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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 44. Stuttgart/Tübingen, 2. November 1856.

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[Beginn Spaltensatz] keuchend und rathlos vor seiner Wohnung dem nörd-
lichen Portal gegenüber in dem Augenblick an, in wel-
chem die beiden Freunde sich daselbst einfanden.

An sich war die Gegenwart von zwei jungen Leuten
an diesem Ort und zu solcher Stunde nichts besonders
Auffallendes, allein sowohl die höhere Vorsicht, als
auch ein instinktiver Rettungstrieb, welcher den Ertrin-
kenden nach dem Strohhalm greifen läßt, das heißt
dem Küster die Hoffnung einer Ausrede vor seiner Frau
bot, bewogen den Heimkehrenden, sich lauschend hinter
den Vorsprung des nächsten Pfeilers zu drücken. Schnecke
war an sich kein böser Mensch und in seinem Amte
nachlässig genug, um, wenn es vor zehn Uhr gewesen
wäre, einen zufällig entdeckten Anschlag gegen das ihm
anvertraute Gut zu ignoriren und sich ruhig zu Bette
zu legen, allein die schlimmeren Gemüthseigenschaften
seiner Frau hatten auch ihn im Laufe der Zeit eine ge-
wisse Schärfe und Tücke gegen die Außenwelt annehmen
lassen, zumal da ihm dieselben mitunter als Blitzab-
leiter gegen die inneren Gewitter seines Haushaltes
dienten. Ein solcher Fall trat hier ein, und als er
nun, um die Ecke seines Pfeilers spähend, jene beiden
an der Kirche emporsteigen und durch das Luftloch ver-
schwinden sah, war sein erster Gedanke der einer aus-
reichenden Rettung vor dem heutigen Zorn seiner Gattin.
Er eilte also mit schnellem Schritt nach seiner Behau-
sung hinüber.

Thür und Fenster waren fest verschlossen und kein
heilverkündender Lichtstrahl brach durch die Läden. Der
Küster, unter dessen wenigen Lebensidealen das my-
stische Bild eines Hausschlüssels in erster Reihe, aber
immer in unerreichbarer Ferne geschwebt hatte, sah sich
in die Nothwendigkeit versetzt, zu klopfen. Dieß ereig-
nete sich öfter und dann fing er immer sehr sachte an,
so leise und bescheiden, daß er es selbst kaum hörte,
dann lauter und immer lauter, bis endlich, je nach
den Dispositionen seiner Dame, der Einlaß früher oder
später erfolgte. Heute aber durfte er ein entschiedeneres
Auftreten wagen, und so polterte er denn sogleich mit
Händen und Füßen mächtig wider die Thüre, während
zugleich seine Stimme mit dem Namen seines häuslichen
Glücks erschallte. Diese Taktik blieb nicht ohne Erfolg,
denn überrascht und gereizt durch solche Kühnheit, er-
schien alsbald an einem oberen Fenster die Hausfrau,
in ernstes, strenges, mehr in Längen= und Kartenbil-
dung, als in Dicke und Rundung gerathenes Bild, ein
gelbes Flanelltuch turbanartig um das Haupt gewunden.

Wir ersparen unsern Lesern die lange Straf= und
Drohrede, welche die zartbesaitete Seele der Frau Sarah
in solcher Abendstunde und unter den vorliegenden Um-
ständen ausströmen mochte. Sie hatte eine gute Weile
[Spaltenumbruch] gewährt, bis sich der Küster im Gefühl seiner Pflicht
zu einer Unterbrechung ermannte.

"Wenn Frau Schnecke es für gut befindet," rief
er, "bis nach Mitternacht in diesem Texte fortzufahren,
so wird sie die Verantwortlichkeit für den Vorfall zu
tragen haben, welchen mein rechtzeitiges Nachhausekom-
men verhindert hat." -- "Man kennt diese Vorfälle,"
schallte es von oben, "welche sich im Bierhause ereig-
nen, wenn man sich nicht von der Gewohnheit los-
machen kann, gutes Geld für Nichtswürdigkeiten zu
verthun!" -- "Und wird Frau Sarah," fuhr Schnecke
fort, "die gewünschte Aussicht auf eine Verbesserung der
Küsterstelle in den Wind geschlagen haben, indem sie
in diesem Augenblick die Verhinderung eines Verbrechens
verhindert."

Verbrechen ist ein magisches Wort, um auf die
Neugier des menschlichen, namentlich des weiblichen
Gemüths zu wirken.

"Verbrechen?" rief Sarah. "Wo? wie?" -- "Jn
der Kirche!" -- "Jn unserer Kirche?" -- "Jn un-
serer
Kirche!"

Jm Nu war Frau Schnecke von dem Fenster ver-
schwunden, man hörte eilige Schritte auf der Treppe,
dann drehte sich ein Schlüssel in der Hausthür, welche
sich knarrend öffnete. Einen gewichtigen Schürhaken
in der knochigten Rechten trat Sarah heraus. Schnecke
machte einen kurzen Bericht über das, was er gesehen,
und vergaß nicht hinzuzufügen, daß er schon ein Viertel
vor zehn Uhr das Treiben der beiden jungen Bösewichter
zu beobachten begonnen habe. Ohne auf diese letzte Be-
merkung zu achten, verkündete Sarah durch Annahme
einer gebietenden Miene, daß mit Kenntnißnahme der
Thatsachen die Leitung dieser Angelegenheit in ihre
Hände übergegangen war.

"Also zwei junge Bursche waren's?" fragte sie. --
"Jung und schlank. Und wenn ich nicht irre, sah der
eine dem Neffen meines Vorgängers im Amt nicht un-
ähnlich." -- "Ach! die junge Schlange aus der alten
Brut! Den hab' ich schon oft verdächtiger Weise um
die Kirche herumstreichen sehen. Elias, wir können in
dieser Sache nicht allein handeln; du gehst hinüber,
berichtest seiner Ehrwürden, was geschehen ist, und ver-
nimmst seinen Willen. Unser hoher Patron wird hof-
fentlich in Person erscheinen, um sich von dem Eifer
und der Treue seiner Diener zu überzeugen. Verstehst
du?" -- "Vollkommen!" -- "Jch hole einstweilen die
beiden handfesten Thurmwächter ab, um mit ihnen die
Bursche abzufangen. Fort!"

Elias enteilte in der angedeuteten Richtung, die
Amazone aber versah sich mit einer Laterne, ging dann
nach der Thurmpforte, klopfte und machte, auf eine
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] keuchend und rathlos vor seiner Wohnung dem nörd-
lichen Portal gegenüber in dem Augenblick an, in wel-
chem die beiden Freunde sich daselbst einfanden.

An sich war die Gegenwart von zwei jungen Leuten
an diesem Ort und zu solcher Stunde nichts besonders
Auffallendes, allein sowohl die höhere Vorsicht, als
auch ein instinktiver Rettungstrieb, welcher den Ertrin-
kenden nach dem Strohhalm greifen läßt, das heißt
dem Küster die Hoffnung einer Ausrede vor seiner Frau
bot, bewogen den Heimkehrenden, sich lauschend hinter
den Vorsprung des nächsten Pfeilers zu drücken. Schnecke
war an sich kein böser Mensch und in seinem Amte
nachlässig genug, um, wenn es vor zehn Uhr gewesen
wäre, einen zufällig entdeckten Anschlag gegen das ihm
anvertraute Gut zu ignoriren und sich ruhig zu Bette
zu legen, allein die schlimmeren Gemüthseigenschaften
seiner Frau hatten auch ihn im Laufe der Zeit eine ge-
wisse Schärfe und Tücke gegen die Außenwelt annehmen
lassen, zumal da ihm dieselben mitunter als Blitzab-
leiter gegen die inneren Gewitter seines Haushaltes
dienten. Ein solcher Fall trat hier ein, und als er
nun, um die Ecke seines Pfeilers spähend, jene beiden
an der Kirche emporsteigen und durch das Luftloch ver-
schwinden sah, war sein erster Gedanke der einer aus-
reichenden Rettung vor dem heutigen Zorn seiner Gattin.
Er eilte also mit schnellem Schritt nach seiner Behau-
sung hinüber.

Thür und Fenster waren fest verschlossen und kein
heilverkündender Lichtstrahl brach durch die Läden. Der
Küster, unter dessen wenigen Lebensidealen das my-
stische Bild eines Hausschlüssels in erster Reihe, aber
immer in unerreichbarer Ferne geschwebt hatte, sah sich
in die Nothwendigkeit versetzt, zu klopfen. Dieß ereig-
nete sich öfter und dann fing er immer sehr sachte an,
so leise und bescheiden, daß er es selbst kaum hörte,
dann lauter und immer lauter, bis endlich, je nach
den Dispositionen seiner Dame, der Einlaß früher oder
später erfolgte. Heute aber durfte er ein entschiedeneres
Auftreten wagen, und so polterte er denn sogleich mit
Händen und Füßen mächtig wider die Thüre, während
zugleich seine Stimme mit dem Namen seines häuslichen
Glücks erschallte. Diese Taktik blieb nicht ohne Erfolg,
denn überrascht und gereizt durch solche Kühnheit, er-
schien alsbald an einem oberen Fenster die Hausfrau,
in ernstes, strenges, mehr in Längen= und Kartenbil-
dung, als in Dicke und Rundung gerathenes Bild, ein
gelbes Flanelltuch turbanartig um das Haupt gewunden.

Wir ersparen unsern Lesern die lange Straf= und
Drohrede, welche die zartbesaitete Seele der Frau Sarah
in solcher Abendstunde und unter den vorliegenden Um-
ständen ausströmen mochte. Sie hatte eine gute Weile
[Spaltenumbruch] gewährt, bis sich der Küster im Gefühl seiner Pflicht
zu einer Unterbrechung ermannte.

„Wenn Frau Schnecke es für gut befindet,“ rief
er, „bis nach Mitternacht in diesem Texte fortzufahren,
so wird sie die Verantwortlichkeit für den Vorfall zu
tragen haben, welchen mein rechtzeitiges Nachhausekom-
men verhindert hat.“ — „Man kennt diese Vorfälle,“
schallte es von oben, „welche sich im Bierhause ereig-
nen, wenn man sich nicht von der Gewohnheit los-
machen kann, gutes Geld für Nichtswürdigkeiten zu
verthun!“ — „Und wird Frau Sarah,“ fuhr Schnecke
fort, „die gewünschte Aussicht auf eine Verbesserung der
Küsterstelle in den Wind geschlagen haben, indem sie
in diesem Augenblick die Verhinderung eines Verbrechens
verhindert.“

Verbrechen ist ein magisches Wort, um auf die
Neugier des menschlichen, namentlich des weiblichen
Gemüths zu wirken.

„Verbrechen?“ rief Sarah. „Wo? wie?“ — „Jn
der Kirche!“ — „Jn unserer Kirche?“ — „Jn un-
serer
Kirche!“

Jm Nu war Frau Schnecke von dem Fenster ver-
schwunden, man hörte eilige Schritte auf der Treppe,
dann drehte sich ein Schlüssel in der Hausthür, welche
sich knarrend öffnete. Einen gewichtigen Schürhaken
in der knochigten Rechten trat Sarah heraus. Schnecke
machte einen kurzen Bericht über das, was er gesehen,
und vergaß nicht hinzuzufügen, daß er schon ein Viertel
vor zehn Uhr das Treiben der beiden jungen Bösewichter
zu beobachten begonnen habe. Ohne auf diese letzte Be-
merkung zu achten, verkündete Sarah durch Annahme
einer gebietenden Miene, daß mit Kenntnißnahme der
Thatsachen die Leitung dieser Angelegenheit in ihre
Hände übergegangen war.

„Also zwei junge Bursche waren's?“ fragte sie. —
„Jung und schlank. Und wenn ich nicht irre, sah der
eine dem Neffen meines Vorgängers im Amt nicht un-
ähnlich.“ — „Ach! die junge Schlange aus der alten
Brut! Den hab' ich schon oft verdächtiger Weise um
die Kirche herumstreichen sehen. Elias, wir können in
dieser Sache nicht allein handeln; du gehst hinüber,
berichtest seiner Ehrwürden, was geschehen ist, und ver-
nimmst seinen Willen. Unser hoher Patron wird hof-
fentlich in Person erscheinen, um sich von dem Eifer
und der Treue seiner Diener zu überzeugen. Verstehst
du?“ — „Vollkommen!“ — „Jch hole einstweilen die
beiden handfesten Thurmwächter ab, um mit ihnen die
Bursche abzufangen. Fort!“

Elias enteilte in der angedeuteten Richtung, die
Amazone aber versah sich mit einer Laterne, ging dann
nach der Thurmpforte, klopfte und machte, auf eine
[Ende Spaltensatz]

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Der Küster, unter dessen wenigen Lebensidealen das my- stische Bild eines Hausschlüssels in erster Reihe, aber immer in unerreichbarer Ferne geschwebt hatte, sah sich in die Nothwendigkeit versetzt, zu klopfen. Dieß ereig- nete sich öfter und dann fing er immer sehr sachte an, so leise und bescheiden, daß er es selbst kaum hörte, dann lauter und immer lauter, bis endlich, je nach den Dispositionen seiner Dame, der Einlaß früher oder später erfolgte. Heute aber durfte er ein entschiedeneres Auftreten wagen, und so polterte er denn sogleich mit Händen und Füßen mächtig wider die Thüre, während zugleich seine Stimme mit dem Namen seines häuslichen Glücks erschallte. Diese Taktik blieb nicht ohne Erfolg, denn überrascht und gereizt durch solche Kühnheit, er- schien alsbald an einem oberen Fenster die Hausfrau, in ernstes, strenges, mehr in Längen= und Kartenbil- dung, als in Dicke und Rundung gerathenes Bild, ein gelbes Flanelltuch turbanartig um das Haupt gewunden. 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Unser hoher Patron wird hof- fentlich in Person erscheinen, um sich von dem Eifer und der Treue seiner Diener zu überzeugen. Verstehst du?“ — „Vollkommen!“ — „Jch hole einstweilen die beiden handfesten Thurmwächter ab, um mit ihnen die Bursche abzufangen. Fort!“ Elias enteilte in der angedeuteten Richtung, die Amazone aber versah sich mit einer Laterne, ging dann nach der Thurmpforte, klopfte und machte, auf eine

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 44. Stuttgart/Tübingen, 2. November 1856, S. 1034. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt44_1856/2>, abgerufen am 29.05.2024.