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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 47. Stuttgart/Tübingen, 23. November 1856.

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[Beginn Spaltensatz] auf schweizerischen Ausstellungen mehr Bilder zu sehen
bekommen, die jetzt noch im Ausland hauptsächlich ihr
Glück versuchen. Erwähnen müssen wir noch, daß auf die
eidgenössische unmittelbar eine Genfer Ausstellung folgte,
wo man sich dann ganz wieder "unter uns" befand.

Gegenwärtig herrscht ziemliche Stille im geselligen
Leben unserer Stadt. Die reiche Aristokratie befindet sich
noch auf ihren "Campagnen," wo sie theils das schöne
Herbstwetter, theils das ländliche Vergnügen der Wein-
lese noch festhält. Unsere Aristokratie hat überhaupt die
englische Sitte angenommen, ihre Villeggiatur bis gegen
Weihnachten auszudehnen. Man prophezeit einen milden
und kurzen Winter, und es wäre sehr zu wünschen, daß
diese Vorhersagung in Erfüllung ginge, damit der Leman
einmal wieder seinen alten Ruf eines milden Klimas be-
haupte, der in den letzten Jahren sehr erschüttert wurde.
Die Weinernte fällt sowohl hier wie im Waadtlande sehr
reichlich aus, was indessen auf die Weinpreise nur einen
geringen Einfluß äußern zu wollen scheint, da in unsern
Gegenden die Vorräthe der letzten Jahre fast erschöpft sind.

Die Zahl der Fremden wird diesen Winter am Genfer
See ungewöhnlich groß seyn. Die Gasthöfe und Pensio-
nen in Vevey, Clarens, Montreux, Veytaux u. s. w. sind
schon jetzt fast überfüllt, und auch in Genf selbst ist eine
große Anzahl Wohnungen für Fremde theils bestellt,
theils schon bezogen. Besonders hat Amerika ein starkes
Contingent an Wintergästen gestellt. Viele unserer großen
Gasthöfe haben sich jetzt für die Wintersaison gleichfalls
in "Pensionen" mit festen Preisen für Wohnung und Kost
verwandelt und scheinen sich gut dabei zu stehen.

Eine Erscheinung, die bereits seit einigen Jahren
vielen Anstoß erregte, fehlt auch heuer nicht: die Ueber-
handnahme der Verbrechen gegen das Eigenthum zur
Herbst= und Winterzeit. Einbrüche, theils in der nächsten
Umgebung, theils in der Stadt selbst, wiederholen sich
fast allnächtlich, ohne daß es den Sicherheitsbehörden ge-
[Spaltenumbruch] lingen will, diesem Unwesen zu steuern. Noch in einer
der letzten Nächte wurde in ein großes Modewaarenmagazin
in der Rue du Rh o ne, einer der belebtesten Straßen auch
zur Nachtzeit, eingebrochen. Die Diebe schleppten, da sie
kein Geld fanden, kostbare Waaren mit sich fort. Nicht
minder schwunghaft wird die höhere Gaunerei betrieben,
und in der That in einer Weise, welche Paris, London
und Berlin Ehre machen würde. So gesellen sich kürzlich
zu einem savoyischen Bauer, der für neunhundert Franken
Getreide auf hiesigem Markt verkauft hat, zwei anständig
gekleidete Männer. Man spricht über Getreidepreise, gün-
stigen Markt u. s. w. und ladet endlich den Bauer ein, in
einem Cabaret der Vorstadt Servette ein Glas Wein zu
trinken. Der Bauer, über seinen günstigen Handel in
heiterster Simmung, folgt arglos der Einladung. Man
trinkt eine Flasche nach der andern; endlich entfernen sich
die beiden Fremden unter irgend einem Vorwand, und der
etwas angetrunkene Bauer bemerkt mit Schrecken zu spät,
daß mit den beiden zuvorkommenden Herren auch seine
neunhundert Franken verschwunden sind. Die Gauner sind
nicht entdeckt. Ein wahres Nonplusultra von Frechheit
aber ist ein Frauenzimmer, welches in anständiger Klei-
dung am hellen Tage bald in dieses, bald jenes Landhaus
unter beliebigen, natürlich stets sehr bündigen Vorwänden
dringt, und es besonders versteht, Silbersachen aus den
Speisesälen dieser Landhäuser verschwinden zu lassen. Alle
unsere Blätter haben dieses Frauenzimmer signalisirt, aber
bis heute befindet sie sich noch auf freien Füßen. Man
entschuldigt sich damit, daß die Nähe der savoyischen und
französischen Grenze, die fast vor unsern Thoren liegt,
eine Verfolgung der Verbrecher sehr schwierig mache. Das
mag seine Richtigkeit haben; doch ist es fast unmöglich,
daß dieses Unwesen eine Ausdehnung wie die gegenwärtige
erreichen konnte, wenn die Diebe und Gauner nicht in
Genf selbst Vorschub und Hehler finden.

[Ende Spaltensatz]



Mannheim, Oktober.

Empfang der Großherzogin Louise. -- Kunstausstellung. -- Selbstmord.

[Beginn Spaltensatz]

Nicht ohne einiges Erstaunen habe ich gelesen, daß ich
wegen einer gelegentlichen Aeußerung über die Dichtungen
unseres Mitbürgers Peter Kraus und die hiesige Poeterei
überhaupt in die Klasse der ordinärsten Korrespondenzler
gereiht werden sollte, vor denen sich eine Redaktion, die
auf Ehre hält, gewissermaßen in Acht nehmen müsse.
Deßungeachtet wage ich es wieder Jhnen zu schreiben,
vertrauend darauf, daß Sie recht gut wissen, mit wem
Sie es zu thun haben, und mich sicherlich nicht zu den
[Spaltenumbruch] leichtfertigen Korrespondenzmachern zählen, wenn ich auch
nicht wußte, wo Peter Kraus geboren und in die Schule
gegangen. Auch mag Sie das homerische Gelächter, von
dem mein zurechtweisender Widerredner spricht, nicht eben
irre an mir machen. Er mag ein besserer Lokalpatriot seyn
als ich und manche Dinge durch andere Gläser sehen; aber
was ich eben weiß und kenne, vielleicht besser als er, soll
er mir nicht wegstreiten wollen. Daß ich es, nebenbei ge-
sagt, mit Mannheim und den Mannheimern nicht weniger
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] auf schweizerischen Ausstellungen mehr Bilder zu sehen
bekommen, die jetzt noch im Ausland hauptsächlich ihr
Glück versuchen. Erwähnen müssen wir noch, daß auf die
eidgenössische unmittelbar eine Genfer Ausstellung folgte,
wo man sich dann ganz wieder „unter uns“ befand.

Gegenwärtig herrscht ziemliche Stille im geselligen
Leben unserer Stadt. Die reiche Aristokratie befindet sich
noch auf ihren „Campagnen,“ wo sie theils das schöne
Herbstwetter, theils das ländliche Vergnügen der Wein-
lese noch festhält. Unsere Aristokratie hat überhaupt die
englische Sitte angenommen, ihre Villeggiatur bis gegen
Weihnachten auszudehnen. Man prophezeit einen milden
und kurzen Winter, und es wäre sehr zu wünschen, daß
diese Vorhersagung in Erfüllung ginge, damit der Leman
einmal wieder seinen alten Ruf eines milden Klimas be-
haupte, der in den letzten Jahren sehr erschüttert wurde.
Die Weinernte fällt sowohl hier wie im Waadtlande sehr
reichlich aus, was indessen auf die Weinpreise nur einen
geringen Einfluß äußern zu wollen scheint, da in unsern
Gegenden die Vorräthe der letzten Jahre fast erschöpft sind.

Die Zahl der Fremden wird diesen Winter am Genfer
See ungewöhnlich groß seyn. Die Gasthöfe und Pensio-
nen in Vevey, Clarens, Montreux, Veytaux u. s. w. sind
schon jetzt fast überfüllt, und auch in Genf selbst ist eine
große Anzahl Wohnungen für Fremde theils bestellt,
theils schon bezogen. Besonders hat Amerika ein starkes
Contingent an Wintergästen gestellt. Viele unserer großen
Gasthöfe haben sich jetzt für die Wintersaison gleichfalls
in „Pensionen“ mit festen Preisen für Wohnung und Kost
verwandelt und scheinen sich gut dabei zu stehen.

Eine Erscheinung, die bereits seit einigen Jahren
vielen Anstoß erregte, fehlt auch heuer nicht: die Ueber-
handnahme der Verbrechen gegen das Eigenthum zur
Herbst= und Winterzeit. Einbrüche, theils in der nächsten
Umgebung, theils in der Stadt selbst, wiederholen sich
fast allnächtlich, ohne daß es den Sicherheitsbehörden ge-
[Spaltenumbruch] lingen will, diesem Unwesen zu steuern. Noch in einer
der letzten Nächte wurde in ein großes Modewaarenmagazin
in der Rue du Rh ô ne, einer der belebtesten Straßen auch
zur Nachtzeit, eingebrochen. Die Diebe schleppten, da sie
kein Geld fanden, kostbare Waaren mit sich fort. Nicht
minder schwunghaft wird die höhere Gaunerei betrieben,
und in der That in einer Weise, welche Paris, London
und Berlin Ehre machen würde. So gesellen sich kürzlich
zu einem savoyischen Bauer, der für neunhundert Franken
Getreide auf hiesigem Markt verkauft hat, zwei anständig
gekleidete Männer. Man spricht über Getreidepreise, gün-
stigen Markt u. s. w. und ladet endlich den Bauer ein, in
einem Cabaret der Vorstadt Servette ein Glas Wein zu
trinken. Der Bauer, über seinen günstigen Handel in
heiterster Simmung, folgt arglos der Einladung. Man
trinkt eine Flasche nach der andern; endlich entfernen sich
die beiden Fremden unter irgend einem Vorwand, und der
etwas angetrunkene Bauer bemerkt mit Schrecken zu spät,
daß mit den beiden zuvorkommenden Herren auch seine
neunhundert Franken verschwunden sind. Die Gauner sind
nicht entdeckt. Ein wahres Nonplusultra von Frechheit
aber ist ein Frauenzimmer, welches in anständiger Klei-
dung am hellen Tage bald in dieses, bald jenes Landhaus
unter beliebigen, natürlich stets sehr bündigen Vorwänden
dringt, und es besonders versteht, Silbersachen aus den
Speisesälen dieser Landhäuser verschwinden zu lassen. Alle
unsere Blätter haben dieses Frauenzimmer signalisirt, aber
bis heute befindet sie sich noch auf freien Füßen. Man
entschuldigt sich damit, daß die Nähe der savoyischen und
französischen Grenze, die fast vor unsern Thoren liegt,
eine Verfolgung der Verbrecher sehr schwierig mache. Das
mag seine Richtigkeit haben; doch ist es fast unmöglich,
daß dieses Unwesen eine Ausdehnung wie die gegenwärtige
erreichen konnte, wenn die Diebe und Gauner nicht in
Genf selbst Vorschub und Hehler finden.

[Ende Spaltensatz]



Mannheim, Oktober.

Empfang der Großherzogin Louise. — Kunstausstellung. — Selbstmord.

[Beginn Spaltensatz]

Nicht ohne einiges Erstaunen habe ich gelesen, daß ich
wegen einer gelegentlichen Aeußerung über die Dichtungen
unseres Mitbürgers Peter Kraus und die hiesige Poeterei
überhaupt in die Klasse der ordinärsten Korrespondenzler
gereiht werden sollte, vor denen sich eine Redaktion, die
auf Ehre hält, gewissermaßen in Acht nehmen müsse.
Deßungeachtet wage ich es wieder Jhnen zu schreiben,
vertrauend darauf, daß Sie recht gut wissen, mit wem
Sie es zu thun haben, und mich sicherlich nicht zu den
[Spaltenumbruch] leichtfertigen Korrespondenzmachern zählen, wenn ich auch
nicht wußte, wo Peter Kraus geboren und in die Schule
gegangen. Auch mag Sie das homerische Gelächter, von
dem mein zurechtweisender Widerredner spricht, nicht eben
irre an mir machen. Er mag ein besserer Lokalpatriot seyn
als ich und manche Dinge durch andere Gläser sehen; aber
was ich eben weiß und kenne, vielleicht besser als er, soll
er mir nicht wegstreiten wollen. Daß ich es, nebenbei ge-
sagt, mit Mannheim und den Mannheimern nicht weniger
[Ende Spaltensatz]

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[1126/0022] 1126 auf schweizerischen Ausstellungen mehr Bilder zu sehen bekommen, die jetzt noch im Ausland hauptsächlich ihr Glück versuchen. Erwähnen müssen wir noch, daß auf die eidgenössische unmittelbar eine Genfer Ausstellung folgte, wo man sich dann ganz wieder „unter uns“ befand. Gegenwärtig herrscht ziemliche Stille im geselligen Leben unserer Stadt. Die reiche Aristokratie befindet sich noch auf ihren „Campagnen,“ wo sie theils das schöne Herbstwetter, theils das ländliche Vergnügen der Wein- lese noch festhält. Unsere Aristokratie hat überhaupt die englische Sitte angenommen, ihre Villeggiatur bis gegen Weihnachten auszudehnen. Man prophezeit einen milden und kurzen Winter, und es wäre sehr zu wünschen, daß diese Vorhersagung in Erfüllung ginge, damit der Leman einmal wieder seinen alten Ruf eines milden Klimas be- haupte, der in den letzten Jahren sehr erschüttert wurde. 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Einbrüche, theils in der nächsten Umgebung, theils in der Stadt selbst, wiederholen sich fast allnächtlich, ohne daß es den Sicherheitsbehörden ge- lingen will, diesem Unwesen zu steuern. Noch in einer der letzten Nächte wurde in ein großes Modewaarenmagazin in der Rue du Rh ô ne, einer der belebtesten Straßen auch zur Nachtzeit, eingebrochen. Die Diebe schleppten, da sie kein Geld fanden, kostbare Waaren mit sich fort. Nicht minder schwunghaft wird die höhere Gaunerei betrieben, und in der That in einer Weise, welche Paris, London und Berlin Ehre machen würde. So gesellen sich kürzlich zu einem savoyischen Bauer, der für neunhundert Franken Getreide auf hiesigem Markt verkauft hat, zwei anständig gekleidete Männer. Man spricht über Getreidepreise, gün- stigen Markt u. s. w. und ladet endlich den Bauer ein, in einem Cabaret der Vorstadt Servette ein Glas Wein zu trinken. Der Bauer, über seinen günstigen Handel in heiterster Simmung, folgt arglos der Einladung. Man trinkt eine Flasche nach der andern; endlich entfernen sich die beiden Fremden unter irgend einem Vorwand, und der etwas angetrunkene Bauer bemerkt mit Schrecken zu spät, daß mit den beiden zuvorkommenden Herren auch seine neunhundert Franken verschwunden sind. Die Gauner sind nicht entdeckt. Ein wahres Nonplusultra von Frechheit aber ist ein Frauenzimmer, welches in anständiger Klei- dung am hellen Tage bald in dieses, bald jenes Landhaus unter beliebigen, natürlich stets sehr bündigen Vorwänden dringt, und es besonders versteht, Silbersachen aus den Speisesälen dieser Landhäuser verschwinden zu lassen. Alle unsere Blätter haben dieses Frauenzimmer signalisirt, aber bis heute befindet sie sich noch auf freien Füßen. Man entschuldigt sich damit, daß die Nähe der savoyischen und französischen Grenze, die fast vor unsern Thoren liegt, eine Verfolgung der Verbrecher sehr schwierig mache. Das mag seine Richtigkeit haben; doch ist es fast unmöglich, daß dieses Unwesen eine Ausdehnung wie die gegenwärtige erreichen konnte, wenn die Diebe und Gauner nicht in Genf selbst Vorschub und Hehler finden. Mannheim, Oktober. Empfang der Großherzogin Louise. — Kunstausstellung. — Selbstmord. Nicht ohne einiges Erstaunen habe ich gelesen, daß ich wegen einer gelegentlichen Aeußerung über die Dichtungen unseres Mitbürgers Peter Kraus und die hiesige Poeterei überhaupt in die Klasse der ordinärsten Korrespondenzler gereiht werden sollte, vor denen sich eine Redaktion, die auf Ehre hält, gewissermaßen in Acht nehmen müsse. Deßungeachtet wage ich es wieder Jhnen zu schreiben, vertrauend darauf, daß Sie recht gut wissen, mit wem Sie es zu thun haben, und mich sicherlich nicht zu den leichtfertigen Korrespondenzmachern zählen, wenn ich auch nicht wußte, wo Peter Kraus geboren und in die Schule gegangen. Auch mag Sie das homerische Gelächter, von dem mein zurechtweisender Widerredner spricht, nicht eben irre an mir machen. Er mag ein besserer Lokalpatriot seyn als ich und manche Dinge durch andere Gläser sehen; aber was ich eben weiß und kenne, vielleicht besser als er, soll er mir nicht wegstreiten wollen. Daß ich es, nebenbei ge- sagt, mit Mannheim und den Mannheimern nicht weniger

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 47. Stuttgart/Tübingen, 23. November 1856, S. 1126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt47_1856/22>, abgerufen am 13.05.2024.