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Märkische Blätter. Nr. 24. Hattingen, 23. März 1850.

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[Beginn Spaltensatz] des Deutschen Vaterland?" muß eine große Anzahl neuer
Verse bekommen: z. B.:

Jst's dort, wo der Croate raubt?
An Mohamed der Raize glaubt?

Und wie soll es mit dem Verse werden:

"Wo jeder Wälsche heißet Feind!"

-- jetzt, wo halb Wälschland mit verdeutscht werden soll?
Die ganze großdeutsche Jdee ist zum Kinderspotte gewor-
den. Und trotz alledem ist Oesterreich noch immer nicht
im Stande, der münchener Uebereinkunft beizutreten.

Wenn demnach der König von Würtemberg in seiner
Thronrede sagt, Oesterreich sei der münchener Uebereinkunft
beigetreten, so ist dies ein offenbares Mißverständniß. Die
sieben Kurfürsten ohne Kaiser sind seit lange Oesterreichs
Plan; aber es kann dem Bündnisse in seiner jetzigen
Gestalt gar nicht beitreten. Denn man kann wohl ein
Versprechen geben und es hinterher nicht halten, aber man
kann doch nicht zu gleicher Zeit entgegengesetzte Dinge
versprechen, rechts die österreichische Reichsverfassung und
links die münchener Uebereinkunft, wie der bekannte Ab-
geordnete auf demselben Blatte seinen Wählern hier Schutz-
zölle verspricht und dort Handelsfreiheit.



Eine Löwenjagd auf dem Cap der guten
Hoffnung.
Von S. Arago.

Jch wohnte auf dem Cap bei einem Uhrmacher, Na-
mens Rouviere, dessen Bruder in seinem eben so thaten-
reichen als abenteuerlichen Leben wohl alle Gefahren be-
standen hat, die die unerschrockensten europäischen Reisen-
den in den wildesten Gegenden erlebt haben oder erlebt
haben wollen. Die Achtung, deren er genießt ist aber
so groß, daß, wenn er über die Straße geht, Jedermann
der ihm begegnet, stehen bleibt und ihn achtungsvoll be-
grüßt. Tritt er in einen Salon so stehen die Anwesenden
ehrfurchtsvoll auf; die meisten erweisen ihm diese Achtung
wohl aus Erkenntlichkeit der großen Dienste die er ihnen
erwiesen. Kaum weiß man ein Beispiel am Cap, daß
an dessen Küsten ein Schiff gescheitert wäre, von welchem
Herr Rouviere nicht einige nützliche Trümmer, nicht ei-
nige Menschenleben mit Lebensgefahr aus den brausenden
Wogen gerettet hätte.

Jn Folge aller mitunter wunderbar klingenden Mit-
tbeilungen über ihn auf seine persönliche Erscheinung ge-
spannt, hatte ich einst das Glück, in einem Salon seine
Bekanntschaft zu machen. -- Jm Laufe unseres Gesprä-
ches richtete ich zufällig die Frage an ihn, ob er an die
Großmuth des Löwen glaube.

"Ja," war die Antwort, "aber nur gegen Europäer."
Jch lächelte. Er bemerkte dies und fuhr fort: "Es ist
Thatsache. Die Europäer sind bekleidet; die Sklaven in
der Regel nicht und bieten dem Löwen ihre Nacktheit zum
Zerfleischen dar. Der Löwe der keinen Hunger hat, mor-
det nicht, es sei denn, daß sein Appetit rege gemacht
wird und dies geschieht eben durch jene Blößen. -- Der
Löwe hat mehr Kaffern und Hottentotten gefressen als
Europäer, die Erinnerung an seine letzte Mahlzeit reizt
ihn; er sieht im Bereich seiner Klauen und seiner Zähne
eine nackte Brust -- und sie ist zermalmt."

Jndessen will ich nicht verbürgen, daß diese Ansicht
folgender Begebenheit, die er mir noch denselben Abend
erzählte, ihren Ursprung verdankt.

Eines Morgens begab er sich von der Tafel=Bay
nach False=Bay längs der Küste mit einem guten Schieß-
gewehr bewaffnet, das mit zwei eisernen Kugeln geladen
[Spaltenumbruch] war. Außerdem war er mit zwei Pistolen im Gürtel
und einem eisernen Dreistachel, der an einem Riemen auf
seinem Rücken hing, versehen. Schon hatte er einige
Stunden zurückgelegt, als er ein dumpfes, anhaltendes
Brummen hörte und, wie immer in den Augenblicken der
Gefahr, die Worte vor sich hin murmelte:

"Paß auf, mein Junge! und Gott möge sich neutral
verhalten."

Der Lärm kam näher. Wenn der Löwe seinen Feind
irre machen will, so bohrt er mit seinen gewaltigen Kral-
len ein Loch in die Erde, steckt seinen Rachen in dasselbe
und brüllt hinein. Dies Geräusch prallt von Echo zu
Echo zurück und der Wanderer weiß nicht, auf welcher
Seite sich sein Feind befindet. -- Rouviere untersuchte
sein Zündpulver und war überzeugt, daß er einen schwe-
ren Kampf zu bestehen haben würde.

Nicht lange, und die Felsen hallten wieder von den
Sprüngen des Wüsten=Königs und ein furchtbarer Löwe
stellte sich Rouviere entgegen, ihn gleichsam zum Kampfe
herausfordernd.

"Zum Henker, daß ist ein tüchtiger Kerl!" meinte
unser Held und wich zurück, langsam rückwärts
schreitend, den Feind stets im Auge. Dieser folgte. Rou-
vi ere bleibt stehen, der Löwe desgleichen. Auf einmal
brüllt er furchtbar los, schüttelt sich und verschwindet in
den Krümmungen der Felsen.

Rouviere hielt es für das Gerathenste, sich der näch-
sten Fähre zuzuwenden; doch kaum hatte er den Entschluß
gefaßt, als der Löwe abermals vor ihm steht und ihm
den Weg versperrt. -- Jetzt schien die Sache bedenklicher.
-- Rouviere trat zurück, das ungeduldige Thier nähert
sich ihm. Der Bedrohte macht sich zum Kampf bereit,
schon hat er den Riemen des Dreistachels losgeschnallt,
allein er will nicht der angreifende Theil sein. Der Löwe
brüllt zum dritten Male und verschwindet abermals, um
gleich darauf wieder zu erscheinen.

"Diesmal wird es zum Kampfe kommen," sagte Rou-
vi ere lehnte sich mit dem Rücken an einen etwas
schief stehenden Felsen, legte eine Pistole zu seinen Füßen
den Finger an den Drücker des Gewehres und scheint
so seinen furchtbaren Gegner herauszufordern.

Dieser sträubt seine Mähne empor, öffnet seinen schnau-
benden Rachen, bewegt sich, legt sich nieder, richtet sich
wieder auf und scheint sagen zu wollen: "Schieße, schlage
zu!" Rouviere 's Augen hafteten an denen seines Gegners.
Die Entfernung zwischen beiden war fünf bis sechs
Schritte.

Wer mag sagen, welches Gefühl den Löwen erfüllte?
Nach einem Ringen mit der Ungewißheit und des Mu-
thes, aber ohne Kampf brüllt das furchtbare Thier noch
ein Mal und donnernder als je, springt davon wie ein
Pfeil und verschwindet in den Tiefen der Einöde.

"Sie mußten glauben, ihre letzte Stunde sei gekom-
men," sagte ich zu Herrn Rouviere.

"Mit nichten," antwortete er, "denn als ich den sen-
genden Athem des Löwen spürte, sagte ich zu mir selbst:
Meine Freunde werden sich wundern, wenn ich ihnen dies
Begebniß mittheile."

Die Wahrheit von dem, was Rouviere sagt, darf
man hier nicht in Zweifel ziehen, ohne sich der Gefahr
auszusetzen, verachtet, wenn nicht gesteinigt zu werden.

    ( Fortsetzung folgt. )



Tagesbegebenheiten.

Erfurt, 20. März. Die Eröffnung des deutschen
Parlaments hat heute Vormittags im Regierungs=Gebäude
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] des Deutschen Vaterland?“ muß eine große Anzahl neuer
Verse bekommen: z. B.:

Jst's dort, wo der Croate raubt?
An Mohamed der Raize glaubt?

Und wie soll es mit dem Verse werden:

„Wo jeder Wälsche heißet Feind!“

— jetzt, wo halb Wälschland mit verdeutscht werden soll?
Die ganze großdeutsche Jdee ist zum Kinderspotte gewor-
den. Und trotz alledem ist Oesterreich noch immer nicht
im Stande, der münchener Uebereinkunft beizutreten.

Wenn demnach der König von Würtemberg in seiner
Thronrede sagt, Oesterreich sei der münchener Uebereinkunft
beigetreten, so ist dies ein offenbares Mißverständniß. Die
sieben Kurfürsten ohne Kaiser sind seit lange Oesterreichs
Plan; aber es kann dem Bündnisse in seiner jetzigen
Gestalt gar nicht beitreten. Denn man kann wohl ein
Versprechen geben und es hinterher nicht halten, aber man
kann doch nicht zu gleicher Zeit entgegengesetzte Dinge
versprechen, rechts die österreichische Reichsverfassung und
links die münchener Uebereinkunft, wie der bekannte Ab-
geordnete auf demselben Blatte seinen Wählern hier Schutz-
zölle verspricht und dort Handelsfreiheit.



Eine Löwenjagd auf dem Cap der guten
Hoffnung.
Von S. Arago.

Jch wohnte auf dem Cap bei einem Uhrmacher, Na-
mens Rouvière, dessen Bruder in seinem eben so thaten-
reichen als abenteuerlichen Leben wohl alle Gefahren be-
standen hat, die die unerschrockensten europäischen Reisen-
den in den wildesten Gegenden erlebt haben oder erlebt
haben wollen. Die Achtung, deren er genießt ist aber
so groß, daß, wenn er über die Straße geht, Jedermann
der ihm begegnet, stehen bleibt und ihn achtungsvoll be-
grüßt. Tritt er in einen Salon so stehen die Anwesenden
ehrfurchtsvoll auf; die meisten erweisen ihm diese Achtung
wohl aus Erkenntlichkeit der großen Dienste die er ihnen
erwiesen. Kaum weiß man ein Beispiel am Cap, daß
an dessen Küsten ein Schiff gescheitert wäre, von welchem
Herr Rouvière nicht einige nützliche Trümmer, nicht ei-
nige Menschenleben mit Lebensgefahr aus den brausenden
Wogen gerettet hätte.

Jn Folge aller mitunter wunderbar klingenden Mit-
tbeilungen über ihn auf seine persönliche Erscheinung ge-
spannt, hatte ich einst das Glück, in einem Salon seine
Bekanntschaft zu machen. — Jm Laufe unseres Gesprä-
ches richtete ich zufällig die Frage an ihn, ob er an die
Großmuth des Löwen glaube.

„Ja,“ war die Antwort, „aber nur gegen Europäer.“
Jch lächelte. Er bemerkte dies und fuhr fort: „Es ist
Thatsache. Die Europäer sind bekleidet; die Sklaven in
der Regel nicht und bieten dem Löwen ihre Nacktheit zum
Zerfleischen dar. Der Löwe der keinen Hunger hat, mor-
det nicht, es sei denn, daß sein Appetit rege gemacht
wird und dies geschieht eben durch jene Blößen. — Der
Löwe hat mehr Kaffern und Hottentotten gefressen als
Europäer, die Erinnerung an seine letzte Mahlzeit reizt
ihn; er sieht im Bereich seiner Klauen und seiner Zähne
eine nackte Brust — und sie ist zermalmt.“

Jndessen will ich nicht verbürgen, daß diese Ansicht
folgender Begebenheit, die er mir noch denselben Abend
erzählte, ihren Ursprung verdankt.

Eines Morgens begab er sich von der Tafel=Bay
nach False=Bay längs der Küste mit einem guten Schieß-
gewehr bewaffnet, das mit zwei eisernen Kugeln geladen
[Spaltenumbruch] war. Außerdem war er mit zwei Pistolen im Gürtel
und einem eisernen Dreistachel, der an einem Riemen auf
seinem Rücken hing, versehen. Schon hatte er einige
Stunden zurückgelegt, als er ein dumpfes, anhaltendes
Brummen hörte und, wie immer in den Augenblicken der
Gefahr, die Worte vor sich hin murmelte:

„Paß auf, mein Junge! und Gott möge sich neutral
verhalten.“

Der Lärm kam näher. Wenn der Löwe seinen Feind
irre machen will, so bohrt er mit seinen gewaltigen Kral-
len ein Loch in die Erde, steckt seinen Rachen in dasselbe
und brüllt hinein. Dies Geräusch prallt von Echo zu
Echo zurück und der Wanderer weiß nicht, auf welcher
Seite sich sein Feind befindet. — Rouvière untersuchte
sein Zündpulver und war überzeugt, daß er einen schwe-
ren Kampf zu bestehen haben würde.

Nicht lange, und die Felsen hallten wieder von den
Sprüngen des Wüsten=Königs und ein furchtbarer Löwe
stellte sich Rouviére entgegen, ihn gleichsam zum Kampfe
herausfordernd.

„Zum Henker, daß ist ein tüchtiger Kerl!“ meinte
unser Held und wich zurück, langsam rückwärts
schreitend, den Feind stets im Auge. Dieser folgte. Rou-
vi ère bleibt stehen, der Löwe desgleichen. Auf einmal
brüllt er furchtbar los, schüttelt sich und verschwindet in
den Krümmungen der Felsen.

Rouvière hielt es für das Gerathenste, sich der näch-
sten Fähre zuzuwenden; doch kaum hatte er den Entschluß
gefaßt, als der Löwe abermals vor ihm steht und ihm
den Weg versperrt. — Jetzt schien die Sache bedenklicher.
— Rouvière trat zurück, das ungeduldige Thier nähert
sich ihm. Der Bedrohte macht sich zum Kampf bereit,
schon hat er den Riemen des Dreistachels losgeschnallt,
allein er will nicht der angreifende Theil sein. Der Löwe
brüllt zum dritten Male und verschwindet abermals, um
gleich darauf wieder zu erscheinen.

„Diesmal wird es zum Kampfe kommen,“ sagte Rou-
vi ère lehnte sich mit dem Rücken an einen etwas
schief stehenden Felsen, legte eine Pistole zu seinen Füßen
den Finger an den Drücker des Gewehres und scheint
so seinen furchtbaren Gegner herauszufordern.

Dieser sträubt seine Mähne empor, öffnet seinen schnau-
benden Rachen, bewegt sich, legt sich nieder, richtet sich
wieder auf und scheint sagen zu wollen: „Schieße, schlage
zu!“ Rouvière 's Augen hafteten an denen seines Gegners.
Die Entfernung zwischen beiden war fünf bis sechs
Schritte.

Wer mag sagen, welches Gefühl den Löwen erfüllte?
Nach einem Ringen mit der Ungewißheit und des Mu-
thes, aber ohne Kampf brüllt das furchtbare Thier noch
ein Mal und donnernder als je, springt davon wie ein
Pfeil und verschwindet in den Tiefen der Einöde.

„Sie mußten glauben, ihre letzte Stunde sei gekom-
men,“ sagte ich zu Herrn Rouvière.

„Mit nichten,“ antwortete er, „denn als ich den sen-
genden Athem des Löwen spürte, sagte ich zu mir selbst:
Meine Freunde werden sich wundern, wenn ich ihnen dies
Begebniß mittheile.“

Die Wahrheit von dem, was Rouvière sagt, darf
man hier nicht in Zweifel ziehen, ohne sich der Gefahr
auszusetzen, verachtet, wenn nicht gesteinigt zu werden.

    ( Fortsetzung folgt. )



Tagesbegebenheiten.

Erfurt, 20. März. Die Eröffnung des deutschen
Parlaments hat heute Vormittags im Regierungs=Gebäude
[Ende Spaltensatz]

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Der Löwe der keinen Hunger hat, mor- det nicht, es sei denn, daß sein Appetit rege gemacht wird und dies geschieht eben durch jene Blößen. — Der Löwe hat mehr Kaffern und Hottentotten gefressen als Europäer, die Erinnerung an seine letzte Mahlzeit reizt ihn; er sieht im Bereich seiner Klauen und seiner Zähne eine nackte Brust — und sie ist zermalmt.“ Jndessen will ich nicht verbürgen, daß diese Ansicht folgender Begebenheit, die er mir noch denselben Abend erzählte, ihren Ursprung verdankt. Eines Morgens begab er sich von der Tafel=Bay nach False=Bay längs der Küste mit einem guten Schieß- gewehr bewaffnet, das mit zwei eisernen Kugeln geladen war. Außerdem war er mit zwei Pistolen im Gürtel und einem eisernen Dreistachel, der an einem Riemen auf seinem Rücken hing, versehen. Schon hatte er einige Stunden zurückgelegt, als er ein dumpfes, anhaltendes Brummen hörte und, wie immer in den Augenblicken der Gefahr, die Worte vor sich hin murmelte: „Paß auf, mein Junge! und Gott möge sich neutral verhalten.“ Der Lärm kam näher. Wenn der Löwe seinen Feind irre machen will, so bohrt er mit seinen gewaltigen Kral- len ein Loch in die Erde, steckt seinen Rachen in dasselbe und brüllt hinein. Dies Geräusch prallt von Echo zu Echo zurück und der Wanderer weiß nicht, auf welcher Seite sich sein Feind befindet. — Rouvière untersuchte sein Zündpulver und war überzeugt, daß er einen schwe- ren Kampf zu bestehen haben würde. Nicht lange, und die Felsen hallten wieder von den Sprüngen des Wüsten=Königs und ein furchtbarer Löwe stellte sich Rouviére entgegen, ihn gleichsam zum Kampfe herausfordernd. „Zum Henker, daß ist ein tüchtiger Kerl!“ meinte unser Held und wich zurück, langsam rückwärts schreitend, den Feind stets im Auge. Dieser folgte. Rou- vi ère bleibt stehen, der Löwe desgleichen. Auf einmal brüllt er furchtbar los, schüttelt sich und verschwindet in den Krümmungen der Felsen. Rouvière hielt es für das Gerathenste, sich der näch- sten Fähre zuzuwenden; doch kaum hatte er den Entschluß gefaßt, als der Löwe abermals vor ihm steht und ihm den Weg versperrt. — Jetzt schien die Sache bedenklicher. — Rouvière trat zurück, das ungeduldige Thier nähert sich ihm. Der Bedrohte macht sich zum Kampf bereit, schon hat er den Riemen des Dreistachels losgeschnallt, allein er will nicht der angreifende Theil sein. Der Löwe brüllt zum dritten Male und verschwindet abermals, um gleich darauf wieder zu erscheinen. „Diesmal wird es zum Kampfe kommen,“ sagte Rou- vi ère lehnte sich mit dem Rücken an einen etwas schief stehenden Felsen, legte eine Pistole zu seinen Füßen den Finger an den Drücker des Gewehres und scheint so seinen furchtbaren Gegner herauszufordern. Dieser sträubt seine Mähne empor, öffnet seinen schnau- benden Rachen, bewegt sich, legt sich nieder, richtet sich wieder auf und scheint sagen zu wollen: „Schieße, schlage zu!“ Rouvière 's Augen hafteten an denen seines Gegners. Die Entfernung zwischen beiden war fünf bis sechs Schritte. Wer mag sagen, welches Gefühl den Löwen erfüllte? Nach einem Ringen mit der Ungewißheit und des Mu- thes, aber ohne Kampf brüllt das furchtbare Thier noch ein Mal und donnernder als je, springt davon wie ein Pfeil und verschwindet in den Tiefen der Einöde. „Sie mußten glauben, ihre letzte Stunde sei gekom- men,“ sagte ich zu Herrn Rouvière. „Mit nichten,“ antwortete er, „denn als ich den sen- genden Athem des Löwen spürte, sagte ich zu mir selbst: Meine Freunde werden sich wundern, wenn ich ihnen dies Begebniß mittheile.“ Die Wahrheit von dem, was Rouvière sagt, darf man hier nicht in Zweifel ziehen, ohne sich der Gefahr auszusetzen, verachtet, wenn nicht gesteinigt zu werden. ( Fortsetzung folgt. ) Tagesbegebenheiten. Erfurt, 20. März. Die Eröffnung des deutschen Parlaments hat heute Vormittags im Regierungs=Gebäude

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Zitationshilfe: Märkische Blätter. Nr. 24. Hattingen, 23. März 1850, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maerkische024_1850/2>, abgerufen am 20.05.2024.