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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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Er will es so ernstlich, daß er das, was ihm selbst das
theuerste ist, die Person, welche er seinen Sohn nennt,
und mit der er durch die innigste Liebe verbunden ist,
für die Uebertreter aufopfert. Das Heil, welches er
ihnen dadurch zuwenden will, übertrifft alle ihre Erwar-
tungen, ist eine Glückseeligkeit, deren gleichen nicht in
der Welt ist, und die ewig fortdauren und anwachsen
soll. Können Sie sich eine göttlichere Liebe vorstellen als
diese: für seine Feinde giebt Gott seinen Sohn dahin, um
sie ewig höchst glücklich zu machen? Glauben Sie wohl,
daß die menschliche Vernunft, wenn sie ihre Vorstellun-
gen von der Liebe Gottes aufs höchste hätte treiben wollen,
eine solche Größe derselben auch nur hätte für möglich
halten können? Sagen Sie mir nun, ob die Lehre von
der Versöhnung durch Christum der göttlichen Liebe wi-
derspricht, oder sie vielmehr unendlich verherlicht. --
Diese Vorstellung machte sehr viel Eindruck auf den
Grafen. Er ward so sehr von Bewunderung und Dank-
barkeit durchdrungen, daß er Freudenthränen vergoß.
Nimmer, sagte er, hätte die Vernunft es wagen dürfen,
sich die Liebe Gottes so groß vorzustellen, sie würde auch
nie von selbst auf einen solchen Gedanken gerathen seyn.

Auch die Weisheit Gottes, fuhr ich fort, wird
durch die Lehre von der Versöhnung verherrlicht. Nie
zeigt sich die Weisheit eines Regenten sichtbarer, als
wenn er durch eine ganz einfache Operation alle seine Un-
terthanen in den Stand setzt glücklich zu werden. Eine
solche Operation Gottes ist die Versöhnung der Welt
durch Christum. Ein einziger leidet die Strafe, und
alle werden dadurch von derselben frey. Wenn etwa
Gott den zehnten oder hunderten oder tausenden Sünder
bestraft hätte, um die übrigen begnadigen zu können, so
wäre das schon weit einfacher gewesen, als sie alle zu
strafen. Nun aber legt er die Last des ganzen menschlichen

Geschlechts



Er will es ſo ernſtlich, daß er das, was ihm ſelbſt das
theuerſte iſt, die Perſon, welche er ſeinen Sohn nennt,
und mit der er durch die innigſte Liebe verbunden iſt,
fuͤr die Uebertreter aufopfert. Das Heil, welches er
ihnen dadurch zuwenden will, uͤbertrifft alle ihre Erwar-
tungen, iſt eine Gluͤckſeeligkeit, deren gleichen nicht in
der Welt iſt, und die ewig fortdauren und anwachſen
ſoll. Koͤnnen Sie ſich eine goͤttlichere Liebe vorſtellen als
dieſe: fuͤr ſeine Feinde giebt Gott ſeinen Sohn dahin, um
ſie ewig hoͤchſt gluͤcklich zu machen? Glauben Sie wohl,
daß die menſchliche Vernunft, wenn ſie ihre Vorſtellun-
gen von der Liebe Gottes aufs hoͤchſte haͤtte treiben wollen,
eine ſolche Groͤße derſelben auch nur haͤtte fuͤr moͤglich
halten koͤnnen? Sagen Sie mir nun, ob die Lehre von
der Verſoͤhnung durch Chriſtum der goͤttlichen Liebe wi-
derſpricht, oder ſie vielmehr unendlich verherlicht. —
Dieſe Vorſtellung machte ſehr viel Eindruck auf den
Grafen. Er ward ſo ſehr von Bewunderung und Dank-
barkeit durchdrungen, daß er Freudenthraͤnen vergoß.
Nimmer, ſagte er, haͤtte die Vernunft es wagen duͤrfen,
ſich die Liebe Gottes ſo groß vorzuſtellen, ſie wuͤrde auch
nie von ſelbſt auf einen ſolchen Gedanken gerathen ſeyn.

Auch die Weisheit Gottes, fuhr ich fort, wird
durch die Lehre von der Verſoͤhnung verherrlicht. Nie
zeigt ſich die Weisheit eines Regenten ſichtbarer, als
wenn er durch eine ganz einfache Operation alle ſeine Un-
terthanen in den Stand ſetzt gluͤcklich zu werden. Eine
ſolche Operation Gottes iſt die Verſoͤhnung der Welt
durch Chriſtum. Ein einziger leidet die Strafe, und
alle werden dadurch von derſelben frey. Wenn etwa
Gott den zehnten oder hunderten oder tauſenden Suͤnder
beſtraft haͤtte, um die uͤbrigen begnadigen zu koͤnnen, ſo
waͤre das ſchon weit einfacher geweſen, als ſie alle zu
ſtrafen. Nun aber legt er die Laſt des ganzen menſchlichen

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[111/0123] Er will es ſo ernſtlich, daß er das, was ihm ſelbſt das theuerſte iſt, die Perſon, welche er ſeinen Sohn nennt, und mit der er durch die innigſte Liebe verbunden iſt, fuͤr die Uebertreter aufopfert. Das Heil, welches er ihnen dadurch zuwenden will, uͤbertrifft alle ihre Erwar- tungen, iſt eine Gluͤckſeeligkeit, deren gleichen nicht in der Welt iſt, und die ewig fortdauren und anwachſen ſoll. Koͤnnen Sie ſich eine goͤttlichere Liebe vorſtellen als dieſe: fuͤr ſeine Feinde giebt Gott ſeinen Sohn dahin, um ſie ewig hoͤchſt gluͤcklich zu machen? Glauben Sie wohl, daß die menſchliche Vernunft, wenn ſie ihre Vorſtellun- gen von der Liebe Gottes aufs hoͤchſte haͤtte treiben wollen, eine ſolche Groͤße derſelben auch nur haͤtte fuͤr moͤglich halten koͤnnen? Sagen Sie mir nun, ob die Lehre von der Verſoͤhnung durch Chriſtum der goͤttlichen Liebe wi- derſpricht, oder ſie vielmehr unendlich verherlicht. — Dieſe Vorſtellung machte ſehr viel Eindruck auf den Grafen. Er ward ſo ſehr von Bewunderung und Dank- barkeit durchdrungen, daß er Freudenthraͤnen vergoß. Nimmer, ſagte er, haͤtte die Vernunft es wagen duͤrfen, ſich die Liebe Gottes ſo groß vorzuſtellen, ſie wuͤrde auch nie von ſelbſt auf einen ſolchen Gedanken gerathen ſeyn. Auch die Weisheit Gottes, fuhr ich fort, wird durch die Lehre von der Verſoͤhnung verherrlicht. Nie zeigt ſich die Weisheit eines Regenten ſichtbarer, als wenn er durch eine ganz einfache Operation alle ſeine Un- terthanen in den Stand ſetzt gluͤcklich zu werden. Eine ſolche Operation Gottes iſt die Verſoͤhnung der Welt durch Chriſtum. Ein einziger leidet die Strafe, und alle werden dadurch von derſelben frey. Wenn etwa Gott den zehnten oder hunderten oder tauſenden Suͤnder beſtraft haͤtte, um die uͤbrigen begnadigen zu koͤnnen, ſo waͤre das ſchon weit einfacher geweſen, als ſie alle zu ſtrafen. Nun aber legt er die Laſt des ganzen menſchlichen Geſchlechts

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/123>, abgerufen am 27.04.2024.