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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779.

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fen hätte: das heißt so viel als nichts.
Aber in den Lehrstunden geht das Spiel von
neuem an, da weiß das Kerlgen seine Ele-
ven mit tausend drolligen Erfindungen mei-
sterlich zu amüsiren; will seiner Sage nach,
fröliche Menschen aus ihnen machen, und
vermeynt durch diese Methode im Eduka-
tionsgeschäfte mächtige Riesenschritte zu
thun, als ob er die Stiefeln von sieben
Meilen an den Füßen hätte.

Das will mir nicht ein. Wenn den Kin-
dern alles spielend gelehrt wird, so gewöh-
nen sie sich daran, und wollen hernach al-
les spiekend treiben, und nie hart Holz boh-
ren. Bey der geringsten Anstrengung sehen
sie unersteigliche Berge vor sich, die sie hin-
auf zu klimmen nicht wagen, daraus kom-
men träge unthätige Köpfe und faule Bäu-
che. Das war zu meiner Zeit anders: mein
Hofmeister wußte mir das Lernen so sauer
zu machen, daß ich zu Zeiten lieber nach
der Holzart als nach dem Buch gegriffen
hätte, wenn mir die Wahl wär überlassen
gewesen. Das eingebläuete Latein und die
Wahlsprüche aus dem Zopf vom Kaiser
Augustus bis auf Karl den Sechsten, glor-
würdigsten Andenkens, hätte ich leicht ent-

behren
E

fen haͤtte: das heißt ſo viel als nichts.
Aber in den Lehrſtunden geht das Spiel von
neuem an, da weiß das Kerlgen ſeine Ele-
ven mit tauſend drolligen Erfindungen mei-
ſterlich zu amuͤſiren; will ſeiner Sage nach,
froͤliche Menſchen aus ihnen machen, und
vermeynt durch dieſe Methode im Eduka-
tionsgeſchaͤfte maͤchtige Rieſenſchritte zu
thun, als ob er die Stiefeln von ſieben
Meilen an den Fuͤßen haͤtte.

Das will mir nicht ein. Wenn den Kin-
dern alles ſpielend gelehrt wird, ſo gewoͤh-
nen ſie ſich daran, und wollen hernach al-
les ſpiekend treiben, und nie hart Holz boh-
ren. Bey der geringſten Anſtrengung ſehen
ſie unerſteigliche Berge vor ſich, die ſie hin-
auf zu klimmen nicht wagen, daraus kom-
men traͤge unthaͤtige Koͤpfe und faule Baͤu-
che. Das war zu meiner Zeit anders: mein
Hofmeiſter wußte mir das Lernen ſo ſauer
zu machen, daß ich zu Zeiten lieber nach
der Holzart als nach dem Buch gegriffen
haͤtte, wenn mir die Wahl waͤr uͤberlaſſen
geweſen. Das eingeblaͤuete Latein und die
Wahlſpruͤche aus dem Zopf vom Kaiſer
Auguſtus bis auf Karl den Sechsten, glor-
wuͤrdigſten Andenkens, haͤtte ich leicht ent-

behren
E
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[65/0071] fen haͤtte: das heißt ſo viel als nichts. Aber in den Lehrſtunden geht das Spiel von neuem an, da weiß das Kerlgen ſeine Ele- ven mit tauſend drolligen Erfindungen mei- ſterlich zu amuͤſiren; will ſeiner Sage nach, froͤliche Menſchen aus ihnen machen, und vermeynt durch dieſe Methode im Eduka- tionsgeſchaͤfte maͤchtige Rieſenſchritte zu thun, als ob er die Stiefeln von ſieben Meilen an den Fuͤßen haͤtte. Das will mir nicht ein. Wenn den Kin- dern alles ſpielend gelehrt wird, ſo gewoͤh- nen ſie ſich daran, und wollen hernach al- les ſpiekend treiben, und nie hart Holz boh- ren. Bey der geringſten Anſtrengung ſehen ſie unerſteigliche Berge vor ſich, die ſie hin- auf zu klimmen nicht wagen, daraus kom- men traͤge unthaͤtige Koͤpfe und faule Baͤu- che. Das war zu meiner Zeit anders: mein Hofmeiſter wußte mir das Lernen ſo ſauer zu machen, daß ich zu Zeiten lieber nach der Holzart als nach dem Buch gegriffen haͤtte, wenn mir die Wahl waͤr uͤberlaſſen geweſen. Das eingeblaͤuete Latein und die Wahlſpruͤche aus dem Zopf vom Kaiſer Auguſtus bis auf Karl den Sechsten, glor- wuͤrdigſten Andenkens, haͤtte ich leicht ent- behren E

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/71>, abgerufen am 26.04.2024.