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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

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gen -- er wollte ihn gleichsam aus der er¬
sten Hand haben, und wollte gern, wie es der
natürliche Hang zur Trägheit mit sich bringt,
erndten ohne zu säen.-- Und so griff nun freilich
das Theater am stärksten in seinen Wunsch
ein. -- Nirgends war jener Beifall aus der
ersten Hand
, so wie hier zu erwarten. -- Er
betrachtete einen Brockmann, einen Reincke im¬
mer mit einer Art von Ehrfurcht, wenn er sie
auf der Straße gehen sahe, und was konnte er
mehr wünschen, als in den Köpfen anderer Men¬
schen einst eben so zu existiren, wie diese in seinem
Kopfe existirten. -- So wie jene Leute vor einer
so großen Anzahl von Menschen, als sonst nur
selten oder nie versammlet sind, alle die erschüt¬
ternden Empfindungen der Wuth, der Rache,
der Großmuth nach einander durchzugehen, und
sich gleichsam jeder Nerve des Zuschauers mitzu¬
theilen. -- Das däuchte ihm ein Wirkungskreis,
der in Ansehung der Lebhaftigkeit in der Welt
nicht seines Gleichen hat. --

Allein er war nun freilich zu spät zu der thea¬
tralischen Gesellschaft getreten, um eine Rolle,
wie er sie sich wünschte, zu erhalten, welches ihn

gen — er wollte ihn gleichſam aus der er¬
ſten Hand haben, und wollte gern, wie es der
natuͤrliche Hang zur Traͤgheit mit ſich bringt,
erndten ohne zu ſaͤen.— Und ſo griff nun freilich
das Theater am ſtaͤrkſten in ſeinen Wunſch
ein. — Nirgends war jener Beifall aus der
erſten Hand
, ſo wie hier zu erwarten. — Er
betrachtete einen Brockmann, einen Reincke im¬
mer mit einer Art von Ehrfurcht, wenn er ſie
auf der Straße gehen ſahe, und was konnte er
mehr wuͤnſchen, als in den Koͤpfen anderer Men¬
ſchen einſt eben ſo zu exiſtiren, wie dieſe in ſeinem
Kopfe exiſtirten. — So wie jene Leute vor einer
ſo großen Anzahl von Menſchen, als ſonſt nur
ſelten oder nie verſammlet ſind, alle die erſchuͤt¬
ternden Empfindungen der Wuth, der Rache,
der Großmuth nach einander durchzugehen, und
ſich gleichſam jeder Nerve des Zuſchauers mitzu¬
theilen. — Das daͤuchte ihm ein Wirkungskreis,
der in Anſehung der Lebhaftigkeit in der Welt
nicht ſeines Gleichen hat. —

Allein er war nun freilich zu ſpaͤt zu der thea¬
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[194/0204] gen — er wollte ihn gleichſam aus der er¬ ſten Hand haben, und wollte gern, wie es der natuͤrliche Hang zur Traͤgheit mit ſich bringt, erndten ohne zu ſaͤen.— Und ſo griff nun freilich das Theater am ſtaͤrkſten in ſeinen Wunſch ein. — Nirgends war jener Beifall aus der erſten Hand, ſo wie hier zu erwarten. — Er betrachtete einen Brockmann, einen Reincke im¬ mer mit einer Art von Ehrfurcht, wenn er ſie auf der Straße gehen ſahe, und was konnte er mehr wuͤnſchen, als in den Koͤpfen anderer Men¬ ſchen einſt eben ſo zu exiſtiren, wie dieſe in ſeinem Kopfe exiſtirten. — So wie jene Leute vor einer ſo großen Anzahl von Menſchen, als ſonſt nur ſelten oder nie verſammlet ſind, alle die erſchuͤt¬ ternden Empfindungen der Wuth, der Rache, der Großmuth nach einander durchzugehen, und ſich gleichſam jeder Nerve des Zuſchauers mitzu¬ theilen. — Das daͤuchte ihm ein Wirkungskreis, der in Anſehung der Lebhaftigkeit in der Welt nicht ſeines Gleichen hat. — Allein er war nun freilich zu ſpaͤt zu der thea¬ traliſchen Geſellſchaft getreten, um eine Rolle, wie er ſie ſich wuͤnſchte, zu erhalten, welches ihn

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/204>, abgerufen am 28.04.2024.