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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

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genwärtigem und Vergangnen mischten sich son¬
derbar durcheinander. -- Er konnte sich nur mit
Mühe zu dem Gedanken gewöhnen, sich einen
Mann als noch lebend vorzustellen, den seine
Einbildungskraft so lange in die vergangnen
Jahrhunderte zurück versetzt hatte. -- Er dachte
sich einen solchen Mann wie eine unter den Men¬
schen wandelnde Gottheit -- und solche Men¬
schen einst von Angesicht zu Angesicht zu sehen,
mit ihnen sich zu unterreden, das war der höchste
seiner Wünsche. --

Und nun hatte er sich doch im Ausdruck sei¬
ner Gedanken auf verschiedene Art versucht; er
fing an zu hoffen, daß ihm vielleicht einmal ein
Werk des Geistes gelingen würde, wodurch er
sich den Weg in jenen glänzenden Zirkel bahnte,
und sich das Recht erwürbe, mit Wesen umzuge¬
hen, die er bis jetzt noch so weit über sich erhaben
glaubte. -- Daher schrieb sich vorzüglich mit die
Schriftstellersucht, welche schon damals anfing,
ihn Tag und Nacht zu quälen. --

Ruhm und Beifall sich zu erwerben, das war
von jeher sein höchster Wunsch gewesen; -- aber
der Beifall mußte ihm damals nicht zu weit lie¬

3r Theil. N

genwaͤrtigem und Vergangnen miſchten ſich ſon¬
derbar durcheinander. — Er konnte ſich nur mit
Muͤhe zu dem Gedanken gewoͤhnen, ſich einen
Mann als noch lebend vorzuſtellen, den ſeine
Einbildungskraft ſo lange in die vergangnen
Jahrhunderte zuruͤck verſetzt hatte. — Er dachte
ſich einen ſolchen Mann wie eine unter den Men¬
ſchen wandelnde Gottheit — und ſolche Men¬
ſchen einſt von Angeſicht zu Angeſicht zu ſehen,
mit ihnen ſich zu unterreden, das war der hoͤchſte
ſeiner Wuͤnſche. —

Und nun hatte er ſich doch im Ausdruck ſei¬
ner Gedanken auf verſchiedene Art verſucht; er
fing an zu hoffen, daß ihm vielleicht einmal ein
Werk des Geiſtes gelingen wuͤrde, wodurch er
ſich den Weg in jenen glaͤnzenden Zirkel bahnte,
und ſich das Recht erwuͤrbe, mit Weſen umzuge¬
hen, die er bis jetzt noch ſo weit uͤber ſich erhaben
glaubte. — Daher ſchrieb ſich vorzuͤglich mit die
Schriftſtellerſucht, welche ſchon damals anfing,
ihn Tag und Nacht zu quaͤlen. —

Ruhm und Beifall ſich zu erwerben, das war
von jeher ſein hoͤchſter Wunſch geweſen; — aber
der Beifall mußte ihm damals nicht zu weit lie¬

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[193/0203] genwaͤrtigem und Vergangnen miſchten ſich ſon¬ derbar durcheinander. — Er konnte ſich nur mit Muͤhe zu dem Gedanken gewoͤhnen, ſich einen Mann als noch lebend vorzuſtellen, den ſeine Einbildungskraft ſo lange in die vergangnen Jahrhunderte zuruͤck verſetzt hatte. — Er dachte ſich einen ſolchen Mann wie eine unter den Men¬ ſchen wandelnde Gottheit — und ſolche Men¬ ſchen einſt von Angeſicht zu Angeſicht zu ſehen, mit ihnen ſich zu unterreden, das war der hoͤchſte ſeiner Wuͤnſche. — Und nun hatte er ſich doch im Ausdruck ſei¬ ner Gedanken auf verſchiedene Art verſucht; er fing an zu hoffen, daß ihm vielleicht einmal ein Werk des Geiſtes gelingen wuͤrde, wodurch er ſich den Weg in jenen glaͤnzenden Zirkel bahnte, und ſich das Recht erwuͤrbe, mit Weſen umzuge¬ hen, die er bis jetzt noch ſo weit uͤber ſich erhaben glaubte. — Daher ſchrieb ſich vorzuͤglich mit die Schriftſtellerſucht, welche ſchon damals anfing, ihn Tag und Nacht zu quaͤlen. — Ruhm und Beifall ſich zu erwerben, das war von jeher ſein hoͤchſter Wunſch geweſen; — aber der Beifall mußte ihm damals nicht zu weit lie¬ 3r Theil. N

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/203>, abgerufen am 27.04.2024.