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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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entschiedene Abneigung gegen alle Gebräuche der römischen Kirche, und sein letzter Wink nach der Pyramide, an dessen Fuße die ketzerischen Christen begraben werden, war um so weniger mißverständlich, da er schon bei dem ersten Besuche dieses Platzes den Wunsch ausgesprochen hatte, um einer so schönen Ruhestätte willen in Rom zu sterben. Damit man aber allen Schwierigkeiten, welche von Seiten der Geistlichkeit gegen die unkirchliche Bestattung eines Katholiken zu besorgen waren, aus dem Wege gehen möchte, hatte sich unser junger Freund die öffentliche Lüge erlaubt, den Verstorbenen für einen emigrirten Hugenotten auszugeben.

Nachdem Arthur sich der letzten Pflichten gegen seinen väterlichen Führer mit eben so ernster als innig gefühlter Theilnahme entledigt hatte, so nahm das bezaubernde Portrait ihn wieder anhaltender und ungetheilter in Anspruch, als die Geschäfte der vorigen Tage es zugelassen hatten. Die Geschichte des unglücklichen Originals verklärte ihm das Bild, welches sein Herz auch ohne diese Bekanntschaft schon so wunderbar befangen hatte, zu einer noch höheren Bedeutung, und er saß oft Stunden lang in die Betrachtung desselben versenkt und die Erzählung des Marquis aus den gemalten Augen und Lippen der schönen Debora gleichsam lebendig wiederholend. Er trug die Portraitkapsel auf seiner Brust, wenn er ausging, zu Hause legte er sie selten aus seinen Händen,

entschiedene Abneigung gegen alle Gebräuche der römischen Kirche, und sein letzter Wink nach der Pyramide, an dessen Fuße die ketzerischen Christen begraben werden, war um so weniger mißverständlich, da er schon bei dem ersten Besuche dieses Platzes den Wunsch ausgesprochen hatte, um einer so schönen Ruhestätte willen in Rom zu sterben. Damit man aber allen Schwierigkeiten, welche von Seiten der Geistlichkeit gegen die unkirchliche Bestattung eines Katholiken zu besorgen waren, aus dem Wege gehen möchte, hatte sich unser junger Freund die öffentliche Lüge erlaubt, den Verstorbenen für einen emigrirten Hugenotten auszugeben.

Nachdem Arthur sich der letzten Pflichten gegen seinen väterlichen Führer mit eben so ernster als innig gefühlter Theilnahme entledigt hatte, so nahm das bezaubernde Portrait ihn wieder anhaltender und ungetheilter in Anspruch, als die Geschäfte der vorigen Tage es zugelassen hatten. Die Geschichte des unglücklichen Originals verklärte ihm das Bild, welches sein Herz auch ohne diese Bekanntschaft schon so wunderbar befangen hatte, zu einer noch höheren Bedeutung, und er saß oft Stunden lang in die Betrachtung desselben versenkt und die Erzählung des Marquis aus den gemalten Augen und Lippen der schönen Debora gleichsam lebendig wiederholend. Er trug die Portraitkapsel auf seiner Brust, wenn er ausging, zu Hause legte er sie selten aus seinen Händen,

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[0118] entschiedene Abneigung gegen alle Gebräuche der römischen Kirche, und sein letzter Wink nach der Pyramide, an dessen Fuße die ketzerischen Christen begraben werden, war um so weniger mißverständlich, da er schon bei dem ersten Besuche dieses Platzes den Wunsch ausgesprochen hatte, um einer so schönen Ruhestätte willen in Rom zu sterben. Damit man aber allen Schwierigkeiten, welche von Seiten der Geistlichkeit gegen die unkirchliche Bestattung eines Katholiken zu besorgen waren, aus dem Wege gehen möchte, hatte sich unser junger Freund die öffentliche Lüge erlaubt, den Verstorbenen für einen emigrirten Hugenotten auszugeben. Nachdem Arthur sich der letzten Pflichten gegen seinen väterlichen Führer mit eben so ernster als innig gefühlter Theilnahme entledigt hatte, so nahm das bezaubernde Portrait ihn wieder anhaltender und ungetheilter in Anspruch, als die Geschäfte der vorigen Tage es zugelassen hatten. Die Geschichte des unglücklichen Originals verklärte ihm das Bild, welches sein Herz auch ohne diese Bekanntschaft schon so wunderbar befangen hatte, zu einer noch höheren Bedeutung, und er saß oft Stunden lang in die Betrachtung desselben versenkt und die Erzählung des Marquis aus den gemalten Augen und Lippen der schönen Debora gleichsam lebendig wiederholend. Er trug die Portraitkapsel auf seiner Brust, wenn er ausging, zu Hause legte er sie selten aus seinen Händen,

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/118>, abgerufen am 02.05.2024.