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Mainzer Journal. Nr. 115. Mainz, 18. Oktober 1848.

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[Beginn Spaltensatz] ten streben, vor Allem sich mit dem Volke vertraut machen, daß
sie von den Kathedern, von den [unleserliches Material - 16 Zeichen fehlen]Parlamentssitzen, von den
Kanzeln, von den Salons und conservativen Clubbs herab-
steigen in die Hütten des Volkes, der Armuth, auch
der tiefsten Armuth, daß sie das Elend aufsuchen in seiner
Höhle, daß sie muthig, aber mitleidig, aber hülfereich, hülf-
reich mit Rath und That, mit Trost und Gaben, der tiefsten
Trostlosigkeit, dem verzweifelnden Elend in die Augen sehen;
daß sie sorgfältig, eifrig, aufrichtig und in eigener Person, nicht
etwa durch bezahlte Berichterstatter, seine wahren Wünsche,
seine dringensten Bedürfnisse, seine drückendste Noth kennen, daß
sie daran herzlich, brüderlich Theil nehmen und sie lindern ler-
nen. Nur durch diese Brüderlichkeit wird die Brüderlichkeit der
Raubtheilung überwunden, nur durch diese freiwillige Gleichheit
läßt sich die Gleichmacherei durch Convent und Guillotine noch
abwenden. Das Vertrauen des Volkes müsset ihr gewinnen, ehe
ihr beginnen wollet, das Volk zu belehren! Aber das Volk muß
belehrt werden durch Bücher und Zeitungen nicht blos, auch
mündlich, bei jeder Gelegenheit, in jedem Gespräche, bei Hand-
werksbestellung, beim Almosengeben, bei jedem Zusammenkom-
men und endlich auch durch Vereine, durch förmliche mündliche
Vorträge.

Dem Allem muß aber vorher ein Boden gewonnen werden, der
Boden, der täglich mehr unter unseren Füßen schwindet, dessen
Abgang uns in so peinlicher Schwebe hält: Das Vertrauen
der armen und ärmsten Volksklassen, das Ver-
trauen aller Stände.
Das ist der Preis der That und
die That ist Wohlthat gegen die Armen, Trostlosen, dem Meuchel-
mord, der viehischen Grausamkeit gegenüber: sie ist Bürgertugend,
Mannesmuth, Treue -- dem Aufwiegler, dem Empörer, dem Verrä-
ther gegenüber, Entsagung und Opfer, an Geld und Zeit, ja Auf-
opferung der eigenen Person, Bescheidenheit und Anspruchslosig-
keit -- der Herrschsucht, dem Ehrgeiz, der Genußsucht, der Hab= und
Raubsucht gegenüber, endlich ein enger, durchgreifender, muthig
entschlossener Männerbund dem Bubenbunde zusammengelaufener
Katzenmusikanten und Barricadenbanditen gegenüber; Liebe, Herz
für das Volk, Erhebung des Volkes mit allen Mitteln der erha-
bensten Humanität, der wahren Jntelligenz, gegenüber jenem wüh-
lerischen Treiben, das sich zur Bestialität versenkt tief unter das
Volk, um das Volk zu sich herniederzuziehen, dessen Aufklärung
besteht in der Lehre, das Volk sey mächtig genug, sich erfolgreich
zu empören, und keine Pflicht verbiete dergleichen Bestrebungen;
dessen Wohlthätigkeit besteht in dem Versprechen, wenn die Ordnung
vorbei sey, dann komme die Theilung, und wenn die Welt in rau-
chenden Trümmern liege, dann fange der Genuß [unleserliches Material - 2 Zeichen fehlen]an. Das ist die
einzige mögliche Rettung, und wenn wir uns besinnen, darnach
mit beiden Händen zu greifen, dann wird sie bald aufhören, mög-
lich zu seyn.

Lüge besiegt man nicht durch Stillschweigen, sondern durch
Wahrheit; Frechheit nicht durch Bücklinge, nicht durch Zurück-
haltung, sondern durch Mannesmuth; falsche Herablassung nicht
durch stolzes Absperren, sondern durch wahre Liebe zum Volke;
Rohheit nicht durch Zittern und Wegwenden der Augen, sondern
durch wahre Bildung; falsche Hoffnungen nicht durch Verlachen,
sondern durch Hinweisen auf die wahre Hoffnung und Leidenschaft
nur durch Liebe. Wer da Alles glaubt durch Ba-
jonnette ersetzen zu können, der wird seine Täu-
schung mit blutigen Thränen bezahlen.



Deutschland.

Wien. Jmmer noch nichts Entscheidendes, --
die Parteien standen sich bis zum 13. beobachtend gegenüber
und vom 14. ist die Post noch nicht eingetroffen. Aus den
Reichstagssitzungen vom 12. und 13. October ist noch nach-
zutragen, daß die Vereinigung und Hülfe zusagende Adresse
des ungarischen Reichstages ( worin Jellachich als Landes-
verräther erklärt wird ) mit Jubel aufgenommen, und ein
wichtiger Antrag von Borrosch, wonach ein Congreß
aller Völker Ungarns nach Wien berufen werden
soll,
angenommen wurde. Hätte das Ministerium früher groß-
artigen Sinn genug gehabt, diesen Antrag dem Reichstage zu
stellen und diesen so zum volksthümlichen Vermittler in jenen un-
garisch=croatischen Wirren zu machen, statt sich blos auf die Ba-
jonnette zu verlassen, das Unglück der letzten Tage wäre gewiß
vermieden worden. Jndeß zweifeln wir, daß die Ungarn mit je-
nem Beschlusse des Reichstages zufrieden seyn werden. Die letzten
drei bis vier tschechischen Abgeordneten verließen den Saal.
Sechsunddreißig ihrer Collegen, welche sich jetzt in Prag aufhal-
ten und sämmtlich der slavischen Partei angehören, geben in den
Prager Zeitungen eine Erklärung über die Gründe ab, welche sie
[Spaltenumbruch] dazu veranlaßt haben, ihre Sitze in der Versammlung für den
Augenblick nicht einzunehmen. Vor Allem erklären sie, daß
der gegenwärtige Aufruhr in Wien ihres Erachtens ein Werk
fremder Umtriebe sey, keineswegs der Ausdruck der Gesinnung
der biederen und loyalen Bevölkerung Wiens. Sie halten den
Aufstand vornehmlich wegen des blutigen Sturzes des Mini-
steriums für ein Verbrechen, verwahren sich gegen die Erklärung
des Reichstages, als sey der Mord des Kriegsministers und der
gewaltsame Sturz des Gesammtministeriums nichts als ein von be-
dauerlichen Umständen begleiteter Act der Selbsthülfe des Volkes,
und bedauern, daß der Reichstag diesen Ausdruck gewählt hat,
weil er eine Gutheißung des Erfolges jener Thaten enthalte.
Eine dem Reichstag selbst angethanene Beschimpfung sey die Be-
zeichnung eines aufgeregten Volkshaufeus als Volk, dem man
eine Selbsthülfe zuspreche, während der gesammte frei tagende
Reichstag als einziger rechtmäßiger Vertreter des Volkes und
Träger seiner Souveränetät vorhanden sey. Man erwarte, daß das
wirkliche Volk Wiens diese Anmaßung einer Minorität zurückwei-
sen werde. Gesetzt aber Wiens Mehrheit stimme mit dieser Min-
derheit überein, so protestiren die Unterzeichneten im Namen Oester-
reichs gegen die Anmaßung der einzigen Stadt Wien. Die The-
orie, daß hinter der Minderheit des Reichstages die Mehrheit des
Volkes stehe, sey unter den jetzigen Wahlverhältnissen verbreche-
risch, führe schnurstracks zur Anarchie, sey eine Rebellion gegen
das Princip der Volksherrschaft. Jn Folge dieses Grund-
satzes protestiren die Unterzeichner weiter gegen jeden Beschluß,
welcher jetzt im Reichstagssaale von einer Minderheit der Ver-
sammlung, oder doch von einer nach den Regeln des Hauses
nicht stimmfähigen Anzahl, gefaßt wurde oder werde. Also auch
gegen jene Beschlüsse, wodurch der Reichstag sich die Executivge-
walt zugelegt hat; überhaupt gegen alle Beschlüsse, welche un-
ter den bekannten unfreien Verhältnissen während des Aufruhrs
gefaßt wurden und noch werden. "Wir können unmöglich Be-
schlüsse für freie ansehen, die gefaßt werden, während die auf-
rührerische Menge die Galerien füllt, ihre Waffen nach den
Sitzen der Deputirten richtet, und die Versammlung durch ihr
Geschrei oder ihre den Volksvertretern bekannten Ansichten und
Gelüste terrorisirt; wir können Beschlüsse nicht für frei aner-
kennen, die angenommen werden, während und nachdem die
Bürger einer und derselben Stadt in verheerendem Parteikampfe
gegeneinander die tödtenden Geschosse gerichtet; wir können Be-
schlüsse nicht für frei halten, die gefaßt werden in einer Stadt,
wo alle Bande der gesellschaftlichen Ordnung so vollkommen auf-
gelöst sind, daß kein Befehl einer Behörde, selbst jene des Reichs-
tages nicht mehr befolgt werden, in einer Stadt, die angefüllt ist
mit Barricaden, bewacht und besetzt von einer zügellosen Menge
von verzweifelten, durch falsche Vorspiegelungen ehrloser, er-
kaufter Parteigänger bis zum äußersten aufgehetzten Proletariern,
die den friedlichen Bürgern unter Verhältnissen, wo selbst eine de-
müthige Bitte zur gebieterischen Forderung wird, brandschatzen, die
gegen Bürger, ja selbst gegen Deputirte Drohungen ausstoßen,
welche nach den gräulichen Vorgängen im Kriegsgebäude besor-
gen lassen, daß dem schrecklichen Worte die noch schrecklichere
That folgen dürfte." Es sey ein Verbrechen, wenn man seine
Stimmen zu Beschlüssen gäbe, welche vom Terrorismus einer re-
bellischen Volksmenge beherrscht würden. "Wir, die wir uns als
treue Vertreter des Volkes verpflichtet halten, müssen unsere Stim-
me dagegen zu erheben, wenn der Reichstag unter Militärdespo-
tismus gestellt würde, müssen es um so mehr gegen den Despo-
tismus zügelloser bewaffneter Massen. Wir werden und müssen
jeden Versuch den Reichstag seiner souveränen Macht zu berau-
ben, von welcher Seite es auch ausgehen mag, sey es von einer
Fraction, die in vollständiger Anarchie ihre Vortheile sucht, sey
es von einer Partei, der es nach dem alten Absolutismus gelüstet,
für einen Verrath an der Volksfreiheit und eine Beleidigung der
Majestät des Volkes erklären."

Die heute morgen erwähnte Adresse des ungarischen
Reichstages
lautet, wie folgt: " An den constituirenden
Reichstag in Wien.
Die ungarische Nation, im heiligen
Kampfe für ihre Freiheit und ihr gutes Recht gegen den in der
Weltgeschichte unerhörten Verrath der reactionären Camarilla
und ihre eidbrüchigen Söldlinge begriffen, ist von dem wärmsten
Dankgefühle durchdrungen für die heldenmüthige Aufopferung
der edlen Bewohner Wiens, womit selbe die Verstärkung der
Armee des Verräthers Jellachich zu verhindern sich so glorreich
erhoben hat. Die ungarische Nation erklärt vor Gott und vor
der Welt, daß die sie Freiheit Oesterreichs ihrer eigenen Freiheit
gleich achtet und zu deren Aufrechthaltung gemäß den Wünschen der
östereichischen Nationen nach Kräften beizutragen stets zu ihrer
heiligsten Pflicht rechnen wird. Die Gefahr ist gemeinschaftlich,
welche die Freiheit beider Nationen bedroht. Ungarn weist ent-
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] ten streben, vor Allem sich mit dem Volke vertraut machen, daß
sie von den Kathedern, von den [unleserliches Material – 16 Zeichen fehlen]Parlamentssitzen, von den
Kanzeln, von den Salons und conservativen Clubbs herab-
steigen in die Hütten des Volkes, der Armuth, auch
der tiefsten Armuth, daß sie das Elend aufsuchen in seiner
Höhle, daß sie muthig, aber mitleidig, aber hülfereich, hülf-
reich mit Rath und That, mit Trost und Gaben, der tiefsten
Trostlosigkeit, dem verzweifelnden Elend in die Augen sehen;
daß sie sorgfältig, eifrig, aufrichtig und in eigener Person, nicht
etwa durch bezahlte Berichterstatter, seine wahren Wünsche,
seine dringensten Bedürfnisse, seine drückendste Noth kennen, daß
sie daran herzlich, brüderlich Theil nehmen und sie lindern ler-
nen. Nur durch diese Brüderlichkeit wird die Brüderlichkeit der
Raubtheilung überwunden, nur durch diese freiwillige Gleichheit
läßt sich die Gleichmacherei durch Convent und Guillotine noch
abwenden. Das Vertrauen des Volkes müsset ihr gewinnen, ehe
ihr beginnen wollet, das Volk zu belehren! Aber das Volk muß
belehrt werden durch Bücher und Zeitungen nicht blos, auch
mündlich, bei jeder Gelegenheit, in jedem Gespräche, bei Hand-
werksbestellung, beim Almosengeben, bei jedem Zusammenkom-
men und endlich auch durch Vereine, durch förmliche mündliche
Vorträge.

Dem Allem muß aber vorher ein Boden gewonnen werden, der
Boden, der täglich mehr unter unseren Füßen schwindet, dessen
Abgang uns in so peinlicher Schwebe hält: Das Vertrauen
der armen und ärmsten Volksklassen, das Ver-
trauen aller Stände.
Das ist der Preis der That und
die That ist Wohlthat gegen die Armen, Trostlosen, dem Meuchel-
mord, der viehischen Grausamkeit gegenüber: sie ist Bürgertugend,
Mannesmuth, Treue — dem Aufwiegler, dem Empörer, dem Verrä-
ther gegenüber, Entsagung und Opfer, an Geld und Zeit, ja Auf-
opferung der eigenen Person, Bescheidenheit und Anspruchslosig-
keit — der Herrschsucht, dem Ehrgeiz, der Genußsucht, der Hab= und
Raubsucht gegenüber, endlich ein enger, durchgreifender, muthig
entschlossener Männerbund dem Bubenbunde zusammengelaufener
Katzenmusikanten und Barricadenbanditen gegenüber; Liebe, Herz
für das Volk, Erhebung des Volkes mit allen Mitteln der erha-
bensten Humanität, der wahren Jntelligenz, gegenüber jenem wüh-
lerischen Treiben, das sich zur Bestialität versenkt tief unter das
Volk, um das Volk zu sich herniederzuziehen, dessen Aufklärung
besteht in der Lehre, das Volk sey mächtig genug, sich erfolgreich
zu empören, und keine Pflicht verbiete dergleichen Bestrebungen;
dessen Wohlthätigkeit besteht in dem Versprechen, wenn die Ordnung
vorbei sey, dann komme die Theilung, und wenn die Welt in rau-
chenden Trümmern liege, dann fange der Genuß [unleserliches Material – 2 Zeichen fehlen]an. Das ist die
einzige mögliche Rettung, und wenn wir uns besinnen, darnach
mit beiden Händen zu greifen, dann wird sie bald aufhören, mög-
lich zu seyn.

Lüge besiegt man nicht durch Stillschweigen, sondern durch
Wahrheit; Frechheit nicht durch Bücklinge, nicht durch Zurück-
haltung, sondern durch Mannesmuth; falsche Herablassung nicht
durch stolzes Absperren, sondern durch wahre Liebe zum Volke;
Rohheit nicht durch Zittern und Wegwenden der Augen, sondern
durch wahre Bildung; falsche Hoffnungen nicht durch Verlachen,
sondern durch Hinweisen auf die wahre Hoffnung und Leidenschaft
nur durch Liebe. Wer da Alles glaubt durch Ba-
jonnette ersetzen zu können, der wird seine Täu-
schung mit blutigen Thränen bezahlen.



Deutschland.

Wien. Jmmer noch nichts Entscheidendes,
die Parteien standen sich bis zum 13. beobachtend gegenüber
und vom 14. ist die Post noch nicht eingetroffen. Aus den
Reichstagssitzungen vom 12. und 13. October ist noch nach-
zutragen, daß die Vereinigung und Hülfe zusagende Adresse
des ungarischen Reichstages ( worin Jellachich als Landes-
verräther erklärt wird ) mit Jubel aufgenommen, und ein
wichtiger Antrag von Borrosch, wonach ein Congreß
aller Völker Ungarns nach Wien berufen werden
soll,
angenommen wurde. Hätte das Ministerium früher groß-
artigen Sinn genug gehabt, diesen Antrag dem Reichstage zu
stellen und diesen so zum volksthümlichen Vermittler in jenen un-
garisch=croatischen Wirren zu machen, statt sich blos auf die Ba-
jonnette zu verlassen, das Unglück der letzten Tage wäre gewiß
vermieden worden. Jndeß zweifeln wir, daß die Ungarn mit je-
nem Beschlusse des Reichstages zufrieden seyn werden. Die letzten
drei bis vier tschechischen Abgeordneten verließen den Saal.
Sechsunddreißig ihrer Collegen, welche sich jetzt in Prag aufhal-
ten und sämmtlich der slavischen Partei angehören, geben in den
Prager Zeitungen eine Erklärung über die Gründe ab, welche sie
[Spaltenumbruch] dazu veranlaßt haben, ihre Sitze in der Versammlung für den
Augenblick nicht einzunehmen. Vor Allem erklären sie, daß
der gegenwärtige Aufruhr in Wien ihres Erachtens ein Werk
fremder Umtriebe sey, keineswegs der Ausdruck der Gesinnung
der biederen und loyalen Bevölkerung Wiens. Sie halten den
Aufstand vornehmlich wegen des blutigen Sturzes des Mini-
steriums für ein Verbrechen, verwahren sich gegen die Erklärung
des Reichstages, als sey der Mord des Kriegsministers und der
gewaltsame Sturz des Gesammtministeriums nichts als ein von be-
dauerlichen Umständen begleiteter Act der Selbsthülfe des Volkes,
und bedauern, daß der Reichstag diesen Ausdruck gewählt hat,
weil er eine Gutheißung des Erfolges jener Thaten enthalte.
Eine dem Reichstag selbst angethanene Beschimpfung sey die Be-
zeichnung eines aufgeregten Volkshaufeus als Volk, dem man
eine Selbsthülfe zuspreche, während der gesammte frei tagende
Reichstag als einziger rechtmäßiger Vertreter des Volkes und
Träger seiner Souveränetät vorhanden sey. Man erwarte, daß das
wirkliche Volk Wiens diese Anmaßung einer Minorität zurückwei-
sen werde. Gesetzt aber Wiens Mehrheit stimme mit dieser Min-
derheit überein, so protestiren die Unterzeichneten im Namen Oester-
reichs gegen die Anmaßung der einzigen Stadt Wien. Die The-
orie, daß hinter der Minderheit des Reichstages die Mehrheit des
Volkes stehe, sey unter den jetzigen Wahlverhältnissen verbreche-
risch, führe schnurstracks zur Anarchie, sey eine Rebellion gegen
das Princip der Volksherrschaft. Jn Folge dieses Grund-
satzes protestiren die Unterzeichner weiter gegen jeden Beschluß,
welcher jetzt im Reichstagssaale von einer Minderheit der Ver-
sammlung, oder doch von einer nach den Regeln des Hauses
nicht stimmfähigen Anzahl, gefaßt wurde oder werde. Also auch
gegen jene Beschlüsse, wodurch der Reichstag sich die Executivge-
walt zugelegt hat; überhaupt gegen alle Beschlüsse, welche un-
ter den bekannten unfreien Verhältnissen während des Aufruhrs
gefaßt wurden und noch werden. „Wir können unmöglich Be-
schlüsse für freie ansehen, die gefaßt werden, während die auf-
rührerische Menge die Galerien füllt, ihre Waffen nach den
Sitzen der Deputirten richtet, und die Versammlung durch ihr
Geschrei oder ihre den Volksvertretern bekannten Ansichten und
Gelüste terrorisirt; wir können Beschlüsse nicht für frei aner-
kennen, die angenommen werden, während und nachdem die
Bürger einer und derselben Stadt in verheerendem Parteikampfe
gegeneinander die tödtenden Geschosse gerichtet; wir können Be-
schlüsse nicht für frei halten, die gefaßt werden in einer Stadt,
wo alle Bande der gesellschaftlichen Ordnung so vollkommen auf-
gelöst sind, daß kein Befehl einer Behörde, selbst jene des Reichs-
tages nicht mehr befolgt werden, in einer Stadt, die angefüllt ist
mit Barricaden, bewacht und besetzt von einer zügellosen Menge
von verzweifelten, durch falsche Vorspiegelungen ehrloser, er-
kaufter Parteigänger bis zum äußersten aufgehetzten Proletariern,
die den friedlichen Bürgern unter Verhältnissen, wo selbst eine de-
müthige Bitte zur gebieterischen Forderung wird, brandschatzen, die
gegen Bürger, ja selbst gegen Deputirte Drohungen ausstoßen,
welche nach den gräulichen Vorgängen im Kriegsgebäude besor-
gen lassen, daß dem schrecklichen Worte die noch schrecklichere
That folgen dürfte.“ Es sey ein Verbrechen, wenn man seine
Stimmen zu Beschlüssen gäbe, welche vom Terrorismus einer re-
bellischen Volksmenge beherrscht würden. „Wir, die wir uns als
treue Vertreter des Volkes verpflichtet halten, müssen unsere Stim-
me dagegen zu erheben, wenn der Reichstag unter Militärdespo-
tismus gestellt würde, müssen es um so mehr gegen den Despo-
tismus zügelloser bewaffneter Massen. Wir werden und müssen
jeden Versuch den Reichstag seiner souveränen Macht zu berau-
ben, von welcher Seite es auch ausgehen mag, sey es von einer
Fraction, die in vollständiger Anarchie ihre Vortheile sucht, sey
es von einer Partei, der es nach dem alten Absolutismus gelüstet,
für einen Verrath an der Volksfreiheit und eine Beleidigung der
Majestät des Volkes erklären.“

Die heute morgen erwähnte Adresse des ungarischen
Reichstages
lautet, wie folgt: „ An den constituirenden
Reichstag in Wien.
Die ungarische Nation, im heiligen
Kampfe für ihre Freiheit und ihr gutes Recht gegen den in der
Weltgeschichte unerhörten Verrath der reactionären Camarilla
und ihre eidbrüchigen Söldlinge begriffen, ist von dem wärmsten
Dankgefühle durchdrungen für die heldenmüthige Aufopferung
der edlen Bewohner Wiens, womit selbe die Verstärkung der
Armee des Verräthers Jellachich zu verhindern sich so glorreich
erhoben hat. Die ungarische Nation erklärt vor Gott und vor
der Welt, daß die sie Freiheit Oesterreichs ihrer eigenen Freiheit
gleich achtet und zu deren Aufrechthaltung gemäß den Wünschen der
östereichischen Nationen nach Kräften beizutragen stets zu ihrer
heiligsten Pflicht rechnen wird. Die Gefahr ist gemeinschaftlich,
welche die Freiheit beider Nationen bedroht. Ungarn weist ent-
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[0002] ten streben, vor Allem sich mit dem Volke vertraut machen, daß sie von den Kathedern, von den ________________Parlamentssitzen, von den Kanzeln, von den Salons und conservativen Clubbs herab- steigen in die Hütten des Volkes, der Armuth, auch der tiefsten Armuth, daß sie das Elend aufsuchen in seiner Höhle, daß sie muthig, aber mitleidig, aber hülfereich, hülf- reich mit Rath und That, mit Trost und Gaben, der tiefsten Trostlosigkeit, dem verzweifelnden Elend in die Augen sehen; daß sie sorgfältig, eifrig, aufrichtig und in eigener Person, nicht etwa durch bezahlte Berichterstatter, seine wahren Wünsche, seine dringensten Bedürfnisse, seine drückendste Noth kennen, daß sie daran herzlich, brüderlich Theil nehmen und sie lindern ler- nen. Nur durch diese Brüderlichkeit wird die Brüderlichkeit der Raubtheilung überwunden, nur durch diese freiwillige Gleichheit läßt sich die Gleichmacherei durch Convent und Guillotine noch abwenden. Das Vertrauen des Volkes müsset ihr gewinnen, ehe ihr beginnen wollet, das Volk zu belehren! Aber das Volk muß belehrt werden durch Bücher und Zeitungen nicht blos, auch mündlich, bei jeder Gelegenheit, in jedem Gespräche, bei Hand- werksbestellung, beim Almosengeben, bei jedem Zusammenkom- men und endlich auch durch Vereine, durch förmliche mündliche Vorträge. Dem Allem muß aber vorher ein Boden gewonnen werden, der Boden, der täglich mehr unter unseren Füßen schwindet, dessen Abgang uns in so peinlicher Schwebe hält: Das Vertrauen der armen und ärmsten Volksklassen, das Ver- trauen aller Stände. Das ist der Preis der That und die That ist Wohlthat gegen die Armen, Trostlosen, dem Meuchel- mord, der viehischen Grausamkeit gegenüber: sie ist Bürgertugend, Mannesmuth, Treue — dem Aufwiegler, dem Empörer, dem Verrä- ther gegenüber, Entsagung und Opfer, an Geld und Zeit, ja Auf- opferung der eigenen Person, Bescheidenheit und Anspruchslosig- keit — der Herrschsucht, dem Ehrgeiz, der Genußsucht, der Hab= und Raubsucht gegenüber, endlich ein enger, durchgreifender, muthig entschlossener Männerbund dem Bubenbunde zusammengelaufener Katzenmusikanten und Barricadenbanditen gegenüber; Liebe, Herz für das Volk, Erhebung des Volkes mit allen Mitteln der erha- bensten Humanität, der wahren Jntelligenz, gegenüber jenem wüh- lerischen Treiben, das sich zur Bestialität versenkt tief unter das Volk, um das Volk zu sich herniederzuziehen, dessen Aufklärung besteht in der Lehre, das Volk sey mächtig genug, sich erfolgreich zu empören, und keine Pflicht verbiete dergleichen Bestrebungen; dessen Wohlthätigkeit besteht in dem Versprechen, wenn die Ordnung vorbei sey, dann komme die Theilung, und wenn die Welt in rau- chenden Trümmern liege, dann fange der Genuß __an. Das ist die einzige mögliche Rettung, und wenn wir uns besinnen, darnach mit beiden Händen zu greifen, dann wird sie bald aufhören, mög- lich zu seyn. Lüge besiegt man nicht durch Stillschweigen, sondern durch Wahrheit; Frechheit nicht durch Bücklinge, nicht durch Zurück- haltung, sondern durch Mannesmuth; falsche Herablassung nicht durch stolzes Absperren, sondern durch wahre Liebe zum Volke; Rohheit nicht durch Zittern und Wegwenden der Augen, sondern durch wahre Bildung; falsche Hoffnungen nicht durch Verlachen, sondern durch Hinweisen auf die wahre Hoffnung und Leidenschaft nur durch Liebe. Wer da Alles glaubt durch Ba- jonnette ersetzen zu können, der wird seine Täu- schung mit blutigen Thränen bezahlen. Deutschland. Wien. Jmmer noch nichts Entscheidendes, — die Parteien standen sich bis zum 13. beobachtend gegenüber und vom 14. ist die Post noch nicht eingetroffen. Aus den Reichstagssitzungen vom 12. und 13. October ist noch nach- zutragen, daß die Vereinigung und Hülfe zusagende Adresse des ungarischen Reichstages ( worin Jellachich als Landes- verräther erklärt wird ) mit Jubel aufgenommen, und ein wichtiger Antrag von Borrosch, wonach ein Congreß aller Völker Ungarns nach Wien berufen werden soll, angenommen wurde. Hätte das Ministerium früher groß- artigen Sinn genug gehabt, diesen Antrag dem Reichstage zu stellen und diesen so zum volksthümlichen Vermittler in jenen un- garisch=croatischen Wirren zu machen, statt sich blos auf die Ba- jonnette zu verlassen, das Unglück der letzten Tage wäre gewiß vermieden worden. Jndeß zweifeln wir, daß die Ungarn mit je- nem Beschlusse des Reichstages zufrieden seyn werden. Die letzten drei bis vier tschechischen Abgeordneten verließen den Saal. Sechsunddreißig ihrer Collegen, welche sich jetzt in Prag aufhal- ten und sämmtlich der slavischen Partei angehören, geben in den Prager Zeitungen eine Erklärung über die Gründe ab, welche sie dazu veranlaßt haben, ihre Sitze in der Versammlung für den Augenblick nicht einzunehmen. Vor Allem erklären sie, daß der gegenwärtige Aufruhr in Wien ihres Erachtens ein Werk fremder Umtriebe sey, keineswegs der Ausdruck der Gesinnung der biederen und loyalen Bevölkerung Wiens. Sie halten den Aufstand vornehmlich wegen des blutigen Sturzes des Mini- steriums für ein Verbrechen, verwahren sich gegen die Erklärung des Reichstages, als sey der Mord des Kriegsministers und der gewaltsame Sturz des Gesammtministeriums nichts als ein von be- dauerlichen Umständen begleiteter Act der Selbsthülfe des Volkes, und bedauern, daß der Reichstag diesen Ausdruck gewählt hat, weil er eine Gutheißung des Erfolges jener Thaten enthalte. Eine dem Reichstag selbst angethanene Beschimpfung sey die Be- zeichnung eines aufgeregten Volkshaufeus als Volk, dem man eine Selbsthülfe zuspreche, während der gesammte frei tagende Reichstag als einziger rechtmäßiger Vertreter des Volkes und Träger seiner Souveränetät vorhanden sey. Man erwarte, daß das wirkliche Volk Wiens diese Anmaßung einer Minorität zurückwei- sen werde. Gesetzt aber Wiens Mehrheit stimme mit dieser Min- derheit überein, so protestiren die Unterzeichneten im Namen Oester- reichs gegen die Anmaßung der einzigen Stadt Wien. Die The- orie, daß hinter der Minderheit des Reichstages die Mehrheit des Volkes stehe, sey unter den jetzigen Wahlverhältnissen verbreche- risch, führe schnurstracks zur Anarchie, sey eine Rebellion gegen das Princip der Volksherrschaft. Jn Folge dieses Grund- satzes protestiren die Unterzeichner weiter gegen jeden Beschluß, welcher jetzt im Reichstagssaale von einer Minderheit der Ver- sammlung, oder doch von einer nach den Regeln des Hauses nicht stimmfähigen Anzahl, gefaßt wurde oder werde. Also auch gegen jene Beschlüsse, wodurch der Reichstag sich die Executivge- walt zugelegt hat; überhaupt gegen alle Beschlüsse, welche un- ter den bekannten unfreien Verhältnissen während des Aufruhrs gefaßt wurden und noch werden. „Wir können unmöglich Be- schlüsse für freie ansehen, die gefaßt werden, während die auf- rührerische Menge die Galerien füllt, ihre Waffen nach den Sitzen der Deputirten richtet, und die Versammlung durch ihr Geschrei oder ihre den Volksvertretern bekannten Ansichten und Gelüste terrorisirt; wir können Beschlüsse nicht für frei aner- kennen, die angenommen werden, während und nachdem die Bürger einer und derselben Stadt in verheerendem Parteikampfe gegeneinander die tödtenden Geschosse gerichtet; wir können Be- schlüsse nicht für frei halten, die gefaßt werden in einer Stadt, wo alle Bande der gesellschaftlichen Ordnung so vollkommen auf- gelöst sind, daß kein Befehl einer Behörde, selbst jene des Reichs- tages nicht mehr befolgt werden, in einer Stadt, die angefüllt ist mit Barricaden, bewacht und besetzt von einer zügellosen Menge von verzweifelten, durch falsche Vorspiegelungen ehrloser, er- kaufter Parteigänger bis zum äußersten aufgehetzten Proletariern, die den friedlichen Bürgern unter Verhältnissen, wo selbst eine de- müthige Bitte zur gebieterischen Forderung wird, brandschatzen, die gegen Bürger, ja selbst gegen Deputirte Drohungen ausstoßen, welche nach den gräulichen Vorgängen im Kriegsgebäude besor- gen lassen, daß dem schrecklichen Worte die noch schrecklichere That folgen dürfte.“ Es sey ein Verbrechen, wenn man seine Stimmen zu Beschlüssen gäbe, welche vom Terrorismus einer re- bellischen Volksmenge beherrscht würden. „Wir, die wir uns als treue Vertreter des Volkes verpflichtet halten, müssen unsere Stim- me dagegen zu erheben, wenn der Reichstag unter Militärdespo- tismus gestellt würde, müssen es um so mehr gegen den Despo- tismus zügelloser bewaffneter Massen. Wir werden und müssen jeden Versuch den Reichstag seiner souveränen Macht zu berau- ben, von welcher Seite es auch ausgehen mag, sey es von einer Fraction, die in vollständiger Anarchie ihre Vortheile sucht, sey es von einer Partei, der es nach dem alten Absolutismus gelüstet, für einen Verrath an der Volksfreiheit und eine Beleidigung der Majestät des Volkes erklären.“ Die heute morgen erwähnte Adresse des ungarischen Reichstages lautet, wie folgt: „ An den constituirenden Reichstag in Wien. Die ungarische Nation, im heiligen Kampfe für ihre Freiheit und ihr gutes Recht gegen den in der Weltgeschichte unerhörten Verrath der reactionären Camarilla und ihre eidbrüchigen Söldlinge begriffen, ist von dem wärmsten Dankgefühle durchdrungen für die heldenmüthige Aufopferung der edlen Bewohner Wiens, womit selbe die Verstärkung der Armee des Verräthers Jellachich zu verhindern sich so glorreich erhoben hat. Die ungarische Nation erklärt vor Gott und vor der Welt, daß die sie Freiheit Oesterreichs ihrer eigenen Freiheit gleich achtet und zu deren Aufrechthaltung gemäß den Wünschen der östereichischen Nationen nach Kräften beizutragen stets zu ihrer heiligsten Pflicht rechnen wird. Die Gefahr ist gemeinschaftlich, welche die Freiheit beider Nationen bedroht. Ungarn weist ent-

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 115. Mainz, 18. Oktober 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal115_1848/2>, abgerufen am 11.05.2024.