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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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ganda- oder Inspektionsreisen handelte. Und ruhig
darf der Missionar seine Reise antreten. Keine mensch-
lichen Feinde bedrohen ihn. In der letzten verlorenen
Hütte in dem abgeschiedensten Winkel des Gebirges legt
er sich des Abends getrost zum Schlummer nieder, sein
Haupt ist ebenso sicher wie das des Fürsten von Schwaben,
des Grafen Eberhard im Bart, im Schoße seiner treuen
Unterthanen. Daß das deutsche Reich jemals in die
Lage kommen sollte, ermordeter Missionare willen
kriegerische Expeditionen nach Japan zu schicken, ist nach
menschlicher Voraussicht vollständig ausgeschlossen.
Zwischen Japan und China ist in dieser, wie noch in
so mancher andern Beziehung ein himmelweiter Unter-
schied. Nur zwei oder dreimal ist es mir begegnet,
daß ich auf der Straße etwas unsanft angestoßen wurde,
was ich mir gegenüber einer überlegenen Anzahl -- und
nur dann konnte es vorkommen -- stets ruhig gefallen
ließ. Immer waren es junge Burschen, die mit beiden
Füßen noch in ihren Flegeljahren standen; dem richtigen,
ausgereiften Japaner ist jede Roheit ein Greuel. Um
der Leute willen dürfte also der Missionar ohne Sorge
im Lande umherreisen, selbst in Zeiten, wo die Wogen
politischer Erregung hoch gehen; um der Sache willen
wird es aber stets als Grundsatz gelten müssen: Der
Missionar hat seinen festen Wohnsitz.

Er hat sogar in der Regel sein europäisch gebautes
Haus. Und das ist gut so. Ich selbst wohnte während
der ersten Zeit in einem Hause rein japanischer Bauart.
Die japanischen Häuser sind aus Holz, die Böden sind
mit dicken Strohmatten belegt, die Stelle des Glases
an den Fenstern vertritt transparentes Papier. Sie
sind infolgedessen das beste Brennmaterial, das man
sich denken mag. In der That sind Riesenbrände in

ganda- oder Inſpektionsreiſen handelte. Und ruhig
darf der Miſſionar ſeine Reiſe antreten. Keine menſch-
lichen Feinde bedrohen ihn. In der letzten verlorenen
Hütte in dem abgeſchiedenſten Winkel des Gebirges legt
er ſich des Abends getroſt zum Schlummer nieder, ſein
Haupt iſt ebenſo ſicher wie das des Fürſten von Schwaben,
des Grafen Eberhard im Bart, im Schoße ſeiner treuen
Unterthanen. Daß das deutſche Reich jemals in die
Lage kommen ſollte, ermordeter Miſſionare willen
kriegeriſche Expeditionen nach Japan zu ſchicken, iſt nach
menſchlicher Vorausſicht vollſtändig ausgeſchloſſen.
Zwiſchen Japan und China iſt in dieſer, wie noch in
ſo mancher andern Beziehung ein himmelweiter Unter-
ſchied. Nur zwei oder dreimal iſt es mir begegnet,
daß ich auf der Straße etwas unſanft angeſtoßen wurde,
was ich mir gegenüber einer überlegenen Anzahl — und
nur dann konnte es vorkommen — ſtets ruhig gefallen
ließ. Immer waren es junge Burſchen, die mit beiden
Füßen noch in ihren Flegeljahren ſtanden; dem richtigen,
ausgereiften Japaner iſt jede Roheit ein Greuel. Um
der Leute willen dürfte alſo der Miſſionar ohne Sorge
im Lande umherreiſen, ſelbſt in Zeiten, wo die Wogen
politiſcher Erregung hoch gehen; um der Sache willen
wird es aber ſtets als Grundſatz gelten müſſen: Der
Miſſionar hat ſeinen feſten Wohnſitz.

Er hat ſogar in der Regel ſein europäiſch gebautes
Haus. Und das iſt gut ſo. Ich ſelbſt wohnte während
der erſten Zeit in einem Hauſe rein japaniſcher Bauart.
Die japaniſchen Häuſer ſind aus Holz, die Böden ſind
mit dicken Strohmatten belegt, die Stelle des Glaſes
an den Fenſtern vertritt transparentes Papier. Sie
ſind infolgedeſſen das beſte Brennmaterial, das man
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[12/0026] ganda- oder Inſpektionsreiſen handelte. Und ruhig darf der Miſſionar ſeine Reiſe antreten. Keine menſch- lichen Feinde bedrohen ihn. In der letzten verlorenen Hütte in dem abgeſchiedenſten Winkel des Gebirges legt er ſich des Abends getroſt zum Schlummer nieder, ſein Haupt iſt ebenſo ſicher wie das des Fürſten von Schwaben, des Grafen Eberhard im Bart, im Schoße ſeiner treuen Unterthanen. Daß das deutſche Reich jemals in die Lage kommen ſollte, ermordeter Miſſionare willen kriegeriſche Expeditionen nach Japan zu ſchicken, iſt nach menſchlicher Vorausſicht vollſtändig ausgeſchloſſen. Zwiſchen Japan und China iſt in dieſer, wie noch in ſo mancher andern Beziehung ein himmelweiter Unter- ſchied. Nur zwei oder dreimal iſt es mir begegnet, daß ich auf der Straße etwas unſanft angeſtoßen wurde, was ich mir gegenüber einer überlegenen Anzahl — und nur dann konnte es vorkommen — ſtets ruhig gefallen ließ. Immer waren es junge Burſchen, die mit beiden Füßen noch in ihren Flegeljahren ſtanden; dem richtigen, ausgereiften Japaner iſt jede Roheit ein Greuel. Um der Leute willen dürfte alſo der Miſſionar ohne Sorge im Lande umherreiſen, ſelbſt in Zeiten, wo die Wogen politiſcher Erregung hoch gehen; um der Sache willen wird es aber ſtets als Grundſatz gelten müſſen: Der Miſſionar hat ſeinen feſten Wohnſitz. Er hat ſogar in der Regel ſein europäiſch gebautes Haus. Und das iſt gut ſo. Ich ſelbſt wohnte während der erſten Zeit in einem Hauſe rein japaniſcher Bauart. Die japaniſchen Häuſer ſind aus Holz, die Böden ſind mit dicken Strohmatten belegt, die Stelle des Glaſes an den Fenſtern vertritt transparentes Papier. Sie ſind infolgedeſſen das beſte Brennmaterial, das man ſich denken mag. In der That ſind Rieſenbrände in

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/26>, abgerufen am 30.04.2024.