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Reichspost. Nr. 168, Wien, 26.07.1900.

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Wien, Donnerstag Reichspost 26. Juli 1900 168

[Spaltenumbruch] seiner Miliz mehr oder weniger ein Hinderniß für die
europäischen Soldaten. Ob die Kaiserin die Früchte
ihres Werkes genißen wird, scheint uns zweifelhaft.
Sollte sie auch wirklich siegreich sein gegen die Mächte,
was aber auf die Dauer der Zeit wohl ausgeschlossen
ist, so wird doch zuletzt der revolutionäre Charakter
der da han hui oder Boxers zutage treten und auch
ihr den Todesstoß geben. Es scheint auch, daß der
jetzige Aufstand der Kaiserin zu früh gekommen sei.




Im Anschlusse hieran geben wir auch das
Warnungsschreiben, welches der aposto-
lische Vicar in Peking
schon am
19. Mai
an den französischen Gesandten Herrn
Pichon richtete, in dem er auf die große Gefahr
der Lage hinwies. Das Alles ließ Frankreich,
ließen die europäischen Mächte unbeachtet. Das
Schriftstück lautet:

"Herr Gesandter! Von Tag zu Tag wird die
Lage ernster und bedrohlicher. Im Bezirke Paoting-
fu sind mehr als 70 Christen niedergemacht worden;
in der Nähe von Tschoo-tschen wurden vor kaum drei
Tagen drei andere Neophyten in Stücke geschnitten.
Mehrere Dörfer wurden geplündert und in Brand
gesteckt, eine große Anzahl anderer Dörfer wurden
vollständig verlassen. Mehr als 2000 Christen sind
auf der Flucht, ohne Brod, ohne Kleidung, ohne
Schutz. In Peking allein sind ungefähr 400 Flücht-
linge, Männer, Frauen und Kinder, bei uns und bei
den Schwestern untergebracht. In acht Tagen werden
sich wahrscheinlich mehrere Tausend hier befinden, und
wir werden gezwungen sein, die Schulen, Collegien
und alle Hospitäler freizumacheu, um für diese Un-
glücklichen Platz zu gewinnen. Vom Osten her drohen
Plünderung und Brandstiftung, und wir erhalten
täglich die beunruhigendsten Nachrichten. Peking ist
von allen Seiten umzingelt, die Boxer
nähern sich täglich mehr der Hauptstadt, wo-
bei sie bloß durch die Ausrottung der
zum Christenthume Bekehrten zurückgehalteu werden.
Ich bitte Sie, Herr Gesandter, mir zu glauben, denn
ich bin gut unterrichtet und behaupte nichts leichthin.
Die religiöse Verfolgung ist blos ein Vorhang, der
Hauptzweck ist die Ausrottung der Europäer, ein
Zweck, der deutlich auf den Standarten der Boxer ge-
schrieben ist. Ihre Anhänger erwarten
sie in Peking; man wird mit dem An-
griff auf Kirchen beginnen und mit
einem solchen auf die Gesandtschaften
schließen.
Für uns hier in Peitang ist sogar schon
der Tag festgestellt, die ganze Stadt kennt
ihn, alle Welt spricht davon und die
Gährung in der Bevölkerung ist offenkundig. Erst
gestern Abends sind 43 arme Frauen, die vor den
Massakres die Flucht ergriffen, mit ihren Kindern bei
den Schwestern eingetroffen. Mehr als 500 Personen
begleiteten sie und sagten zu ihnen, wenn sie auch dies-
mal entronnen sind, so werden sie hier bald mit den
Anderen davon ereilt werden. Ich erzähle Ihnen nicht,
Herr Gesandter, von den zahllosen Plakaten gegen die
Europäer überhaupt, die in der ganzen Stadt affichirt
werden; jeden Tag tauchen neue Plakate auf, die
einen deutlicher als die anderen. Die Personen, welche
vor dreißig Jahren Zeugen der Massakres von Tientsin
waren, sind von der Aehnlichkeit der damaligen Lage
mit der heutigen überrascht, die gleichen Plakate, die
gleichen Drohungen, die gleichen Warnungen
und die gleiche Verblendung.
Auch
damals haben, ebenso wie heute, die Missionen, die
das furchtbare Erwachen voraussahen, geschrieben und
geheten. Unter diesen Umständen halte ich es, Herr
Gesandter für meine Pflicht, Sie um die Entsendung
von 40 bis 50 Marinesoldaten wenigstens nach Petang
zum Schutze unserer Personen und unserer Habe zu
bitten. Derartiges ist schon unter viel weniger kritischen
Verhältnissen geschehen, und ich hoffe, daß Sie meine
ergebene Bitte in Betracht ziehen werden. + Stls. Jar-
lon, Ev. Coadjutor. + Alv. Favier, Ev. Vic. Apost v.
Peking. + C. M. Guillard, Vic. Gen.




Schulberichte.
Eine niederösterreichische Landes-Muster-
Anstalt.

Der 25. Jahresbericht des n.-ö. Landes-
Lehrer-Seminars in St. Pölten ist erschienen. Er ent-
hält neben den Schulnachrichten mehrere sehr interessante
wissenschaftliche Abhandlungen. Aus einer dem Bericht
vorangestellten Bemerkung geht hervor, daß der nieder-
österreichische Landesausschuß gestattete, daß aus An-
laß des 25jährigen Bestandes dieser Anstalt, der
Jahresbericht heuer in ungewöhnlich starken Umfang
erscheine, um durch den Reichthum des Inhaltes ein
bleibendes Denkmal der geistigen Thätigkeit des Lehr-
körpers im gegebenen Augenblick der Folgezeit zu
hinterlassen. Dieser Intention ist im vollstem Maße
entsprochen worden. Herr Anstalts-Director Dr. R v.
Muth schrieb eine hochinteressante, von gründlicher
Beherrschung des Stoffes zeugende Abhandlung:
"Die Abstammung der Baiuwaren", Herr Professor
Stefan Blumauer bietet eine gediegene historische
Arbeit: "Die Baiern und Franzosen in St. Pölten im
Jahre 1741" und Herr Prof. Dr. Rud. Hornich
behandelt in fesselnder Form ein actuelles Thema:
"Die Moralskepsis unserer Zeit". Herr Musiklehrer
Burger hat sich mit einem beachtenswerthen Auf-
satz über "Cäcilianismus und Lehrerbildungsanstalten"
[Spaltenumbruch] eingestellt. Herr Uebungsschullehrer Schwarz
schreibt über "Elementar-Unterricht und Elementar-
lehrer" und der Hausarzt des Internates Med. Doctor
Math. Klaus liefert einen Beitrag: "Zur Wasser-
versorgung St. Pöltens." Der Jahresbericht constatirt
mit Befriedigung, daß sich in der letzten Zeit die Zahl
der Besucher mehrt, die die in ihrer vollständigen
Einrichtung allerdings sehenswerthe Anstalt zu besich-
tigen wünschen. Ueber das Classificationsergebniß
enthält der Bericht folgende Angaben: a) Fortgang:
Vorzug 45. I. Classe 115; b) Sitten und Fleiß:
Lobenswerth. Ausdauer: 68 bezw. 35. Befriedigend:
86 bezw. 100. Die Gesammtzahl der Schüler betrug
167. Nicht uninteressant ist der Hinweis darauf, daß
der Pflege der Kirchenmusik eine so intensive
Aufmerksamkeit in der Anstalt zugewendet wurde, daß
es möglich war, vom November an eine Reihe kirchen-
musikalischer Aufführungen in der Hauscapelle zu
veranstalten.




Aus dem Gerichtssaale.
Unterschleife im Hause Czjzek.

Der Angeklagte Carl Singer gibt an, daß er
schon früher im Bankhause Czjzek bedienstet war, sich
dann selbständig machte, indem er dem Bankhause
Singer und Stern als Gesellschafter mit einer Ein-
lage von 50.000 K beitrat, die jedoch schon nach einem
Jahre verloren ging. Er kam dann wieder zu Czjzek,
wo er monatlich 200 fl. und Bonificationen von 600
bis 800 fl. bezog.

Der Angeklagte gibt zu, daß er sich die fälligen
Coupons, die von den Werthpapieren noch nicht abge-
löst waren, angeeignet, und daß beim Ankaufe von
Werthpapieren dem Bankhause größere als die ausbe-
zahlten Beträge und beim Verkaufe geringere als die
empfangenen Beträge verrechnet wurden. Das sei aber
so usuell gewesen, daß man annehmen mußte, das
Bankhaus sei damit einverstanden.

Vors.: Wie sind Sie nun zu dem tiefen Griff
in die Casse der Firma Czizek gekommen? --
Angekl.: Wir haben Börseverluste gehabt. -- Vors.:
Wer wir? -- Angekl.: Jonientz und ich. Ein
Committent hatte mir 25 Tramwayactien übergeben
mit dem Auftrag, sie zu verkaufen; ich vergaß, und
plötzlich fielen Tramway um 5 bis 6 fl. Ich erzählte
Jonientz von meiner Schlamperei, und wir beschlossen,
die Actien auf eigene Rechnung zu übernehmen. Um
1/23 Uhr Nachmittags telephonirte der Client, ob die
Actien verkauft sind; ich bejahte, ließ mir auf die
Actien einen Vorschuß geben und zahlte den Clienten
aus. -- Vors.: Jetzt besaßen Sie 25 Stück Tram-
way und eröffneten ein Conto unter dem fingirten
Namen Braun. -- Angekl.: Ja. Dieses Conto war
der Anfang des Uebels. Am nächsten Tage schon
fielen Tramway um 15 fl., die Differenzen wurden
immer größer, der Curs immer tiefer, die Actien
fielen um fast 300 fl., der Verlust war
ein riesiger. Dann spielte ich, um die Ver-
luste zu decken, habe aber immer verloren. --
Vors.: Im April haben Sie nun der Casse des Hauses
Czjzek 50 Stück Creditactien entnommen. Wozu? --
Angekl.: Um spielen zu können, hinterlegte ich sie auf
den Namen meiner Frau bei Hirsch u. Comp. --
Vors.: Haben Sie sie denn so nehmen können, ohne
daß es Jonientz, der Cassier, gesehen hat? -- Angekl.:
Ich habe selbständiges Verfügungsrecht gehabt, aller-
dings nicht für meinen Gebrauch. -- Vors.: Anläßlich
einer bevorstehenden Scontrirung liehen Sie sich von
Jonientz 20.000 fl. Rente aus und lösten die Credit-
actien ein, damit sie in der Casse seien? -- Angekl.:
Ja. -- Vors.: Erfuhren Sie vorher von einer Scon-
trirung? -- Angekl.: Ja, es wurde mir gesagt. --
Vors.: Das ist eine recht zweckmäßige Einrichtung! --
Angekl.: Ich hätte schließlich ja Alles noch im letzten
Augenblicke vertuschen können, allein ich ging zum
Staatsanwalt. -- Vors.: Früher wollten Sie sich er-
schießen? -- Angekl.: Ja. -- Vors.: Es liegen Ihre
Abschiedsbriefe vor. Sie haben es sich jedoch wieder
anders überlegt.

Der Angeklagte Paul Jonientz bekennt sich
als nicht schuldig und gibt an, daß den Parteien
theils niedere, theils höhere Beträge gerechnet und die
Differenzen unter den Angeklagten getheilt wurden.
Alles dies sei jedoch mit der Zustimmung des Bank-
hauses geschehen. -- Vors.: Wenn dies der Fall ge-
wesen ist, wieso konnte Singer dann die Art der
gemeinschaftlichen Gebahrungsweise als Malversation
bezeichnen? -- Angekl.: Das weiß ich nicht. -- Vors.:
Wie viel hat also das "Consortium" nebenbei ver-
dient? -- Angekl.: Circa 1900 fl. -- Vors.: Vor
dem Untersuchungsrichter haben Sie zugegeben, das
Bankhaus betrogen zu haben. Wie ist das mit Ihrer
heutigen Darstellung vereinbarlich? -- Angekl.: Ich
war damals so aufgeregt, daß ich nicht wußte, was
ich Alles bestätigte. -- Vors.: An der Aneignung von
Coupons waren Sie nicht betheiligt? -- Angekl.:
Die hat Singer genommen und mir Provisionen be-
zahlt. Ich wollte doch Niemanden schädigen und wenn
ich gewußt hätte, daß man das, wozu wir Beamten
uns berechtigt hielten, als Diebstahl auffaßt, hätte ich
dem Chef Alles gesagt und zurückgegeben, was ich be-
kommen habe.

Der Vorsitzende confrontirt hierauf die Angeklagten
Jonientz und Singer miteinander. Ersterer sagt zu
Singer: Coupons habe ich nicht genommen. -- Singer:
Möglich, ich erinnere mich nicht.


[Spaltenumbruch]

Der Angeklagte Otto Erban, Couponcassier bei
Czizek, bezog nur einen Monatsgehalt von 90 fl.
und hatte für seine Gattin und zwei Kinder zu sorgen.
Als er seine früher gehabte Nebenbeschäftigung ver-
loren hatte und seine Frau überdies noch erkrankte,
ließ er sich, wie er weinend angibt, verleiten, jene
Handlung zu begehen, wegen welcher er sich nun zu
verantworten hat. Singer und Andere hätten
Coupons gebracht, die er einlöste; er habe auch kleine
Provisionen von Börsegeschäften bekommen.

Der Angeklagte Hans Kremar behauptet
ebenfalls, daß die Vortheile beim Ein- und Verkaufe
der Essecten vom Bankhause als Entschädigung für
besondere Leistungen den Beamten eingeräumt worden
seien; von dem Vortheile aus den Zinsendifferenzen
habe er überhaupt erst nachträglich erfahren. --
Vors.: Und was hat es mit den Couponaneignungen
für ein Bewandtniß? -- Angekl.: Davon hatte ich
gar keine Kenntniß, wenn es auch möglich ist, daß ich
daraus, ohne daß mir dies bekannt gegeben wurde,
betheilt worden bin.

Zeugenverhör.

Der Gesellschafter der Bankfirma Czizek, Doctor
Grimus v. Grimburg, deponirt, daß Singer
zwar für das Bankhaus Erkundigungen auf der Börse
einzuziehen und Aufträge des Bankhauses auszuführen
hatte, aber nicht eigentlicher Börsendisponent des Bank-
hauses war. Er war eigentlich Effectencassier und
theilte sich in den damit zusammenhängenden Parteien-
verkehr mit Jonienz. -- Vors.: Welchen Einfluß hatte
Singer beim Ein- und Verkauf der Effecten? --
Zeuge: Ihm oblag die Cursbestimmung. -- Vors.:
Innerhalb welcher Schranken? -- Zeuge: Innerhalb
der Schranken der Curse von Geld und Waare. Eine
Ausnahme machten nur gewisse Actien.

Was die gegenseitige Cassensperre betrifft, so
hatten Singer und Jonientz je einen Schlüssel, doch
die Art dieser Gegensperre war eine solche, daß einer
der Vertheidiger mit Recht von derselben sagte: So
eine Sperre ist mir in meinem Leben noch nicht vor-
gekommen. Bei Tag kann Singer oder Jonientz so oft
in die Casse, als ein Jeder will, und während der
Nacht ist die Casse ohnedies geschlossen, so daß die
Doppelsperre eigentlich ganz werthlos ist.

Zeuge gibt weiter bezüglich der eingestellten Zah-
lungen der Provisionen an, er habe dieselben deshalb
sistirt, weil sie erstens zu hoch bemessen waren und es
anderseits nicht heißen sollte, durch dieselben würden
die Beamten seines Hauses zum Börsenspiele verleitet.

Der gewesene Procurist der Firma Czjzek, Alois
Schwanzer und der Vicedirector der Verkehrs-
bank Hickl, der seinerzeit ebenfalls bei Czjzek gedient
hat, geben übereinstimmend an, das Provisions-
wesen
sei stillschweigend geduldet worden.

Der verbrannte Hirtenbrief.

Der Heraus-
geber des Schundblattes "Scherer", Carl Haber-
mann,
der bekanntlich im Juli v. J. in Innsbruck
öffentlich einen Hirtenbrief des Fürsterzbischofs von
Brixen verbrannt hat, hatte sich bereits zum dritten
Male wegen dieses Frevels vor Gericht zu verant-
worten. Das erste Mal vor dem Innsbrucker Er-
kenntnißgerichte, welches Habermann freisprach; der
Cassationshof hob jedoch das Urtheil auf und bei der
neuerlichen Verhandlung wurde der Angeklagte zu 8 Tagen
Arrests verurtheilt. Auf Grund der Nichtigkeitsbeschwerde
hob der Cassationshof das Urtheil abermals auf und
delegirte das Kreisgericht Feldkirch für die dritte
Verhandlung. Bei derselben wurde der Angeklagte zur
Abwechslung wieder freigesprochen mit der
Begründung, daß der objective Thatbestand, daß in
der Verbrennung des Hirtenbriefes
eine Herabwürdigung einer kirch-
lichen
Einrichtung liege, bejaht werden müsse. Ebenso
war die Verbrennung geeignet, öffent-
liches Aergerniß
zu erregen. Das Schreiben
sei zweifellos ein Hirtenbrief. Die Verbrennung dieses
einzelnen, gegen den Angeklagten persönlich sich
richtenden Hirtenbriefes lasse aber noch nicht erkennen,
daß die Herabwürdigung der ganzen kirchlichen
Institution beabsichtigt war und deshalb erfolge der
Freispruch. Da diesmal der Staatsanwalt die
Nichtigkeits beschwerde anmeldete, gelangt
die Affaire auch noch zum drittenmale vor den
Cassationshof.

Der mysteriöse Mord in Konitz.

Wie aus
Konitz telegraphirt wird, ist das Verfahren gegen
den christlichen Fleischermeister Hoffmann wegen
Todtschlages durch Beschluß der Strafkammer ein-
gestellt
worden. Nach dem Wortlaut des Beschlusses
hat die Voruntersuchung ergeben, daß Hoffmann
schuldlos
ist.




Gewerbe.
Zu den Wahlen in das Gewerbe-
gericht.

Binnen Kurzem finden die Ersatzwahlen für die
ausgelosten oder aus anderen Gründen ausgeschiedenen

Wien, Donnerſtag Reichspoſt 26. Juli 1900 168

[Spaltenumbruch] ſeiner Miliz mehr oder weniger ein Hinderniß für die
europäiſchen Soldaten. Ob die Kaiſerin die Früchte
ihres Werkes genißen wird, ſcheint uns zweifelhaft.
Sollte ſie auch wirklich ſiegreich ſein gegen die Mächte,
was aber auf die Dauer der Zeit wohl ausgeſchloſſen
iſt, ſo wird doch zuletzt der revolutionäre Charakter
der da han hui oder Boxers zutage treten und auch
ihr den Todesſtoß geben. Es ſcheint auch, daß der
jetzige Aufſtand der Kaiſerin zu früh gekommen ſei.




Im Anſchluſſe hieran geben wir auch das
Warnungsſchreiben, welches der apoſto-
liſche Vicar in Peking
ſchon am
19. Mai
an den franzöſiſchen Geſandten Herrn
Pichon richtete, in dem er auf die große Gefahr
der Lage hinwies. Das Alles ließ Frankreich,
ließen die europäiſchen Mächte unbeachtet. Das
Schriftſtück lautet:

„Herr Geſandter! Von Tag zu Tag wird die
Lage ernſter und bedrohlicher. Im Bezirke Paoting-
fu ſind mehr als 70 Chriſten niedergemacht worden;
in der Nähe von Tſchoo-tſchen wurden vor kaum drei
Tagen drei andere Neophyten in Stücke geſchnitten.
Mehrere Dörfer wurden geplündert und in Brand
geſteckt, eine große Anzahl anderer Dörfer wurden
vollſtändig verlaſſen. Mehr als 2000 Chriſten ſind
auf der Flucht, ohne Brod, ohne Kleidung, ohne
Schutz. In Peking allein ſind ungefähr 400 Flücht-
linge, Männer, Frauen und Kinder, bei uns und bei
den Schweſtern untergebracht. In acht Tagen werden
ſich wahrſcheinlich mehrere Tauſend hier befinden, und
wir werden gezwungen ſein, die Schulen, Collegien
und alle Hoſpitäler freizumacheu, um für dieſe Un-
glücklichen Platz zu gewinnen. Vom Oſten her drohen
Plünderung und Brandſtiftung, und wir erhalten
täglich die beunruhigendſten Nachrichten. Peking iſt
von allen Seiten umzingelt, die Boxer
nähern ſich täglich mehr der Hauptſtadt, wo-
bei ſie bloß durch die Ausrottung der
zum Chriſtenthume Bekehrten zurückgehalteu werden.
Ich bitte Sie, Herr Geſandter, mir zu glauben, denn
ich bin gut unterrichtet und behaupte nichts leichthin.
Die religiöſe Verfolgung iſt blos ein Vorhang, der
Hauptzweck iſt die Ausrottung der Europäer, ein
Zweck, der deutlich auf den Standarten der Boxer ge-
ſchrieben iſt. Ihre Anhänger erwarten
ſie in Peking; man wird mit dem An-
griff auf Kirchen beginnen und mit
einem ſolchen auf die Geſandtſchaften
ſchließen.
Für uns hier in Peitang iſt ſogar ſchon
der Tag feſtgeſtellt, die ganze Stadt kennt
ihn, alle Welt ſpricht davon und die
Gährung in der Bevölkerung iſt offenkundig. Erſt
geſtern Abends ſind 43 arme Frauen, die vor den
Maſſakres die Flucht ergriffen, mit ihren Kindern bei
den Schweſtern eingetroffen. Mehr als 500 Perſonen
begleiteten ſie und ſagten zu ihnen, wenn ſie auch dies-
mal entronnen ſind, ſo werden ſie hier bald mit den
Anderen davon ereilt werden. Ich erzähle Ihnen nicht,
Herr Geſandter, von den zahlloſen Plakaten gegen die
Europäer überhaupt, die in der ganzen Stadt affichirt
werden; jeden Tag tauchen neue Plakate auf, die
einen deutlicher als die anderen. Die Perſonen, welche
vor dreißig Jahren Zeugen der Maſſakres von Tientſin
waren, ſind von der Aehnlichkeit der damaligen Lage
mit der heutigen überraſcht, die gleichen Plakate, die
gleichen Drohungen, die gleichen Warnungen
und die gleiche Verblendung.
Auch
damals haben, ebenſo wie heute, die Miſſionen, die
das furchtbare Erwachen vorausſahen, geſchrieben und
geheten. Unter dieſen Umſtänden halte ich es, Herr
Geſandter für meine Pflicht, Sie um die Entſendung
von 40 bis 50 Marineſoldaten wenigſtens nach Petang
zum Schutze unſerer Perſonen und unſerer Habe zu
bitten. Derartiges iſt ſchon unter viel weniger kritiſchen
Verhältniſſen geſchehen, und ich hoffe, daß Sie meine
ergebene Bitte in Betracht ziehen werden. † Stls. Jar-
lon, Ev. Coadjutor. † Alv. Favier, Ev. Vic. Apoſt v.
Peking. † C. M. Guillard, Vic. Gen.




Schulberichte.
Eine niederöſterreichiſche Landes-Muſter-
Anſtalt.

Der 25. Jahresbericht des n.-ö. Landes-
Lehrer-Seminars in St. Pölten iſt erſchienen. Er ent-
hält neben den Schulnachrichten mehrere ſehr intereſſante
wiſſenſchaftliche Abhandlungen. Aus einer dem Bericht
vorangeſtellten Bemerkung geht hervor, daß der nieder-
öſterreichiſche Landesausſchuß geſtattete, daß aus An-
laß des 25jährigen Beſtandes dieſer Anſtalt, der
Jahresbericht heuer in ungewöhnlich ſtarken Umfang
erſcheine, um durch den Reichthum des Inhaltes ein
bleibendes Denkmal der geiſtigen Thätigkeit des Lehr-
körpers im gegebenen Augenblick der Folgezeit zu
hinterlaſſen. Dieſer Intention iſt im vollſtem Maße
entſprochen worden. Herr Anſtalts-Director Dr. R v.
Muth ſchrieb eine hochintereſſante, von gründlicher
Beherrſchung des Stoffes zeugende Abhandlung:
„Die Abſtammung der Baiuwaren“, Herr Profeſſor
Stefan Blumauer bietet eine gediegene hiſtoriſche
Arbeit: „Die Baiern und Franzoſen in St. Pölten im
Jahre 1741“ und Herr Prof. Dr. Rud. Hornich
behandelt in feſſelnder Form ein actuelles Thema:
„Die Moralſkepſis unſerer Zeit“. Herr Muſiklehrer
Burger hat ſich mit einem beachtenswerthen Auf-
ſatz über „Cäcilianismus und Lehrerbildungsanſtalten“
[Spaltenumbruch] eingeſtellt. Herr Uebungsſchullehrer Schwarz
ſchreibt über „Elementar-Unterricht und Elementar-
lehrer“ und der Hausarzt des Internates Med. Doctor
Math. Klaus liefert einen Beitrag: „Zur Waſſer-
verſorgung St. Pöltens.“ Der Jahresbericht conſtatirt
mit Befriedigung, daß ſich in der letzten Zeit die Zahl
der Beſucher mehrt, die die in ihrer vollſtändigen
Einrichtung allerdings ſehenswerthe Anſtalt zu beſich-
tigen wünſchen. Ueber das Claſſificationsergebniß
enthält der Bericht folgende Angaben: a) Fortgang:
Vorzug 45. I. Claſſe 115; b) Sitten und Fleiß:
Lobenswerth. Ausdauer: 68 bezw. 35. Befriedigend:
86 bezw. 100. Die Geſammtzahl der Schüler betrug
167. Nicht unintereſſant iſt der Hinweis darauf, daß
der Pflege der Kirchenmuſik eine ſo intenſive
Aufmerkſamkeit in der Anſtalt zugewendet wurde, daß
es möglich war, vom November an eine Reihe kirchen-
muſikaliſcher Aufführungen in der Hauscapelle zu
veranſtalten.




Aus dem Gerichtsſaale.
Unterſchleife im Hauſe Czjzek.

Der Angeklagte Carl Singer gibt an, daß er
ſchon früher im Bankhauſe Czjzek bedienſtet war, ſich
dann ſelbſtändig machte, indem er dem Bankhauſe
Singer und Stern als Geſellſchafter mit einer Ein-
lage von 50.000 K beitrat, die jedoch ſchon nach einem
Jahre verloren ging. Er kam dann wieder zu Czjzek,
wo er monatlich 200 fl. und Bonificationen von 600
bis 800 fl. bezog.

Der Angeklagte gibt zu, daß er ſich die fälligen
Coupons, die von den Werthpapieren noch nicht abge-
löſt waren, angeeignet, und daß beim Ankaufe von
Werthpapieren dem Bankhauſe größere als die ausbe-
zahlten Beträge und beim Verkaufe geringere als die
empfangenen Beträge verrechnet wurden. Das ſei aber
ſo uſuell geweſen, daß man annehmen mußte, das
Bankhaus ſei damit einverſtanden.

Vorſ.: Wie ſind Sie nun zu dem tiefen Griff
in die Caſſe der Firma Czizek gekommen? —
Angekl.: Wir haben Börſeverluſte gehabt. — Vorſ.:
Wer wir? — Angekl.: Jonientz und ich. Ein
Committent hatte mir 25 Tramwayactien übergeben
mit dem Auftrag, ſie zu verkaufen; ich vergaß, und
plötzlich fielen Tramway um 5 bis 6 fl. Ich erzählte
Jonientz von meiner Schlamperei, und wir beſchloſſen,
die Actien auf eigene Rechnung zu übernehmen. Um
½3 Uhr Nachmittags telephonirte der Client, ob die
Actien verkauft ſind; ich bejahte, ließ mir auf die
Actien einen Vorſchuß geben und zahlte den Clienten
aus. — Vorſ.: Jetzt beſaßen Sie 25 Stück Tram-
way und eröffneten ein Conto unter dem fingirten
Namen Braun. — Angekl.: Ja. Dieſes Conto war
der Anfang des Uebels. Am nächſten Tage ſchon
fielen Tramway um 15 fl., die Differenzen wurden
immer größer, der Curs immer tiefer, die Actien
fielen um faſt 300 fl., der Verluſt war
ein rieſiger. Dann ſpielte ich, um die Ver-
luſte zu decken, habe aber immer verloren. —
Vorſ.: Im April haben Sie nun der Caſſe des Hauſes
Czjzek 50 Stück Creditactien entnommen. Wozu? —
Angekl.: Um ſpielen zu können, hinterlegte ich ſie auf
den Namen meiner Frau bei Hirſch u. Comp. —
Vorſ.: Haben Sie ſie denn ſo nehmen können, ohne
daß es Jonientz, der Caſſier, geſehen hat? — Angekl.:
Ich habe ſelbſtändiges Verfügungsrecht gehabt, aller-
dings nicht für meinen Gebrauch. — Vorſ.: Anläßlich
einer bevorſtehenden Scontrirung liehen Sie ſich von
Jonientz 20.000 fl. Rente aus und löſten die Credit-
actien ein, damit ſie in der Caſſe ſeien? — Angekl.:
Ja. — Vorſ.: Erfuhren Sie vorher von einer Scon-
trirung? — Angekl.: Ja, es wurde mir geſagt. —
Vorſ.: Das iſt eine recht zweckmäßige Einrichtung! —
Angekl.: Ich hätte ſchließlich ja Alles noch im letzten
Augenblicke vertuſchen können, allein ich ging zum
Staatsanwalt. — Vorſ.: Früher wollten Sie ſich er-
ſchießen? — Angekl.: Ja. — Vorſ.: Es liegen Ihre
Abſchiedsbriefe vor. Sie haben es ſich jedoch wieder
anders überlegt.

Der Angeklagte Paul Jonientz bekennt ſich
als nicht ſchuldig und gibt an, daß den Parteien
theils niedere, theils höhere Beträge gerechnet und die
Differenzen unter den Angeklagten getheilt wurden.
Alles dies ſei jedoch mit der Zuſtimmung des Bank-
hauſes geſchehen. — Vorſ.: Wenn dies der Fall ge-
weſen iſt, wieſo konnte Singer dann die Art der
gemeinſchaftlichen Gebahrungsweiſe als Malverſation
bezeichnen? — Angekl.: Das weiß ich nicht. — Vorſ.:
Wie viel hat alſo das „Conſortium“ nebenbei ver-
dient? — Angekl.: Circa 1900 fl. — Vorſ.: Vor
dem Unterſuchungsrichter haben Sie zugegeben, das
Bankhaus betrogen zu haben. Wie iſt das mit Ihrer
heutigen Darſtellung vereinbarlich? — Angekl.: Ich
war damals ſo aufgeregt, daß ich nicht wußte, was
ich Alles beſtätigte. — Vorſ.: An der Aneignung von
Coupons waren Sie nicht betheiligt? — Angekl.:
Die hat Singer genommen und mir Proviſionen be-
zahlt. Ich wollte doch Niemanden ſchädigen und wenn
ich gewußt hätte, daß man das, wozu wir Beamten
uns berechtigt hielten, als Diebſtahl auffaßt, hätte ich
dem Chef Alles geſagt und zurückgegeben, was ich be-
kommen habe.

Der Vorſitzende confrontirt hierauf die Angeklagten
Jonientz und Singer miteinander. Erſterer ſagt zu
Singer: Coupons habe ich nicht genommen. — Singer:
Möglich, ich erinnere mich nicht.


[Spaltenumbruch]

Der Angeklagte Otto Erban, Couponcaſſier bei
Czizek, bezog nur einen Monatsgehalt von 90 fl.
und hatte für ſeine Gattin und zwei Kinder zu ſorgen.
Als er ſeine früher gehabte Nebenbeſchäftigung ver-
loren hatte und ſeine Frau überdies noch erkrankte,
ließ er ſich, wie er weinend angibt, verleiten, jene
Handlung zu begehen, wegen welcher er ſich nun zu
verantworten hat. Singer und Andere hätten
Coupons gebracht, die er einlöſte; er habe auch kleine
Proviſionen von Börſegeſchäften bekommen.

Der Angeklagte Hans Kremar behauptet
ebenfalls, daß die Vortheile beim Ein- und Verkaufe
der Eſſecten vom Bankhauſe als Entſchädigung für
beſondere Leiſtungen den Beamten eingeräumt worden
ſeien; von dem Vortheile aus den Zinſendifferenzen
habe er überhaupt erſt nachträglich erfahren. —
Vorſ.: Und was hat es mit den Couponaneignungen
für ein Bewandtniß? — Angekl.: Davon hatte ich
gar keine Kenntniß, wenn es auch möglich iſt, daß ich
daraus, ohne daß mir dies bekannt gegeben wurde,
betheilt worden bin.

Zeugenverhör.

Der Geſellſchafter der Bankfirma Czizek, Doctor
Grimus v. Grimburg, deponirt, daß Singer
zwar für das Bankhaus Erkundigungen auf der Börſe
einzuziehen und Aufträge des Bankhauſes auszuführen
hatte, aber nicht eigentlicher Börſendisponent des Bank-
hauſes war. Er war eigentlich Effectencaſſier und
theilte ſich in den damit zuſammenhängenden Parteien-
verkehr mit Jonienz. — Vorſ.: Welchen Einfluß hatte
Singer beim Ein- und Verkauf der Effecten? —
Zeuge: Ihm oblag die Cursbeſtimmung. — Vorſ.:
Innerhalb welcher Schranken? — Zeuge: Innerhalb
der Schranken der Curſe von Geld und Waare. Eine
Ausnahme machten nur gewiſſe Actien.

Was die gegenſeitige Caſſenſperre betrifft, ſo
hatten Singer und Jonientz je einen Schlüſſel, doch
die Art dieſer Gegenſperre war eine ſolche, daß einer
der Vertheidiger mit Recht von derſelben ſagte: So
eine Sperre iſt mir in meinem Leben noch nicht vor-
gekommen. Bei Tag kann Singer oder Jonientz ſo oft
in die Caſſe, als ein Jeder will, und während der
Nacht iſt die Caſſe ohnedies geſchloſſen, ſo daß die
Doppelſperre eigentlich ganz werthlos iſt.

Zeuge gibt weiter bezüglich der eingeſtellten Zah-
lungen der Proviſionen an, er habe dieſelben deshalb
ſiſtirt, weil ſie erſtens zu hoch bemeſſen waren und es
anderſeits nicht heißen ſollte, durch dieſelben würden
die Beamten ſeines Hauſes zum Börſenſpiele verleitet.

Der geweſene Procuriſt der Firma Czjzek, Alois
Schwanzer und der Vicedirector der Verkehrs-
bank Hickl, der ſeinerzeit ebenfalls bei Czjzek gedient
hat, geben übereinſtimmend an, das Proviſions-
weſen
ſei ſtillſchweigend geduldet worden.

Der verbrannte Hirtenbrief.

Der Heraus-
geber des Schundblattes „Scherer“, Carl Haber-
mann,
der bekanntlich im Juli v. J. in Innsbruck
öffentlich einen Hirtenbrief des Fürſterzbiſchofs von
Brixen verbrannt hat, hatte ſich bereits zum dritten
Male wegen dieſes Frevels vor Gericht zu verant-
worten. Das erſte Mal vor dem Innsbrucker Er-
kenntnißgerichte, welches Habermann freiſprach; der
Caſſationshof hob jedoch das Urtheil auf und bei der
neuerlichen Verhandlung wurde der Angeklagte zu 8 Tagen
Arreſts verurtheilt. Auf Grund der Nichtigkeitsbeſchwerde
hob der Caſſationshof das Urtheil abermals auf und
delegirte das Kreisgericht Feldkirch für die dritte
Verhandlung. Bei derſelben wurde der Angeklagte zur
Abwechslung wieder freigeſprochen mit der
Begründung, daß der objective Thatbeſtand, daß in
der Verbrennung des Hirtenbriefes
eine Herabwürdigung einer kirch-
lichen
Einrichtung liege, bejaht werden müſſe. Ebenſo
war die Verbrennung geeignet, öffent-
liches Aergerniß
zu erregen. Das Schreiben
ſei zweifellos ein Hirtenbrief. Die Verbrennung dieſes
einzelnen, gegen den Angeklagten perſönlich ſich
richtenden Hirtenbriefes laſſe aber noch nicht erkennen,
daß die Herabwürdigung der ganzen kirchlichen
Inſtitution beabſichtigt war und deshalb erfolge der
Freiſpruch. Da diesmal der Staatsanwalt die
Nichtigkeits beſchwerde anmeldete, gelangt
die Affaire auch noch zum drittenmale vor den
Caſſationshof.

Der myſteriöſe Mord in Konitz.

Wie aus
Konitz telegraphirt wird, iſt das Verfahren gegen
den chriſtlichen Fleiſchermeiſter Hoffmann wegen
Todtſchlages durch Beſchluß der Strafkammer ein-
geſtellt
worden. Nach dem Wortlaut des Beſchluſſes
hat die Vorunterſuchung ergeben, daß Hoffmann
ſchuldlos
iſt.




Gewerbe.
Zu den Wahlen in das Gewerbe-
gericht.

Binnen Kurzem finden die Erſatzwahlen für die
ausgeloſten oder aus anderen Gründen ausgeſchiedenen

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[10/0010] Wien, Donnerſtag Reichspoſt 26. Juli 1900 168 ſeiner Miliz mehr oder weniger ein Hinderniß für die europäiſchen Soldaten. Ob die Kaiſerin die Früchte ihres Werkes genißen wird, ſcheint uns zweifelhaft. Sollte ſie auch wirklich ſiegreich ſein gegen die Mächte, was aber auf die Dauer der Zeit wohl ausgeſchloſſen iſt, ſo wird doch zuletzt der revolutionäre Charakter der da han hui oder Boxers zutage treten und auch ihr den Todesſtoß geben. Es ſcheint auch, daß der jetzige Aufſtand der Kaiſerin zu früh gekommen ſei. Im Anſchluſſe hieran geben wir auch das Warnungsſchreiben, welches der apoſto- liſche Vicar in Peking ſchon am 19. Mai an den franzöſiſchen Geſandten Herrn Pichon richtete, in dem er auf die große Gefahr der Lage hinwies. Das Alles ließ Frankreich, ließen die europäiſchen Mächte unbeachtet. Das Schriftſtück lautet: „Herr Geſandter! Von Tag zu Tag wird die Lage ernſter und bedrohlicher. Im Bezirke Paoting- fu ſind mehr als 70 Chriſten niedergemacht worden; in der Nähe von Tſchoo-tſchen wurden vor kaum drei Tagen drei andere Neophyten in Stücke geſchnitten. Mehrere Dörfer wurden geplündert und in Brand geſteckt, eine große Anzahl anderer Dörfer wurden vollſtändig verlaſſen. Mehr als 2000 Chriſten ſind auf der Flucht, ohne Brod, ohne Kleidung, ohne Schutz. In Peking allein ſind ungefähr 400 Flücht- linge, Männer, Frauen und Kinder, bei uns und bei den Schweſtern untergebracht. In acht Tagen werden ſich wahrſcheinlich mehrere Tauſend hier befinden, und wir werden gezwungen ſein, die Schulen, Collegien und alle Hoſpitäler freizumacheu, um für dieſe Un- glücklichen Platz zu gewinnen. Vom Oſten her drohen Plünderung und Brandſtiftung, und wir erhalten täglich die beunruhigendſten Nachrichten. Peking iſt von allen Seiten umzingelt, die Boxer nähern ſich täglich mehr der Hauptſtadt, wo- bei ſie bloß durch die Ausrottung der zum Chriſtenthume Bekehrten zurückgehalteu werden. Ich bitte Sie, Herr Geſandter, mir zu glauben, denn ich bin gut unterrichtet und behaupte nichts leichthin. Die religiöſe Verfolgung iſt blos ein Vorhang, der Hauptzweck iſt die Ausrottung der Europäer, ein Zweck, der deutlich auf den Standarten der Boxer ge- ſchrieben iſt. Ihre Anhänger erwarten ſie in Peking; man wird mit dem An- griff auf Kirchen beginnen und mit einem ſolchen auf die Geſandtſchaften ſchließen. Für uns hier in Peitang iſt ſogar ſchon der Tag feſtgeſtellt, die ganze Stadt kennt ihn, alle Welt ſpricht davon und die Gährung in der Bevölkerung iſt offenkundig. Erſt geſtern Abends ſind 43 arme Frauen, die vor den Maſſakres die Flucht ergriffen, mit ihren Kindern bei den Schweſtern eingetroffen. Mehr als 500 Perſonen begleiteten ſie und ſagten zu ihnen, wenn ſie auch dies- mal entronnen ſind, ſo werden ſie hier bald mit den Anderen davon ereilt werden. Ich erzähle Ihnen nicht, Herr Geſandter, von den zahlloſen Plakaten gegen die Europäer überhaupt, die in der ganzen Stadt affichirt werden; jeden Tag tauchen neue Plakate auf, die einen deutlicher als die anderen. Die Perſonen, welche vor dreißig Jahren Zeugen der Maſſakres von Tientſin waren, ſind von der Aehnlichkeit der damaligen Lage mit der heutigen überraſcht, die gleichen Plakate, die gleichen Drohungen, die gleichen Warnungen und die gleiche Verblendung. Auch damals haben, ebenſo wie heute, die Miſſionen, die das furchtbare Erwachen vorausſahen, geſchrieben und geheten. Unter dieſen Umſtänden halte ich es, Herr Geſandter für meine Pflicht, Sie um die Entſendung von 40 bis 50 Marineſoldaten wenigſtens nach Petang zum Schutze unſerer Perſonen und unſerer Habe zu bitten. Derartiges iſt ſchon unter viel weniger kritiſchen Verhältniſſen geſchehen, und ich hoffe, daß Sie meine ergebene Bitte in Betracht ziehen werden. † Stls. Jar- lon, Ev. Coadjutor. † Alv. Favier, Ev. Vic. Apoſt v. Peking. † C. M. Guillard, Vic. Gen. Schulberichte. Eine niederöſterreichiſche Landes-Muſter- Anſtalt. Der 25. Jahresbericht des n.-ö. Landes- Lehrer-Seminars in St. Pölten iſt erſchienen. Er ent- hält neben den Schulnachrichten mehrere ſehr intereſſante wiſſenſchaftliche Abhandlungen. Aus einer dem Bericht vorangeſtellten Bemerkung geht hervor, daß der nieder- öſterreichiſche Landesausſchuß geſtattete, daß aus An- laß des 25jährigen Beſtandes dieſer Anſtalt, der Jahresbericht heuer in ungewöhnlich ſtarken Umfang erſcheine, um durch den Reichthum des Inhaltes ein bleibendes Denkmal der geiſtigen Thätigkeit des Lehr- körpers im gegebenen Augenblick der Folgezeit zu hinterlaſſen. Dieſer Intention iſt im vollſtem Maße entſprochen worden. Herr Anſtalts-Director Dr. R v. Muth ſchrieb eine hochintereſſante, von gründlicher Beherrſchung des Stoffes zeugende Abhandlung: „Die Abſtammung der Baiuwaren“, Herr Profeſſor Stefan Blumauer bietet eine gediegene hiſtoriſche Arbeit: „Die Baiern und Franzoſen in St. Pölten im Jahre 1741“ und Herr Prof. Dr. Rud. Hornich behandelt in feſſelnder Form ein actuelles Thema: „Die Moralſkepſis unſerer Zeit“. Herr Muſiklehrer Burger hat ſich mit einem beachtenswerthen Auf- ſatz über „Cäcilianismus und Lehrerbildungsanſtalten“ eingeſtellt. Herr Uebungsſchullehrer Schwarz ſchreibt über „Elementar-Unterricht und Elementar- lehrer“ und der Hausarzt des Internates Med. Doctor Math. Klaus liefert einen Beitrag: „Zur Waſſer- verſorgung St. Pöltens.“ Der Jahresbericht conſtatirt mit Befriedigung, daß ſich in der letzten Zeit die Zahl der Beſucher mehrt, die die in ihrer vollſtändigen Einrichtung allerdings ſehenswerthe Anſtalt zu beſich- tigen wünſchen. Ueber das Claſſificationsergebniß enthält der Bericht folgende Angaben: a) Fortgang: Vorzug 45. I. Claſſe 115; b) Sitten und Fleiß: Lobenswerth. Ausdauer: 68 bezw. 35. Befriedigend: 86 bezw. 100. Die Geſammtzahl der Schüler betrug 167. Nicht unintereſſant iſt der Hinweis darauf, daß der Pflege der Kirchenmuſik eine ſo intenſive Aufmerkſamkeit in der Anſtalt zugewendet wurde, daß es möglich war, vom November an eine Reihe kirchen- muſikaliſcher Aufführungen in der Hauscapelle zu veranſtalten. Aus dem Gerichtsſaale. Unterſchleife im Hauſe Czjzek. Der Angeklagte Carl Singer gibt an, daß er ſchon früher im Bankhauſe Czjzek bedienſtet war, ſich dann ſelbſtändig machte, indem er dem Bankhauſe Singer und Stern als Geſellſchafter mit einer Ein- lage von 50.000 K beitrat, die jedoch ſchon nach einem Jahre verloren ging. Er kam dann wieder zu Czjzek, wo er monatlich 200 fl. und Bonificationen von 600 bis 800 fl. bezog. Der Angeklagte gibt zu, daß er ſich die fälligen Coupons, die von den Werthpapieren noch nicht abge- löſt waren, angeeignet, und daß beim Ankaufe von Werthpapieren dem Bankhauſe größere als die ausbe- zahlten Beträge und beim Verkaufe geringere als die empfangenen Beträge verrechnet wurden. Das ſei aber ſo uſuell geweſen, daß man annehmen mußte, das Bankhaus ſei damit einverſtanden. Vorſ.: Wie ſind Sie nun zu dem tiefen Griff in die Caſſe der Firma Czizek gekommen? — Angekl.: Wir haben Börſeverluſte gehabt. — Vorſ.: Wer wir? — Angekl.: Jonientz und ich. Ein Committent hatte mir 25 Tramwayactien übergeben mit dem Auftrag, ſie zu verkaufen; ich vergaß, und plötzlich fielen Tramway um 5 bis 6 fl. Ich erzählte Jonientz von meiner Schlamperei, und wir beſchloſſen, die Actien auf eigene Rechnung zu übernehmen. Um ½3 Uhr Nachmittags telephonirte der Client, ob die Actien verkauft ſind; ich bejahte, ließ mir auf die Actien einen Vorſchuß geben und zahlte den Clienten aus. — Vorſ.: Jetzt beſaßen Sie 25 Stück Tram- way und eröffneten ein Conto unter dem fingirten Namen Braun. — Angekl.: Ja. Dieſes Conto war der Anfang des Uebels. Am nächſten Tage ſchon fielen Tramway um 15 fl., die Differenzen wurden immer größer, der Curs immer tiefer, die Actien fielen um faſt 300 fl., der Verluſt war ein rieſiger. Dann ſpielte ich, um die Ver- luſte zu decken, habe aber immer verloren. — Vorſ.: Im April haben Sie nun der Caſſe des Hauſes Czjzek 50 Stück Creditactien entnommen. Wozu? — Angekl.: Um ſpielen zu können, hinterlegte ich ſie auf den Namen meiner Frau bei Hirſch u. Comp. — Vorſ.: Haben Sie ſie denn ſo nehmen können, ohne daß es Jonientz, der Caſſier, geſehen hat? — Angekl.: Ich habe ſelbſtändiges Verfügungsrecht gehabt, aller- dings nicht für meinen Gebrauch. — Vorſ.: Anläßlich einer bevorſtehenden Scontrirung liehen Sie ſich von Jonientz 20.000 fl. Rente aus und löſten die Credit- actien ein, damit ſie in der Caſſe ſeien? — Angekl.: Ja. — Vorſ.: Erfuhren Sie vorher von einer Scon- trirung? — Angekl.: Ja, es wurde mir geſagt. — Vorſ.: Das iſt eine recht zweckmäßige Einrichtung! — Angekl.: Ich hätte ſchließlich ja Alles noch im letzten Augenblicke vertuſchen können, allein ich ging zum Staatsanwalt. — Vorſ.: Früher wollten Sie ſich er- ſchießen? — Angekl.: Ja. — Vorſ.: Es liegen Ihre Abſchiedsbriefe vor. Sie haben es ſich jedoch wieder anders überlegt. Der Angeklagte Paul Jonientz bekennt ſich als nicht ſchuldig und gibt an, daß den Parteien theils niedere, theils höhere Beträge gerechnet und die Differenzen unter den Angeklagten getheilt wurden. Alles dies ſei jedoch mit der Zuſtimmung des Bank- hauſes geſchehen. — Vorſ.: Wenn dies der Fall ge- weſen iſt, wieſo konnte Singer dann die Art der gemeinſchaftlichen Gebahrungsweiſe als Malverſation bezeichnen? — Angekl.: Das weiß ich nicht. — Vorſ.: Wie viel hat alſo das „Conſortium“ nebenbei ver- dient? — Angekl.: Circa 1900 fl. — Vorſ.: Vor dem Unterſuchungsrichter haben Sie zugegeben, das Bankhaus betrogen zu haben. Wie iſt das mit Ihrer heutigen Darſtellung vereinbarlich? — Angekl.: Ich war damals ſo aufgeregt, daß ich nicht wußte, was ich Alles beſtätigte. — Vorſ.: An der Aneignung von Coupons waren Sie nicht betheiligt? — Angekl.: Die hat Singer genommen und mir Proviſionen be- zahlt. Ich wollte doch Niemanden ſchädigen und wenn ich gewußt hätte, daß man das, wozu wir Beamten uns berechtigt hielten, als Diebſtahl auffaßt, hätte ich dem Chef Alles geſagt und zurückgegeben, was ich be- kommen habe. Der Vorſitzende confrontirt hierauf die Angeklagten Jonientz und Singer miteinander. Erſterer ſagt zu Singer: Coupons habe ich nicht genommen. — Singer: Möglich, ich erinnere mich nicht. Der Angeklagte Otto Erban, Couponcaſſier bei Czizek, bezog nur einen Monatsgehalt von 90 fl. und hatte für ſeine Gattin und zwei Kinder zu ſorgen. Als er ſeine früher gehabte Nebenbeſchäftigung ver- loren hatte und ſeine Frau überdies noch erkrankte, ließ er ſich, wie er weinend angibt, verleiten, jene Handlung zu begehen, wegen welcher er ſich nun zu verantworten hat. Singer und Andere hätten Coupons gebracht, die er einlöſte; er habe auch kleine Proviſionen von Börſegeſchäften bekommen. Der Angeklagte Hans Kremar behauptet ebenfalls, daß die Vortheile beim Ein- und Verkaufe der Eſſecten vom Bankhauſe als Entſchädigung für beſondere Leiſtungen den Beamten eingeräumt worden ſeien; von dem Vortheile aus den Zinſendifferenzen habe er überhaupt erſt nachträglich erfahren. — Vorſ.: Und was hat es mit den Couponaneignungen für ein Bewandtniß? — Angekl.: Davon hatte ich gar keine Kenntniß, wenn es auch möglich iſt, daß ich daraus, ohne daß mir dies bekannt gegeben wurde, betheilt worden bin. Zeugenverhör. Der Geſellſchafter der Bankfirma Czizek, Doctor Grimus v. Grimburg, deponirt, daß Singer zwar für das Bankhaus Erkundigungen auf der Börſe einzuziehen und Aufträge des Bankhauſes auszuführen hatte, aber nicht eigentlicher Börſendisponent des Bank- hauſes war. Er war eigentlich Effectencaſſier und theilte ſich in den damit zuſammenhängenden Parteien- verkehr mit Jonienz. — Vorſ.: Welchen Einfluß hatte Singer beim Ein- und Verkauf der Effecten? — Zeuge: Ihm oblag die Cursbeſtimmung. — Vorſ.: Innerhalb welcher Schranken? — Zeuge: Innerhalb der Schranken der Curſe von Geld und Waare. Eine Ausnahme machten nur gewiſſe Actien. Was die gegenſeitige Caſſenſperre betrifft, ſo hatten Singer und Jonientz je einen Schlüſſel, doch die Art dieſer Gegenſperre war eine ſolche, daß einer der Vertheidiger mit Recht von derſelben ſagte: So eine Sperre iſt mir in meinem Leben noch nicht vor- gekommen. Bei Tag kann Singer oder Jonientz ſo oft in die Caſſe, als ein Jeder will, und während der Nacht iſt die Caſſe ohnedies geſchloſſen, ſo daß die Doppelſperre eigentlich ganz werthlos iſt. Zeuge gibt weiter bezüglich der eingeſtellten Zah- lungen der Proviſionen an, er habe dieſelben deshalb ſiſtirt, weil ſie erſtens zu hoch bemeſſen waren und es anderſeits nicht heißen ſollte, durch dieſelben würden die Beamten ſeines Hauſes zum Börſenſpiele verleitet. Der geweſene Procuriſt der Firma Czjzek, Alois Schwanzer und der Vicedirector der Verkehrs- bank Hickl, der ſeinerzeit ebenfalls bei Czjzek gedient hat, geben übereinſtimmend an, das Proviſions- weſen ſei ſtillſchweigend geduldet worden. Der verbrannte Hirtenbrief. Der Heraus- geber des Schundblattes „Scherer“, Carl Haber- mann, der bekanntlich im Juli v. J. in Innsbruck öffentlich einen Hirtenbrief des Fürſterzbiſchofs von Brixen verbrannt hat, hatte ſich bereits zum dritten Male wegen dieſes Frevels vor Gericht zu verant- worten. Das erſte Mal vor dem Innsbrucker Er- kenntnißgerichte, welches Habermann freiſprach; der Caſſationshof hob jedoch das Urtheil auf und bei der neuerlichen Verhandlung wurde der Angeklagte zu 8 Tagen Arreſts verurtheilt. Auf Grund der Nichtigkeitsbeſchwerde hob der Caſſationshof das Urtheil abermals auf und delegirte das Kreisgericht Feldkirch für die dritte Verhandlung. Bei derſelben wurde der Angeklagte zur Abwechslung wieder freigeſprochen mit der Begründung, daß der objective Thatbeſtand, daß in der Verbrennung des Hirtenbriefes eine Herabwürdigung einer kirch- lichen Einrichtung liege, bejaht werden müſſe. Ebenſo war die Verbrennung geeignet, öffent- liches Aergerniß zu erregen. Das Schreiben ſei zweifellos ein Hirtenbrief. Die Verbrennung dieſes einzelnen, gegen den Angeklagten perſönlich ſich richtenden Hirtenbriefes laſſe aber noch nicht erkennen, daß die Herabwürdigung der ganzen kirchlichen Inſtitution beabſichtigt war und deshalb erfolge der Freiſpruch. Da diesmal der Staatsanwalt die Nichtigkeits beſchwerde anmeldete, gelangt die Affaire auch noch zum drittenmale vor den Caſſationshof. Der myſteriöſe Mord in Konitz. Wie aus Konitz telegraphirt wird, iſt das Verfahren gegen den chriſtlichen Fleiſchermeiſter Hoffmann wegen Todtſchlages durch Beſchluß der Strafkammer ein- geſtellt worden. Nach dem Wortlaut des Beſchluſſes hat die Vorunterſuchung ergeben, daß Hoffmann ſchuldlos iſt. Gewerbe. Zu den Wahlen in das Gewerbe- gericht. Binnen Kurzem finden die Erſatzwahlen für die ausgeloſten oder aus anderen Gründen ausgeſchiedenen

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 168, Wien, 26.07.1900, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost168_1900/10>, abgerufen am 29.04.2024.