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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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gehässigen Leidenschaften zu verwegnen Gewaltthätigkeiten
hinreißen ließ. Der Consul verordnete, daß jeder der
wegen Schulden als Knecht diente, sich unbehindert zum
Kriegsdienst melden könne; daß die Familien der Solda-
daten so lange sie im Felde stünden im ungestörten Besitz
ihres Eigenthums gelassen werden sollten. Alle gefesselte
Bürger deren Kräfte es erlaubten benutzten dies Edict,
ein zahlreiches Heer versammelte sich, und Servilius, in
wenigen Tagen Sieger der Volsker, Sabiner und Aurun-
ker, kehrte ruhmvoll aus dem Felde zurück. Aber die
Hoffnungen des Volks wurden grausam getäuscht. Ap-
pius Claudius war der andre Consul, jener mächtige Sa-
biner, auf den die Geschichtsschreiber den Geschlechtscha-
rakter der Claudier, wie ihre Nobilität, zurückführen.
Die Erhaltung historischer Sagen über die Gesinnungen
der Senatoren jener alten Zeit ist freylich nicht unmöglich:
wahrscheinlicher aber ist es daß die Claudier selbst, stolz
auf ihre Aristokratie wie die Valerier auf ihre Volksliebe,
ihren Ahnherrn mit den Zügen geschildert haben welche sie
selbst als angestammter Charakter auszeichneten. Ihr
Geschlecht hat, wenn auch mehrere ausgezeichnete, doch
keinen einzigen großen Mann hervorgebracht: durch trot-
zenden Hochmuth, Verachtung der Gesetze und der Frey-
heit, und eiserne Gefühlle sigkeit war es sich in allen Zeit-
altern gleich: alle waren gebohrne Tyrannen, zuweilen
niedrige Demagogen. Es war derselbe Geist der Tyran-
ney welcher Tiberius kräftigen Verstand und Caligulas
Raserey zum Verderben Roms wandte: sie sind nicht has-
senswürdiger als die älteren Claudier. Appius ließ die

gehaͤſſigen Leidenſchaften zu verwegnen Gewaltthaͤtigkeiten
hinreißen ließ. Der Conſul verordnete, daß jeder der
wegen Schulden als Knecht diente, ſich unbehindert zum
Kriegsdienſt melden koͤnne; daß die Familien der Solda-
daten ſo lange ſie im Felde ſtuͤnden im ungeſtoͤrten Beſitz
ihres Eigenthums gelaſſen werden ſollten. Alle gefeſſelte
Buͤrger deren Kraͤfte es erlaubten benutzten dies Edict,
ein zahlreiches Heer verſammelte ſich, und Servilius, in
wenigen Tagen Sieger der Volsker, Sabiner und Aurun-
ker, kehrte ruhmvoll aus dem Felde zuruͤck. Aber die
Hoffnungen des Volks wurden grauſam getaͤuſcht. Ap-
pius Claudius war der andre Conſul, jener maͤchtige Sa-
biner, auf den die Geſchichtsſchreiber den Geſchlechtscha-
rakter der Claudier, wie ihre Nobilitaͤt, zuruͤckfuͤhren.
Die Erhaltung hiſtoriſcher Sagen uͤber die Geſinnungen
der Senatoren jener alten Zeit iſt freylich nicht unmoͤglich:
wahrſcheinlicher aber iſt es daß die Claudier ſelbſt, ſtolz
auf ihre Ariſtokratie wie die Valerier auf ihre Volksliebe,
ihren Ahnherrn mit den Zuͤgen geſchildert haben welche ſie
ſelbſt als angeſtammter Charakter auszeichneten. Ihr
Geſchlecht hat, wenn auch mehrere ausgezeichnete, doch
keinen einzigen großen Mann hervorgebracht: durch trot-
zenden Hochmuth, Verachtung der Geſetze und der Frey-
heit, und eiſerne Gefuͤhlle ſigkeit war es ſich in allen Zeit-
altern gleich: alle waren gebohrne Tyrannen, zuweilen
niedrige Demagogen. Es war derſelbe Geiſt der Tyran-
ney welcher Tiberius kraͤftigen Verſtand und Caligulas
Raſerey zum Verderben Roms wandte: ſie ſind nicht haſ-
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[406/0428] gehaͤſſigen Leidenſchaften zu verwegnen Gewaltthaͤtigkeiten hinreißen ließ. Der Conſul verordnete, daß jeder der wegen Schulden als Knecht diente, ſich unbehindert zum Kriegsdienſt melden koͤnne; daß die Familien der Solda- daten ſo lange ſie im Felde ſtuͤnden im ungeſtoͤrten Beſitz ihres Eigenthums gelaſſen werden ſollten. Alle gefeſſelte Buͤrger deren Kraͤfte es erlaubten benutzten dies Edict, ein zahlreiches Heer verſammelte ſich, und Servilius, in wenigen Tagen Sieger der Volsker, Sabiner und Aurun- ker, kehrte ruhmvoll aus dem Felde zuruͤck. Aber die Hoffnungen des Volks wurden grauſam getaͤuſcht. Ap- pius Claudius war der andre Conſul, jener maͤchtige Sa- biner, auf den die Geſchichtsſchreiber den Geſchlechtscha- rakter der Claudier, wie ihre Nobilitaͤt, zuruͤckfuͤhren. Die Erhaltung hiſtoriſcher Sagen uͤber die Geſinnungen der Senatoren jener alten Zeit iſt freylich nicht unmoͤglich: wahrſcheinlicher aber iſt es daß die Claudier ſelbſt, ſtolz auf ihre Ariſtokratie wie die Valerier auf ihre Volksliebe, ihren Ahnherrn mit den Zuͤgen geſchildert haben welche ſie ſelbſt als angeſtammter Charakter auszeichneten. Ihr Geſchlecht hat, wenn auch mehrere ausgezeichnete, doch keinen einzigen großen Mann hervorgebracht: durch trot- zenden Hochmuth, Verachtung der Geſetze und der Frey- heit, und eiſerne Gefuͤhlle ſigkeit war es ſich in allen Zeit- altern gleich: alle waren gebohrne Tyrannen, zuweilen niedrige Demagogen. Es war derſelbe Geiſt der Tyran- ney welcher Tiberius kraͤftigen Verſtand und Caligulas Raſerey zum Verderben Roms wandte: ſie ſind nicht haſ- ſenswuͤrdiger als die aͤlteren Claudier. Appius ließ die

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/428>, abgerufen am 30.04.2024.