Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

tien war die Plebs unabhängiger als in den Centurien,
wo die patricischen Rittercenturien die erste, und daher
eine sehr entscheidende Stimme, obwohl mit einer klei-
nen Zahl, gaben: weit nachtheiliger aber war es daß in
den Centurien auch die Clienten stimmten, wenn sie
steuerpflichtiges Eigenthum besaßen, und die censorische
Willkühr der Consuln mit diesen, nur unter der Ver-
pflichtung der Steuerzahlung, nach einer Vermögens-
schätzung welche kein Tribun zu prüfen und zu verwer-
fen im Stande war, die ersten Klassen anfüllen, und
die Comitien beherrschen konnte. Wären aber auch die
Centurien eine so rein plebejische Gemeinde gewesen wie
sie es nach dem Sinn ihrer Errichtung seyn sollten, so
waren sie doch den Tribunen geschlossen: denn nur die

c. 43. Prosgraphontes -- kai panta ta alla osa en to
demo prattesthai te kai epikurousthai deesei upo ton phu-
leton epipsephizesthai kata tauto. Livius hat grade dieses
Hauptstück der publilischen Rogationen übersehen, und hält
nur die Form der tribunicischen Wahlen im Auge. Uebri-
gens beruht die Notiz daß die Erklärung über das Delibe-
rationsrecht der Tribus später vorgeschlagen sey als die
Veränderung der Wahlen, auf der factischen Autorität der
Annalen, welche in solchen Fällen sehr zweifelhaft ist, ge-
gen die innere Wahrscheinlichkeit daß beyde ein gleichzeitig
aufgestelltes Ganzes ausgemacht hätten.
Das unzweydeutigste Zeugniß über diese von den Alten
selbst fast ganz übersehene und mißkannte äußerst wichtige
Veränderung ist jenes eben angeführte des Zonaras; und es
ist ein sehr unverdächtiges: Wahrheit aus dem Munde des
Unmündigen.

tien war die Plebs unabhaͤngiger als in den Centurien,
wo die patriciſchen Rittercenturien die erſte, und daher
eine ſehr entſcheidende Stimme, obwohl mit einer klei-
nen Zahl, gaben: weit nachtheiliger aber war es daß in
den Centurien auch die Clienten ſtimmten, wenn ſie
ſteuerpflichtiges Eigenthum beſaßen, und die cenſoriſche
Willkuͤhr der Conſuln mit dieſen, nur unter der Ver-
pflichtung der Steuerzahlung, nach einer Vermoͤgens-
ſchaͤtzung welche kein Tribun zu pruͤfen und zu verwer-
fen im Stande war, die erſten Klaſſen anfuͤllen, und
die Comitien beherrſchen konnte. Waͤren aber auch die
Centurien eine ſo rein plebejiſche Gemeinde geweſen wie
ſie es nach dem Sinn ihrer Errichtung ſeyn ſollten, ſo
waren ſie doch den Tribunen geſchloſſen: denn nur die

c. 43. Προςγράφοντες — καὶ πάντα τὰ ἄλλα ὅσα ἐν τῷ
δήμῳ πράττεσϑαί τε καὶ ἐπικυροῦσϑαι δεήσει ὑπὸ τῶν φυ-
λετῶν ἐπιψηφίζεσϑαι κατὰ ταὐτό. Livius hat grade dieſes
Hauptſtuͤck der publiliſchen Rogationen uͤberſehen, und haͤlt
nur die Form der tribuniciſchen Wahlen im Auge. Uebri-
gens beruht die Notiz daß die Erklaͤrung uͤber das Delibe-
rationsrecht der Tribus ſpaͤter vorgeſchlagen ſey als die
Veraͤnderung der Wahlen, auf der factiſchen Autoritaͤt der
Annalen, welche in ſolchen Faͤllen ſehr zweifelhaft iſt, ge-
gen die innere Wahrſcheinlichkeit daß beyde ein gleichzeitig
aufgeſtelltes Ganzes ausgemacht haͤtten.
Das unzweydeutigſte Zeugniß uͤber dieſe von den Alten
ſelbſt faſt ganz uͤberſehene und mißkannte aͤußerſt wichtige
Veraͤnderung iſt jenes eben angefuͤhrte des Zonaras; und es
iſt ein ſehr unverdaͤchtiges: Wahrheit aus dem Munde des
Unmuͤndigen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0054" n="38"/>
tien war die Plebs unabha&#x0364;ngiger als in den Centurien,<lb/>
wo die patrici&#x017F;chen Rittercenturien die er&#x017F;te, und daher<lb/>
eine &#x017F;ehr ent&#x017F;cheidende Stimme, obwohl mit einer klei-<lb/>
nen Zahl, gaben: weit nachtheiliger aber war es daß in<lb/>
den Centurien auch die Clienten &#x017F;timmten, wenn &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;teuerpflichtiges Eigenthum be&#x017F;aßen, und die cen&#x017F;ori&#x017F;che<lb/>
Willku&#x0364;hr der Con&#x017F;uln mit die&#x017F;en, nur unter der Ver-<lb/>
pflichtung der Steuerzahlung, nach einer Vermo&#x0364;gens-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;tzung welche kein Tribun zu pru&#x0364;fen und zu verwer-<lb/>
fen im Stande war, die er&#x017F;ten Kla&#x017F;&#x017F;en anfu&#x0364;llen, und<lb/>
die Comitien beherr&#x017F;chen konnte. Wa&#x0364;ren aber auch die<lb/>
Centurien eine &#x017F;o rein plebeji&#x017F;che Gemeinde gewe&#x017F;en wie<lb/>
&#x017F;ie es nach dem Sinn ihrer Errichtung &#x017F;eyn &#x017F;ollten, &#x017F;o<lb/>
waren &#x017F;ie doch den Tribunen ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en: denn nur die<lb/><note xml:id="note-0054" prev="#note-0053" place="foot" n="42)"><hi rendition="#aq">c.</hi> 43. &#x03A0;&#x03C1;&#x03BF;&#x03C2;&#x03B3;&#x03C1;&#x03AC;&#x03C6;&#x03BF;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B5;&#x03C2; &#x2014; &#x03BA;&#x03B1;&#x1F76; &#x03C0;&#x03AC;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B1; &#x03C4;&#x1F70; &#x1F04;&#x03BB;&#x03BB;&#x03B1; &#x1F45;&#x03C3;&#x03B1; &#x1F10;&#x03BD; &#x03C4;&#x1FF7;<lb/>
&#x03B4;&#x03AE;&#x03BC;&#x1FF3; &#x03C0;&#x03C1;&#x03AC;&#x03C4;&#x03C4;&#x03B5;&#x03C3;&#x03D1;&#x03B1;&#x03AF; &#x03C4;&#x03B5; &#x03BA;&#x03B1;&#x1F76; &#x1F10;&#x03C0;&#x03B9;&#x03BA;&#x03C5;&#x03C1;&#x03BF;&#x1FE6;&#x03C3;&#x03D1;&#x03B1;&#x03B9; &#x03B4;&#x03B5;&#x03AE;&#x03C3;&#x03B5;&#x03B9; &#x1F51;&#x03C0;&#x1F78; &#x03C4;&#x1FF6;&#x03BD; &#x03C6;&#x03C5;-<lb/>
&#x03BB;&#x03B5;&#x03C4;&#x1FF6;&#x03BD; &#x1F10;&#x03C0;&#x03B9;&#x03C8;&#x03B7;&#x03C6;&#x03AF;&#x03B6;&#x03B5;&#x03C3;&#x03D1;&#x03B1;&#x03B9; &#x03BA;&#x03B1;&#x03C4;&#x1F70; &#x03C4;&#x03B1;&#x1F50;&#x03C4;&#x03CC;. Livius hat grade die&#x017F;es<lb/>
Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck der publili&#x017F;chen Rogationen u&#x0364;ber&#x017F;ehen, und ha&#x0364;lt<lb/>
nur die Form der tribunici&#x017F;chen Wahlen im Auge. Uebri-<lb/>
gens beruht die Notiz daß die Erkla&#x0364;rung u&#x0364;ber das Delibe-<lb/>
rationsrecht der Tribus &#x017F;pa&#x0364;ter vorge&#x017F;chlagen &#x017F;ey als die<lb/>
Vera&#x0364;nderung der Wahlen, auf der facti&#x017F;chen Autorita&#x0364;t der<lb/>
Annalen, welche in &#x017F;olchen Fa&#x0364;llen &#x017F;ehr zweifelhaft i&#x017F;t, ge-<lb/>
gen die innere Wahr&#x017F;cheinlichkeit daß beyde ein gleichzeitig<lb/>
aufge&#x017F;telltes Ganzes ausgemacht ha&#x0364;tten.<lb/>
Das unzweydeutig&#x017F;te Zeugniß u&#x0364;ber die&#x017F;e von den Alten<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t fa&#x017F;t ganz u&#x0364;ber&#x017F;ehene und mißkannte a&#x0364;ußer&#x017F;t wichtige<lb/>
Vera&#x0364;nderung i&#x017F;t jenes eben angefu&#x0364;hrte des Zonaras; und es<lb/>
i&#x017F;t ein &#x017F;ehr unverda&#x0364;chtiges: Wahrheit aus dem Munde des<lb/>
Unmu&#x0364;ndigen.</note><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[38/0054] tien war die Plebs unabhaͤngiger als in den Centurien, wo die patriciſchen Rittercenturien die erſte, und daher eine ſehr entſcheidende Stimme, obwohl mit einer klei- nen Zahl, gaben: weit nachtheiliger aber war es daß in den Centurien auch die Clienten ſtimmten, wenn ſie ſteuerpflichtiges Eigenthum beſaßen, und die cenſoriſche Willkuͤhr der Conſuln mit dieſen, nur unter der Ver- pflichtung der Steuerzahlung, nach einer Vermoͤgens- ſchaͤtzung welche kein Tribun zu pruͤfen und zu verwer- fen im Stande war, die erſten Klaſſen anfuͤllen, und die Comitien beherrſchen konnte. Waͤren aber auch die Centurien eine ſo rein plebejiſche Gemeinde geweſen wie ſie es nach dem Sinn ihrer Errichtung ſeyn ſollten, ſo waren ſie doch den Tribunen geſchloſſen: denn nur die 42) 42) c. 43. Προςγράφοντες — καὶ πάντα τὰ ἄλλα ὅσα ἐν τῷ δήμῳ πράττεσϑαί τε καὶ ἐπικυροῦσϑαι δεήσει ὑπὸ τῶν φυ- λετῶν ἐπιψηφίζεσϑαι κατὰ ταὐτό. Livius hat grade dieſes Hauptſtuͤck der publiliſchen Rogationen uͤberſehen, und haͤlt nur die Form der tribuniciſchen Wahlen im Auge. Uebri- gens beruht die Notiz daß die Erklaͤrung uͤber das Delibe- rationsrecht der Tribus ſpaͤter vorgeſchlagen ſey als die Veraͤnderung der Wahlen, auf der factiſchen Autoritaͤt der Annalen, welche in ſolchen Faͤllen ſehr zweifelhaft iſt, ge- gen die innere Wahrſcheinlichkeit daß beyde ein gleichzeitig aufgeſtelltes Ganzes ausgemacht haͤtten. Das unzweydeutigſte Zeugniß uͤber dieſe von den Alten ſelbſt faſt ganz uͤberſehene und mißkannte aͤußerſt wichtige Veraͤnderung iſt jenes eben angefuͤhrte des Zonaras; und es iſt ein ſehr unverdaͤchtiges: Wahrheit aus dem Munde des Unmuͤndigen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/54
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/54>, abgerufen am 30.04.2024.