Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

"watakushi" (ich) an", fand ich das nur natürlich.
Der Redende hat das Bedürfnis, sich zuerst einen festen
Punkt in Raum oder Zeit, d. h. in der sinnlichen Welt,
zu schaffen, oder er vergewissert sich seines eigenen Ich,
auf daß er mit dem eigentlichen Inhalt seiner Rede
nicht sozusagen in der Luft schwebe. Auch innerhalb
der Rede selbst, sobald ein neuer Begriff auftaucht oder
ein neuer Gegenstand erörtert werden soll, bedient sich der
Japaner einleitender oder veranschaulichender Phrasen.

Am unmittelbarsten zeigt sich der Charakter des
Japanischen als Anschauungssprache in dem Reichtum
an onomatopoetischen Wörtern, oder besser an Natur-
lauten. Denn nicht solche Sprachteile sind darunter
zu verstehen, welche wie unser "zischen, krächzen" etc.
selbständige Wörter bilden. Dieselben werden in der
Regel sehr rasch und in Nachahmung von Naturlauten
nicht sehr artikuliert gesprochen, so daß sie etwas schwer
zu verstehen sind. Der Europäer, welcher nicht jedes
einzelne japanische Wort zu unterscheiden vermag, läßt
sie sich leicht entgehen und hat keine Ahnung von ihrer
außerordentlichen Häufigkeit; und zwar finden sich die-
selben nicht nur im Gespräch, sondern auch im Vortrag.
Man begnügt sich nicht damit, zu konstatieren, daß der
Donner rollt; um den Eindruck auf das Gefühl recht
lebhaft zu machen, fügt man das Geräusch hinzu, wie
der Donner rollt ("gorogoro" bei dem dumpfen Rollen
des fernen, "gachigachi" bei den scharfen Schlägen des
nahen Gewitters). Man ist nicht damit zufrieden, zu sagen,
daß die Sonnenstrahlen auf dem Tau flimmern, man
drückt das prickelnde Gefühl, das beim Anschauen in
den Nerven entsteht, sinnlich im Wort aus ("pikapika").

Es ist der Versuch einer Nachbildung der Wirklich-
keit auf dem Gebiete des Hörens etwas Ähnliches, wie

„watakushi“ (ich) an“, fand ich das nur natürlich.
Der Redende hat das Bedürfnis, ſich zuerſt einen feſten
Punkt in Raum oder Zeit, d. h. in der ſinnlichen Welt,
zu ſchaffen, oder er vergewiſſert ſich ſeines eigenen Ich,
auf daß er mit dem eigentlichen Inhalt ſeiner Rede
nicht ſozuſagen in der Luft ſchwebe. Auch innerhalb
der Rede ſelbſt, ſobald ein neuer Begriff auftaucht oder
ein neuer Gegenſtand erörtert werden ſoll, bedient ſich der
Japaner einleitender oder veranſchaulichender Phraſen.

Am unmittelbarſten zeigt ſich der Charakter des
Japaniſchen als Anſchauungsſprache in dem Reichtum
an onomatopoetiſchen Wörtern, oder beſſer an Natur-
lauten. Denn nicht ſolche Sprachteile ſind darunter
zu verſtehen, welche wie unſer „ziſchen, krächzen“ ꝛc.
ſelbſtändige Wörter bilden. Dieſelben werden in der
Regel ſehr raſch und in Nachahmung von Naturlauten
nicht ſehr artikuliert geſprochen, ſo daß ſie etwas ſchwer
zu verſtehen ſind. Der Europäer, welcher nicht jedes
einzelne japaniſche Wort zu unterſcheiden vermag, läßt
ſie ſich leicht entgehen und hat keine Ahnung von ihrer
außerordentlichen Häufigkeit; und zwar finden ſich die-
ſelben nicht nur im Geſpräch, ſondern auch im Vortrag.
Man begnügt ſich nicht damit, zu konſtatieren, daß der
Donner rollt; um den Eindruck auf das Gefühl recht
lebhaft zu machen, fügt man das Geräuſch hinzu, wie
der Donner rollt („gorogoro“ bei dem dumpfen Rollen
des fernen, „gachigachi“ bei den ſcharfen Schlägen des
nahen Gewitters). Man iſt nicht damit zufrieden, zu ſagen,
daß die Sonnenſtrahlen auf dem Tau flimmern, man
drückt das prickelnde Gefühl, das beim Anſchauen in
den Nerven entſteht, ſinnlich im Wort aus („pikapika“).

Es iſt der Verſuch einer Nachbildung der Wirklich-
keit auf dem Gebiete des Hörens etwas Ähnliches, wie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0048" n="34"/><hi rendition="#aq">&#x201E;watakushi&#x201C;</hi> (ich) an&#x201C;, fand ich das nur natürlich.<lb/>
Der Redende hat das Bedürfnis, &#x017F;ich zuer&#x017F;t einen fe&#x017F;ten<lb/>
Punkt in Raum oder Zeit, d. h. in der &#x017F;innlichen Welt,<lb/>
zu &#x017F;chaffen, oder er vergewi&#x017F;&#x017F;ert &#x017F;ich &#x017F;eines eigenen Ich,<lb/>
auf daß er mit dem eigentlichen Inhalt &#x017F;einer Rede<lb/>
nicht &#x017F;ozu&#x017F;agen in der Luft &#x017F;chwebe. Auch innerhalb<lb/>
der Rede &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;obald ein neuer Begriff auftaucht oder<lb/>
ein neuer Gegen&#x017F;tand erörtert werden &#x017F;oll, bedient &#x017F;ich der<lb/>
Japaner einleitender oder veran&#x017F;chaulichender Phra&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Am unmittelbar&#x017F;ten zeigt &#x017F;ich der Charakter des<lb/>
Japani&#x017F;chen als An&#x017F;chauungs&#x017F;prache in dem Reichtum<lb/>
an onomatopoeti&#x017F;chen Wörtern, oder be&#x017F;&#x017F;er an Natur-<lb/>
lauten. Denn nicht &#x017F;olche Sprachteile &#x017F;ind darunter<lb/>
zu ver&#x017F;tehen, welche wie un&#x017F;er &#x201E;zi&#x017F;chen, krächzen&#x201C; &#xA75B;c.<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;tändige Wörter bilden. Die&#x017F;elben werden in der<lb/>
Regel &#x017F;ehr ra&#x017F;ch und in Nachahmung von Naturlauten<lb/>
nicht &#x017F;ehr artikuliert ge&#x017F;prochen, &#x017F;o daß &#x017F;ie etwas &#x017F;chwer<lb/>
zu ver&#x017F;tehen &#x017F;ind. Der Europäer, welcher nicht jedes<lb/>
einzelne japani&#x017F;che Wort zu unter&#x017F;cheiden vermag, läßt<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich leicht entgehen und hat keine Ahnung von ihrer<lb/>
außerordentlichen Häufigkeit; und zwar finden &#x017F;ich die-<lb/>
&#x017F;elben nicht nur im Ge&#x017F;präch, &#x017F;ondern auch im Vortrag.<lb/>
Man begnügt &#x017F;ich nicht damit, zu kon&#x017F;tatieren, daß der<lb/>
Donner rollt; um den Eindruck auf das Gefühl recht<lb/>
lebhaft zu machen, fügt man das Geräu&#x017F;ch hinzu, wie<lb/>
der Donner rollt (<hi rendition="#aq">&#x201E;gorogoro&#x201C;</hi> bei dem dumpfen Rollen<lb/>
des fernen, <hi rendition="#aq">&#x201E;gachigachi&#x201C;</hi> bei den &#x017F;charfen Schlägen des<lb/>
nahen Gewitters). Man i&#x017F;t nicht damit zufrieden, zu &#x017F;agen,<lb/>
daß die Sonnen&#x017F;trahlen auf dem Tau flimmern, man<lb/>
drückt das prickelnde Gefühl, das beim An&#x017F;chauen in<lb/>
den Nerven ent&#x017F;teht, &#x017F;innlich im Wort aus (<hi rendition="#aq">&#x201E;pikapika&#x201C;</hi>).</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t der Ver&#x017F;uch einer Nachbildung der Wirklich-<lb/>
keit auf dem Gebiete des Hörens etwas Ähnliches, wie<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0048] „watakushi“ (ich) an“, fand ich das nur natürlich. Der Redende hat das Bedürfnis, ſich zuerſt einen feſten Punkt in Raum oder Zeit, d. h. in der ſinnlichen Welt, zu ſchaffen, oder er vergewiſſert ſich ſeines eigenen Ich, auf daß er mit dem eigentlichen Inhalt ſeiner Rede nicht ſozuſagen in der Luft ſchwebe. Auch innerhalb der Rede ſelbſt, ſobald ein neuer Begriff auftaucht oder ein neuer Gegenſtand erörtert werden ſoll, bedient ſich der Japaner einleitender oder veranſchaulichender Phraſen. Am unmittelbarſten zeigt ſich der Charakter des Japaniſchen als Anſchauungsſprache in dem Reichtum an onomatopoetiſchen Wörtern, oder beſſer an Natur- lauten. Denn nicht ſolche Sprachteile ſind darunter zu verſtehen, welche wie unſer „ziſchen, krächzen“ ꝛc. ſelbſtändige Wörter bilden. Dieſelben werden in der Regel ſehr raſch und in Nachahmung von Naturlauten nicht ſehr artikuliert geſprochen, ſo daß ſie etwas ſchwer zu verſtehen ſind. Der Europäer, welcher nicht jedes einzelne japaniſche Wort zu unterſcheiden vermag, läßt ſie ſich leicht entgehen und hat keine Ahnung von ihrer außerordentlichen Häufigkeit; und zwar finden ſich die- ſelben nicht nur im Geſpräch, ſondern auch im Vortrag. Man begnügt ſich nicht damit, zu konſtatieren, daß der Donner rollt; um den Eindruck auf das Gefühl recht lebhaft zu machen, fügt man das Geräuſch hinzu, wie der Donner rollt („gorogoro“ bei dem dumpfen Rollen des fernen, „gachigachi“ bei den ſcharfen Schlägen des nahen Gewitters). Man iſt nicht damit zufrieden, zu ſagen, daß die Sonnenſtrahlen auf dem Tau flimmern, man drückt das prickelnde Gefühl, das beim Anſchauen in den Nerven entſteht, ſinnlich im Wort aus („pikapika“). Es iſt der Verſuch einer Nachbildung der Wirklich- keit auf dem Gebiete des Hörens etwas Ähnliches, wie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/48
Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/48>, abgerufen am 30.04.2024.