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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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ragt durch die römisch-katholische. Dieselbe hielt 1861
ihren Einzug. Wenige Jahre darauf entdeckte sie die
Reste der aus der Jesuitenmission verbliebenen Christen,
nach ihren wohl etwas übertriebenen Angaben nicht
weniger als 7000. Schon im Jahre 1881 wird von
25633 katholischen Christen berichtet (gegen damals
4412 evangelische). Im Jahre 1886 waren es 32294,
doch hat sich die Zunahme seitdem im Vergleich zu
dem Wachstum der Evangelischen etwas verlangsamt.
Am Ende des Jahres 1897 zählte die römische Kirche
52796 Glieder. Im Vergleich zu dem Vorjahr be-
deutet das trotz 3033 Kindertaufen -- ein treffliches
Charakteristikum der römischen Missionspraxis! -- nur
einen Zuwachs von 619 (gegen 2217 Evangelische).
Unter den erwachsenen Mitgliedern bröckelt es also
stark; die römische Lehre verträgt sich nicht mit dem
mündig gewordenen japanischen Geist. Wie überall, so
beruht die Stärke der römischen Mission auch hier in
der Organisation. Das Land ist in vier Bistümer ein-
geteilt, ein Erzbischof hat in Tokyo seinen Sitz. Das
Gros der Gläubigen befindet sich auf Kyushiu. Die
Arbeit liegt in den Händen der Pariser Missionsge-
sellschaft. Fast alle Missionare sind Franzosen oder
vielmehr, damit ich es besser sage, Elsaß-Lothringer.
In ihrer Knabenschule auf dem Kudanhügel in Tokyo,
deren Vorsteher den guten deutschen Namen Heinrich
trug, waren zur Zeit meiner Anwesenheit 17 Laien-
brüder (bei 120 Schülern!) thätig, alle Elsaß-Lothringer;
sie verstanden durchweg deutsch, gaben sich aber als
Franzosen aus. Wer gesellig mit den weltgewandten
Männern zu verkehren Gelegenheit hatte, kann es be-
greifen, daß unsere Reisenden von diesen wirklich ge-
winnenden Persönlichkeiten entzückt sind. Wenn sie aber

ragt durch die römiſch-katholiſche. Dieſelbe hielt 1861
ihren Einzug. Wenige Jahre darauf entdeckte ſie die
Reſte der aus der Jeſuitenmiſſion verbliebenen Chriſten,
nach ihren wohl etwas übertriebenen Angaben nicht
weniger als 7000. Schon im Jahre 1881 wird von
25633 katholiſchen Chriſten berichtet (gegen damals
4412 evangeliſche). Im Jahre 1886 waren es 32294,
doch hat ſich die Zunahme ſeitdem im Vergleich zu
dem Wachstum der Evangeliſchen etwas verlangſamt.
Am Ende des Jahres 1897 zählte die römiſche Kirche
52796 Glieder. Im Vergleich zu dem Vorjahr be-
deutet das trotz 3033 Kindertaufen — ein treffliches
Charakteriſtikum der römiſchen Miſſionspraxis! — nur
einen Zuwachs von 619 (gegen 2217 Evangeliſche).
Unter den erwachſenen Mitgliedern bröckelt es alſo
ſtark; die römiſche Lehre verträgt ſich nicht mit dem
mündig gewordenen japaniſchen Geiſt. Wie überall, ſo
beruht die Stärke der römiſchen Miſſion auch hier in
der Organiſation. Das Land iſt in vier Bistümer ein-
geteilt, ein Erzbiſchof hat in Tokyo ſeinen Sitz. Das
Gros der Gläubigen befindet ſich auf Kyuſhiu. Die
Arbeit liegt in den Händen der Pariſer Miſſionsge-
ſellſchaft. Faſt alle Miſſionare ſind Franzoſen oder
vielmehr, damit ich es beſſer ſage, Elſaß-Lothringer.
In ihrer Knabenſchule auf dem Kudanhügel in Tokyo,
deren Vorſteher den guten deutſchen Namen Heinrich
trug, waren zur Zeit meiner Anweſenheit 17 Laien-
brüder (bei 120 Schülern!) thätig, alle Elſaß-Lothringer;
ſie verſtanden durchweg deutſch, gaben ſich aber als
Franzoſen aus. Wer geſellig mit den weltgewandten
Männern zu verkehren Gelegenheit hatte, kann es be-
greifen, daß unſere Reiſenden von dieſen wirklich ge-
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[300/0314] ragt durch die römiſch-katholiſche. Dieſelbe hielt 1861 ihren Einzug. Wenige Jahre darauf entdeckte ſie die Reſte der aus der Jeſuitenmiſſion verbliebenen Chriſten, nach ihren wohl etwas übertriebenen Angaben nicht weniger als 7000. Schon im Jahre 1881 wird von 25633 katholiſchen Chriſten berichtet (gegen damals 4412 evangeliſche). Im Jahre 1886 waren es 32294, doch hat ſich die Zunahme ſeitdem im Vergleich zu dem Wachstum der Evangeliſchen etwas verlangſamt. Am Ende des Jahres 1897 zählte die römiſche Kirche 52796 Glieder. Im Vergleich zu dem Vorjahr be- deutet das trotz 3033 Kindertaufen — ein treffliches Charakteriſtikum der römiſchen Miſſionspraxis! — nur einen Zuwachs von 619 (gegen 2217 Evangeliſche). Unter den erwachſenen Mitgliedern bröckelt es alſo ſtark; die römiſche Lehre verträgt ſich nicht mit dem mündig gewordenen japaniſchen Geiſt. Wie überall, ſo beruht die Stärke der römiſchen Miſſion auch hier in der Organiſation. Das Land iſt in vier Bistümer ein- geteilt, ein Erzbiſchof hat in Tokyo ſeinen Sitz. Das Gros der Gläubigen befindet ſich auf Kyuſhiu. Die Arbeit liegt in den Händen der Pariſer Miſſionsge- ſellſchaft. Faſt alle Miſſionare ſind Franzoſen oder vielmehr, damit ich es beſſer ſage, Elſaß-Lothringer. In ihrer Knabenſchule auf dem Kudanhügel in Tokyo, deren Vorſteher den guten deutſchen Namen Heinrich trug, waren zur Zeit meiner Anweſenheit 17 Laien- brüder (bei 120 Schülern!) thätig, alle Elſaß-Lothringer; ſie verſtanden durchweg deutſch, gaben ſich aber als Franzoſen aus. Wer geſellig mit den weltgewandten Männern zu verkehren Gelegenheit hatte, kann es be- greifen, daß unſere Reiſenden von dieſen wirklich ge- winnenden Perſönlichkeiten entzückt ſind. Wenn ſie aber

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/314>, abgerufen am 29.04.2024.