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Mainzer Journal. Nr. 158. Mainz, 7. Dezember 1848.

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Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den "Rheinischen Unterhaltungs-
blättern " schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 158. Donnerstag, den 7. December. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Ein einfaches Mittel die übersetzten Gewerbe
zu bessern und dem Wohlstande aufzuhelfen.

*** Unser Blatt hat vom Anfange an die Gemeindefreiheit
als eine Grundbedingung aller wahren Freiheit und alles Volks-
glückes dargestellt. Damit aber von Gemeindefreiheit die Rede
seyn könne, muß es zuvor eine Gemeinde geben. Was ist aber
eine Gemeinde? Eine Gemeinde ist eine in sich abgeschlossene
Körperschaft selbstständiger Bürger und Familienväter einer
Stadt; -- ein Hause zusammengewürfelter Menschen, dem Jeder,
der da will, sich anschließen kann, ist keine Gemeinde. Eine Ge-
meinde ist eine große Familie, in welche ein neues Mitglied nur
mit Einwilligung der Gesammtheit aufgenommen werden kann,
und in je größeren Ehren eine Gemeinde steht, je blühender sie
ist, je mehr Vortheile sie ihren Angehörigen darbietet, ein um so
höheres Gut ist das Bürgerrecht derselben, um so weniger kann
dasselbe an Jeden, der darnach Lust hat, verschleudert werden.
So lange das alte Rom in Ehren und Wohlstand sich befand,
war man höchst sparsam mit Ertheilung des Bürgerrechtes und
der Erste, der das römische Bürgerrecht ganz allgemein machte,
war der Tyrann Caracalla. Seitdem hatte das römische Bürger-
recht keinen Werth mehr. Auch die deutschen und italiänischen
Städte des Mittelalters, in ihrer Jahrhunderte überdauernden
Größe, Herrlichkeit, Freiheit und Wohlfahrt, hielten ihr Bür-
gerrecht heilig und in hohen Ehren, und gerade dadurch bewahr-
ten sie ihre Gesinnung und ihren Wohlstand.

Und wie könnte es anders seyn? Jst eine Stadt, schön und
wohl gelegen, wie unsere Stadt, ist sie gewerbreich und bietet
mannichfaltige Erwerbsquellen dar, so werden, wenn Jeder ohne
Weiteres in ihr das Bürgerrecht erwerben kann, von allen Sei-
ten Leute zusammenströmen, die zu Hause ihr Glück nicht fanden
und es nun hier aufsuchen; und so lange nur irgend noch eine
Hoffnung des Gewinnes ist, so lange noch irgend eine Specula-
tion denkbar, und wäre es die Speculation auf das städtische
Armenhaus oder auf die Unterstützung aus der Armensteuer, wer-
den diese Einwanderungen nicht aufhören. Die Folgen davon
verstehen sich von selbst: maßlose Uebersetzung aller Gewerbe,
Herabdrückung des Arbeitslohnes, um sich greifende Verarmung,
Anhäufung eines unglücklichen und Alles bedrohenden Proleta-
riates, Verderbniß der Sitten, Entartung der Gesinnung. Daher
haben es zu allen Zeiten alle Städte und Gemeinden als das erste
und wesentlichste ihrer Rechte angesehen, Fremde von der Theil-
nahme an den Gemeindevortheilen ausschließen zu können, und
allein frei und unbeschränkt über die Ertheilung des Bürgerrech-
tes zu verfügen. Wahrheiten aber, die seitdem die Welt steht als
unbezweifelte vor dem Richterstuhle des gesunden Menschenver-
standes und der Erfahrung gegolten, haben jetzt auf einmal alle
Geltung verloren!

Der Rheinhessische Bezirksrath hat decretirt, sie
sollen nicht mehr wahr seyn, und die Thore der Stadt für Alle
weit aufgethan, das Mainzer Bürgerrecht wird Jedem zugewor-
fen, Jeder ist willkommen; die Gemeinde hat keine Gewalt mehr
irgend Einem das Bürgerrecht zu verweigern; mag es der Ge-
meinderath thun, der Bezirksrath cassirt sein Urtheil. Will ein
von den Gerichten bereits als Betrüger Verurtheilter in Mainz
sich niederlassen, er komme und melde sich; mag ein Handwerk
noch so übersetzt seyn, aber es wollen zehn Fremde auf einmal als
Meister sich niederlassen, es steht ihnen nichts im Wege; Pfusche-
rei gibt es nicht mehr, jeder fremde Geselle, der mag, erwerbe das
Bürgerrecht und spiele den Meister; geht er auch bald zu Grunde,
[Spaltenumbruch] -- die Bürger müssen ihn dann aus ihrem Seckel unterstützen, das
Bürgerhospital ihn aufnehmen.

Die Beschlüsse des Bezirksrathes bezüglich der Bürgerannahme
sind aber nicht blos der Ruin für den städtischen Wohlstand und
für alle Gewerbe, sie enthalten auch die völlige Vernichtung aller
Gemeindeselbstständigkeit. Wenn es angeht, daß Pfälzer Bezirks-
räthe die Entscheidungen des Gemeinderathes über die praktisch
wichtigste und häufigste Angelegenheit, über die Ertheilung des
Bürgerrechtes, ohne weiteres aufheben, dann sind die Rechte und
Befugnisse des Gemeinderathes nichts als ein Spott, er selbst ist
ein Schattenbild. Die Herren Bezirksräthe aus der Pfalz können
allerdings leicht so freigebig seyn mit dem Mainzer Bürgerrechte.
Es kostet sie ja nichts und aus fremdem Leder ist gut Riemen
schneiden. Jhr Gewerbe wird nicht verdorben, wenn die Geschäfte
in Mainz noch so sehr übersetzt werden; sie brauchen in Mainz
keine Armensteuer zu bezahlen; ihr Taglohn wird nicht herab-
gedrückt. Auch die Orte, wo sie her sind, haben im Durchschnitte
von dem Grundsatze der unbeschränkten Ansiedelungsfreiheit nichts
zu fürchten: denn schwerlich werden viele Mainzer Lust haben in
Pfälzer Ortschaften auszuwandern, wohl aber umgekehrt.

Aber wird denn die Mainzer Bürgerschaft sich so ohne weite-
res bei den Grundsätzen des Bezirksrathes beruhigen? -- Ohne
Zweifel, wenn sie "auf der Höhe der Zeit" steht. Alles, was wir
nämlich bisher vorbrachten, sind lauter alte reactionäre Vorur-
theile. Ehemals da hat man geglaubt, daß, wenn in einer Ge-
meinde Jeder ohne Weiteres das Bürgerrecht bekomme, noth-
wendig binnen Kurzem Geschäft und Wohlstand der Bürger
zu Grunde gerichtet werden müsse. Das ist aber vor dem fortge-
schrittenen Zeitbewußtseyn gerade umgekehrt: je mehr ein Ge-
schäft übersetzt wird, um so blühender wird es, je mehr die Lum-
perei um sich greift, um so mehr naht die goldene Zeit heran, so
daß Mainz nunmehr die Hoffnung hat, bald wieder den Namen
"des goldenen" zu verdienen. Ehemals haben die Bürger der
Städte als das erste ihrer Freiheiten, als ihr Recht und ihre
Ehre es angesehen, ihr Bürgerrecht heilig zu halten, es nicht zu
verschleudern, sondern es nur nach reifem Urtheile an Solche zu
verleihen, die der Gemeinde Ehre und Nutzen bringen. Allein
diese alten Spießbürger haben weder von Freiheit noch von Ehre
etwas verstanden. Die wahre Gemeindefreiheit besteht darin, daß
die Gemeinde über Ertheilung des Bürgerrechtes
ganz und gar nichts zu sagen hat,
und was die Ehre
der Gemeinde betrifft, so muß sie es sich zur Ehre anrechnen,
wenn ein Fremder die Gnade hat, ihr Bürgerrecht nur in An-
spruch zu nehmen. Curios zwar, aber es ist so! Denn die Her-
ren, wollte sagen Bürger Bezirksräthe haben es so beschlossen, --
die Bürger Bezirksräthe sind aber im Durchschnitte ausgemachte
Volksmänner, -- und was ein Volksmann sagt, ist wahr und
bedarf keines Beweises. Wer's nicht glaubt, bekommt die Fenster
eingeworfen!



Der neue Kaiser von Oesterreich.

# Mainz 7. December. Plötzlich trifft die Nachricht ein,
daß Kaiser Ferdinand von Oesterreich zu Gunsten seines Neffen,
des achtzehnjährigen Franz Joseph, die Krone niedergelegt
hat; -- plötzlich, doch nicht unvermuthet. Oesterreich geht, wenn
nicht alle Zeichen trügen, einer großen Erneuerung entgegen, dieser
Phönix unter den übrigen Reichen der Erde, das so oft es auch
dem unvermeidlichen Untergange nahe schien, stets über Nacht
aus Asche und Trümern auferstanden ist, dieses Habsburg, dessen
Stern seit sechs Jahrhunderten nach jedem Sturme nur um so
glänzender strahlte.

[Ende Spaltensatz]
Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den „Rheinischen Unterhaltungs-
blättern “ schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 158. Donnerstag, den 7. December. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Ein einfaches Mittel die übersetzten Gewerbe
zu bessern und dem Wohlstande aufzuhelfen.

⁂ Unser Blatt hat vom Anfange an die Gemeindefreiheit
als eine Grundbedingung aller wahren Freiheit und alles Volks-
glückes dargestellt. Damit aber von Gemeindefreiheit die Rede
seyn könne, muß es zuvor eine Gemeinde geben. Was ist aber
eine Gemeinde? Eine Gemeinde ist eine in sich abgeschlossene
Körperschaft selbstständiger Bürger und Familienväter einer
Stadt; — ein Hause zusammengewürfelter Menschen, dem Jeder,
der da will, sich anschließen kann, ist keine Gemeinde. Eine Ge-
meinde ist eine große Familie, in welche ein neues Mitglied nur
mit Einwilligung der Gesammtheit aufgenommen werden kann,
und in je größeren Ehren eine Gemeinde steht, je blühender sie
ist, je mehr Vortheile sie ihren Angehörigen darbietet, ein um so
höheres Gut ist das Bürgerrecht derselben, um so weniger kann
dasselbe an Jeden, der darnach Lust hat, verschleudert werden.
So lange das alte Rom in Ehren und Wohlstand sich befand,
war man höchst sparsam mit Ertheilung des Bürgerrechtes und
der Erste, der das römische Bürgerrecht ganz allgemein machte,
war der Tyrann Caracalla. Seitdem hatte das römische Bürger-
recht keinen Werth mehr. Auch die deutschen und italiänischen
Städte des Mittelalters, in ihrer Jahrhunderte überdauernden
Größe, Herrlichkeit, Freiheit und Wohlfahrt, hielten ihr Bür-
gerrecht heilig und in hohen Ehren, und gerade dadurch bewahr-
ten sie ihre Gesinnung und ihren Wohlstand.

Und wie könnte es anders seyn? Jst eine Stadt, schön und
wohl gelegen, wie unsere Stadt, ist sie gewerbreich und bietet
mannichfaltige Erwerbsquellen dar, so werden, wenn Jeder ohne
Weiteres in ihr das Bürgerrecht erwerben kann, von allen Sei-
ten Leute zusammenströmen, die zu Hause ihr Glück nicht fanden
und es nun hier aufsuchen; und so lange nur irgend noch eine
Hoffnung des Gewinnes ist, so lange noch irgend eine Specula-
tion denkbar, und wäre es die Speculation auf das städtische
Armenhaus oder auf die Unterstützung aus der Armensteuer, wer-
den diese Einwanderungen nicht aufhören. Die Folgen davon
verstehen sich von selbst: maßlose Uebersetzung aller Gewerbe,
Herabdrückung des Arbeitslohnes, um sich greifende Verarmung,
Anhäufung eines unglücklichen und Alles bedrohenden Proleta-
riates, Verderbniß der Sitten, Entartung der Gesinnung. Daher
haben es zu allen Zeiten alle Städte und Gemeinden als das erste
und wesentlichste ihrer Rechte angesehen, Fremde von der Theil-
nahme an den Gemeindevortheilen ausschließen zu können, und
allein frei und unbeschränkt über die Ertheilung des Bürgerrech-
tes zu verfügen. Wahrheiten aber, die seitdem die Welt steht als
unbezweifelte vor dem Richterstuhle des gesunden Menschenver-
standes und der Erfahrung gegolten, haben jetzt auf einmal alle
Geltung verloren!

Der Rheinhessische Bezirksrath hat decretirt, sie
sollen nicht mehr wahr seyn, und die Thore der Stadt für Alle
weit aufgethan, das Mainzer Bürgerrecht wird Jedem zugewor-
fen, Jeder ist willkommen; die Gemeinde hat keine Gewalt mehr
irgend Einem das Bürgerrecht zu verweigern; mag es der Ge-
meinderath thun, der Bezirksrath cassirt sein Urtheil. Will ein
von den Gerichten bereits als Betrüger Verurtheilter in Mainz
sich niederlassen, er komme und melde sich; mag ein Handwerk
noch so übersetzt seyn, aber es wollen zehn Fremde auf einmal als
Meister sich niederlassen, es steht ihnen nichts im Wege; Pfusche-
rei gibt es nicht mehr, jeder fremde Geselle, der mag, erwerbe das
Bürgerrecht und spiele den Meister; geht er auch bald zu Grunde,
[Spaltenumbruch] — die Bürger müssen ihn dann aus ihrem Seckel unterstützen, das
Bürgerhospital ihn aufnehmen.

Die Beschlüsse des Bezirksrathes bezüglich der Bürgerannahme
sind aber nicht blos der Ruin für den städtischen Wohlstand und
für alle Gewerbe, sie enthalten auch die völlige Vernichtung aller
Gemeindeselbstständigkeit. Wenn es angeht, daß Pfälzer Bezirks-
räthe die Entscheidungen des Gemeinderathes über die praktisch
wichtigste und häufigste Angelegenheit, über die Ertheilung des
Bürgerrechtes, ohne weiteres aufheben, dann sind die Rechte und
Befugnisse des Gemeinderathes nichts als ein Spott, er selbst ist
ein Schattenbild. Die Herren Bezirksräthe aus der Pfalz können
allerdings leicht so freigebig seyn mit dem Mainzer Bürgerrechte.
Es kostet sie ja nichts und aus fremdem Leder ist gut Riemen
schneiden. Jhr Gewerbe wird nicht verdorben, wenn die Geschäfte
in Mainz noch so sehr übersetzt werden; sie brauchen in Mainz
keine Armensteuer zu bezahlen; ihr Taglohn wird nicht herab-
gedrückt. Auch die Orte, wo sie her sind, haben im Durchschnitte
von dem Grundsatze der unbeschränkten Ansiedelungsfreiheit nichts
zu fürchten: denn schwerlich werden viele Mainzer Lust haben in
Pfälzer Ortschaften auszuwandern, wohl aber umgekehrt.

Aber wird denn die Mainzer Bürgerschaft sich so ohne weite-
res bei den Grundsätzen des Bezirksrathes beruhigen? — Ohne
Zweifel, wenn sie „auf der Höhe der Zeit“ steht. Alles, was wir
nämlich bisher vorbrachten, sind lauter alte reactionäre Vorur-
theile. Ehemals da hat man geglaubt, daß, wenn in einer Ge-
meinde Jeder ohne Weiteres das Bürgerrecht bekomme, noth-
wendig binnen Kurzem Geschäft und Wohlstand der Bürger
zu Grunde gerichtet werden müsse. Das ist aber vor dem fortge-
schrittenen Zeitbewußtseyn gerade umgekehrt: je mehr ein Ge-
schäft übersetzt wird, um so blühender wird es, je mehr die Lum-
perei um sich greift, um so mehr naht die goldene Zeit heran, so
daß Mainz nunmehr die Hoffnung hat, bald wieder den Namen
„des goldenen“ zu verdienen. Ehemals haben die Bürger der
Städte als das erste ihrer Freiheiten, als ihr Recht und ihre
Ehre es angesehen, ihr Bürgerrecht heilig zu halten, es nicht zu
verschleudern, sondern es nur nach reifem Urtheile an Solche zu
verleihen, die der Gemeinde Ehre und Nutzen bringen. Allein
diese alten Spießbürger haben weder von Freiheit noch von Ehre
etwas verstanden. Die wahre Gemeindefreiheit besteht darin, daß
die Gemeinde über Ertheilung des Bürgerrechtes
ganz und gar nichts zu sagen hat,
und was die Ehre
der Gemeinde betrifft, so muß sie es sich zur Ehre anrechnen,
wenn ein Fremder die Gnade hat, ihr Bürgerrecht nur in An-
spruch zu nehmen. Curios zwar, aber es ist so! Denn die Her-
ren, wollte sagen Bürger Bezirksräthe haben es so beschlossen, —
die Bürger Bezirksräthe sind aber im Durchschnitte ausgemachte
Volksmänner, — und was ein Volksmann sagt, ist wahr und
bedarf keines Beweises. Wer's nicht glaubt, bekommt die Fenster
eingeworfen!



Der neue Kaiser von Oesterreich.

# Mainz 7. December. Plötzlich trifft die Nachricht ein,
daß Kaiser Ferdinand von Oesterreich zu Gunsten seines Neffen,
des achtzehnjährigen Franz Joseph, die Krone niedergelegt
hat; — plötzlich, doch nicht unvermuthet. Oesterreich geht, wenn
nicht alle Zeichen trügen, einer großen Erneuerung entgegen, dieser
Phönix unter den übrigen Reichen der Erde, das so oft es auch
dem unvermeidlichen Untergange nahe schien, stets über Nacht
aus Asche und Trümern auferstanden ist, dieses Habsburg, dessen
Stern seit sechs Jahrhunderten nach jedem Sturme nur um so
glänzender strahlte.

[Ende Spaltensatz]
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Ein einfaches Mittel die übersetzten Gewerbe zu bessern und dem Wohlstande aufzuhelfen. ⁂ Unser Blatt hat vom Anfange an die Gemeindefreiheit als eine Grundbedingung aller wahren Freiheit und alles Volks- glückes dargestellt. Damit aber von Gemeindefreiheit die Rede seyn könne, muß es zuvor eine Gemeinde geben. Was ist aber eine Gemeinde? Eine Gemeinde ist eine in sich abgeschlossene Körperschaft selbstständiger Bürger und Familienväter einer Stadt; — ein Hause zusammengewürfelter Menschen, dem Jeder, der da will, sich anschließen kann, ist keine Gemeinde. Eine Ge- meinde ist eine große Familie, in welche ein neues Mitglied nur mit Einwilligung der Gesammtheit aufgenommen werden kann, und in je größeren Ehren eine Gemeinde steht, je blühender sie ist, je mehr Vortheile sie ihren Angehörigen darbietet, ein um so höheres Gut ist das Bürgerrecht derselben, um so weniger kann dasselbe an Jeden, der darnach Lust hat, verschleudert werden. So lange das alte Rom in Ehren und Wohlstand sich befand, war man höchst sparsam mit Ertheilung des Bürgerrechtes und der Erste, der das römische Bürgerrecht ganz allgemein machte, war der Tyrann Caracalla. Seitdem hatte das römische Bürger- recht keinen Werth mehr. Auch die deutschen und italiänischen Städte des Mittelalters, in ihrer Jahrhunderte überdauernden Größe, Herrlichkeit, Freiheit und Wohlfahrt, hielten ihr Bür- gerrecht heilig und in hohen Ehren, und gerade dadurch bewahr- ten sie ihre Gesinnung und ihren Wohlstand. Und wie könnte es anders seyn? Jst eine Stadt, schön und wohl gelegen, wie unsere Stadt, ist sie gewerbreich und bietet mannichfaltige Erwerbsquellen dar, so werden, wenn Jeder ohne Weiteres in ihr das Bürgerrecht erwerben kann, von allen Sei- ten Leute zusammenströmen, die zu Hause ihr Glück nicht fanden und es nun hier aufsuchen; und so lange nur irgend noch eine Hoffnung des Gewinnes ist, so lange noch irgend eine Specula- tion denkbar, und wäre es die Speculation auf das städtische Armenhaus oder auf die Unterstützung aus der Armensteuer, wer- den diese Einwanderungen nicht aufhören. Die Folgen davon verstehen sich von selbst: maßlose Uebersetzung aller Gewerbe, Herabdrückung des Arbeitslohnes, um sich greifende Verarmung, Anhäufung eines unglücklichen und Alles bedrohenden Proleta- riates, Verderbniß der Sitten, Entartung der Gesinnung. Daher haben es zu allen Zeiten alle Städte und Gemeinden als das erste und wesentlichste ihrer Rechte angesehen, Fremde von der Theil- nahme an den Gemeindevortheilen ausschließen zu können, und allein frei und unbeschränkt über die Ertheilung des Bürgerrech- tes zu verfügen. Wahrheiten aber, die seitdem die Welt steht als unbezweifelte vor dem Richterstuhle des gesunden Menschenver- standes und der Erfahrung gegolten, haben jetzt auf einmal alle Geltung verloren! Der Rheinhessische Bezirksrath hat decretirt, sie sollen nicht mehr wahr seyn, und die Thore der Stadt für Alle weit aufgethan, das Mainzer Bürgerrecht wird Jedem zugewor- fen, Jeder ist willkommen; die Gemeinde hat keine Gewalt mehr irgend Einem das Bürgerrecht zu verweigern; mag es der Ge- meinderath thun, der Bezirksrath cassirt sein Urtheil. Will ein von den Gerichten bereits als Betrüger Verurtheilter in Mainz sich niederlassen, er komme und melde sich; mag ein Handwerk noch so übersetzt seyn, aber es wollen zehn Fremde auf einmal als Meister sich niederlassen, es steht ihnen nichts im Wege; Pfusche- rei gibt es nicht mehr, jeder fremde Geselle, der mag, erwerbe das Bürgerrecht und spiele den Meister; geht er auch bald zu Grunde, — die Bürger müssen ihn dann aus ihrem Seckel unterstützen, das Bürgerhospital ihn aufnehmen. Die Beschlüsse des Bezirksrathes bezüglich der Bürgerannahme sind aber nicht blos der Ruin für den städtischen Wohlstand und für alle Gewerbe, sie enthalten auch die völlige Vernichtung aller Gemeindeselbstständigkeit. Wenn es angeht, daß Pfälzer Bezirks- räthe die Entscheidungen des Gemeinderathes über die praktisch wichtigste und häufigste Angelegenheit, über die Ertheilung des Bürgerrechtes, ohne weiteres aufheben, dann sind die Rechte und Befugnisse des Gemeinderathes nichts als ein Spott, er selbst ist ein Schattenbild. Die Herren Bezirksräthe aus der Pfalz können allerdings leicht so freigebig seyn mit dem Mainzer Bürgerrechte. Es kostet sie ja nichts und aus fremdem Leder ist gut Riemen schneiden. Jhr Gewerbe wird nicht verdorben, wenn die Geschäfte in Mainz noch so sehr übersetzt werden; sie brauchen in Mainz keine Armensteuer zu bezahlen; ihr Taglohn wird nicht herab- gedrückt. Auch die Orte, wo sie her sind, haben im Durchschnitte von dem Grundsatze der unbeschränkten Ansiedelungsfreiheit nichts zu fürchten: denn schwerlich werden viele Mainzer Lust haben in Pfälzer Ortschaften auszuwandern, wohl aber umgekehrt. Aber wird denn die Mainzer Bürgerschaft sich so ohne weite- res bei den Grundsätzen des Bezirksrathes beruhigen? — Ohne Zweifel, wenn sie „auf der Höhe der Zeit“ steht. Alles, was wir nämlich bisher vorbrachten, sind lauter alte reactionäre Vorur- theile. Ehemals da hat man geglaubt, daß, wenn in einer Ge- meinde Jeder ohne Weiteres das Bürgerrecht bekomme, noth- wendig binnen Kurzem Geschäft und Wohlstand der Bürger zu Grunde gerichtet werden müsse. Das ist aber vor dem fortge- schrittenen Zeitbewußtseyn gerade umgekehrt: je mehr ein Ge- schäft übersetzt wird, um so blühender wird es, je mehr die Lum- perei um sich greift, um so mehr naht die goldene Zeit heran, so daß Mainz nunmehr die Hoffnung hat, bald wieder den Namen „des goldenen“ zu verdienen. Ehemals haben die Bürger der Städte als das erste ihrer Freiheiten, als ihr Recht und ihre Ehre es angesehen, ihr Bürgerrecht heilig zu halten, es nicht zu verschleudern, sondern es nur nach reifem Urtheile an Solche zu verleihen, die der Gemeinde Ehre und Nutzen bringen. Allein diese alten Spießbürger haben weder von Freiheit noch von Ehre etwas verstanden. Die wahre Gemeindefreiheit besteht darin, daß die Gemeinde über Ertheilung des Bürgerrechtes ganz und gar nichts zu sagen hat, und was die Ehre der Gemeinde betrifft, so muß sie es sich zur Ehre anrechnen, wenn ein Fremder die Gnade hat, ihr Bürgerrecht nur in An- spruch zu nehmen. Curios zwar, aber es ist so! Denn die Her- ren, wollte sagen Bürger Bezirksräthe haben es so beschlossen, — die Bürger Bezirksräthe sind aber im Durchschnitte ausgemachte Volksmänner, — und was ein Volksmann sagt, ist wahr und bedarf keines Beweises. Wer's nicht glaubt, bekommt die Fenster eingeworfen! Der neue Kaiser von Oesterreich. # Mainz 7. December. Plötzlich trifft die Nachricht ein, daß Kaiser Ferdinand von Oesterreich zu Gunsten seines Neffen, des achtzehnjährigen Franz Joseph, die Krone niedergelegt hat; — plötzlich, doch nicht unvermuthet. Oesterreich geht, wenn nicht alle Zeichen trügen, einer großen Erneuerung entgegen, dieser Phönix unter den übrigen Reichen der Erde, das so oft es auch dem unvermeidlichen Untergange nahe schien, stets über Nacht aus Asche und Trümern auferstanden ist, dieses Habsburg, dessen Stern seit sechs Jahrhunderten nach jedem Sturme nur um so glänzender strahlte.

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 158. Mainz, 7. Dezember 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal158_1848/1>, abgerufen am 16.10.2024.