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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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humaine, la religion et le gouvernement, n'est
qu'un lache.

Ich will es versuchen, den unermeßlichen
Wust falscher Vorstellungen vom Staate, die
nicht bloß im gesellschaftlichen Leben, sondern
auch in fast allen politischen Lehrbüchern noch
heut zu Tage eine große Rolle spielen, nach ge-
wissen Rubriken zu ordnen, und bei der Wi-
derlegung meinen Ausspruch: "daß es nichts
Menschliches gebe außerhalb des Staates," zu
bewähren. Es erscheint jetzt eine Reihe von
Begriffen, in deren Zerstörung sich die stei-
gende Hoheit der Idee des Staates bewähren
soll.

1) Der Staat sorgt bloß für die äu-
ßeren Bedürfnisse des Menschen, und
nimmt bloß seine äußerlichen Handlun-
gen in Anspruch
. -- Der Mensch lebt in
zwei und, so Gott will, mehr Welten wechsels-
weise; er dient mehreren Herren zugleich. Mit
dem Einen Fuße steht er in einer wirklichen phy-
sischen, mit dem andern in einer idealischen, mo-
ralischen Welt: zu einigen Handlungen kann er
maschinenweise, durch mechanische Gewalt,
gezwungen werden; andre und bei weitem die
wichtigsten Handlungen der Menschen, bleiben
geisterweise der Willkühr überlassen: sein

humaine, la religion et le gouvernement, n’est
qu’un lâche.

Ich will es verſuchen, den unermeßlichen
Wuſt falſcher Vorſtellungen vom Staate, die
nicht bloß im geſellſchaftlichen Leben, ſondern
auch in faſt allen politiſchen Lehrbuͤchern noch
heut zu Tage eine große Rolle ſpielen, nach ge-
wiſſen Rubriken zu ordnen, und bei der Wi-
derlegung meinen Ausſpruch: „daß es nichts
Menſchliches gebe außerhalb des Staates,” zu
bewaͤhren. Es erſcheint jetzt eine Reihe von
Begriffen, in deren Zerſtoͤrung ſich die ſtei-
gende Hoheit der Idee des Staates bewaͤhren
ſoll.

1) Der Staat ſorgt bloß fuͤr die aͤu-
ßeren Beduͤrfniſſe des Menſchen, und
nimmt bloß ſeine aͤußerlichen Handlun-
gen in Anſpruch
. — Der Menſch lebt in
zwei und, ſo Gott will, mehr Welten wechſels-
weiſe; er dient mehreren Herren zugleich. Mit
dem Einen Fuße ſteht er in einer wirklichen phy-
ſiſchen, mit dem andern in einer idealiſchen, mo-
raliſchen Welt: zu einigen Handlungen kann er
maſchinenweiſe, durch mechaniſche Gewalt,
gezwungen werden; andre und bei weitem die
wichtigſten Handlungen der Menſchen, bleiben
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[43/0077] humaine, la religion et le gouvernement, n’est qu’un lâche. Ich will es verſuchen, den unermeßlichen Wuſt falſcher Vorſtellungen vom Staate, die nicht bloß im geſellſchaftlichen Leben, ſondern auch in faſt allen politiſchen Lehrbuͤchern noch heut zu Tage eine große Rolle ſpielen, nach ge- wiſſen Rubriken zu ordnen, und bei der Wi- derlegung meinen Ausſpruch: „daß es nichts Menſchliches gebe außerhalb des Staates,” zu bewaͤhren. Es erſcheint jetzt eine Reihe von Begriffen, in deren Zerſtoͤrung ſich die ſtei- gende Hoheit der Idee des Staates bewaͤhren ſoll. 1) Der Staat ſorgt bloß fuͤr die aͤu- ßeren Beduͤrfniſſe des Menſchen, und nimmt bloß ſeine aͤußerlichen Handlun- gen in Anſpruch. — Der Menſch lebt in zwei und, ſo Gott will, mehr Welten wechſels- weiſe; er dient mehreren Herren zugleich. Mit dem Einen Fuße ſteht er in einer wirklichen phy- ſiſchen, mit dem andern in einer idealiſchen, mo- raliſchen Welt: zu einigen Handlungen kann er maſchinenweiſe, durch mechaniſche Gewalt, gezwungen werden; andre und bei weitem die wichtigſten Handlungen der Menſchen, bleiben geiſterweiſe der Willkuͤhr uͤberlaſſen: ſein

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/77>, abgerufen am 27.04.2024.