chische Muster annahm. Etruskische Schriften aber wä- ren, wenn auch nicht zerstört, den späteren Jahrhun- derten gleich nutzlos gewesen.
Die Dürftigkeit der Geschichte des Zeitraums zwi- schen der Schlacht am Regillus und der gallischen Ein- nahme entstand aus ihren Quellen, von denen uns einige Chroniken des sechsten und der folgenden Jahrhunderte unserer Zeitrechnung ein Bild geben können: ihre Falsch- heit und Unzuverlässigkeit ist das Werk ihrer litterari- schen Bearbeitung. Aber für den Zeitraum dessen Dar- stellung der übrige Theil dieses Bandes enthalten wird, behält die Geschichte denselben Charakter ganz unverän- dert den sie früher trug. Sie ist vielmehr noch ver- worrener, noch geflissentlicher verfälscht: wo sie in ein- zelnen Fällen reicher erscheint, ist sie weit entfernt zu- verlässig zu seyn; sie schöpft nun häufiger aus den höchst verdächtigen Familiennachrichten, nur noch selten aus Gedichten. Die Annalen blieben was sie früher waren.
Nach Livius täuschenden Träumen hatte die galli- sche Eroberung Rom nicht mehr geschwächt als ein all- gemeiner Brand gethan haben würde. Schon bey der Geschichte des nächsten Jahrs scheint er die schreckliche Niederlage nur als eine schimpfliche aber unblutige Flucht zu betrachten 67). Die Stadt erhebt sich schnell aus ihrer Asche, mit ungeschwächter, und vielmehr ge- weckter Kraft. Das Jahr nach ihrer angeblichen Wie- dereroberung bringt nach ihm die entscheidende Besiegung und Unterwerfung eines durch hundertjährigen Kampf
67) Siehe oben Anm. 346.
chiſche Muſter annahm. Etruskiſche Schriften aber waͤ- ren, wenn auch nicht zerſtoͤrt, den ſpaͤteren Jahrhun- derten gleich nutzlos geweſen.
Die Duͤrftigkeit der Geſchichte des Zeitraums zwi- ſchen der Schlacht am Regillus und der galliſchen Ein- nahme entſtand aus ihren Quellen, von denen uns einige Chroniken des ſechſten und der folgenden Jahrhunderte unſerer Zeitrechnung ein Bild geben koͤnnen: ihre Falſch- heit und Unzuverlaͤſſigkeit iſt das Werk ihrer litterari- ſchen Bearbeitung. Aber fuͤr den Zeitraum deſſen Dar- ſtellung der uͤbrige Theil dieſes Bandes enthalten wird, behaͤlt die Geſchichte denſelben Charakter ganz unveraͤn- dert den ſie fruͤher trug. Sie iſt vielmehr noch ver- worrener, noch gefliſſentlicher verfaͤlſcht: wo ſie in ein- zelnen Faͤllen reicher erſcheint, iſt ſie weit entfernt zu- verlaͤſſig zu ſeyn; ſie ſchoͤpft nun haͤufiger aus den hoͤchſt verdaͤchtigen Familiennachrichten, nur noch ſelten aus Gedichten. Die Annalen blieben was ſie fruͤher waren.
Nach Livius taͤuſchenden Traͤumen hatte die galli- ſche Eroberung Rom nicht mehr geſchwaͤcht als ein all- gemeiner Brand gethan haben wuͤrde. Schon bey der Geſchichte des naͤchſten Jahrs ſcheint er die ſchreckliche Niederlage nur als eine ſchimpfliche aber unblutige Flucht zu betrachten 67). Die Stadt erhebt ſich ſchnell aus ihrer Aſche, mit ungeſchwaͤchter, und vielmehr ge- weckter Kraft. Das Jahr nach ihrer angeblichen Wie- dereroberung bringt nach ihm die entſcheidende Beſiegung und Unterwerfung eines durch hundertjaͤhrigen Kampf
67) Siehe oben Anm. 346.
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chiſche Muſter annahm. Etruskiſche Schriften aber waͤ-
ren, wenn auch nicht zerſtoͤrt, den ſpaͤteren Jahrhun-
derten gleich nutzlos geweſen.
Die Duͤrftigkeit der Geſchichte des Zeitraums zwi-
ſchen der Schlacht am Regillus und der galliſchen Ein-
nahme entſtand aus ihren Quellen, von denen uns einige
Chroniken des ſechſten und der folgenden Jahrhunderte
unſerer Zeitrechnung ein Bild geben koͤnnen: ihre Falſch-
heit und Unzuverlaͤſſigkeit iſt das Werk ihrer litterari-
ſchen Bearbeitung. Aber fuͤr den Zeitraum deſſen Dar-
ſtellung der uͤbrige Theil dieſes Bandes enthalten wird,
behaͤlt die Geſchichte denſelben Charakter ganz unveraͤn-
dert den ſie fruͤher trug. Sie iſt vielmehr noch ver-
worrener, noch gefliſſentlicher verfaͤlſcht: wo ſie in ein-
zelnen Faͤllen reicher erſcheint, iſt ſie weit entfernt zu-
verlaͤſſig zu ſeyn; ſie ſchoͤpft nun haͤufiger aus den hoͤchſt
verdaͤchtigen Familiennachrichten, nur noch ſelten aus
Gedichten. Die Annalen blieben was ſie fruͤher waren.
Nach Livius taͤuſchenden Traͤumen hatte die galli-
ſche Eroberung Rom nicht mehr geſchwaͤcht als ein all-
gemeiner Brand gethan haben wuͤrde. Schon bey der
Geſchichte des naͤchſten Jahrs ſcheint er die ſchreckliche
Niederlage nur als eine ſchimpfliche aber unblutige
Flucht zu betrachten 67). Die Stadt erhebt ſich ſchnell
aus ihrer Aſche, mit ungeſchwaͤchter, und vielmehr ge-
weckter Kraft. Das Jahr nach ihrer angeblichen Wie-
dereroberung bringt nach ihm die entſcheidende Beſiegung
und Unterwerfung eines durch hundertjaͤhrigen Kampf
67) Siehe oben Anm. 346.
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/299>, abgerufen am 29.04.2024.
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