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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812.

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griffen. Die Römer behaupteten ihre Stellung, und die
Feinde waren gezwungen mit großem Verlust über den
Strohm zurück zu gehen. Der Sieger folgte, ungeduldig
durch Benutzung des Augenblicks eine unerträgliche Be-
drängniß zu endigen. Servilius stürmte das Janiculum,
aber ohne die zeitige Ankunft seines Collegen A. Virginius
wäre diese Verwegenheit wohl tödtlich für Rom gewor-
den. Schon wich das Heer, von den befestigten Höhen
zurückgeschlagen, und es mußte an den Ufern und im
Strohm der Tiber sein Grab finden. In diesem fürchter-
lichen Augenblick erstieg Virginius den Hügel im Rücken
der Tusker mit einem noch ungeschwächten Heer. Um-
ringt und übermannt suchten sie sich einen Weg zu bahnen.
Ihr Lager auf dem Janiculum, voll tuskischer Reichthü-
mer, voll Beute und Lebensmittel, fiel in die Gewalt
der Sieger und nährte die hungrige Stadt.

Ich habe schon bemerkt daß die Geschichte dieses
Kriegs das unverkennbare Ebenbild oder Urbild der Bela-
gerung Porsenas ist 82). Von dem Verlust des Jani-
culum bis zu der Erquickung welche die Vorräthe und die
Reichthümer des etruskischen Lagers gewähren, sind in
beyden Geschichten dieselben Grundzüge unverkennbar;
übertragen aus der historischen Sage in das Gedicht.

So schwer war die Niederlage auf dem Janiculum
für ein Volk welches nicht in einem Reichthum an freyen
Landleuten unversiegende Kräfte zur Ausdauer hatte, daß
die Vejenter, von den übrigen etruskischen Städten nie
mit gemeinsamer Macht unterstützt, verlassen von den

82) Th. I. S. 353.
Zweiter Theil. F

griffen. Die Roͤmer behaupteten ihre Stellung, und die
Feinde waren gezwungen mit großem Verluſt uͤber den
Strohm zuruͤck zu gehen. Der Sieger folgte, ungeduldig
durch Benutzung des Augenblicks eine unertraͤgliche Be-
draͤngniß zu endigen. Servilius ſtuͤrmte das Janiculum,
aber ohne die zeitige Ankunft ſeines Collegen A. Virginius
waͤre dieſe Verwegenheit wohl toͤdtlich fuͤr Rom gewor-
den. Schon wich das Heer, von den befeſtigten Hoͤhen
zuruͤckgeſchlagen, und es mußte an den Ufern und im
Strohm der Tiber ſein Grab finden. In dieſem fuͤrchter-
lichen Augenblick erſtieg Virginius den Huͤgel im Ruͤcken
der Tusker mit einem noch ungeſchwaͤchten Heer. Um-
ringt und uͤbermannt ſuchten ſie ſich einen Weg zu bahnen.
Ihr Lager auf dem Janiculum, voll tuskiſcher Reichthuͤ-
mer, voll Beute und Lebensmittel, fiel in die Gewalt
der Sieger und naͤhrte die hungrige Stadt.

Ich habe ſchon bemerkt daß die Geſchichte dieſes
Kriegs das unverkennbare Ebenbild oder Urbild der Bela-
gerung Porſenas iſt 82). Von dem Verluſt des Jani-
culum bis zu der Erquickung welche die Vorraͤthe und die
Reichthuͤmer des etruskiſchen Lagers gewaͤhren, ſind in
beyden Geſchichten dieſelben Grundzuͤge unverkennbar;
uͤbertragen aus der hiſtoriſchen Sage in das Gedicht.

So ſchwer war die Niederlage auf dem Janiculum
fuͤr ein Volk welches nicht in einem Reichthum an freyen
Landleuten unverſiegende Kraͤfte zur Ausdauer hatte, daß
die Vejenter, von den uͤbrigen etruskiſchen Staͤdten nie
mit gemeinſamer Macht unterſtuͤtzt, verlaſſen von den

82) Th. I. S. 353.
Zweiter Theil. F
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[81/0097] griffen. Die Roͤmer behaupteten ihre Stellung, und die Feinde waren gezwungen mit großem Verluſt uͤber den Strohm zuruͤck zu gehen. Der Sieger folgte, ungeduldig durch Benutzung des Augenblicks eine unertraͤgliche Be- draͤngniß zu endigen. Servilius ſtuͤrmte das Janiculum, aber ohne die zeitige Ankunft ſeines Collegen A. Virginius waͤre dieſe Verwegenheit wohl toͤdtlich fuͤr Rom gewor- den. Schon wich das Heer, von den befeſtigten Hoͤhen zuruͤckgeſchlagen, und es mußte an den Ufern und im Strohm der Tiber ſein Grab finden. In dieſem fuͤrchter- lichen Augenblick erſtieg Virginius den Huͤgel im Ruͤcken der Tusker mit einem noch ungeſchwaͤchten Heer. Um- ringt und uͤbermannt ſuchten ſie ſich einen Weg zu bahnen. Ihr Lager auf dem Janiculum, voll tuskiſcher Reichthuͤ- mer, voll Beute und Lebensmittel, fiel in die Gewalt der Sieger und naͤhrte die hungrige Stadt. Ich habe ſchon bemerkt daß die Geſchichte dieſes Kriegs das unverkennbare Ebenbild oder Urbild der Bela- gerung Porſenas iſt 82). Von dem Verluſt des Jani- culum bis zu der Erquickung welche die Vorraͤthe und die Reichthuͤmer des etruskiſchen Lagers gewaͤhren, ſind in beyden Geſchichten dieſelben Grundzuͤge unverkennbar; uͤbertragen aus der hiſtoriſchen Sage in das Gedicht. So ſchwer war die Niederlage auf dem Janiculum fuͤr ein Volk welches nicht in einem Reichthum an freyen Landleuten unverſiegende Kraͤfte zur Ausdauer hatte, daß die Vejenter, von den uͤbrigen etruskiſchen Staͤdten nie mit gemeinſamer Macht unterſtuͤtzt, verlaſſen von den 82) Th. I. S. 353. Zweiter Theil. F

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 2. Berlin, 1812, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische02_1812/97>, abgerufen am 30.04.2024.