Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

Bild:
<< vorherige Seite



zen vermeinte; ihre Mutter aber, welche die Sache,
von Anfange an, viel ernsthaster angesehen hatte, be-
fürchtete einen reichen Schwiegersohn zu verlieren, der
ihre verschuldeten Güter wieder in Stand setzen könnte.
Die Mutter hatte also mit der Tochter eine lange
Konferenz über diese wichtige Sache, und die letzte
ward endlich so gründlich überzeugt, welche nützliche
Sache ein Mann von Range und Reichthum für
eine Dame sey, die am Hofe leben will, daß sie mit
ihrer Mutter übereinkam, den Liebeshandel mit dem
Obersten von neuem wieder anzuknüpfen. Die Frau
von Ehrenkolb antwortete also der Frau von Ho-
henauf
in sehr kalten und in sehr stolzen Ausdrük-
ken, und reisete den folgenden Tag mit ihrer Toch-
ter nach ihrem Gute zurück, wobey Säugling kaum
ein mäßiges Kopfneigen beym Abschiede erhielt.

Der Gräfinn war Säuglings Liebe gegen Ma-
rianen
unverborgen geblieben. Da sie mit Marianen
auf einem sehr vertraulichen Fuße lebte, so hatte sie auch
derselben Neigungen zu erforschen gesucht; Mariane
war aber in diesem Stücke gegen sie so zurückhaltend
gewesen, daß sie von Marianens Liebe gegen
Säuglingen nichts gemerkt hatte. Jtzt aber
glaubte sie, durch die Entführung, schnell ein Licht in
dieser Sache zu erhalten. Sie war sehr geneigt,

Säug-



zen vermeinte; ihre Mutter aber, welche die Sache,
von Anfange an, viel ernſthaſter angeſehen hatte, be-
fuͤrchtete einen reichen Schwiegerſohn zu verlieren, der
ihre verſchuldeten Guͤter wieder in Stand ſetzen koͤnnte.
Die Mutter hatte alſo mit der Tochter eine lange
Konferenz uͤber dieſe wichtige Sache, und die letzte
ward endlich ſo gruͤndlich uͤberzeugt, welche nuͤtzliche
Sache ein Mann von Range und Reichthum fuͤr
eine Dame ſey, die am Hofe leben will, daß ſie mit
ihrer Mutter uͤbereinkam, den Liebeshandel mit dem
Oberſten von neuem wieder anzuknuͤpfen. Die Frau
von Ehrenkolb antwortete alſo der Frau von Ho-
henauf
in ſehr kalten und in ſehr ſtolzen Ausdruͤk-
ken, und reiſete den folgenden Tag mit ihrer Toch-
ter nach ihrem Gute zuruͤck, wobey Saͤugling kaum
ein maͤßiges Kopfneigen beym Abſchiede erhielt.

Der Graͤfinn war Saͤuglings Liebe gegen Ma-
rianen
unverborgen geblieben. Da ſie mit Marianen
auf einem ſehr vertraulichen Fuße lebte, ſo hatte ſie auch
derſelben Neigungen zu erforſchen geſucht; Mariane
war aber in dieſem Stuͤcke gegen ſie ſo zuruͤckhaltend
geweſen, daß ſie von Marianens Liebe gegen
Saͤuglingen nichts gemerkt hatte. Jtzt aber
glaubte ſie, durch die Entfuͤhrung, ſchnell ein Licht in
dieſer Sache zu erhalten. Sie war ſehr geneigt,

Saͤug-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0197" n="185"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
zen vermeinte; ihre Mutter aber, welche die Sache,<lb/>
von Anfange an, viel ern&#x017F;tha&#x017F;ter ange&#x017F;ehen hatte, be-<lb/>
fu&#x0364;rchtete einen reichen Schwieger&#x017F;ohn zu verlieren, der<lb/>
ihre ver&#x017F;chuldeten Gu&#x0364;ter wieder in Stand &#x017F;etzen ko&#x0364;nnte.<lb/>
Die Mutter hatte al&#x017F;o mit der Tochter eine lange<lb/>
Konferenz u&#x0364;ber die&#x017F;e wichtige Sache, und die letzte<lb/>
ward endlich &#x017F;o gru&#x0364;ndlich u&#x0364;berzeugt, welche nu&#x0364;tzliche<lb/>
Sache ein Mann von Range und Reichthum fu&#x0364;r<lb/>
eine Dame &#x017F;ey, die am Hofe leben will, daß &#x017F;ie mit<lb/>
ihrer Mutter u&#x0364;bereinkam, den Liebeshandel mit dem<lb/>
Ober&#x017F;ten von neuem wieder anzuknu&#x0364;pfen. Die Frau<lb/>
von <hi rendition="#fr">Ehrenkolb</hi> antwortete al&#x017F;o der Frau von <hi rendition="#fr">Ho-<lb/>
henauf</hi> in &#x017F;ehr kalten und in &#x017F;ehr &#x017F;tolzen Ausdru&#x0364;k-<lb/>
ken, und rei&#x017F;ete den folgenden Tag mit ihrer Toch-<lb/>
ter nach ihrem Gute zuru&#x0364;ck, wobey <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;ugling</hi> kaum<lb/>
ein ma&#x0364;ßiges Kopfneigen beym Ab&#x017F;chiede erhielt.</p><lb/>
          <p>Der Gra&#x0364;finn war <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;uglings</hi> Liebe gegen <hi rendition="#fr">Ma-<lb/>
rianen</hi> unverborgen geblieben. Da &#x017F;ie mit <hi rendition="#fr">Marianen</hi><lb/>
auf einem &#x017F;ehr vertraulichen Fuße lebte, &#x017F;o hatte &#x017F;ie auch<lb/>
der&#x017F;elben Neigungen zu erfor&#x017F;chen ge&#x017F;ucht; <hi rendition="#fr">Mariane</hi><lb/>
war aber in die&#x017F;em Stu&#x0364;cke gegen &#x017F;ie &#x017F;o zuru&#x0364;ckhaltend<lb/>
gewe&#x017F;en, daß &#x017F;ie von <hi rendition="#fr">Marianens</hi> Liebe gegen<lb/><hi rendition="#fr">Sa&#x0364;uglingen</hi> nichts gemerkt hatte. Jtzt aber<lb/>
glaubte &#x017F;ie, durch die Entfu&#x0364;hrung, &#x017F;chnell ein Licht in<lb/>
die&#x017F;er Sache zu erhalten. Sie war &#x017F;ehr geneigt,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">Sa&#x0364;ug-</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[185/0197] zen vermeinte; ihre Mutter aber, welche die Sache, von Anfange an, viel ernſthaſter angeſehen hatte, be- fuͤrchtete einen reichen Schwiegerſohn zu verlieren, der ihre verſchuldeten Guͤter wieder in Stand ſetzen koͤnnte. Die Mutter hatte alſo mit der Tochter eine lange Konferenz uͤber dieſe wichtige Sache, und die letzte ward endlich ſo gruͤndlich uͤberzeugt, welche nuͤtzliche Sache ein Mann von Range und Reichthum fuͤr eine Dame ſey, die am Hofe leben will, daß ſie mit ihrer Mutter uͤbereinkam, den Liebeshandel mit dem Oberſten von neuem wieder anzuknuͤpfen. Die Frau von Ehrenkolb antwortete alſo der Frau von Ho- henauf in ſehr kalten und in ſehr ſtolzen Ausdruͤk- ken, und reiſete den folgenden Tag mit ihrer Toch- ter nach ihrem Gute zuruͤck, wobey Saͤugling kaum ein maͤßiges Kopfneigen beym Abſchiede erhielt. Der Graͤfinn war Saͤuglings Liebe gegen Ma- rianen unverborgen geblieben. Da ſie mit Marianen auf einem ſehr vertraulichen Fuße lebte, ſo hatte ſie auch derſelben Neigungen zu erforſchen geſucht; Mariane war aber in dieſem Stuͤcke gegen ſie ſo zuruͤckhaltend geweſen, daß ſie von Marianens Liebe gegen Saͤuglingen nichts gemerkt hatte. Jtzt aber glaubte ſie, durch die Entfuͤhrung, ſchnell ein Licht in dieſer Sache zu erhalten. Sie war ſehr geneigt, Saͤug-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/197
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/197>, abgerufen am 29.04.2024.