Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

in gewissem Sinne wieder das ganze Vaterland
repräsentirte. Eine der verbreitetsten Notionen
über England ist die, daß der Finanz-Minister
jenes Landes immer nothwendig Premier-Minister
seyn müsse; und, wenn man die kolossale Staats-
wirthschaft von Großbrittanien betrachtet, die
sich unter den furchtbarsten Krisen so glänzend
erhalten hat, so sollte man glauben, Gesetze,
Verfassung, Nationalgeist, alles Einzelne diene
am Ende doch nur dieser Behörde, und die Brit-
tische Constitution sey nichts anders als ein sehr
weises, gründliches Reglement des großen Comp-
toirs für den Welthandel. --

Will man indeß einmal wieder die ganze Be-
trachtung dieses Landes aus einem juristischen
Standpunkte vornehmen, so scheinen die Gesetze
eben so sehr der Mittelpunkt zu seyn, um den
sich alles bewegt; nur von dem Augenblick und
seiner erschreckenden Gewalt abgesehen, so erschei-
nen der Großkanzler, die zwölf Richter der Rei-
ches, und der Sprecher des Unterhauses eben so
wichtig, wie der Finanz-Minister. Wie oft ist
England seine buchstäbliche Treue gegen das Ge-
setz vorgeworfen worden! Bei jeder großen
Maßregel ist die erste Frage im Parliament nach
dem precedent, nach dem was man in Deut-
schen Staaten, mit etwas verhärtender Ueber-

in gewiſſem Sinne wieder das ganze Vaterland
repraͤſentirte. Eine der verbreitetſten Notionen
uͤber England iſt die, daß der Finanz-Miniſter
jenes Landes immer nothwendig Premier-Miniſter
ſeyn muͤſſe; und, wenn man die koloſſale Staats-
wirthſchaft von Großbrittanien betrachtet, die
ſich unter den furchtbarſten Kriſen ſo glaͤnzend
erhalten hat, ſo ſollte man glauben, Geſetze,
Verfaſſung, Nationalgeiſt, alles Einzelne diene
am Ende doch nur dieſer Behoͤrde, und die Brit-
tiſche Conſtitution ſey nichts anders als ein ſehr
weiſes, gruͤndliches Reglement des großen Comp-
toirs fuͤr den Welthandel. —

Will man indeß einmal wieder die ganze Be-
trachtung dieſes Landes aus einem juriſtiſchen
Standpunkte vornehmen, ſo ſcheinen die Geſetze
eben ſo ſehr der Mittelpunkt zu ſeyn, um den
ſich alles bewegt; nur von dem Augenblick und
ſeiner erſchreckenden Gewalt abgeſehen, ſo erſchei-
nen der Großkanzler, die zwoͤlf Richter der Rei-
ches, und der Sprecher des Unterhauſes eben ſo
wichtig, wie der Finanz-Miniſter. Wie oft iſt
England ſeine buchſtaͤbliche Treue gegen das Ge-
ſetz vorgeworfen worden! Bei jeder großen
Maßregel iſt die erſte Frage im Parliament nach
dem precedent, nach dem was man in Deut-
ſchen Staaten, mit etwas verhaͤrtender Ueber-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0136" n="102"/>
in gewi&#x017F;&#x017F;em Sinne wieder das ganze Vaterland<lb/>
repra&#x0364;&#x017F;entirte. Eine der verbreitet&#x017F;ten Notionen<lb/>
u&#x0364;ber England i&#x017F;t <hi rendition="#g">die</hi>, daß der Finanz-Mini&#x017F;ter<lb/>
jenes Landes immer nothwendig Premier-Mini&#x017F;ter<lb/>
&#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e; und, wenn man die kolo&#x017F;&#x017F;ale Staats-<lb/>
wirth&#x017F;chaft von Großbrittanien betrachtet, die<lb/>
&#x017F;ich unter den furchtbar&#x017F;ten Kri&#x017F;en &#x017F;o gla&#x0364;nzend<lb/>
erhalten hat, &#x017F;o &#x017F;ollte man glauben, Ge&#x017F;etze,<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;ung, Nationalgei&#x017F;t, alles Einzelne diene<lb/>
am Ende doch nur die&#x017F;er Beho&#x0364;rde, und die Brit-<lb/>
ti&#x017F;che Con&#x017F;titution &#x017F;ey nichts anders als ein &#x017F;ehr<lb/>
wei&#x017F;es, gru&#x0364;ndliches Reglement des großen Comp-<lb/>
toirs fu&#x0364;r den Welthandel. &#x2014;</p><lb/>
            <p>Will man indeß einmal wieder die ganze Be-<lb/>
trachtung die&#x017F;es Landes aus einem juri&#x017F;ti&#x017F;chen<lb/>
Standpunkte vornehmen, &#x017F;o &#x017F;cheinen die Ge&#x017F;etze<lb/>
eben &#x017F;o &#x017F;ehr der Mittelpunkt zu &#x017F;eyn, um den<lb/>
&#x017F;ich alles bewegt; nur von dem Augenblick und<lb/>
&#x017F;einer er&#x017F;chreckenden Gewalt abge&#x017F;ehen, &#x017F;o er&#x017F;chei-<lb/>
nen der Großkanzler, die zwo&#x0364;lf Richter der Rei-<lb/>
ches, und der Sprecher des Unterhau&#x017F;es eben &#x017F;o<lb/>
wichtig, wie der Finanz-Mini&#x017F;ter. Wie oft i&#x017F;t<lb/>
England &#x017F;eine buch&#x017F;ta&#x0364;bliche Treue gegen das Ge-<lb/>
&#x017F;etz vorgeworfen worden! Bei jeder großen<lb/>
Maßregel i&#x017F;t die er&#x017F;te Frage im Parliament nach<lb/>
dem <hi rendition="#aq">precedent,</hi> nach dem was man in Deut-<lb/>
&#x017F;chen Staaten, mit etwas verha&#x0364;rtender Ueber-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0136] in gewiſſem Sinne wieder das ganze Vaterland repraͤſentirte. Eine der verbreitetſten Notionen uͤber England iſt die, daß der Finanz-Miniſter jenes Landes immer nothwendig Premier-Miniſter ſeyn muͤſſe; und, wenn man die koloſſale Staats- wirthſchaft von Großbrittanien betrachtet, die ſich unter den furchtbarſten Kriſen ſo glaͤnzend erhalten hat, ſo ſollte man glauben, Geſetze, Verfaſſung, Nationalgeiſt, alles Einzelne diene am Ende doch nur dieſer Behoͤrde, und die Brit- tiſche Conſtitution ſey nichts anders als ein ſehr weiſes, gruͤndliches Reglement des großen Comp- toirs fuͤr den Welthandel. — Will man indeß einmal wieder die ganze Be- trachtung dieſes Landes aus einem juriſtiſchen Standpunkte vornehmen, ſo ſcheinen die Geſetze eben ſo ſehr der Mittelpunkt zu ſeyn, um den ſich alles bewegt; nur von dem Augenblick und ſeiner erſchreckenden Gewalt abgeſehen, ſo erſchei- nen der Großkanzler, die zwoͤlf Richter der Rei- ches, und der Sprecher des Unterhauſes eben ſo wichtig, wie der Finanz-Miniſter. Wie oft iſt England ſeine buchſtaͤbliche Treue gegen das Ge- ſetz vorgeworfen worden! Bei jeder großen Maßregel iſt die erſte Frage im Parliament nach dem precedent, nach dem was man in Deut- ſchen Staaten, mit etwas verhaͤrtender Ueber-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/136
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/136>, abgerufen am 30.04.2024.