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Märkische Blätter. Jahrgang 3, Nr. 63. Hattingen, 6. August 1851.

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Märkische Blätter.

Erscheinen Mittwoch und Sonnabend. Preis vierteljährlich 9 Sgr. Anzeigen per Petitzeile 1 Sgr. Briefe werden franco erbeten.



ro 63.Hattingen, Mittwoch, den 6. August 1851.


[Beginn Spaltensatz]

§ Hattingen, 4. August. Jn Nr. 61 d. Blattes fin-
den wir einen mit Y bezeichneten Artikel, in welchen der ver-
ehrliche Verfasser der Gefahren gedenkt, die sich der Jugend
gefließentlich bemächtigen. Es wird auch Erwähnung gethan,
daß sich im weiten deutschen Reiche Jünglingsvereine gebildet
hätten, diese Gefahren abzuwenden, die sittliche Bildung zu för-
dern und zu pflegen.

Nebenbei wird auch der hiesige Jünglingsverein im Spe-
ziellen gedacht, indem gesagt ist: der hiesige Verein glaubt dieses
-- soweit uns dieses bekannt ist, ausschließlich durch reli-
giöse Vorträge, kirchliche Gesänge in geselligen Zusammenkünf-
ten herbeizuführen. Ferner: Aechte Religiösität anzubahnen,
und deren Grundlegung und Pflege, namentlich bei jugend-
lichen Gemüthern zu fördern, erkennen auch wir als eine hohe
Aufgabe unserer Zeit an. Hierbei dürfen wir jedoch nicht au-
ßer Acht lassen, daß gegenwärtig an jedes gesellschaftliche Ver-
hältniß, in Bezug auf Kenntnisse, bedeutende Anforderungen
gemacht werden.

Was Herr Y unter ächte Religiösität verstanden haben
will, ist uns aus dem Gesagten nicht klar geworden, noch viel
weniger ist es uns klar geworden, in welcher Weise denn eigent-
lich die genannten "Anforderungen" der Gegenwart behandelt
werden sollen. Es genügt doch wahrlich nicht, ein Uebel an-
zuerkennen, die dagegen angewandt werdenden Mittel einfach
zu verwerfen, ohne das dafür etwas Acceptables an die Hand
gegeben wird.

Die Tendenzen der Jünglingsvereine sind uns nicht unbe-
kannt, und wir nehmen keinen Anstand zu erklären, daß, wenn
dieselben ihren Zweck nicht verfehlen sollen, wir doch fragen
möchten, auf welchen Grundlagen dieselben denn anders fun-
dirt sein sollten als auf Aecht=Christlich=Religiösen! -- Das
hierbei für die Fortbildung der Jünglinge in Betreff ihres
künftigen Berufs Sorge getragen wird, ist eine selbstredende
Sache, und so rein natürlich, daß wir uns haben wundern
müssen, wie darüber Zweifel entstehen können.

Diese Zweifel erklären sich nach unserem Dafürhalten ein-
fach aus der schiefen Anschauungsweise, die überhaupt in un-
sern Tagen eben nicht selten ist, man will nicht zugeben oder
anerkennen, daß die Masse im Schlamme steckt. Der geistliche
Stand ist vorzüglich dazu berufen, diese Schlammassen abzu-
leiten, dieses Ableiten nennt man in unsern Tagen Jnnere-
Mission, und wir glauben nicht fehlzugreifen, wenn wir sagen:
die Jünglingsvereine, sind als solche, Glieder in dieser großen
Kette. --

Des Mittelalter begann mit der äußern Mission, und
der Bildung des geistlichen Standes, der dem Volke die Christus-
lehre verkündigt. Es war das eine Mission, die von außen
her an das Volk erging; was dagegen unserer Zeit eigen-
thümlich ist, das ist der nothwendige Gegensatz jener äußern
Mission, nämlich die innere Mission, die zwar von jeher ge-
übt ist, aber niemals mit dem Bewußtsein, niemals in dem
Sinne, wie jetzt, niemals bei der Weltlage, wie die gegenwär-
tige. -- Sowohl Protestantismus wie Katholicismus haben
sich der inneren Mission zugewandt, nur mit dem Unterschiede,
daß die katholische Mission einen vorzugsweise intensiv=religiösen
Charakter trägt, während die protestantische Mission weiter in
das Leben greift.

[Spaltenumbruch]

Jn demselben Maaße, als die protestantische Mission sich
dem Leben nähert, in demselben Maße haben vielfache, seit dem
Jahre 1848 und auch schon früher entstandene Vereine sich
dem religiösen Gebiete genähert. Der Gedanke, Religion und
Leben in ein innigers Verhältniß zu bringen als bisher, hat
gleich einen electrischen Funken eingeschlagen, und die Brücke
von jenem Gebiete zu diesem wird mit der Zeit ausgebaut
werden.

Es kommt, wenn man die Krankheit der Gegenwart be-
seitigen will, darauf an, daß man die Diagnose stellt und nicht
bei allgemeinen Bußpredigten stehen bleibt, das Leben muß
gepackt dem Leben muß näher getreten werden, wie das bei
den Jünglingsvereinen thatsächlich der Fall ist.

Was ist nun krank, wo sind die Krankheitsstoffe der Gegenwart
zu suchen? Offenbar in der Gesellschaft. Als Arnold Ruge
Männer wie Bauer, Feuerbach u. A. die Spalten der deut-
schen Jahrbücher öffnete und ein hochgestellter Mann ihn warnte,
doch nicht zu dieser Hefe von Literatur hinabzusteigen, antwortete
ihm Ruge kurz mit einigen Versen aus dem Fischer von Göthe: Ach
wüßtest Du, wie's Fischlein ist so wohlig auf den Grund, Du
stiegst herunter wie Du bist, und würdest erst gesund. Eine
sehr charakterische Antwort. Der deutsche Socialismus will
nicht im Kothe stecken bleiben und sich im Kothe wohnlich ein-
richten, sondern er will heraus aus dem Schlamme, er will
die trüben Schlammgewässer ableiten, und der Gestaltung neuer
Gebilde in die Hände arbeiten. An hinlänglichem Material
zu einem Neubau fehlt es uns Gottlob in der Gesellschaft nicht.
Es fragt sich nur woher der Mörtel zu nehmen ist, und mit
welchem Mörtel überhaupt nur gebaut werden kann?

Die socialen Reformen, behaupten wir, müssen vom Boden
der Religion aus gelößt werden, und das Mittel hierzu, ist die
Brücke von der Religion zum Leben, das Wort im weitesten
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werden auf dem Wege der Gesetzgebung eingeführt; was die
Gesellschaft in erster Linie regelt und ordnet wenigstens regeln
und ordnen soll, das ist nicht das Gesetz, sondern die Sitte.
Die Sitte ist das, worauf die socialen Unterschiede beruhen.
Die Gesetzgebung kann bei der Regelung dieser Unterschiede
nur hülfreiche Hand leisten, die Religion dagegen, die Demuth,
Liebe, Uneigennützigkeit lehrt, kann positiv schaffen. -- Man
stößt in unsern Tagen auf sonst äußerst fest und fähige Männer,
die gleichwohl an der Zukunft verzweifeln, weil alle organischen
Gliederungen des Volkes zum größten Theile bereits zerstört
seien und der Ueberrest noch zerstört werden würde, wie ein
Tag den andern lehre. Man möge deßhalb machen, was
man wolle, jene natürlichen, organischen Verhältnisse ließen sich
nicht machen. Richtig ist an dieser Behauptung nur das, daß
sich allerdings die Sitte nicht machen läßt, wie etwa eine
Verfassung. Sonst sind die Unterschiede im socialen Leben
noch stets dieselben, die sie von jeher waren, das Schlimme
ist nur, daß sie nicht anerkannt werden. Diese Anerkennung
ist aber nicht äußerlich, etwa durch ein Gesetz zu erzwingen,
sondern kann nur durch die religiös=sittliche Wiedergeburt des
Volkes erzielt werden. Das Gesetz kann nur gebieten, daß ich
das Eigenthum meines Nachbars achte; daß ich aber dem die
Ehre gebe, dem die Ehre gebührt, daß ich als Handwerker
nicht besser lebe, als mein Stand und meine Einnahme es ge-
[Ende Spaltensatz]

Märkische Blätter.

Erscheinen Mittwoch und Sonnabend. Preis vierteljährlich 9 Sgr. Anzeigen per Petitzeile 1 Sgr. Briefe werden franco erbeten.



ro 63.Hattingen, Mittwoch, den 6. August 1851.


[Beginn Spaltensatz]

§ Hattingen, 4. August. Jn Nr. 61 d. Blattes fin-
den wir einen mit Y bezeichneten Artikel, in welchen der ver-
ehrliche Verfasser der Gefahren gedenkt, die sich der Jugend
gefließentlich bemächtigen. Es wird auch Erwähnung gethan,
daß sich im weiten deutschen Reiche Jünglingsvereine gebildet
hätten, diese Gefahren abzuwenden, die sittliche Bildung zu för-
dern und zu pflegen.

Nebenbei wird auch der hiesige Jünglingsverein im Spe-
ziellen gedacht, indem gesagt ist: der hiesige Verein glaubt dieses
— soweit uns dieses bekannt ist, ausschließlich durch reli-
giöse Vorträge, kirchliche Gesänge in geselligen Zusammenkünf-
ten herbeizuführen. Ferner: Aechte Religiösität anzubahnen,
und deren Grundlegung und Pflege, namentlich bei jugend-
lichen Gemüthern zu fördern, erkennen auch wir als eine hohe
Aufgabe unserer Zeit an. Hierbei dürfen wir jedoch nicht au-
ßer Acht lassen, daß gegenwärtig an jedes gesellschaftliche Ver-
hältniß, in Bezug auf Kenntnisse, bedeutende Anforderungen
gemacht werden.

Was Herr Y unter ächte Religiösität verstanden haben
will, ist uns aus dem Gesagten nicht klar geworden, noch viel
weniger ist es uns klar geworden, in welcher Weise denn eigent-
lich die genannten „Anforderungen“ der Gegenwart behandelt
werden sollen. Es genügt doch wahrlich nicht, ein Uebel an-
zuerkennen, die dagegen angewandt werdenden Mittel einfach
zu verwerfen, ohne das dafür etwas Acceptables an die Hand
gegeben wird.

Die Tendenzen der Jünglingsvereine sind uns nicht unbe-
kannt, und wir nehmen keinen Anstand zu erklären, daß, wenn
dieselben ihren Zweck nicht verfehlen sollen, wir doch fragen
möchten, auf welchen Grundlagen dieselben denn anders fun-
dirt sein sollten als auf Aecht=Christlich=Religiösen! — Das
hierbei für die Fortbildung der Jünglinge in Betreff ihres
künftigen Berufs Sorge getragen wird, ist eine selbstredende
Sache, und so rein natürlich, daß wir uns haben wundern
müssen, wie darüber Zweifel entstehen können.

Diese Zweifel erklären sich nach unserem Dafürhalten ein-
fach aus der schiefen Anschauungsweise, die überhaupt in un-
sern Tagen eben nicht selten ist, man will nicht zugeben oder
anerkennen, daß die Masse im Schlamme steckt. Der geistliche
Stand ist vorzüglich dazu berufen, diese Schlammassen abzu-
leiten, dieses Ableiten nennt man in unsern Tagen Jnnere-
Mission, und wir glauben nicht fehlzugreifen, wenn wir sagen:
die Jünglingsvereine, sind als solche, Glieder in dieser großen
Kette. —

Des Mittelalter begann mit der äußern Mission, und
der Bildung des geistlichen Standes, der dem Volke die Christus-
lehre verkündigt. Es war das eine Mission, die von außen
her an das Volk erging; was dagegen unserer Zeit eigen-
thümlich ist, das ist der nothwendige Gegensatz jener äußern
Mission, nämlich die innere Mission, die zwar von jeher ge-
übt ist, aber niemals mit dem Bewußtsein, niemals in dem
Sinne, wie jetzt, niemals bei der Weltlage, wie die gegenwär-
tige. — Sowohl Protestantismus wie Katholicismus haben
sich der inneren Mission zugewandt, nur mit dem Unterschiede,
daß die katholische Mission einen vorzugsweise intensiv=religiösen
Charakter trägt, während die protestantische Mission weiter in
das Leben greift.

[Spaltenumbruch]

Jn demselben Maaße, als die protestantische Mission sich
dem Leben nähert, in demselben Maße haben vielfache, seit dem
Jahre 1848 und auch schon früher entstandene Vereine sich
dem religiösen Gebiete genähert. Der Gedanke, Religion und
Leben in ein innigers Verhältniß zu bringen als bisher, hat
gleich einen electrischen Funken eingeschlagen, und die Brücke
von jenem Gebiete zu diesem wird mit der Zeit ausgebaut
werden.

Es kommt, wenn man die Krankheit der Gegenwart be-
seitigen will, darauf an, daß man die Diagnose stellt und nicht
bei allgemeinen Bußpredigten stehen bleibt, das Leben muß
gepackt dem Leben muß näher getreten werden, wie das bei
den Jünglingsvereinen thatsächlich der Fall ist.

Was ist nun krank, wo sind die Krankheitsstoffe der Gegenwart
zu suchen? Offenbar in der Gesellschaft. Als Arnold Ruge
Männer wie Bauer, Feuerbach u. A. die Spalten der deut-
schen Jahrbücher öffnete und ein hochgestellter Mann ihn warnte,
doch nicht zu dieser Hefe von Literatur hinabzusteigen, antwortete
ihm Ruge kurz mit einigen Versen aus dem Fischer von Göthe: Ach
wüßtest Du, wie's Fischlein ist so wohlig auf den Grund, Du
stiegst herunter wie Du bist, und würdest erst gesund. Eine
sehr charakterische Antwort. Der deutsche Socialismus will
nicht im Kothe stecken bleiben und sich im Kothe wohnlich ein-
richten, sondern er will heraus aus dem Schlamme, er will
die trüben Schlammgewässer ableiten, und der Gestaltung neuer
Gebilde in die Hände arbeiten. An hinlänglichem Material
zu einem Neubau fehlt es uns Gottlob in der Gesellschaft nicht.
Es fragt sich nur woher der Mörtel zu nehmen ist, und mit
welchem Mörtel überhaupt nur gebaut werden kann?

Die socialen Reformen, behaupten wir, müssen vom Boden
der Religion aus gelößt werden, und das Mittel hierzu, ist die
Brücke von der Religion zum Leben, das Wort im weitesten
Sinne genommen, die innere Mission. Politische Reformen
werden auf dem Wege der Gesetzgebung eingeführt; was die
Gesellschaft in erster Linie regelt und ordnet wenigstens regeln
und ordnen soll, das ist nicht das Gesetz, sondern die Sitte.
Die Sitte ist das, worauf die socialen Unterschiede beruhen.
Die Gesetzgebung kann bei der Regelung dieser Unterschiede
nur hülfreiche Hand leisten, die Religion dagegen, die Demuth,
Liebe, Uneigennützigkeit lehrt, kann positiv schaffen. — Man
stößt in unsern Tagen auf sonst äußerst fest und fähige Männer,
die gleichwohl an der Zukunft verzweifeln, weil alle organischen
Gliederungen des Volkes zum größten Theile bereits zerstört
seien und der Ueberrest noch zerstört werden würde, wie ein
Tag den andern lehre. Man möge deßhalb machen, was
man wolle, jene natürlichen, organischen Verhältnisse ließen sich
nicht machen. Richtig ist an dieser Behauptung nur das, daß
sich allerdings die Sitte nicht machen läßt, wie etwa eine
Verfassung. Sonst sind die Unterschiede im socialen Leben
noch stets dieselben, die sie von jeher waren, das Schlimme
ist nur, daß sie nicht anerkannt werden. Diese Anerkennung
ist aber nicht äußerlich, etwa durch ein Gesetz zu erzwingen,
sondern kann nur durch die religiös=sittliche Wiedergeburt des
Volkes erzielt werden. Das Gesetz kann nur gebieten, daß ich
das Eigenthum meines Nachbars achte; daß ich aber dem die
Ehre gebe, dem die Ehre gebührt, daß ich als Handwerker
nicht besser lebe, als mein Stand und meine Einnahme es ge-
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Ferner: Aechte Religiösität anzubahnen, und deren Grundlegung und Pflege, namentlich bei jugend- lichen Gemüthern zu fördern, erkennen auch wir als eine hohe Aufgabe unserer Zeit an. Hierbei dürfen wir jedoch nicht au- ßer Acht lassen, daß gegenwärtig an jedes gesellschaftliche Ver- hältniß, in Bezug auf Kenntnisse, bedeutende Anforderungen gemacht werden. Was Herr Y unter ächte Religiösität verstanden haben will, ist uns aus dem Gesagten nicht klar geworden, noch viel weniger ist es uns klar geworden, in welcher Weise denn eigent- lich die genannten „Anforderungen“ der Gegenwart behandelt werden sollen. Es genügt doch wahrlich nicht, ein Uebel an- zuerkennen, die dagegen angewandt werdenden Mittel einfach zu verwerfen, ohne das dafür etwas Acceptables an die Hand gegeben wird. 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Es war das eine Mission, die von außen her an das Volk erging; was dagegen unserer Zeit eigen- thümlich ist, das ist der nothwendige Gegensatz jener äußern Mission, nämlich die innere Mission, die zwar von jeher ge- übt ist, aber niemals mit dem Bewußtsein, niemals in dem Sinne, wie jetzt, niemals bei der Weltlage, wie die gegenwär- tige. — Sowohl Protestantismus wie Katholicismus haben sich der inneren Mission zugewandt, nur mit dem Unterschiede, daß die katholische Mission einen vorzugsweise intensiv=religiösen Charakter trägt, während die protestantische Mission weiter in das Leben greift. Jn demselben Maaße, als die protestantische Mission sich dem Leben nähert, in demselben Maße haben vielfache, seit dem Jahre 1848 und auch schon früher entstandene Vereine sich dem religiösen Gebiete genähert. 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Das Gesetz kann nur gebieten, daß ich das Eigenthum meines Nachbars achte; daß ich aber dem die Ehre gebe, dem die Ehre gebührt, daß ich als Handwerker nicht besser lebe, als mein Stand und meine Einnahme es ge-

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Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz, Benjamin Fiechter: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Märkische Blätter. Jahrgang 3, Nr. 63. Hattingen, 6. August 1851, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maerkische063_1851/1>, abgerufen am 13.05.2024.