Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

Bild:
<< vorherige Seite



derthier anstaunte, und Einen Reverenz über den an-
dern machte, rechnete sie wirklich für nichts. Sie
sahe sich also einige Tage lang in der traurigen Noth-
wendigkeit, drey Stunden nach Sonnenaufgang auf-
zustehn, sich zu putzen, ohne gesehen zu werden, den
lieben langen Tag in frischer Luft und in grünen
Auen herumzugehn, und des Abends sich zu einer
einsamen Whistpartie zu setzen, bey der sie keine an-
dere Beschäfftigung hatte, als aufs Spiel Acht zu
geben.

Da indessen die Frau von Hohenauf ihren Neffen,
so viel möglich, in dem bestem Lichte darzustellen such-
te, und er selbst, dem es zur andern Natur gewor-
den war, gegen jedes Frauenzimmer galant zu seyn,
es an Achtsamkeiten gegen das Fräulein nicht er-
mangeln ließ, so faßte sie ihn endlich in die Augen,
und wollte, da sie an seiner Kleidung einen ziemlichen
Geschmark bemerkte, aus langer Weile versuchen,
ob aus ihm etwas zu machen wäre. Dieß gelang ihr,
über Vermuthen; denn kaum hatte sie den ersten Bo-
gen von Säuglings gedruckten Gedichten, die er
ihr vorlas, gelobt, so zeigte er sich als ein ganz an-
derer Mensch. Seine weibische Schüchternheit, die
der ungestüme Rambold durch Schrauberey wegzu-
spotten vergebens versucht hatte, verschwand, sobald

er



derthier anſtaunte, und Einen Reverenz uͤber den an-
dern machte, rechnete ſie wirklich fuͤr nichts. Sie
ſahe ſich alſo einige Tage lang in der traurigen Noth-
wendigkeit, drey Stunden nach Sonnenaufgang auf-
zuſtehn, ſich zu putzen, ohne geſehen zu werden, den
lieben langen Tag in friſcher Luft und in gruͤnen
Auen herumzugehn, und des Abends ſich zu einer
einſamen Whiſtpartie zu ſetzen, bey der ſie keine an-
dere Beſchaͤfftigung hatte, als aufs Spiel Acht zu
geben.

Da indeſſen die Frau von Hohenauf ihren Neffen,
ſo viel moͤglich, in dem beſtem Lichte darzuſtellen ſuch-
te, und er ſelbſt, dem es zur andern Natur gewor-
den war, gegen jedes Frauenzimmer galant zu ſeyn,
es an Achtſamkeiten gegen das Fraͤulein nicht er-
mangeln ließ, ſo faßte ſie ihn endlich in die Augen,
und wollte, da ſie an ſeiner Kleidung einen ziemlichen
Geſchmark bemerkte, aus langer Weile verſuchen,
ob aus ihm etwas zu machen waͤre. Dieß gelang ihr,
uͤber Vermuthen; denn kaum hatte ſie den erſten Bo-
gen von Saͤuglings gedruckten Gedichten, die er
ihr vorlas, gelobt, ſo zeigte er ſich als ein ganz an-
derer Menſch. Seine weibiſche Schuͤchternheit, die
der ungeſtuͤme Rambold durch Schrauberey wegzu-
ſpotten vergebens verſucht hatte, verſchwand, ſobald

er
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0163" n="153"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
derthier an&#x017F;taunte, und Einen Reverenz u&#x0364;ber den an-<lb/>
dern machte, rechnete &#x017F;ie wirklich fu&#x0364;r nichts. Sie<lb/>
&#x017F;ahe &#x017F;ich al&#x017F;o einige Tage lang in der traurigen Noth-<lb/>
wendigkeit, drey Stunden nach Sonnenaufgang auf-<lb/>
zu&#x017F;tehn, &#x017F;ich zu putzen, ohne ge&#x017F;ehen zu werden, den<lb/>
lieben langen Tag in fri&#x017F;cher Luft und in gru&#x0364;nen<lb/>
Auen herumzugehn, und des Abends &#x017F;ich zu einer<lb/>
ein&#x017F;amen Whi&#x017F;tpartie zu &#x017F;etzen, bey der &#x017F;ie keine an-<lb/>
dere Be&#x017F;cha&#x0364;fftigung hatte, als aufs Spiel Acht zu<lb/>
geben.</p><lb/>
          <p>Da inde&#x017F;&#x017F;en die Frau von <hi rendition="#fr">Hohenauf</hi> ihren Neffen,<lb/>
&#x017F;o viel mo&#x0364;glich, in dem be&#x017F;tem Lichte darzu&#x017F;tellen &#x017F;uch-<lb/>
te, und er &#x017F;elb&#x017F;t, dem es zur andern Natur gewor-<lb/>
den war, gegen jedes Frauenzimmer galant zu &#x017F;eyn,<lb/>
es an <hi rendition="#fr">Acht&#x017F;amkeiten</hi> gegen das Fra&#x0364;ulein nicht er-<lb/>
mangeln ließ, &#x017F;o faßte &#x017F;ie ihn endlich in die Augen,<lb/>
und wollte, da &#x017F;ie an &#x017F;einer Kleidung einen ziemlichen<lb/>
Ge&#x017F;chmark bemerkte, aus langer Weile ver&#x017F;uchen,<lb/>
ob aus ihm etwas zu machen wa&#x0364;re. Dieß gelang ihr,<lb/>
u&#x0364;ber Vermuthen; denn kaum hatte &#x017F;ie den er&#x017F;ten Bo-<lb/>
gen von <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;uglings</hi> gedruckten Gedichten, die er<lb/>
ihr vorlas, gelobt, &#x017F;o zeigte er &#x017F;ich als ein ganz an-<lb/>
derer Men&#x017F;ch. Seine weibi&#x017F;che Schu&#x0364;chternheit, die<lb/>
der unge&#x017F;tu&#x0364;me <hi rendition="#fr">Rambold</hi> durch Schrauberey wegzu-<lb/>
&#x017F;potten vergebens ver&#x017F;ucht hatte, ver&#x017F;chwand, &#x017F;obald<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">er</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[153/0163] derthier anſtaunte, und Einen Reverenz uͤber den an- dern machte, rechnete ſie wirklich fuͤr nichts. Sie ſahe ſich alſo einige Tage lang in der traurigen Noth- wendigkeit, drey Stunden nach Sonnenaufgang auf- zuſtehn, ſich zu putzen, ohne geſehen zu werden, den lieben langen Tag in friſcher Luft und in gruͤnen Auen herumzugehn, und des Abends ſich zu einer einſamen Whiſtpartie zu ſetzen, bey der ſie keine an- dere Beſchaͤfftigung hatte, als aufs Spiel Acht zu geben. Da indeſſen die Frau von Hohenauf ihren Neffen, ſo viel moͤglich, in dem beſtem Lichte darzuſtellen ſuch- te, und er ſelbſt, dem es zur andern Natur gewor- den war, gegen jedes Frauenzimmer galant zu ſeyn, es an Achtſamkeiten gegen das Fraͤulein nicht er- mangeln ließ, ſo faßte ſie ihn endlich in die Augen, und wollte, da ſie an ſeiner Kleidung einen ziemlichen Geſchmark bemerkte, aus langer Weile verſuchen, ob aus ihm etwas zu machen waͤre. Dieß gelang ihr, uͤber Vermuthen; denn kaum hatte ſie den erſten Bo- gen von Saͤuglings gedruckten Gedichten, die er ihr vorlas, gelobt, ſo zeigte er ſich als ein ganz an- derer Menſch. Seine weibiſche Schuͤchternheit, die der ungeſtuͤme Rambold durch Schrauberey wegzu- ſpotten vergebens verſucht hatte, verſchwand, ſobald er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/163
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/163>, abgerufen am 01.05.2024.