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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Ordnung, nirgends so sehr das Fundament der Sitt-
lichkeit und Tugend. Hier hat Konfuzius sein Meister-
stück gemacht. Er hat gezeigt, daß auch eine rein
moralische Idee, nur wenig unterstützt durch den Ahnen-
kult des Shintoismus, sich in hohem Grade wirksam
erweisen mag. Freilich diese Idee ist keine abstrakte,
sondern die konkreteste, die es geben kann. Konfuzius
hat erkannt, daß das Blut der beste Gemeinschaftskitt
ist, und daß Leute, in deren Adern dasselbe Blut fließt,
schon von Natur und darum auch moralisch zusammen-
gehören. In diesem Satz liegt das Geheimnis seines
Erfolges. Die logische Folgerung aus diesem Satz ist
sein Familiensystem mit der Tugend der Kindesliebe
"ko" als Grund und Krone; und sein nationales
System mit der Tugend des Patriotismus und der
Loyalität "chu" ist nichts weiter als der natürliche
folgerichtige Ausbau des "ko".

Wenn nun die Familie die Grundlage der mensch-
lichen Gesellschaftsordnung ist, so ist die Erhaltung der
Familie die erste Pflicht. Im Prinzipe steht es fest,
daß jeder männliche Japaner heiraten muß. Jung-
gesellen, wie sie sich bei uns allmählich zu einem förm-
lichen Stand herausbilden, giebt es so gut wie nicht,
und da die Natur in Bezug auf die Verteilung der
Geschlechter weise Vorsorge getroffen hat, so ist auch
das Altjungferntum etwas Unbekanntes. Der Japaner
kennt keinen größeren Stolz, als Vater zu sein, die
Japanerin kein höheres Gebot, als Mutter zu werden.
Die Fortpflanzung der Familie ist der einzige Zweck
der Heirat, und wo infolge von Kinderlosigkeit der Ehe
dieser Zweck nicht erreicht wird, da liegt es in der
Natur der Sache, daß damit auch ein vollgenügender
Grund zur Ehescheidung gegeben ist.

Ordnung, nirgends ſo ſehr das Fundament der Sitt-
lichkeit und Tugend. Hier hat Konfuzius ſein Meiſter-
ſtück gemacht. Er hat gezeigt, daß auch eine rein
moraliſche Idee, nur wenig unterſtützt durch den Ahnen-
kult des Shintoismus, ſich in hohem Grade wirkſam
erweiſen mag. Freilich dieſe Idee iſt keine abſtrakte,
ſondern die konkreteſte, die es geben kann. Konfuzius
hat erkannt, daß das Blut der beſte Gemeinſchaftskitt
iſt, und daß Leute, in deren Adern dasſelbe Blut fließt,
ſchon von Natur und darum auch moraliſch zuſammen-
gehören. In dieſem Satz liegt das Geheimnis ſeines
Erfolges. Die logiſche Folgerung aus dieſem Satz iſt
ſein Familienſyſtem mit der Tugend der Kindesliebe
„kō“ als Grund und Krone; und ſein nationales
Syſtem mit der Tugend des Patriotismus und der
Loyalität „chū“ iſt nichts weiter als der natürliche
folgerichtige Ausbau des „kō“.

Wenn nun die Familie die Grundlage der menſch-
lichen Geſellſchaftsordnung iſt, ſo iſt die Erhaltung der
Familie die erſte Pflicht. Im Prinzipe ſteht es feſt,
daß jeder männliche Japaner heiraten muß. Jung-
geſellen, wie ſie ſich bei uns allmählich zu einem förm-
lichen Stand herausbilden, giebt es ſo gut wie nicht,
und da die Natur in Bezug auf die Verteilung der
Geſchlechter weiſe Vorſorge getroffen hat, ſo iſt auch
das Altjungferntum etwas Unbekanntes. Der Japaner
kennt keinen größeren Stolz, als Vater zu ſein, die
Japanerin kein höheres Gebot, als Mutter zu werden.
Die Fortpflanzung der Familie iſt der einzige Zweck
der Heirat, und wo infolge von Kinderloſigkeit der Ehe
dieſer Zweck nicht erreicht wird, da liegt es in der
Natur der Sache, daß damit auch ein vollgenügender
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[128/0142] Ordnung, nirgends ſo ſehr das Fundament der Sitt- lichkeit und Tugend. Hier hat Konfuzius ſein Meiſter- ſtück gemacht. Er hat gezeigt, daß auch eine rein moraliſche Idee, nur wenig unterſtützt durch den Ahnen- kult des Shintoismus, ſich in hohem Grade wirkſam erweiſen mag. Freilich dieſe Idee iſt keine abſtrakte, ſondern die konkreteſte, die es geben kann. Konfuzius hat erkannt, daß das Blut der beſte Gemeinſchaftskitt iſt, und daß Leute, in deren Adern dasſelbe Blut fließt, ſchon von Natur und darum auch moraliſch zuſammen- gehören. In dieſem Satz liegt das Geheimnis ſeines Erfolges. Die logiſche Folgerung aus dieſem Satz iſt ſein Familienſyſtem mit der Tugend der Kindesliebe „kō“ als Grund und Krone; und ſein nationales Syſtem mit der Tugend des Patriotismus und der Loyalität „chū“ iſt nichts weiter als der natürliche folgerichtige Ausbau des „kō“. Wenn nun die Familie die Grundlage der menſch- lichen Geſellſchaftsordnung iſt, ſo iſt die Erhaltung der Familie die erſte Pflicht. Im Prinzipe ſteht es feſt, daß jeder männliche Japaner heiraten muß. Jung- geſellen, wie ſie ſich bei uns allmählich zu einem förm- lichen Stand herausbilden, giebt es ſo gut wie nicht, und da die Natur in Bezug auf die Verteilung der Geſchlechter weiſe Vorſorge getroffen hat, ſo iſt auch das Altjungferntum etwas Unbekanntes. Der Japaner kennt keinen größeren Stolz, als Vater zu ſein, die Japanerin kein höheres Gebot, als Mutter zu werden. Die Fortpflanzung der Familie iſt der einzige Zweck der Heirat, und wo infolge von Kinderloſigkeit der Ehe dieſer Zweck nicht erreicht wird, da liegt es in der Natur der Sache, daß damit auch ein vollgenügender Grund zur Eheſcheidung gegeben iſt.

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/142>, abgerufen am 28.03.2024.