤber untroͤſtlich waren, u. ſ. w. — Auch fand
er in Leydings Handbibliothek, die ihm jemand
geliehen hatte, ein ruͤhrendes Drama in Ver¬
ſen: der Einſiedler welches er gern mit J. . .
auffuͤhren wollte. — Er wuͤnſchte ſich denn eine
recht affektvolle Rolle, wo er mit dem groͤßten
Pathos reden und ſich in eine Reihe von Em¬
pfindungen verſetzen koͤnnte, die er ſo gern hatte,
und ſie doch in ſeiner wirklichen Welt, wo alles
ſo kahl ſo armſelig zuging, nicht haben konnte.
— Dieſer Wunſch war bei Reiſern ſehr natuͤr¬
lich; er hatte Gefuͤhle fuͤr Freundſchaft, fuͤr
Dankbarkeit, fuͤr Großmuth, und edle Ent¬
ſchloſſenheit, welche alle ungenutzt in ihm ſchlum¬
merten; denn durch ſeine aͤußere Lage ſchrumpfte
ſein Herz zuſammen. — Was Wunder, daß
es ſich in einer idealiſchen Welt wieder zu erwei¬
tern, und ſeinen natuͤrlichen Empfindungen nach¬
zuhaͤngen ſuchte! — In dem Schauſpiel ſchien
er ſich gleichſam wieder zu finden, nachdem er
ſich in ſeiner wirklichen Welt beinahe verlohren
hatte — Darum wurde auch in der Folge ſeine
Freundſchaft mit Philipp Reiſern beinahe eine the¬
athraliſche Freundſchaft, die oft ſo weit ging, daß
G 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/109>, abgerufen am 16.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.