Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

es scheint, durch einen förmlichen Vertrag mit den
Häuptern des Volks; er wolle gesetzmäßig die Stimmen
für fünf plebejische Candidaten annehmen, wenn er selbst
mit den von ihm empfohlnen Patriciern gewählt würde.
Ein unseliger Vertrag, dessen Schuld aber nicht auf
die Plebs, der der offne Weg zum Genuß ihrer Rechte
verschlossen war, sondern auf die Arglist der Patricier
fällt, welche jedes zum Vortheil des Volks gegebene
Gesetz in der Ausführung vereitelten.

So waren nun zum erstenmal seit Brutus Tode
Plebejer zur höchsten Würde der Republik gelangt. Dies
verkennt auch Dionysius nicht, obwohl er irrig zwey der
plebejischen Decemvirn, M'. Rabulejus und T. Antonius
nicht zu ihnen zählt, da doch an der Plebität dieser
Geschlechter nicht der geringste Zweifel seyn kann 36).
Dem Schein nach war diese Wahl mehr als Ersatz für
den Verlust der tribunicischen Gewalt: die Erfahrung
dieser Zeit belehrte das Volk, und sogar die Patricier;
als das Consulat und alle Würden zwischen beyden
Ständen getheilt waren blieb das Tribunat doch unent-
behrlich als eigentliche Volksrepräsentation; es verlor
seine finstre Feindseligkeit, und ward den Patriciern nicht
weniger wohlthätig als dem Volk. -- Die plebejischen
Decemvirn waren, so weit uns die Nahmen der thäti-
gen Tribunen bekannt sind, nicht aus ihrer Mitte: es
scheinen reiche, unbedeutende und charakterlose Leute ge-
wesen zu seyn, die sich von dem Glanz der Geburt und
früher bekleideter Würden ihrer patricischen Collegen

36) Dionysius X. c. 58.

es ſcheint, durch einen foͤrmlichen Vertrag mit den
Haͤuptern des Volks; er wolle geſetzmaͤßig die Stimmen
fuͤr fuͤnf plebejiſche Candidaten annehmen, wenn er ſelbſt
mit den von ihm empfohlnen Patriciern gewaͤhlt wuͤrde.
Ein unſeliger Vertrag, deſſen Schuld aber nicht auf
die Plebs, der der offne Weg zum Genuß ihrer Rechte
verſchloſſen war, ſondern auf die Argliſt der Patricier
faͤllt, welche jedes zum Vortheil des Volks gegebene
Geſetz in der Ausfuͤhrung vereitelten.

So waren nun zum erſtenmal ſeit Brutus Tode
Plebejer zur hoͤchſten Wuͤrde der Republik gelangt. Dies
verkennt auch Dionyſius nicht, obwohl er irrig zwey der
plebejiſchen Decemvirn, M’. Rabulejus und T. Antonius
nicht zu ihnen zaͤhlt, da doch an der Plebitaͤt dieſer
Geſchlechter nicht der geringſte Zweifel ſeyn kann 36).
Dem Schein nach war dieſe Wahl mehr als Erſatz fuͤr
den Verluſt der tribuniciſchen Gewalt: die Erfahrung
dieſer Zeit belehrte das Volk, und ſogar die Patricier;
als das Conſulat und alle Wuͤrden zwiſchen beyden
Staͤnden getheilt waren blieb das Tribunat doch unent-
behrlich als eigentliche Volksrepraͤſentation; es verlor
ſeine finſtre Feindſeligkeit, und ward den Patriciern nicht
weniger wohlthaͤtig als dem Volk. — Die plebejiſchen
Decemvirn waren, ſo weit uns die Nahmen der thaͤti-
gen Tribunen bekannt ſind, nicht aus ihrer Mitte: es
ſcheinen reiche, unbedeutende und charakterloſe Leute ge-
weſen zu ſeyn, die ſich von dem Glanz der Geburt und
fruͤher bekleideter Wuͤrden ihrer patriciſchen Collegen

36) Dionyſius X. c. 58.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0138" n="122"/>
es &#x017F;cheint, durch einen fo&#x0364;rmlichen Vertrag mit den<lb/>
Ha&#x0364;uptern des Volks; er wolle ge&#x017F;etzma&#x0364;ßig die Stimmen<lb/>
fu&#x0364;r fu&#x0364;nf plebeji&#x017F;che Candidaten annehmen, wenn er &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
mit den von ihm empfohlnen Patriciern gewa&#x0364;hlt wu&#x0364;rde.<lb/>
Ein un&#x017F;eliger Vertrag, de&#x017F;&#x017F;en Schuld aber nicht auf<lb/>
die Plebs, der der offne Weg zum Genuß ihrer Rechte<lb/>
ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en war, &#x017F;ondern auf die Argli&#x017F;t der Patricier<lb/>
fa&#x0364;llt, welche jedes zum Vortheil des Volks gegebene<lb/>
Ge&#x017F;etz in der Ausfu&#x0364;hrung vereitelten.</p><lb/>
        <p>So waren nun zum er&#x017F;tenmal &#x017F;eit Brutus Tode<lb/>
Plebejer zur ho&#x0364;ch&#x017F;ten Wu&#x0364;rde der Republik gelangt. Dies<lb/>
verkennt auch Diony&#x017F;ius nicht, obwohl er irrig zwey der<lb/>
plebeji&#x017F;chen Decemvirn, M&#x2019;. Rabulejus und T. Antonius<lb/>
nicht zu ihnen za&#x0364;hlt, da doch an der Plebita&#x0364;t die&#x017F;er<lb/>
Ge&#x017F;chlechter nicht der gering&#x017F;te Zweifel &#x017F;eyn kann <note place="foot" n="36)">Diony&#x017F;ius <hi rendition="#aq">X. c.</hi> 58.</note>.<lb/>
Dem Schein nach war die&#x017F;e Wahl mehr als Er&#x017F;atz fu&#x0364;r<lb/>
den Verlu&#x017F;t der tribunici&#x017F;chen Gewalt: die Erfahrung<lb/>
die&#x017F;er Zeit belehrte das Volk, und &#x017F;ogar die Patricier;<lb/>
als das Con&#x017F;ulat und alle Wu&#x0364;rden zwi&#x017F;chen beyden<lb/>
Sta&#x0364;nden getheilt waren blieb das Tribunat doch unent-<lb/>
behrlich als eigentliche Volksrepra&#x0364;&#x017F;entation; es verlor<lb/>
&#x017F;eine fin&#x017F;tre Feind&#x017F;eligkeit, und ward den Patriciern nicht<lb/>
weniger wohltha&#x0364;tig als dem Volk. &#x2014; Die plebeji&#x017F;chen<lb/>
Decemvirn waren, &#x017F;o weit uns die Nahmen der tha&#x0364;ti-<lb/>
gen Tribunen bekannt &#x017F;ind, nicht aus ihrer Mitte: es<lb/>
&#x017F;cheinen reiche, unbedeutende und charakterlo&#x017F;e Leute ge-<lb/>
we&#x017F;en zu &#x017F;eyn, die &#x017F;ich von dem Glanz der Geburt und<lb/>
fru&#x0364;her bekleideter Wu&#x0364;rden ihrer patrici&#x017F;chen Collegen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0138] es ſcheint, durch einen foͤrmlichen Vertrag mit den Haͤuptern des Volks; er wolle geſetzmaͤßig die Stimmen fuͤr fuͤnf plebejiſche Candidaten annehmen, wenn er ſelbſt mit den von ihm empfohlnen Patriciern gewaͤhlt wuͤrde. Ein unſeliger Vertrag, deſſen Schuld aber nicht auf die Plebs, der der offne Weg zum Genuß ihrer Rechte verſchloſſen war, ſondern auf die Argliſt der Patricier faͤllt, welche jedes zum Vortheil des Volks gegebene Geſetz in der Ausfuͤhrung vereitelten. So waren nun zum erſtenmal ſeit Brutus Tode Plebejer zur hoͤchſten Wuͤrde der Republik gelangt. Dies verkennt auch Dionyſius nicht, obwohl er irrig zwey der plebejiſchen Decemvirn, M’. Rabulejus und T. Antonius nicht zu ihnen zaͤhlt, da doch an der Plebitaͤt dieſer Geſchlechter nicht der geringſte Zweifel ſeyn kann 36). Dem Schein nach war dieſe Wahl mehr als Erſatz fuͤr den Verluſt der tribuniciſchen Gewalt: die Erfahrung dieſer Zeit belehrte das Volk, und ſogar die Patricier; als das Conſulat und alle Wuͤrden zwiſchen beyden Staͤnden getheilt waren blieb das Tribunat doch unent- behrlich als eigentliche Volksrepraͤſentation; es verlor ſeine finſtre Feindſeligkeit, und ward den Patriciern nicht weniger wohlthaͤtig als dem Volk. — Die plebejiſchen Decemvirn waren, ſo weit uns die Nahmen der thaͤti- gen Tribunen bekannt ſind, nicht aus ihrer Mitte: es ſcheinen reiche, unbedeutende und charakterloſe Leute ge- weſen zu ſeyn, die ſich von dem Glanz der Geburt und fruͤher bekleideter Wuͤrden ihrer patriciſchen Collegen 36) Dionyſius X. c. 58.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/138
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/138>, abgerufen am 04.05.2024.