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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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Thaten ihrer Vorfahren verschönerte, und ohne die auch
die größte im Andenken erhaltene Geschichte so wenig ganz
empfunden werden kann als ein lyrisches Gedicht ohne eine
entsprechende Musik; -- dies war die Folge ihres leicht-
sinnig lebhaften, der Schönheit hingegebnen Sinnes.
Auffallend aber ist es, daß bey dem litterarischen Publi-
cum Roms, dessen Beifall Sallust suchte, wie hochmüthig
auch der Römische Nationalstolz war, ähnliche Stim-
mung und Verkennen der vorväterlichen Größe herrschte.
Doch, wie sonderbar es auch erscheint, so ist dies nicht
schwer zu erklären, und er selbst hat die Erklärung wohl
mit dem stillen Bewußtseyn niedergeschrieben, daß von
seinen Geschichten eine andre Ansicht bey den Römern
selbst anheben würde. Rom hatte damals in seiner eige-
nen Sprache, Cato's Urgeschichten ausgenommen, welche
den Reiz der Kräftigkeit unsrer bessern alten Chroniken ge-
habt haben müssen, keinen lesbaren Geschichtschreiber 2).
Allerdings mögen die meisten sehr armselig und geistlos ge-
wesen seyn; doch waren selbst die treuherzigen und ehrwür-
digen Alten eben für jene Zeit ungenießbar, da die Lesen-
den zu Rom ganz durch griechische Litteratur erzogen, und
in dieser nicht durch die Erhabenheit der classischen Werke
gebildet waren, sondern durch den Glanz und Firniß einer
ausgearteten witzigen Litteratur, welche damals unter den
Griechen, mit denen sie als Lehrern und lebendigen Mu-
stern umgingen, modisch war, den Sinn für Einfalt ganz
verlohren hatten. Wie die Dichter die Heroen, so haben

2) S. Cicero de legibus, I. c. 2. 3., wo auch Cato der allge-
meinen Verdammniß nicht entgeht.

Thaten ihrer Vorfahren verſchoͤnerte, und ohne die auch
die groͤßte im Andenken erhaltene Geſchichte ſo wenig ganz
empfunden werden kann als ein lyriſches Gedicht ohne eine
entſprechende Muſik; — dies war die Folge ihres leicht-
ſinnig lebhaften, der Schoͤnheit hingegebnen Sinnes.
Auffallend aber iſt es, daß bey dem litterariſchen Publi-
cum Roms, deſſen Beifall Salluſt ſuchte, wie hochmuͤthig
auch der Roͤmiſche Nationalſtolz war, aͤhnliche Stim-
mung und Verkennen der vorvaͤterlichen Groͤße herrſchte.
Doch, wie ſonderbar es auch erſcheint, ſo iſt dies nicht
ſchwer zu erklaͤren, und er ſelbſt hat die Erklaͤrung wohl
mit dem ſtillen Bewußtſeyn niedergeſchrieben, daß von
ſeinen Geſchichten eine andre Anſicht bey den Roͤmern
ſelbſt anheben wuͤrde. Rom hatte damals in ſeiner eige-
nen Sprache, Cato’s Urgeſchichten ausgenommen, welche
den Reiz der Kraͤftigkeit unſrer beſſern alten Chroniken ge-
habt haben muͤſſen, keinen lesbaren Geſchichtſchreiber 2).
Allerdings moͤgen die meiſten ſehr armſelig und geiſtlos ge-
weſen ſeyn; doch waren ſelbſt die treuherzigen und ehrwuͤr-
digen Alten eben fuͤr jene Zeit ungenießbar, da die Leſen-
den zu Rom ganz durch griechiſche Litteratur erzogen, und
in dieſer nicht durch die Erhabenheit der claſſiſchen Werke
gebildet waren, ſondern durch den Glanz und Firniß einer
ausgearteten witzigen Litteratur, welche damals unter den
Griechen, mit denen ſie als Lehrern und lebendigen Mu-
ſtern umgingen, modiſch war, den Sinn fuͤr Einfalt ganz
verlohren hatten. Wie die Dichter die Heroen, ſo haben

2) S. Cicero de legibus, I. c. 2. 3., wo auch Cato der allge-
meinen Verdammniß nicht entgeht.
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[5/0027] Thaten ihrer Vorfahren verſchoͤnerte, und ohne die auch die groͤßte im Andenken erhaltene Geſchichte ſo wenig ganz empfunden werden kann als ein lyriſches Gedicht ohne eine entſprechende Muſik; — dies war die Folge ihres leicht- ſinnig lebhaften, der Schoͤnheit hingegebnen Sinnes. Auffallend aber iſt es, daß bey dem litterariſchen Publi- cum Roms, deſſen Beifall Salluſt ſuchte, wie hochmuͤthig auch der Roͤmiſche Nationalſtolz war, aͤhnliche Stim- mung und Verkennen der vorvaͤterlichen Groͤße herrſchte. Doch, wie ſonderbar es auch erſcheint, ſo iſt dies nicht ſchwer zu erklaͤren, und er ſelbſt hat die Erklaͤrung wohl mit dem ſtillen Bewußtſeyn niedergeſchrieben, daß von ſeinen Geſchichten eine andre Anſicht bey den Roͤmern ſelbſt anheben wuͤrde. Rom hatte damals in ſeiner eige- nen Sprache, Cato’s Urgeſchichten ausgenommen, welche den Reiz der Kraͤftigkeit unſrer beſſern alten Chroniken ge- habt haben muͤſſen, keinen lesbaren Geſchichtſchreiber 2). Allerdings moͤgen die meiſten ſehr armſelig und geiſtlos ge- weſen ſeyn; doch waren ſelbſt die treuherzigen und ehrwuͤr- digen Alten eben fuͤr jene Zeit ungenießbar, da die Leſen- den zu Rom ganz durch griechiſche Litteratur erzogen, und in dieſer nicht durch die Erhabenheit der claſſiſchen Werke gebildet waren, ſondern durch den Glanz und Firniß einer ausgearteten witzigen Litteratur, welche damals unter den Griechen, mit denen ſie als Lehrern und lebendigen Mu- ſtern umgingen, modiſch war, den Sinn fuͤr Einfalt ganz verlohren hatten. Wie die Dichter die Heroen, ſo haben 2) S. Cicero de legibus, I. c. 2. 3., wo auch Cato der allge- meinen Verdammniß nicht entgeht.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/27>, abgerufen am 27.04.2024.