Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

blicke der Noth, nicht nach Willkühr verfü-
gen. --

Freilich sind die Gedanken zollfrei; freilich
will es etwas anderes sagen, die Herzen der
Menschen zu regieren, als ihre Hände und Beine;
freilich gehören, wenn man den Menschen ein-
mal zerstückeln will, ganz andre Mächte dazu,
die Geister als die Leiber in ein kräftiges Ganze
zu verbinden: aber wie kann denn die Theorie
behaupten, die Leiber könnten, ohne die Gei-
ster, für die Ewigkeit verbunden seyn! Wie
kann sie einen Haufen von Händen und Beinen
"einen Staat" nennen! Wo der Kern des
menschlichen Wesens liege; wo man den Punkt
im Menschen suchen müsse, in welchem alles
leibliche und geistige Interesse zusammen tritt,
damit, wer diese Festung erobert habe, nun Herr
des Ganzen sey: das ist die Frage; dort müßt
ihr eure Hebel, eure Bänder anlegen, wenn ein
Staat werden soll. -- Der Staat hat es eben
sowohl mit der Sitte, als mit dem Rechte
zu thun; der Suverän muß die große Vereini-
gung eben sowohl zusammen reitzen, als zu-
sammen zwingen. Was heißt Gesetz, wenn
das Heiligste, die innersten Angelegenheiten des
Menschen, hors de la loi stehen?

Seit den Zeiten der Kirchen-Reformation

blicke der Noth, nicht nach Willkuͤhr verfuͤ-
gen. —

Freilich ſind die Gedanken zollfrei; freilich
will es etwas anderes ſagen, die Herzen der
Menſchen zu regieren, als ihre Haͤnde und Beine;
freilich gehoͤren, wenn man den Menſchen ein-
mal zerſtuͤckeln will, ganz andre Maͤchte dazu,
die Geiſter als die Leiber in ein kraͤftiges Ganze
zu verbinden: aber wie kann denn die Theorie
behaupten, die Leiber koͤnnten, ohne die Gei-
ſter, fuͤr die Ewigkeit verbunden ſeyn! Wie
kann ſie einen Haufen von Haͤnden und Beinen
einen Staat” nennen! Wo der Kern des
menſchlichen Weſens liege; wo man den Punkt
im Menſchen ſuchen muͤſſe, in welchem alles
leibliche und geiſtige Intereſſe zuſammen tritt,
damit, wer dieſe Feſtung erobert habe, nun Herr
des Ganzen ſey: das iſt die Frage; dort muͤßt
ihr eure Hebel, eure Baͤnder anlegen, wenn ein
Staat werden ſoll. — Der Staat hat es eben
ſowohl mit der Sitte, als mit dem Rechte
zu thun; der Suveraͤn muß die große Vereini-
gung eben ſowohl zuſammen reitzen, als zu-
ſammen zwingen. Was heißt Geſetz, wenn
das Heiligſte, die innerſten Angelegenheiten des
Menſchen, hors de la loi ſtehen?

Seit den Zeiten der Kirchen-Reformation

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0080" n="46"/>
blicke der Noth, nicht nach Willku&#x0364;hr verfu&#x0364;-<lb/>
gen. &#x2014;</p><lb/>
            <p>Freilich &#x017F;ind die <hi rendition="#g">Gedanken</hi> zollfrei; freilich<lb/>
will es etwas anderes &#x017F;agen, die <hi rendition="#g">Herzen</hi> der<lb/>
Men&#x017F;chen zu regieren, als ihre Ha&#x0364;nde und Beine;<lb/>
freilich geho&#x0364;ren, wenn man den Men&#x017F;chen ein-<lb/>
mal zer&#x017F;tu&#x0364;ckeln will, ganz andre Ma&#x0364;chte dazu,<lb/>
die Gei&#x017F;ter als die Leiber in ein kra&#x0364;ftiges Ganze<lb/>
zu verbinden: aber wie kann denn die Theorie<lb/>
behaupten, die Leiber ko&#x0364;nnten, ohne die Gei-<lb/>
&#x017F;ter, fu&#x0364;r die Ewigkeit verbunden &#x017F;eyn! Wie<lb/>
kann &#x017F;ie einen Haufen von Ha&#x0364;nden und Beinen<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">einen Staat</hi>&#x201D; nennen! Wo der <hi rendition="#g">Kern</hi> des<lb/>
men&#x017F;chlichen We&#x017F;ens liege; wo man den Punkt<lb/>
im Men&#x017F;chen &#x017F;uchen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, in welchem alles<lb/>
leibliche und gei&#x017F;tige Intere&#x017F;&#x017F;e zu&#x017F;ammen tritt,<lb/>
damit, wer die&#x017F;e Fe&#x017F;tung erobert habe, nun Herr<lb/>
des Ganzen &#x017F;ey: das i&#x017F;t die Frage; dort mu&#x0364;ßt<lb/>
ihr eure Hebel, eure Ba&#x0364;nder anlegen, wenn ein<lb/>
Staat werden &#x017F;oll. &#x2014; Der Staat hat es eben<lb/>
&#x017F;owohl mit der <hi rendition="#g">Sitte</hi>, als mit dem <hi rendition="#g">Rechte</hi><lb/>
zu thun; der Suvera&#x0364;n muß die große Vereini-<lb/>
gung eben &#x017F;owohl zu&#x017F;ammen <hi rendition="#g">reitzen</hi>, als zu-<lb/>
&#x017F;ammen <hi rendition="#g">zwingen</hi>. Was heißt Ge&#x017F;etz, wenn<lb/>
das Heilig&#x017F;te, die inner&#x017F;ten Angelegenheiten des<lb/>
Men&#x017F;chen, <hi rendition="#aq">hors de la loi</hi> &#x017F;tehen?</p><lb/>
            <p>Seit den Zeiten der Kirchen-Reformation<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0080] blicke der Noth, nicht nach Willkuͤhr verfuͤ- gen. — Freilich ſind die Gedanken zollfrei; freilich will es etwas anderes ſagen, die Herzen der Menſchen zu regieren, als ihre Haͤnde und Beine; freilich gehoͤren, wenn man den Menſchen ein- mal zerſtuͤckeln will, ganz andre Maͤchte dazu, die Geiſter als die Leiber in ein kraͤftiges Ganze zu verbinden: aber wie kann denn die Theorie behaupten, die Leiber koͤnnten, ohne die Gei- ſter, fuͤr die Ewigkeit verbunden ſeyn! Wie kann ſie einen Haufen von Haͤnden und Beinen „einen Staat” nennen! Wo der Kern des menſchlichen Weſens liege; wo man den Punkt im Menſchen ſuchen muͤſſe, in welchem alles leibliche und geiſtige Intereſſe zuſammen tritt, damit, wer dieſe Feſtung erobert habe, nun Herr des Ganzen ſey: das iſt die Frage; dort muͤßt ihr eure Hebel, eure Baͤnder anlegen, wenn ein Staat werden ſoll. — Der Staat hat es eben ſowohl mit der Sitte, als mit dem Rechte zu thun; der Suveraͤn muß die große Vereini- gung eben ſowohl zuſammen reitzen, als zu- ſammen zwingen. Was heißt Geſetz, wenn das Heiligſte, die innerſten Angelegenheiten des Menſchen, hors de la loi ſtehen? Seit den Zeiten der Kirchen-Reformation

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/80
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/80>, abgerufen am 27.04.2024.