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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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und er wisse aus eigner Erfahrung, da er einmahl in
Altona als Physicus eine Convulsionsgeschichte habe un-
tersuchen müssen, was eine ausschweifende Einbildungs-
kraft für unerwartete und wunderbare Würkungen haben
könne. Er erinnerte sich auch bey dieser Gelegenheit
des chemnitzischen Mädgens, und hatte die semlerische
Schrift davon gelesen. Jch setzte hinzu, man möchte
die Wunder des Abts Paris halten, wofür man wolle,
so würden die Wunder Christi und der Beweis, der in
ihnen für das Christenthum liege, nichts dabey verlieren.
Man brauche nur Christi Wunder in Ansehung ihres
historischen Beweises, ihrer innern Würde, ihrer Ab-
sichten und Würkungen gegen jene Erscheinungen zu hal-
ten, so würde es gleich sichtbar, wie verdächtig diese
letztern wären, und wie wenig sie zu bedeuten hätten.

Solche Dinge, fuhr er fort, sind nun auch gar
nicht mehr fähig mich zweifeln zu machen. Den wenn
diese parisischen Wunder auch wahr wären, so würden
die Wunder des Evangelii es deswegen nicht weniger
bleiben, als sie es vorher gewesen sind. Von diesen ist
die Absicht deutlich: von jenen sieht man gar keine. Jch
würde diese immer zu der Absicht brauchen, wozu sie
geschehen sind, und mich um jene, von denen ich keine
weiß, weiter nicht bekümmern. Jch muß Jhnen aber
sagen, daß mir zuweilen andere Zweifel einfallen, die
mir wichtiger zu seyn scheinen. Doch habe ich mir nun
vorgenommen, mich ganz ruhig dabey zu verhalten, und
nicht einmahl darüber nachzudenken, wie sie etwa geho-
ben werden könnten. Wollte ich mich darauf einlassen,
so setzte ich mich in Gefahr in der Hauptsache nie weiter
zu kommen, so würde ich immer gleichsam von forn
wieder anfangen. Jch habe nun einmahl durch eine ru-
hige Untersuchung die Beweise des Christenthums richtig
befunden, und das ist mir genug. Jch brauche

meine
J




und er wiſſe aus eigner Erfahrung, da er einmahl in
Altona als Phyſicus eine Convulſionsgeſchichte habe un-
terſuchen muͤſſen, was eine ausſchweifende Einbildungs-
kraft fuͤr unerwartete und wunderbare Wuͤrkungen haben
koͤnne. Er erinnerte ſich auch bey dieſer Gelegenheit
des chemnitziſchen Maͤdgens, und hatte die ſemleriſche
Schrift davon geleſen. Jch ſetzte hinzu, man moͤchte
die Wunder des Abts Paris halten, wofuͤr man wolle,
ſo wuͤrden die Wunder Chriſti und der Beweis, der in
ihnen fuͤr das Chriſtenthum liege, nichts dabey verlieren.
Man brauche nur Chriſti Wunder in Anſehung ihres
hiſtoriſchen Beweiſes, ihrer innern Wuͤrde, ihrer Ab-
ſichten und Wuͤrkungen gegen jene Erſcheinungen zu hal-
ten, ſo wuͤrde es gleich ſichtbar, wie verdaͤchtig dieſe
letztern waͤren, und wie wenig ſie zu bedeuten haͤtten.

Solche Dinge, fuhr er fort, ſind nun auch gar
nicht mehr faͤhig mich zweifeln zu machen. Den wenn
dieſe pariſiſchen Wunder auch wahr waͤren, ſo wuͤrden
die Wunder des Evangelii es deswegen nicht weniger
bleiben, als ſie es vorher geweſen ſind. Von dieſen iſt
die Abſicht deutlich: von jenen ſieht man gar keine. Jch
wuͤrde dieſe immer zu der Abſicht brauchen, wozu ſie
geſchehen ſind, und mich um jene, von denen ich keine
weiß, weiter nicht bekuͤmmern. Jch muß Jhnen aber
ſagen, daß mir zuweilen andere Zweifel einfallen, die
mir wichtiger zu ſeyn ſcheinen. Doch habe ich mir nun
vorgenommen, mich ganz ruhig dabey zu verhalten, und
nicht einmahl daruͤber nachzudenken, wie ſie etwa geho-
ben werden koͤnnten. Wollte ich mich darauf einlaſſen,
ſo ſetzte ich mich in Gefahr in der Hauptſache nie weiter
zu kommen, ſo wuͤrde ich immer gleichſam von forn
wieder anfangen. Jch habe nun einmahl durch eine ru-
hige Unterſuchung die Beweiſe des Chriſtenthums richtig
befunden, und das iſt mir genug. Jch brauche

meine
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[129/0141] und er wiſſe aus eigner Erfahrung, da er einmahl in Altona als Phyſicus eine Convulſionsgeſchichte habe un- terſuchen muͤſſen, was eine ausſchweifende Einbildungs- kraft fuͤr unerwartete und wunderbare Wuͤrkungen haben koͤnne. Er erinnerte ſich auch bey dieſer Gelegenheit des chemnitziſchen Maͤdgens, und hatte die ſemleriſche Schrift davon geleſen. Jch ſetzte hinzu, man moͤchte die Wunder des Abts Paris halten, wofuͤr man wolle, ſo wuͤrden die Wunder Chriſti und der Beweis, der in ihnen fuͤr das Chriſtenthum liege, nichts dabey verlieren. Man brauche nur Chriſti Wunder in Anſehung ihres hiſtoriſchen Beweiſes, ihrer innern Wuͤrde, ihrer Ab- ſichten und Wuͤrkungen gegen jene Erſcheinungen zu hal- ten, ſo wuͤrde es gleich ſichtbar, wie verdaͤchtig dieſe letztern waͤren, und wie wenig ſie zu bedeuten haͤtten. Solche Dinge, fuhr er fort, ſind nun auch gar nicht mehr faͤhig mich zweifeln zu machen. Den wenn dieſe pariſiſchen Wunder auch wahr waͤren, ſo wuͤrden die Wunder des Evangelii es deswegen nicht weniger bleiben, als ſie es vorher geweſen ſind. Von dieſen iſt die Abſicht deutlich: von jenen ſieht man gar keine. Jch wuͤrde dieſe immer zu der Abſicht brauchen, wozu ſie geſchehen ſind, und mich um jene, von denen ich keine weiß, weiter nicht bekuͤmmern. Jch muß Jhnen aber ſagen, daß mir zuweilen andere Zweifel einfallen, die mir wichtiger zu ſeyn ſcheinen. Doch habe ich mir nun vorgenommen, mich ganz ruhig dabey zu verhalten, und nicht einmahl daruͤber nachzudenken, wie ſie etwa geho- ben werden koͤnnten. Wollte ich mich darauf einlaſſen, ſo ſetzte ich mich in Gefahr in der Hauptſache nie weiter zu kommen, ſo wuͤrde ich immer gleichſam von forn wieder anfangen. Jch habe nun einmahl durch eine ru- hige Unterſuchung die Beweiſe des Chriſtenthums richtig befunden, und das iſt mir genug. Jch brauche meine J

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/141>, abgerufen am 29.04.2024.