Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

Bild:
<< vorherige Seite



er einer petillirenden Petitemaitresse gefiel, und wie-
der gefallen wollte. Er fieng an, zu schwatzen, zu
wiedersprechen, sich dreymal in einer Minute herum-
zudrehen, zu antworten, ehe die Frage vorbey war,
und zu fragen, ohne Antwort zu verlangen, jeder-
mann dreist in die Augen zu sehen, und sich des pour
cela, eh mais tant pis,
und tant mieux, so geschickt zu
bedienen, daß man schier hätte glauben mögen, er
hätte monde. Dabey war, weil er seine liebe Poesie
nie vergaß, das Fräulein der Gegenstand aller seiner
Gedichte, ja, weil er überhaupt (wie mehrere junge
Poeten, und alte Poeten, die lange jung bleiben)
nur allzugeneigt war, seine poetischen Phantasien ins
wirkliche Leben überzutragen, so deuchte ihm oft,
daß er etwas für das Fräulein empfände, welches er,
ohne Bedenken, würde Liebe genennet haben, wenn
ihm nicht sein gutes Herzchen augenblicklich geklopft,
und erinnert hätte, daß seine Mariane, obgleich un-
getreu, doch von ihm noch nicht vergessen werden
müsse. Das Fräulein, ihrer seits, betrachtete ihn als
ihre Kreatur. und triumphirte, einen Anbeter, und
zwar einen Anbeter von einer so neuen Gattung, als
ihr ein Poet war, erworben zu haben. Denn sie
hatte noch nie Deutsche Verse gesehen, noch weniger
Verse, deren Gegenstand sie selbst war. Diese neue

Seltsam-



er einer petillirenden Petitemaitreſſe gefiel, und wie-
der gefallen wollte. Er fieng an, zu ſchwatzen, zu
wiederſprechen, ſich dreymal in einer Minute herum-
zudrehen, zu antworten, ehe die Frage vorbey war,
und zu fragen, ohne Antwort zu verlangen, jeder-
mann dreiſt in die Augen zu ſehen, und ſich des pour
cela, eh mais tant pis,
und tant mieux, ſo geſchickt zu
bedienen, daß man ſchier haͤtte glauben moͤgen, er
haͤtte monde. Dabey war, weil er ſeine liebe Poeſie
nie vergaß, das Fraͤulein der Gegenſtand aller ſeiner
Gedichte, ja, weil er uͤberhaupt (wie mehrere junge
Poeten, und alte Poeten, die lange jung bleiben)
nur allzugeneigt war, ſeine poetiſchen Phantaſien ins
wirkliche Leben uͤberzutragen, ſo deuchte ihm oft,
daß er etwas fuͤr das Fraͤulein empfaͤnde, welches er,
ohne Bedenken, wuͤrde Liebe genennet haben, wenn
ihm nicht ſein gutes Herzchen augenblicklich geklopft,
und erinnert haͤtte, daß ſeine Mariane, obgleich un-
getreu, doch von ihm noch nicht vergeſſen werden
muͤſſe. Das Fraͤulein, ihrer ſeits, betrachtete ihn als
ihre Kreatur. und triumphirte, einen Anbeter, und
zwar einen Anbeter von einer ſo neuen Gattung, als
ihr ein Poet war, erworben zu haben. Denn ſie
hatte noch nie Deutſche Verſe geſehen, noch weniger
Verſe, deren Gegenſtand ſie ſelbſt war. Dieſe neue

Seltſam-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0164" n="154"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
er einer petillirenden Petitemaitre&#x017F;&#x017F;e gefiel, und wie-<lb/>
der gefallen wollte. Er fieng an, zu &#x017F;chwatzen, zu<lb/>
wieder&#x017F;prechen, &#x017F;ich dreymal in einer Minute herum-<lb/>
zudrehen, zu antworten, ehe die Frage vorbey war,<lb/>
und zu fragen, ohne Antwort zu verlangen, jeder-<lb/>
mann drei&#x017F;t in die Augen zu &#x017F;ehen, und &#x017F;ich des <hi rendition="#aq">pour<lb/>
cela, eh mais tant pis,</hi> und <hi rendition="#aq">tant mieux,</hi> &#x017F;o ge&#x017F;chickt zu<lb/>
bedienen, daß man &#x017F;chier ha&#x0364;tte glauben mo&#x0364;gen, er<lb/>
ha&#x0364;tte <hi rendition="#aq">monde.</hi> Dabey war, weil er &#x017F;eine liebe Poe&#x017F;ie<lb/>
nie vergaß, das Fra&#x0364;ulein der Gegen&#x017F;tand aller &#x017F;einer<lb/>
Gedichte, ja, weil er u&#x0364;berhaupt (wie mehrere junge<lb/>
Poeten, und alte Poeten, die lange jung bleiben)<lb/>
nur allzugeneigt war, &#x017F;eine poeti&#x017F;chen Phanta&#x017F;ien ins<lb/>
wirkliche Leben u&#x0364;berzutragen, &#x017F;o deuchte ihm oft,<lb/>
daß er etwas fu&#x0364;r das Fra&#x0364;ulein empfa&#x0364;nde, welches er,<lb/>
ohne Bedenken, wu&#x0364;rde Liebe genennet haben, wenn<lb/>
ihm nicht &#x017F;ein gutes Herzchen augenblicklich geklopft,<lb/>
und erinnert ha&#x0364;tte, daß &#x017F;eine <hi rendition="#fr">Mariane,</hi> obgleich un-<lb/>
getreu, doch von ihm noch nicht verge&#x017F;&#x017F;en werden<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Das Fra&#x0364;ulein, ihrer &#x017F;eits, betrachtete ihn als<lb/>
ihre Kreatur. und triumphirte, einen Anbeter, und<lb/>
zwar einen Anbeter von einer &#x017F;o neuen Gattung, als<lb/>
ihr ein Poet war, erworben zu haben. Denn &#x017F;ie<lb/>
hatte noch nie Deut&#x017F;che Ver&#x017F;e ge&#x017F;ehen, noch weniger<lb/>
Ver&#x017F;e, deren Gegen&#x017F;tand &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t war. Die&#x017F;e neue<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Selt&#x017F;am-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0164] er einer petillirenden Petitemaitreſſe gefiel, und wie- der gefallen wollte. Er fieng an, zu ſchwatzen, zu wiederſprechen, ſich dreymal in einer Minute herum- zudrehen, zu antworten, ehe die Frage vorbey war, und zu fragen, ohne Antwort zu verlangen, jeder- mann dreiſt in die Augen zu ſehen, und ſich des pour cela, eh mais tant pis, und tant mieux, ſo geſchickt zu bedienen, daß man ſchier haͤtte glauben moͤgen, er haͤtte monde. Dabey war, weil er ſeine liebe Poeſie nie vergaß, das Fraͤulein der Gegenſtand aller ſeiner Gedichte, ja, weil er uͤberhaupt (wie mehrere junge Poeten, und alte Poeten, die lange jung bleiben) nur allzugeneigt war, ſeine poetiſchen Phantaſien ins wirkliche Leben uͤberzutragen, ſo deuchte ihm oft, daß er etwas fuͤr das Fraͤulein empfaͤnde, welches er, ohne Bedenken, wuͤrde Liebe genennet haben, wenn ihm nicht ſein gutes Herzchen augenblicklich geklopft, und erinnert haͤtte, daß ſeine Mariane, obgleich un- getreu, doch von ihm noch nicht vergeſſen werden muͤſſe. Das Fraͤulein, ihrer ſeits, betrachtete ihn als ihre Kreatur. und triumphirte, einen Anbeter, und zwar einen Anbeter von einer ſo neuen Gattung, als ihr ein Poet war, erworben zu haben. Denn ſie hatte noch nie Deutſche Verſe geſehen, noch weniger Verſe, deren Gegenſtand ſie ſelbſt war. Dieſe neue Seltſam-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/164
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/164>, abgerufen am 01.05.2024.