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Sonntags-Blatt. Nr. 27. Berlin, 5. Juli 1868.

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[Beginn Spaltensatz] auf das zierlichste und geschmackvollste geordnet. Er bildete ein rei-
zendes Blumenbeet, dessen Rand der schönste Rasen schmückte. Welch'
ein edles Herz besaß diese junge Frau und wie rührend war es, daß
sie, obwohl in pekuniärer Bedrängniß, doch so viel erübrigte zum
Schmuck der Ruhestätte des Geliebten! Wozu sollte sie die Hülfe des
Todtengräberpaars in Anspruch nehmen? Dieses hätte die Schlum-
merstätte ihres Gatten auf keinen Fall so wunderschön zu zieren
verstanden.

Bertha war entzückt und verlangte nochmals für die Mutter und
das Brüderchen auch so schöne Blumen.

Er versprach, diesem Verlangen zu willfahren, obgleich die Selige
unten, wenn sie noch lebte, in ihrem anspruchslosem Sinn es für
Verschwendung gehalten hätte, die theuern, so schnell verblühenden
Kinder Flora's zu kaufen, und mit den wohlfeilen Moos= oder
Buchsbaum=Kränzen vollkommen zufrieden gewesen wäre -- brachte
diese doch der treue Gatte, das geliebte Töchterchen! Denn sie war
schlicht und anspruchslos gewesen, und nie war eine Anwandlung von
Eitelkeit und Prunksucht in ihre Seele gekommen; selbst als die Um-
stände einigen Aufwand erlaubt hätten, war sie nicht abgewichen von
den bescheidenen Gewohnheiten ihrer ursprünglichen Verhältnisse.

Das Bild der lieben Dahingeschiedenen erfüllte wieder das ganze
Denken des Hinterbliebenen. Sie war nicht schön gewesen, seine
Julie, auch nicht besonders gebildet; aber welch ein redliches Herz,
welch ein lauteres Gemüth! Und wie innig ihm ergeben, wie pflicht-
treu, wie aufopfernd und selbstverleugnend! Leider zu aufopfernd und
selbstverleugnend in ihrer Pflichterfüllung. War das doch ihr Tod
geworden! Schwere gefährliche Krankheit hatte erst ihn, dann Bertha
heimgesucht. Ohne Rücksicht auf sich selber wich sie weder Tag noch
Nacht von ihren Lieben, bis die Gefahr vorüber war. Sie erkaufte
deren Leben mit ihrem eigenen; sie starb bei der Geburt eines todten
Knaben -- im Tode noch von keinem andern Gedanken beseelt, als
der Sorge um die Jhrigen, als der Freude über deren Genesung.
Auch sonst -- welch eine vortreffliche Wirthin! Wie thätig und
arbeitsam vom dämmernden Morgen bis in die sinkende Nacht! Ohne
ihre Mitwirkung und ohne ihre Sparsamkeit wäre er nicht so schnell
zum wohlhabenden Mann geworden. Nie hatte es eine Hausfrau,
Gattin und Mutter gegeben, die ihr nur entfernt glich, und nie eine
glücklichere Ehe. Er hätte der schlechteste Mensch sein müssen, um
das je zu vergessen. Für ewig war die Liebe zu ihr und der Kum-
mer um sie seinem Herzen eingegraben!

Manch trauernder Wittwer denkt so in der ersten Zeit nach dem
Verlust der Gattin; die Erinnerung und das Bewußtsein, eine ge-
liebte Person für immer verloren zu haben, verhüllt ja deren Blößen,
verklärt deren Vorzüge und läßt das Beisammensein mit ihr oft in
ganz anderem Licht erscheinen, als einst die nüchterne Gegenwart.
Hier war es anders.

Schwandt war kein Mann von lebhafter Einbildungskraft. Jn
den sieben Jahren ihrer Ehe hatte nie ein Mißklang ihre Harmonie
getrübt, war von Tag zu Tag die Erkenntniß des hohen Werths
seiner Julie in ihm lebendiger geworden, hatte sie ihm stündlich neue
Beweise ihres vortrefflichen Herzens und ihrer Hingebung für ihn und
ihr Kind gegeben. Das erkannte nicht allein er an, sondern Jeder-
mann, der mit der Verewigten in Berührung kam. Er seufzte:
"Eine solche Frau giebt es nicht mehr!" Die Leute sagten: "Eine
solche Frau bekommt er nicht wieder!" Das Einzige, was man ihr
verdachte, war ihr rastloser Fleiß, ihre angestrengte Thätigkeit und
die mitunter fast an Knauserei grenzende Sparsamkeit in Bezug auf ihre
persönlichen Bedürfnisse. Wie wenigen Frauen wird heutigen Tages
das verdacht, wie vielen aber das Gegentheil!

Heiße Thränen netzten den Sand über ihrer sterblichen Hülle.
Jhr theures Vermächtniß, ihr Kind, fest in den Armen haltend,
weinte der sonst so ruhige, verständige Mann bitterlich. Erst als
Bertha, die aus Sympathie mitweinte, krampfhaft zu schluchzen be-
gann, faßte er sich gewaltsam, um die Kleine zu beruhigen.

Täglich wandelte er mit dem Kinde nach dem Friedhof, gewöhnlich
Mittags, denn Bertha durfte der noch rauhen Morgen= und Abend-
luft nicht ausgesetzt werden. Auch für die junge Wittwe war der
Kirchhof das Ziel einer täglichen Wallfahrt, selbst bei schlechtem
Wetter. Da auch sie die Zeit wählte, in welcher dieser Ort am ein-
samsten zu sein pflegte, konnte es nicht fehlen, daß sie öfter zusammen-
trafen. Das genirte Schwandt; noch mehr aber fürchtete er, die
Dame zu geniren. Daher hielt er sich mit Bertha entweder in be-
scheidener Entfernung bei der Betrachtung anderer Gräber auf, bis
die junge Frau sich entfernte, wenn dieselbe früher gekommen war
als er, oder er entfernte sich, wenn er sie kommen sah. Fast täglich
brachte sie frische Blumen, Veilchen, Schneeglöckchen, Leberblümchen,
Tausendschönchen entweder Sträuße oder Pflanzen in Töpfen, dann
zuletzt Pflänzchen, die sie mit großer Geschicklichkeit und eben so viel
Glück in dem zierlichen Grabblumenbeet heimisch machte. Die Pflan-
zen gediehen und wuchsen zusehends. Allerdings sparte sie dabei
keine Mühe, begoß und beschattete ihre Pfleglinge oder setzte sie der
[Spaltenumbruch] Sonne aus, je nachdem es erforderlich war, ließ kein Hälmchen Un-
kraut aufschießen und lockerte sorgfältig die Erde auf. Das kostete
viel Zeit, und Schwandt konnte nicht immer darauf warten, bis sie
sich entfernt hatte; er bemühte sich aber, die Wittwe möglichst wenig
zu stören, indem er sich am Fußende seines Grabes hielt und der
Kleinen das Sprechen wehrte, so weit sich das einem Kinde wehren läßt.

Allmälig gewöhnte sich Jeder der Beiden, deren Liebstes so nahe
bei einander ruhte, an die Gegenwart des Andern; man fühlte sich
nicht mehr genirt, ja man vermißte einander sogar, wenn zufällig die
Begegnung nicht stattfand. Sie fragten sich dann in Gedanken nach
der Ursache dieser Verspätung; sie beschäftigten sich auf dem Hingange
mit der Vermuthung, ob er oder sie wohl schon da sein möge. Na-
türlich unterließ es die junge Frau trotz ihres großen Kummers nicht,
den Mann zu betrachten, der seine Gattin so tief betrauerte, wie
wohl selten Einer. Denn daß die Männer "im Allgemeinen nicht viel
taugen", wußte die schöne Wittwe bereits, trotz ihrer Jugend; nur
ihr Verstorbener hatte eine glänzende Ausnahme gemacht, wofür er
ihre "ewige" Liebe, Treue und Trauer verdiente! Wie hoch stand
der geniale Künstler schon im Aeußern über Anderen, z. B. dem
armen Mann, der seine Frau verloren hatte! Nicht als wäre
Schwandt häßlich oder unansehnlich gewesen; er war im Gegentheil
ein großer, stattlicher Mann, allein ihm klebte zu viel Kleinbürger-
liches an, ihm fehlte durchaus die Gewandtheit, welche nur die Er-
ziehung giebt. Der Mangel an Lebensart verrieth sich auch darin,
daß er sie nie grüßte, wie es ihre häufigen Begegnungen doch erfor-
dert hätten. Die Verstorbene mußte, unbeschadet ihrer sonstigen Vor-
züge, eine sehr einfache, wie man zu sagen pflegt, "gewöhnliche" Frau
gewesen sein. Dafür zeugte schon der zwar bequeme, doch unmoderne,
durchaus nicht zierliche Schnitt in der Kleidung des Kindes, wie des
Vaters. Daß dieser sie dennoch so sehr betrauerte, bewies nur, daß
er eines besseren Looses würdig sei -- des Looses, eine feine schön-
heitssinnige Gattin zu haben, um von ihr den ihm fehlenden Schliff
zu erhalten! Jm Grunde ist ja aus jedem gemüthvollen Mann genau
das zu machen, was -- seine Frau aus ihm machen will!

Der letzten Erwägung diente die Erinnerung an ihren Edgar zum
Beweise; sie versetzte die junge Wittwe aufs Neue in Untröstlichkeit
über den frühen Verlust des Ewiggeliebten.

Der betrübte Wittwer konnte sich ungeachtet seiner tiefen Be-
trübniß nicht enthalten, mit Antheil die junge Trauernde zu be-
trachten. Wußte doch er, der jeden Augenblick seine Julie aufs
schmerzlichste vermißte, wie furchtbar ein Schlag des Schicksals ist,
der uns das Liebste vom Herzen reißt! Selbstverständlich minderte
ihre Jugend und Schönheit nicht die Theilnahme an ihrem traurigen,
dem seinen ähnlichen Geschick. Jugend und Schönheit sind nicht
wesentliche Erfordernisse zur Liebe -- seine Julie hatte Beides nicht
besessen, und war ihm doch ewig theuer, ewig unvergeßlich -- allein
sie erregen oder erhöhen die Theilnahme, besonders an Unglücklichen.
So schaute er denn oft auf die über die Blumen geneigte reizende
Gestalt, die sich bei der zunehmenden Wärme ohne den verhüllenden
Umhang zeigte; oder er folgte den raschen Bewegungen der feinen
weißen Hände, die fast zu fein und weiß schienen für die Berührung
mit der schmutzigen Erde. Begegnete ihm dabei ihr Blick, dann
wandte er sich ab, wie auf einer Jndiscretion ertappt, und ihre
Augen senkten sich hastig auf ihre blühenden Pfleglinge. Gern hätte
er sie, wie erwähnt, gegrüßt und angeredet; er hielt das aber für
unpassend. So gingen denn nur Blicke hin und her zwischen ihnen;
dieselben wurden jedoch stets länger und antheilvoller. Die Sym-
pathie, welche das gleiche Geschick zwei Trauernden nothwendig ein-
flößt, ward dadurch ohne Worte ausgedrückt.

Eines Tages flossen die Thränen der jungen Frau wieder reich-
licher als in der letzten Zeit auf ihre Blumen. Bertha hatte das ihr
auferlegte Schweigen längst drückend gefunden. Sie hatte die Dame
so oft gesehen, daß ihre ursprüngliche Scheu und Blödigkeit über-
wogen ward von dem Antheil an dem Kummer derselben und von
der Neugier, welche Kindern so natürlich ist. Sie machte sich daher
los von der Hand des Vaters, lief zu dessen Schreck zu der Dame
und fragte diese treuherzig:

"Liegt in dem Grabe da auch Deine Mutter mit dem Brüderchen
im Arm?" Sie konnte sich keinen andern Verlust denken.

"Ja, Kind, da liegt mein ganzes Glück, Alles, was ich lieb habe
auf Erden, Alles, was ich liebte und ewig lieben werde!" antwortete
Jene mit zitternder Stimme.

"Hast Du schöne Blumen! Unsere sind lange nicht so schön!"
plauderte das Kind zutraulich weiter.

"Aber Bertha -- wie unartig! Verzeihen Sie, gnädige Frau!"
sagte Schwandt verlegen, indem er respektvoll den Hut zog.

"Nicht doch! Warum wollten Sie das Kind schelten? Sind
wir nicht gleichsam Nachbarn, da unser Liebstes so nahe bei einander
ruht? Lassen Sie uns denn gute Nachbarschaft halten."

Heiß aufweinend barg sie das Antlitz in dem duftenden, spitzen-
besetzten Taschentuch.

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] auf das zierlichste und geschmackvollste geordnet. Er bildete ein rei-
zendes Blumenbeet, dessen Rand der schönste Rasen schmückte. Welch'
ein edles Herz besaß diese junge Frau und wie rührend war es, daß
sie, obwohl in pekuniärer Bedrängniß, doch so viel erübrigte zum
Schmuck der Ruhestätte des Geliebten! Wozu sollte sie die Hülfe des
Todtengräberpaars in Anspruch nehmen? Dieses hätte die Schlum-
merstätte ihres Gatten auf keinen Fall so wunderschön zu zieren
verstanden.

Bertha war entzückt und verlangte nochmals für die Mutter und
das Brüderchen auch so schöne Blumen.

Er versprach, diesem Verlangen zu willfahren, obgleich die Selige
unten, wenn sie noch lebte, in ihrem anspruchslosem Sinn es für
Verschwendung gehalten hätte, die theuern, so schnell verblühenden
Kinder Flora's zu kaufen, und mit den wohlfeilen Moos= oder
Buchsbaum=Kränzen vollkommen zufrieden gewesen wäre — brachte
diese doch der treue Gatte, das geliebte Töchterchen! Denn sie war
schlicht und anspruchslos gewesen, und nie war eine Anwandlung von
Eitelkeit und Prunksucht in ihre Seele gekommen; selbst als die Um-
stände einigen Aufwand erlaubt hätten, war sie nicht abgewichen von
den bescheidenen Gewohnheiten ihrer ursprünglichen Verhältnisse.

Das Bild der lieben Dahingeschiedenen erfüllte wieder das ganze
Denken des Hinterbliebenen. Sie war nicht schön gewesen, seine
Julie, auch nicht besonders gebildet; aber welch ein redliches Herz,
welch ein lauteres Gemüth! Und wie innig ihm ergeben, wie pflicht-
treu, wie aufopfernd und selbstverleugnend! Leider zu aufopfernd und
selbstverleugnend in ihrer Pflichterfüllung. War das doch ihr Tod
geworden! Schwere gefährliche Krankheit hatte erst ihn, dann Bertha
heimgesucht. Ohne Rücksicht auf sich selber wich sie weder Tag noch
Nacht von ihren Lieben, bis die Gefahr vorüber war. Sie erkaufte
deren Leben mit ihrem eigenen; sie starb bei der Geburt eines todten
Knaben — im Tode noch von keinem andern Gedanken beseelt, als
der Sorge um die Jhrigen, als der Freude über deren Genesung.
Auch sonst — welch eine vortreffliche Wirthin! Wie thätig und
arbeitsam vom dämmernden Morgen bis in die sinkende Nacht! Ohne
ihre Mitwirkung und ohne ihre Sparsamkeit wäre er nicht so schnell
zum wohlhabenden Mann geworden. Nie hatte es eine Hausfrau,
Gattin und Mutter gegeben, die ihr nur entfernt glich, und nie eine
glücklichere Ehe. Er hätte der schlechteste Mensch sein müssen, um
das je zu vergessen. Für ewig war die Liebe zu ihr und der Kum-
mer um sie seinem Herzen eingegraben!

Manch trauernder Wittwer denkt so in der ersten Zeit nach dem
Verlust der Gattin; die Erinnerung und das Bewußtsein, eine ge-
liebte Person für immer verloren zu haben, verhüllt ja deren Blößen,
verklärt deren Vorzüge und läßt das Beisammensein mit ihr oft in
ganz anderem Licht erscheinen, als einst die nüchterne Gegenwart.
Hier war es anders.

Schwandt war kein Mann von lebhafter Einbildungskraft. Jn
den sieben Jahren ihrer Ehe hatte nie ein Mißklang ihre Harmonie
getrübt, war von Tag zu Tag die Erkenntniß des hohen Werths
seiner Julie in ihm lebendiger geworden, hatte sie ihm stündlich neue
Beweise ihres vortrefflichen Herzens und ihrer Hingebung für ihn und
ihr Kind gegeben. Das erkannte nicht allein er an, sondern Jeder-
mann, der mit der Verewigten in Berührung kam. Er seufzte:
„Eine solche Frau giebt es nicht mehr!“ Die Leute sagten: „Eine
solche Frau bekommt er nicht wieder!“ Das Einzige, was man ihr
verdachte, war ihr rastloser Fleiß, ihre angestrengte Thätigkeit und
die mitunter fast an Knauserei grenzende Sparsamkeit in Bezug auf ihre
persönlichen Bedürfnisse. Wie wenigen Frauen wird heutigen Tages
das verdacht, wie vielen aber das Gegentheil!

Heiße Thränen netzten den Sand über ihrer sterblichen Hülle.
Jhr theures Vermächtniß, ihr Kind, fest in den Armen haltend,
weinte der sonst so ruhige, verständige Mann bitterlich. Erst als
Bertha, die aus Sympathie mitweinte, krampfhaft zu schluchzen be-
gann, faßte er sich gewaltsam, um die Kleine zu beruhigen.

Täglich wandelte er mit dem Kinde nach dem Friedhof, gewöhnlich
Mittags, denn Bertha durfte der noch rauhen Morgen= und Abend-
luft nicht ausgesetzt werden. Auch für die junge Wittwe war der
Kirchhof das Ziel einer täglichen Wallfahrt, selbst bei schlechtem
Wetter. Da auch sie die Zeit wählte, in welcher dieser Ort am ein-
samsten zu sein pflegte, konnte es nicht fehlen, daß sie öfter zusammen-
trafen. Das genirte Schwandt; noch mehr aber fürchtete er, die
Dame zu geniren. Daher hielt er sich mit Bertha entweder in be-
scheidener Entfernung bei der Betrachtung anderer Gräber auf, bis
die junge Frau sich entfernte, wenn dieselbe früher gekommen war
als er, oder er entfernte sich, wenn er sie kommen sah. Fast täglich
brachte sie frische Blumen, Veilchen, Schneeglöckchen, Leberblümchen,
Tausendschönchen entweder Sträuße oder Pflanzen in Töpfen, dann
zuletzt Pflänzchen, die sie mit großer Geschicklichkeit und eben so viel
Glück in dem zierlichen Grabblumenbeet heimisch machte. Die Pflan-
zen gediehen und wuchsen zusehends. Allerdings sparte sie dabei
keine Mühe, begoß und beschattete ihre Pfleglinge oder setzte sie der
[Spaltenumbruch] Sonne aus, je nachdem es erforderlich war, ließ kein Hälmchen Un-
kraut aufschießen und lockerte sorgfältig die Erde auf. Das kostete
viel Zeit, und Schwandt konnte nicht immer darauf warten, bis sie
sich entfernt hatte; er bemühte sich aber, die Wittwe möglichst wenig
zu stören, indem er sich am Fußende seines Grabes hielt und der
Kleinen das Sprechen wehrte, so weit sich das einem Kinde wehren läßt.

Allmälig gewöhnte sich Jeder der Beiden, deren Liebstes so nahe
bei einander ruhte, an die Gegenwart des Andern; man fühlte sich
nicht mehr genirt, ja man vermißte einander sogar, wenn zufällig die
Begegnung nicht stattfand. Sie fragten sich dann in Gedanken nach
der Ursache dieser Verspätung; sie beschäftigten sich auf dem Hingange
mit der Vermuthung, ob er oder sie wohl schon da sein möge. Na-
türlich unterließ es die junge Frau trotz ihres großen Kummers nicht,
den Mann zu betrachten, der seine Gattin so tief betrauerte, wie
wohl selten Einer. Denn daß die Männer „im Allgemeinen nicht viel
taugen“, wußte die schöne Wittwe bereits, trotz ihrer Jugend; nur
ihr Verstorbener hatte eine glänzende Ausnahme gemacht, wofür er
ihre „ewige“ Liebe, Treue und Trauer verdiente! Wie hoch stand
der geniale Künstler schon im Aeußern über Anderen, z. B. dem
armen Mann, der seine Frau verloren hatte! Nicht als wäre
Schwandt häßlich oder unansehnlich gewesen; er war im Gegentheil
ein großer, stattlicher Mann, allein ihm klebte zu viel Kleinbürger-
liches an, ihm fehlte durchaus die Gewandtheit, welche nur die Er-
ziehung giebt. Der Mangel an Lebensart verrieth sich auch darin,
daß er sie nie grüßte, wie es ihre häufigen Begegnungen doch erfor-
dert hätten. Die Verstorbene mußte, unbeschadet ihrer sonstigen Vor-
züge, eine sehr einfache, wie man zu sagen pflegt, „gewöhnliche“ Frau
gewesen sein. Dafür zeugte schon der zwar bequeme, doch unmoderne,
durchaus nicht zierliche Schnitt in der Kleidung des Kindes, wie des
Vaters. Daß dieser sie dennoch so sehr betrauerte, bewies nur, daß
er eines besseren Looses würdig sei — des Looses, eine feine schön-
heitssinnige Gattin zu haben, um von ihr den ihm fehlenden Schliff
zu erhalten! Jm Grunde ist ja aus jedem gemüthvollen Mann genau
das zu machen, was — seine Frau aus ihm machen will!

Der letzten Erwägung diente die Erinnerung an ihren Edgar zum
Beweise; sie versetzte die junge Wittwe aufs Neue in Untröstlichkeit
über den frühen Verlust des Ewiggeliebten.

Der betrübte Wittwer konnte sich ungeachtet seiner tiefen Be-
trübniß nicht enthalten, mit Antheil die junge Trauernde zu be-
trachten. Wußte doch er, der jeden Augenblick seine Julie aufs
schmerzlichste vermißte, wie furchtbar ein Schlag des Schicksals ist,
der uns das Liebste vom Herzen reißt! Selbstverständlich minderte
ihre Jugend und Schönheit nicht die Theilnahme an ihrem traurigen,
dem seinen ähnlichen Geschick. Jugend und Schönheit sind nicht
wesentliche Erfordernisse zur Liebe — seine Julie hatte Beides nicht
besessen, und war ihm doch ewig theuer, ewig unvergeßlich — allein
sie erregen oder erhöhen die Theilnahme, besonders an Unglücklichen.
So schaute er denn oft auf die über die Blumen geneigte reizende
Gestalt, die sich bei der zunehmenden Wärme ohne den verhüllenden
Umhang zeigte; oder er folgte den raschen Bewegungen der feinen
weißen Hände, die fast zu fein und weiß schienen für die Berührung
mit der schmutzigen Erde. Begegnete ihm dabei ihr Blick, dann
wandte er sich ab, wie auf einer Jndiscretion ertappt, und ihre
Augen senkten sich hastig auf ihre blühenden Pfleglinge. Gern hätte
er sie, wie erwähnt, gegrüßt und angeredet; er hielt das aber für
unpassend. So gingen denn nur Blicke hin und her zwischen ihnen;
dieselben wurden jedoch stets länger und antheilvoller. Die Sym-
pathie, welche das gleiche Geschick zwei Trauernden nothwendig ein-
flößt, ward dadurch ohne Worte ausgedrückt.

Eines Tages flossen die Thränen der jungen Frau wieder reich-
licher als in der letzten Zeit auf ihre Blumen. Bertha hatte das ihr
auferlegte Schweigen längst drückend gefunden. Sie hatte die Dame
so oft gesehen, daß ihre ursprüngliche Scheu und Blödigkeit über-
wogen ward von dem Antheil an dem Kummer derselben und von
der Neugier, welche Kindern so natürlich ist. Sie machte sich daher
los von der Hand des Vaters, lief zu dessen Schreck zu der Dame
und fragte diese treuherzig:

„Liegt in dem Grabe da auch Deine Mutter mit dem Brüderchen
im Arm?“ Sie konnte sich keinen andern Verlust denken.

„Ja, Kind, da liegt mein ganzes Glück, Alles, was ich lieb habe
auf Erden, Alles, was ich liebte und ewig lieben werde!“ antwortete
Jene mit zitternder Stimme.

„Hast Du schöne Blumen! Unsere sind lange nicht so schön!“
plauderte das Kind zutraulich weiter.

„Aber Bertha — wie unartig! Verzeihen Sie, gnädige Frau!“
sagte Schwandt verlegen, indem er respektvoll den Hut zog.

„Nicht doch! Warum wollten Sie das Kind schelten? Sind
wir nicht gleichsam Nachbarn, da unser Liebstes so nahe bei einander
ruht? Lassen Sie uns denn gute Nachbarschaft halten.“

Heiß aufweinend barg sie das Antlitz in dem duftenden, spitzen-
besetzten Taschentuch.

[Ende Spaltensatz]
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[210/0002] 210 auf das zierlichste und geschmackvollste geordnet. Er bildete ein rei- zendes Blumenbeet, dessen Rand der schönste Rasen schmückte. Welch' ein edles Herz besaß diese junge Frau und wie rührend war es, daß sie, obwohl in pekuniärer Bedrängniß, doch so viel erübrigte zum Schmuck der Ruhestätte des Geliebten! Wozu sollte sie die Hülfe des Todtengräberpaars in Anspruch nehmen? Dieses hätte die Schlum- merstätte ihres Gatten auf keinen Fall so wunderschön zu zieren verstanden. Bertha war entzückt und verlangte nochmals für die Mutter und das Brüderchen auch so schöne Blumen. Er versprach, diesem Verlangen zu willfahren, obgleich die Selige unten, wenn sie noch lebte, in ihrem anspruchslosem Sinn es für Verschwendung gehalten hätte, die theuern, so schnell verblühenden Kinder Flora's zu kaufen, und mit den wohlfeilen Moos= oder Buchsbaum=Kränzen vollkommen zufrieden gewesen wäre — brachte diese doch der treue Gatte, das geliebte Töchterchen! Denn sie war schlicht und anspruchslos gewesen, und nie war eine Anwandlung von Eitelkeit und Prunksucht in ihre Seele gekommen; selbst als die Um- stände einigen Aufwand erlaubt hätten, war sie nicht abgewichen von den bescheidenen Gewohnheiten ihrer ursprünglichen Verhältnisse. Das Bild der lieben Dahingeschiedenen erfüllte wieder das ganze Denken des Hinterbliebenen. Sie war nicht schön gewesen, seine Julie, auch nicht besonders gebildet; aber welch ein redliches Herz, welch ein lauteres Gemüth! Und wie innig ihm ergeben, wie pflicht- treu, wie aufopfernd und selbstverleugnend! Leider zu aufopfernd und selbstverleugnend in ihrer Pflichterfüllung. War das doch ihr Tod geworden! Schwere gefährliche Krankheit hatte erst ihn, dann Bertha heimgesucht. Ohne Rücksicht auf sich selber wich sie weder Tag noch Nacht von ihren Lieben, bis die Gefahr vorüber war. Sie erkaufte deren Leben mit ihrem eigenen; sie starb bei der Geburt eines todten Knaben — im Tode noch von keinem andern Gedanken beseelt, als der Sorge um die Jhrigen, als der Freude über deren Genesung. Auch sonst — welch eine vortreffliche Wirthin! Wie thätig und arbeitsam vom dämmernden Morgen bis in die sinkende Nacht! Ohne ihre Mitwirkung und ohne ihre Sparsamkeit wäre er nicht so schnell zum wohlhabenden Mann geworden. Nie hatte es eine Hausfrau, Gattin und Mutter gegeben, die ihr nur entfernt glich, und nie eine glücklichere Ehe. Er hätte der schlechteste Mensch sein müssen, um das je zu vergessen. Für ewig war die Liebe zu ihr und der Kum- mer um sie seinem Herzen eingegraben! Manch trauernder Wittwer denkt so in der ersten Zeit nach dem Verlust der Gattin; die Erinnerung und das Bewußtsein, eine ge- liebte Person für immer verloren zu haben, verhüllt ja deren Blößen, verklärt deren Vorzüge und läßt das Beisammensein mit ihr oft in ganz anderem Licht erscheinen, als einst die nüchterne Gegenwart. Hier war es anders. Schwandt war kein Mann von lebhafter Einbildungskraft. Jn den sieben Jahren ihrer Ehe hatte nie ein Mißklang ihre Harmonie getrübt, war von Tag zu Tag die Erkenntniß des hohen Werths seiner Julie in ihm lebendiger geworden, hatte sie ihm stündlich neue Beweise ihres vortrefflichen Herzens und ihrer Hingebung für ihn und ihr Kind gegeben. Das erkannte nicht allein er an, sondern Jeder- mann, der mit der Verewigten in Berührung kam. Er seufzte: „Eine solche Frau giebt es nicht mehr!“ Die Leute sagten: „Eine solche Frau bekommt er nicht wieder!“ Das Einzige, was man ihr verdachte, war ihr rastloser Fleiß, ihre angestrengte Thätigkeit und die mitunter fast an Knauserei grenzende Sparsamkeit in Bezug auf ihre persönlichen Bedürfnisse. Wie wenigen Frauen wird heutigen Tages das verdacht, wie vielen aber das Gegentheil! Heiße Thränen netzten den Sand über ihrer sterblichen Hülle. Jhr theures Vermächtniß, ihr Kind, fest in den Armen haltend, weinte der sonst so ruhige, verständige Mann bitterlich. Erst als Bertha, die aus Sympathie mitweinte, krampfhaft zu schluchzen be- gann, faßte er sich gewaltsam, um die Kleine zu beruhigen. Täglich wandelte er mit dem Kinde nach dem Friedhof, gewöhnlich Mittags, denn Bertha durfte der noch rauhen Morgen= und Abend- luft nicht ausgesetzt werden. Auch für die junge Wittwe war der Kirchhof das Ziel einer täglichen Wallfahrt, selbst bei schlechtem Wetter. Da auch sie die Zeit wählte, in welcher dieser Ort am ein- samsten zu sein pflegte, konnte es nicht fehlen, daß sie öfter zusammen- trafen. Das genirte Schwandt; noch mehr aber fürchtete er, die Dame zu geniren. Daher hielt er sich mit Bertha entweder in be- scheidener Entfernung bei der Betrachtung anderer Gräber auf, bis die junge Frau sich entfernte, wenn dieselbe früher gekommen war als er, oder er entfernte sich, wenn er sie kommen sah. Fast täglich brachte sie frische Blumen, Veilchen, Schneeglöckchen, Leberblümchen, Tausendschönchen entweder Sträuße oder Pflanzen in Töpfen, dann zuletzt Pflänzchen, die sie mit großer Geschicklichkeit und eben so viel Glück in dem zierlichen Grabblumenbeet heimisch machte. Die Pflan- zen gediehen und wuchsen zusehends. Allerdings sparte sie dabei keine Mühe, begoß und beschattete ihre Pfleglinge oder setzte sie der Sonne aus, je nachdem es erforderlich war, ließ kein Hälmchen Un- kraut aufschießen und lockerte sorgfältig die Erde auf. Das kostete viel Zeit, und Schwandt konnte nicht immer darauf warten, bis sie sich entfernt hatte; er bemühte sich aber, die Wittwe möglichst wenig zu stören, indem er sich am Fußende seines Grabes hielt und der Kleinen das Sprechen wehrte, so weit sich das einem Kinde wehren läßt. Allmälig gewöhnte sich Jeder der Beiden, deren Liebstes so nahe bei einander ruhte, an die Gegenwart des Andern; man fühlte sich nicht mehr genirt, ja man vermißte einander sogar, wenn zufällig die Begegnung nicht stattfand. Sie fragten sich dann in Gedanken nach der Ursache dieser Verspätung; sie beschäftigten sich auf dem Hingange mit der Vermuthung, ob er oder sie wohl schon da sein möge. Na- türlich unterließ es die junge Frau trotz ihres großen Kummers nicht, den Mann zu betrachten, der seine Gattin so tief betrauerte, wie wohl selten Einer. Denn daß die Männer „im Allgemeinen nicht viel taugen“, wußte die schöne Wittwe bereits, trotz ihrer Jugend; nur ihr Verstorbener hatte eine glänzende Ausnahme gemacht, wofür er ihre „ewige“ Liebe, Treue und Trauer verdiente! Wie hoch stand der geniale Künstler schon im Aeußern über Anderen, z. B. dem armen Mann, der seine Frau verloren hatte! Nicht als wäre Schwandt häßlich oder unansehnlich gewesen; er war im Gegentheil ein großer, stattlicher Mann, allein ihm klebte zu viel Kleinbürger- liches an, ihm fehlte durchaus die Gewandtheit, welche nur die Er- ziehung giebt. Der Mangel an Lebensart verrieth sich auch darin, daß er sie nie grüßte, wie es ihre häufigen Begegnungen doch erfor- dert hätten. Die Verstorbene mußte, unbeschadet ihrer sonstigen Vor- züge, eine sehr einfache, wie man zu sagen pflegt, „gewöhnliche“ Frau gewesen sein. Dafür zeugte schon der zwar bequeme, doch unmoderne, durchaus nicht zierliche Schnitt in der Kleidung des Kindes, wie des Vaters. Daß dieser sie dennoch so sehr betrauerte, bewies nur, daß er eines besseren Looses würdig sei — des Looses, eine feine schön- heitssinnige Gattin zu haben, um von ihr den ihm fehlenden Schliff zu erhalten! Jm Grunde ist ja aus jedem gemüthvollen Mann genau das zu machen, was — seine Frau aus ihm machen will! Der letzten Erwägung diente die Erinnerung an ihren Edgar zum Beweise; sie versetzte die junge Wittwe aufs Neue in Untröstlichkeit über den frühen Verlust des Ewiggeliebten. Der betrübte Wittwer konnte sich ungeachtet seiner tiefen Be- trübniß nicht enthalten, mit Antheil die junge Trauernde zu be- trachten. Wußte doch er, der jeden Augenblick seine Julie aufs schmerzlichste vermißte, wie furchtbar ein Schlag des Schicksals ist, der uns das Liebste vom Herzen reißt! Selbstverständlich minderte ihre Jugend und Schönheit nicht die Theilnahme an ihrem traurigen, dem seinen ähnlichen Geschick. Jugend und Schönheit sind nicht wesentliche Erfordernisse zur Liebe — seine Julie hatte Beides nicht besessen, und war ihm doch ewig theuer, ewig unvergeßlich — allein sie erregen oder erhöhen die Theilnahme, besonders an Unglücklichen. So schaute er denn oft auf die über die Blumen geneigte reizende Gestalt, die sich bei der zunehmenden Wärme ohne den verhüllenden Umhang zeigte; oder er folgte den raschen Bewegungen der feinen weißen Hände, die fast zu fein und weiß schienen für die Berührung mit der schmutzigen Erde. Begegnete ihm dabei ihr Blick, dann wandte er sich ab, wie auf einer Jndiscretion ertappt, und ihre Augen senkten sich hastig auf ihre blühenden Pfleglinge. Gern hätte er sie, wie erwähnt, gegrüßt und angeredet; er hielt das aber für unpassend. So gingen denn nur Blicke hin und her zwischen ihnen; dieselben wurden jedoch stets länger und antheilvoller. Die Sym- pathie, welche das gleiche Geschick zwei Trauernden nothwendig ein- flößt, ward dadurch ohne Worte ausgedrückt. Eines Tages flossen die Thränen der jungen Frau wieder reich- licher als in der letzten Zeit auf ihre Blumen. Bertha hatte das ihr auferlegte Schweigen längst drückend gefunden. Sie hatte die Dame so oft gesehen, daß ihre ursprüngliche Scheu und Blödigkeit über- wogen ward von dem Antheil an dem Kummer derselben und von der Neugier, welche Kindern so natürlich ist. Sie machte sich daher los von der Hand des Vaters, lief zu dessen Schreck zu der Dame und fragte diese treuherzig: „Liegt in dem Grabe da auch Deine Mutter mit dem Brüderchen im Arm?“ Sie konnte sich keinen andern Verlust denken. „Ja, Kind, da liegt mein ganzes Glück, Alles, was ich lieb habe auf Erden, Alles, was ich liebte und ewig lieben werde!“ antwortete Jene mit zitternder Stimme. „Hast Du schöne Blumen! Unsere sind lange nicht so schön!“ plauderte das Kind zutraulich weiter. „Aber Bertha — wie unartig! Verzeihen Sie, gnädige Frau!“ sagte Schwandt verlegen, indem er respektvoll den Hut zog. „Nicht doch! Warum wollten Sie das Kind schelten? Sind wir nicht gleichsam Nachbarn, da unser Liebstes so nahe bei einander ruht? Lassen Sie uns denn gute Nachbarschaft halten.“ Heiß aufweinend barg sie das Antlitz in dem duftenden, spitzen- besetzten Taschentuch.

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 27. Berlin, 5. Juli 1868, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt27_1868/2>, abgerufen am 03.05.2024.