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Sonntags-Blatt. Nr. 27. Berlin, 5. Juli 1868.

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[Beginn Spaltensatz]

Jhre Worte ergriffen ihn mit unbeschreiblicher Gewalt. Er be-
schloß bei sich, der armen, schönen Trauernden in der That ein guter
Nachbar zu sein und Alles, was in seinen Kräften stände, für sie zu
thun. Er war ihr das ja in doppelter Hinsicht schuldig: einmal um
ihrer rührenden Treue und Trauer willen, und dann als der Reprä-
sentantin jenes Geschlechts, dem sie angehörte, die ihn so unendlich
geliebt, so maßlos glücklich gemacht und nur durch ihren Tod be-
trübt hatte.

Jn seine gehobene Stimmung fiel ernüchternd, fast störend der
Ausruf der Kleinen:

"Ach, laß mich einmal an Deinem Taschentuch riechen! Der Guste
von oben gießt ihre Mutter Sonntags immer so was aufs Kleid.
Jch bat meine Mutter auch, davon zu kaufen; aber sie sagte, man
könne das Geld lieber armen Leuten geben, die Hunger haben; das
wäre nur für reiche Leute. Du bift wohl reich?"

Schwandt unterbrach mit dem unwilligen Gebot, zu schweigen,
das Geplauder seines Töchterchens, dessen Naivetät fast schon Jn-
discretion geworden war.

"Lassen Sie die Kleine! Nein, liebes Kind, ich bin nicht reich,
sondern arm, o unsäglich arm, elend und verlassen!" Und sie weinte
noch heftiger.

Er fühlte sich gedrungen, zu versichern, daß sie gewiß Freunde
habe -- haben müsse. Auf ihr von Schluchzen begleitetes Kopf-
schütteln fügte er hinzu, daß sie wenigstens auf ihn bauen könne unter
allen Umständen, daß er bereit sei, ihr mit Rath und That bei-
zustehen, wo sie dessen bedürfe und es irgend in seinen schwachen
Kräften stehe. Freilich gäbe es keinen Trost für einen Verlust, wie
den ihrigen; dennoch sei ein warmes, herzliches Mitgefühl stets wohl-
thuend, und dieses empfinde er für sie -- wenn sie ihm erlaube, das
auszusprechen.

Sie erlaubte es.

Das von Herzen kommende Wort eines biedern, gefühlvollen
Mannes ist stets von großer Wirkung, von größter, einer trostlosen
und trostbedürftigen Frau gegenüber. Hätte Schwandt eben die Ge-
wohnheit besessen, über sich zu reflektiren, nur die leiseste Hinneigung
zur Selbstbespiegelung, er würde sich über seine Beredsamkeit gewun-
dert haben; denn die sichtliche Wirkung seines Zuspruchs machte ihn
wahrhaft beredt.

Die Thränen der jungen Wittwe flossen immer sanfter, bis sie
zu fließen aufhörten. Sie erhob sich; dabei wehte ihr Taschentuch
im Winde. Das führte Schwandt in frischester Lebendigkeit den
Moment vor die Seele, in welchem er seine theure Verstorbene zuerst
sah; dieselbe war nämlich damals gerade beschäftigt, Wäsche auf-
zuhängen. Nun fand zwar nicht die mindeste Aehnlichkeit statt zwi-
schen den beiden Frauen; das arme Kind des Volks, das als Haus-
hälterin diente, hätte sich nicht vortheilhaft ausgenommen neben der
Offizierstochter und Künstlerwittwe. Diese war schön gewachsen, an-
muthig, jede Bewegung voll stolzer Anmuth, die Hand von tadelloser
Form und Weiße; Jene hatte eine etwas hohe Schulter, rothe, harte
Hände, trat ziemlich stark auf, und Grazie fehlte ihr durchaus. Dann
der einfache, zu der Arbeit passende Hausanzug, und die gleichfalls
einfache, doch die Dame von Geschmack und Bildung bezeichnende
Trauerkleidung! Auch die Situation -- wie verschieden! Hier eine
gebeugte, trostbedürftige Wittwe, mit deren thränenfeuchtem Taschen-
tuch der Wind spielte, dort ein resolutes, auf eigenen, ziemlich großen
Füßen stehendes Mädchen, das die Wäsche der Herrschaft auf einem
Hofe aufhängte. Um Erinnerungen wach zu rufen, bedarf es indeß
nicht einer durchgeführten Aehnlichkeit; es genügt dazu oft eine ganz
zufällige kleine Analogie als Anknüpfungspunkt. Das Gedächtniß ist
oft launenhaft, zumal das Gedächtniß des Herzens, der Liebe.
Schwandt sah seine Julie, wie er sie zum ersten Mal erblickt hatte;
er durchlebte noch einmal den ihm stets unvergeßlichen Moment ihrer
ersten Begegnung. Ueber den Hof gehend, fiel ihm die zierliche
Ordnung angenehm auf, in der die zusammengehörige Wäsche Reihe
an Reihe prangte. Während er sich nach derjenigen umsah, die das
Aufhängen so gut verstand, stieß er mit dem Kopf gegen eine Leine;
seine Mütze flog herab und in einen großen Kübel Wasser. Eine
weibliche Stimme schalt über die Waschfrau, welche die Leine nicht
mit der Stütze höher gespannt habe; zugleich fischte Julie -- denn
sie war es -- seine Mütze aus dem Waschzuber und schwenkte sie
tüchtig aus, doch mit gebührender Rücksicht auf die Wäsche, wobei
sie den Unfall lebhaft bedauerte. Das nahm ihr der junge Mann
hoch auf -- die meisten Mädchen hätten ihn ausgelacht! Bei ihrer
raschen Bewegung löste sich aber eine der Nadeln, womit die Schürze
aufgesteckt war, und die in dieser befindlichen Klammern wollten
herausfallen. Julie griff hastig nach dem Schürzenzipfel -- Schwandt
[Spaltenumbruch] desgleichen. Sein unerwarteter Diensteifer nützte jedoch nichts -- im
Gegentheil. Julie trat bei seiner raschen Annäherung erschrocken
zurück, und die Klammern lagen am Boden. Entschuldigungen stam-
melnd fiel er auf die Knie, die Klammern aufzusuchen. Er ward
dadurch auf ewig an das Mädchen "geklammert". Denn als sie
niederschaute auf ihn, der so plötzlich zu ihren Füßen lag, als er
gleichzeitig zu ihr emporblickte und ihre Blicke sich begegneten, da --
brachen sie in ein helles Gelächter aus. Das war ihre erste
Begegnung!

Er dachte daran und der darauf folgenden schönen, leider auf ewig
entschwundenen Zeit; dachte daran, wie er Julie täglich lieber gewonnen,
höher geschätzt habe all' die Jahre hindurch, wie sie sich stets als eine
tüchtige Wirthin, als ein gutes Herz, als ein fröhliches Gemüth be-
währt habe und nun von ihm gegangen sei -- auf Nimmer-
wiederkehr!

Erschüttert wandte er sich ab. Sein Schmerz wallte wieder heiß,
überwältigend auf. Die "Nachbarin" mußte jetzt ihm zusprechen.
Sie that es mit nicht minderer Beredsamkeit, als vorhin er entwickelt
hatte -- und mit nicht minderem Erfolg. Die Tröstungen einer mit-
fühlenden Frau schmiegen sich stets weich und lind, wie ein mildern-
der Balsam, an das wunde Herz eines Mannes. Schwandt erlangte
seine äußere Fassung endlich wieder.

Sie hielten seitdem gute Nachbarschaft. Welchen Trost gewährte
es Beiden, von ihren lieben Todten und von ihrem Schmerz zu einer
mitfühlenden, verständnißvollen Seele zu reden! Sie theilten ihr Leid
redlich mit einander, und getheilter Schmerz ist ja halber Schmerz.
Es that dabei nichts, daß die Betrauerten so verschieden gewesen, wie
die Trauernden verschieden waren; Sympathie gleicht Vieles aus
-- zuweilen Alles. Schwandt redete einfach und schlicht von seiner
Julie und davon, wie er sie vermisse -- Frau Wertel sprach schwung-
haft, weniger von ihrem Gatten, als von ihrer Liebe zu ihm, ihrer
Verzweiflung um ihn und seinen Tod. Jn ihr tauchte dabei der
Gedanke auf, daß die Frau eines so biedern, tüchtigen Mannes eine
glückliche Frau sei; er fand das Loos eines so geliebten und be-
trauerten Mannes beneidenswerth. Beide trafen darin zusammen,
daß sie den frühen Tod der Gattin, des Gatten, und gegenseitig sich
selbst tief beklagten und einander nach Kräften zu trösten suchten.

Die junge Frau hatte guten Grund, weniger von ihrem Verstor-
benen zu reden als von ihrem Schmerz. Es war eine sogenannte
Liebesheirath gewesen, ohne die Basis pekuniären Auskommens und
der Uebereinstimmung ihrer Angehörigen. Sie hatten geglaubt, um
glücklich zu sein bis an ihr seliges Ende, genüge es, einander zu lieben
und zu heirathen. Die junge Dame war sehr stolz darauf gewesen,
die Frau eines Malers zu sein, der wenigstens ein zweiter Rafael
werden und sie für alle Zeiten verewigen sollte. Der talentvolle
Künstler hatte gemeint, es bedürfe zur vollen Entfaltung seines Genius
nur, daß sein Jdeal, seine angebetete Adolphine liebend neben ihm
walle. Beide hatten sich getäuscht. Entbehren, Darben war ihre
Sache nicht, eben so wenig mit Wenigem Haushalten -- sie fand das
zu gemein; sie war im Hause einer reichen Tante, zwar nur aus
Mitleid, ohne berechtigten Anspruch, mit Luxus umgeben gewesen.
Er hatte sich's nicht träumen lassen, daß eine Frau so theuer sei,
daß sie nicht mit ihm, aus Liebe zu ihm sich über den Mangel
des Ueberflüssigen und zuweilen auch des Nöthigen leicht hinwegsetzen
könne, wie er es sonst gethan hatte und noch zu thun bereit war.
Es kam zu Thränen, Vorwürfen, Zwistigkeiten. Die Liebe entwich
darüber vielleicht nicht, wohl aber der Friede. Seine Arbeiten ge-
diehen nicht dabei -- das Hauswesen auch nicht. Er suchte Zer-
streuung, Vergessenheit im Wein, bis ein Nervenfieber ihn dahinraffte.
Möglich, daß seine Wittwe um so untröstlicher war, je weniger
glücklich und friedevoll die letzte Zeit gewesen -- Reue und Selbst-
vorwurf schärft den Stachel des Schmerzes. Jm Grunde aber
klagte sie nicht sich selber, auch nicht mehr, wie zu seinen Lebzeiten,
Edgar an, sondern hauptsächlich das Schicksal. Jedenfalls erinnerte
sie sich lieber der schönen Zeit der Jllusionen, als der überaus un-
erquicklichen der Enttäuschungen. Viele Frauen -- und auch manche
Männer -- haben ein gewisses Talent, die Vergangenheit in der Erin-
nerung umzugestalten, Eingebildetes für Wahrheit zu halten und
wirklich vorhanden Gewesenes zu ignoriren. Leider war des Uner-
quicklichen auch jetzt noch reichlich genug vorhanden in ihrem Leben --
sie kämpfte, wie früher, mit pekuniärer Noth. Da flossen denn die
Thränen nicht allein dem Geliebten, sondern auch -- dem Ernährer.
Und sie pflegen um so heißer zu fließen, je weniger gut derselbe für
die Zukunft gesorgt oder zu sorgen vermocht hatte.

( Schluß folgt. )

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]

Jhre Worte ergriffen ihn mit unbeschreiblicher Gewalt. Er be-
schloß bei sich, der armen, schönen Trauernden in der That ein guter
Nachbar zu sein und Alles, was in seinen Kräften stände, für sie zu
thun. Er war ihr das ja in doppelter Hinsicht schuldig: einmal um
ihrer rührenden Treue und Trauer willen, und dann als der Reprä-
sentantin jenes Geschlechts, dem sie angehörte, die ihn so unendlich
geliebt, so maßlos glücklich gemacht und nur durch ihren Tod be-
trübt hatte.

Jn seine gehobene Stimmung fiel ernüchternd, fast störend der
Ausruf der Kleinen:

„Ach, laß mich einmal an Deinem Taschentuch riechen! Der Guste
von oben gießt ihre Mutter Sonntags immer so was aufs Kleid.
Jch bat meine Mutter auch, davon zu kaufen; aber sie sagte, man
könne das Geld lieber armen Leuten geben, die Hunger haben; das
wäre nur für reiche Leute. Du bift wohl reich?“

Schwandt unterbrach mit dem unwilligen Gebot, zu schweigen,
das Geplauder seines Töchterchens, dessen Naivetät fast schon Jn-
discretion geworden war.

„Lassen Sie die Kleine! Nein, liebes Kind, ich bin nicht reich,
sondern arm, o unsäglich arm, elend und verlassen!“ Und sie weinte
noch heftiger.

Er fühlte sich gedrungen, zu versichern, daß sie gewiß Freunde
habe — haben müsse. Auf ihr von Schluchzen begleitetes Kopf-
schütteln fügte er hinzu, daß sie wenigstens auf ihn bauen könne unter
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zustehen, wo sie dessen bedürfe und es irgend in seinen schwachen
Kräften stehe. Freilich gäbe es keinen Trost für einen Verlust, wie
den ihrigen; dennoch sei ein warmes, herzliches Mitgefühl stets wohl-
thuend, und dieses empfinde er für sie — wenn sie ihm erlaube, das
auszusprechen.

Sie erlaubte es.

Das von Herzen kommende Wort eines biedern, gefühlvollen
Mannes ist stets von großer Wirkung, von größter, einer trostlosen
und trostbedürftigen Frau gegenüber. Hätte Schwandt eben die Ge-
wohnheit besessen, über sich zu reflektiren, nur die leiseste Hinneigung
zur Selbstbespiegelung, er würde sich über seine Beredsamkeit gewun-
dert haben; denn die sichtliche Wirkung seines Zuspruchs machte ihn
wahrhaft beredt.

Die Thränen der jungen Wittwe flossen immer sanfter, bis sie
zu fließen aufhörten. Sie erhob sich; dabei wehte ihr Taschentuch
im Winde. Das führte Schwandt in frischester Lebendigkeit den
Moment vor die Seele, in welchem er seine theure Verstorbene zuerst
sah; dieselbe war nämlich damals gerade beschäftigt, Wäsche auf-
zuhängen. Nun fand zwar nicht die mindeste Aehnlichkeit statt zwi-
schen den beiden Frauen; das arme Kind des Volks, das als Haus-
hälterin diente, hätte sich nicht vortheilhaft ausgenommen neben der
Offizierstochter und Künstlerwittwe. Diese war schön gewachsen, an-
muthig, jede Bewegung voll stolzer Anmuth, die Hand von tadelloser
Form und Weiße; Jene hatte eine etwas hohe Schulter, rothe, harte
Hände, trat ziemlich stark auf, und Grazie fehlte ihr durchaus. Dann
der einfache, zu der Arbeit passende Hausanzug, und die gleichfalls
einfache, doch die Dame von Geschmack und Bildung bezeichnende
Trauerkleidung! Auch die Situation — wie verschieden! Hier eine
gebeugte, trostbedürftige Wittwe, mit deren thränenfeuchtem Taschen-
tuch der Wind spielte, dort ein resolutes, auf eigenen, ziemlich großen
Füßen stehendes Mädchen, das die Wäsche der Herrschaft auf einem
Hofe aufhängte. Um Erinnerungen wach zu rufen, bedarf es indeß
nicht einer durchgeführten Aehnlichkeit; es genügt dazu oft eine ganz
zufällige kleine Analogie als Anknüpfungspunkt. Das Gedächtniß ist
oft launenhaft, zumal das Gedächtniß des Herzens, der Liebe.
Schwandt sah seine Julie, wie er sie zum ersten Mal erblickt hatte;
er durchlebte noch einmal den ihm stets unvergeßlichen Moment ihrer
ersten Begegnung. Ueber den Hof gehend, fiel ihm die zierliche
Ordnung angenehm auf, in der die zusammengehörige Wäsche Reihe
an Reihe prangte. Während er sich nach derjenigen umsah, die das
Aufhängen so gut verstand, stieß er mit dem Kopf gegen eine Leine;
seine Mütze flog herab und in einen großen Kübel Wasser. Eine
weibliche Stimme schalt über die Waschfrau, welche die Leine nicht
mit der Stütze höher gespannt habe; zugleich fischte Julie — denn
sie war es — seine Mütze aus dem Waschzuber und schwenkte sie
tüchtig aus, doch mit gebührender Rücksicht auf die Wäsche, wobei
sie den Unfall lebhaft bedauerte. Das nahm ihr der junge Mann
hoch auf — die meisten Mädchen hätten ihn ausgelacht! Bei ihrer
raschen Bewegung löste sich aber eine der Nadeln, womit die Schürze
aufgesteckt war, und die in dieser befindlichen Klammern wollten
herausfallen. Julie griff hastig nach dem Schürzenzipfel — Schwandt
[Spaltenumbruch] desgleichen. Sein unerwarteter Diensteifer nützte jedoch nichts — im
Gegentheil. Julie trat bei seiner raschen Annäherung erschrocken
zurück, und die Klammern lagen am Boden. Entschuldigungen stam-
melnd fiel er auf die Knie, die Klammern aufzusuchen. Er ward
dadurch auf ewig an das Mädchen „geklammert“. Denn als sie
niederschaute auf ihn, der so plötzlich zu ihren Füßen lag, als er
gleichzeitig zu ihr emporblickte und ihre Blicke sich begegneten, da —
brachen sie in ein helles Gelächter aus. Das war ihre erste
Begegnung!

Er dachte daran und der darauf folgenden schönen, leider auf ewig
entschwundenen Zeit; dachte daran, wie er Julie täglich lieber gewonnen,
höher geschätzt habe all' die Jahre hindurch, wie sie sich stets als eine
tüchtige Wirthin, als ein gutes Herz, als ein fröhliches Gemüth be-
währt habe und nun von ihm gegangen sei — auf Nimmer-
wiederkehr!

Erschüttert wandte er sich ab. Sein Schmerz wallte wieder heiß,
überwältigend auf. Die „Nachbarin“ mußte jetzt ihm zusprechen.
Sie that es mit nicht minderer Beredsamkeit, als vorhin er entwickelt
hatte — und mit nicht minderem Erfolg. Die Tröstungen einer mit-
fühlenden Frau schmiegen sich stets weich und lind, wie ein mildern-
der Balsam, an das wunde Herz eines Mannes. Schwandt erlangte
seine äußere Fassung endlich wieder.

Sie hielten seitdem gute Nachbarschaft. Welchen Trost gewährte
es Beiden, von ihren lieben Todten und von ihrem Schmerz zu einer
mitfühlenden, verständnißvollen Seele zu reden! Sie theilten ihr Leid
redlich mit einander, und getheilter Schmerz ist ja halber Schmerz.
Es that dabei nichts, daß die Betrauerten so verschieden gewesen, wie
die Trauernden verschieden waren; Sympathie gleicht Vieles aus
— zuweilen Alles. Schwandt redete einfach und schlicht von seiner
Julie und davon, wie er sie vermisse — Frau Wertel sprach schwung-
haft, weniger von ihrem Gatten, als von ihrer Liebe zu ihm, ihrer
Verzweiflung um ihn und seinen Tod. Jn ihr tauchte dabei der
Gedanke auf, daß die Frau eines so biedern, tüchtigen Mannes eine
glückliche Frau sei; er fand das Loos eines so geliebten und be-
trauerten Mannes beneidenswerth. Beide trafen darin zusammen,
daß sie den frühen Tod der Gattin, des Gatten, und gegenseitig sich
selbst tief beklagten und einander nach Kräften zu trösten suchten.

Die junge Frau hatte guten Grund, weniger von ihrem Verstor-
benen zu reden als von ihrem Schmerz. Es war eine sogenannte
Liebesheirath gewesen, ohne die Basis pekuniären Auskommens und
der Uebereinstimmung ihrer Angehörigen. Sie hatten geglaubt, um
glücklich zu sein bis an ihr seliges Ende, genüge es, einander zu lieben
und zu heirathen. Die junge Dame war sehr stolz darauf gewesen,
die Frau eines Malers zu sein, der wenigstens ein zweiter Rafael
werden und sie für alle Zeiten verewigen sollte. Der talentvolle
Künstler hatte gemeint, es bedürfe zur vollen Entfaltung seines Genius
nur, daß sein Jdeal, seine angebetete Adolphine liebend neben ihm
walle. Beide hatten sich getäuscht. Entbehren, Darben war ihre
Sache nicht, eben so wenig mit Wenigem Haushalten — sie fand das
zu gemein; sie war im Hause einer reichen Tante, zwar nur aus
Mitleid, ohne berechtigten Anspruch, mit Luxus umgeben gewesen.
Er hatte sich's nicht träumen lassen, daß eine Frau so theuer sei,
daß sie nicht mit ihm, aus Liebe zu ihm sich über den Mangel
des Ueberflüssigen und zuweilen auch des Nöthigen leicht hinwegsetzen
könne, wie er es sonst gethan hatte und noch zu thun bereit war.
Es kam zu Thränen, Vorwürfen, Zwistigkeiten. Die Liebe entwich
darüber vielleicht nicht, wohl aber der Friede. Seine Arbeiten ge-
diehen nicht dabei — das Hauswesen auch nicht. Er suchte Zer-
streuung, Vergessenheit im Wein, bis ein Nervenfieber ihn dahinraffte.
Möglich, daß seine Wittwe um so untröstlicher war, je weniger
glücklich und friedevoll die letzte Zeit gewesen — Reue und Selbst-
vorwurf schärft den Stachel des Schmerzes. Jm Grunde aber
klagte sie nicht sich selber, auch nicht mehr, wie zu seinen Lebzeiten,
Edgar an, sondern hauptsächlich das Schicksal. Jedenfalls erinnerte
sie sich lieber der schönen Zeit der Jllusionen, als der überaus un-
erquicklichen der Enttäuschungen. Viele Frauen — und auch manche
Männer — haben ein gewisses Talent, die Vergangenheit in der Erin-
nerung umzugestalten, Eingebildetes für Wahrheit zu halten und
wirklich vorhanden Gewesenes zu ignoriren. Leider war des Uner-
quicklichen auch jetzt noch reichlich genug vorhanden in ihrem Leben —
sie kämpfte, wie früher, mit pekuniärer Noth. Da flossen denn die
Thränen nicht allein dem Geliebten, sondern auch — dem Ernährer.
Und sie pflegen um so heißer zu fließen, je weniger gut derselbe für
die Zukunft gesorgt oder zu sorgen vermocht hatte.

( Schluß folgt. )

[Ende Spaltensatz]

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[211/0003] 211 Jhre Worte ergriffen ihn mit unbeschreiblicher Gewalt. Er be- schloß bei sich, der armen, schönen Trauernden in der That ein guter Nachbar zu sein und Alles, was in seinen Kräften stände, für sie zu thun. Er war ihr das ja in doppelter Hinsicht schuldig: einmal um ihrer rührenden Treue und Trauer willen, und dann als der Reprä- sentantin jenes Geschlechts, dem sie angehörte, die ihn so unendlich geliebt, so maßlos glücklich gemacht und nur durch ihren Tod be- trübt hatte. Jn seine gehobene Stimmung fiel ernüchternd, fast störend der Ausruf der Kleinen: „Ach, laß mich einmal an Deinem Taschentuch riechen! Der Guste von oben gießt ihre Mutter Sonntags immer so was aufs Kleid. Jch bat meine Mutter auch, davon zu kaufen; aber sie sagte, man könne das Geld lieber armen Leuten geben, die Hunger haben; das wäre nur für reiche Leute. Du bift wohl reich?“ Schwandt unterbrach mit dem unwilligen Gebot, zu schweigen, das Geplauder seines Töchterchens, dessen Naivetät fast schon Jn- discretion geworden war. „Lassen Sie die Kleine! Nein, liebes Kind, ich bin nicht reich, sondern arm, o unsäglich arm, elend und verlassen!“ Und sie weinte noch heftiger. Er fühlte sich gedrungen, zu versichern, daß sie gewiß Freunde habe — haben müsse. Auf ihr von Schluchzen begleitetes Kopf- schütteln fügte er hinzu, daß sie wenigstens auf ihn bauen könne unter allen Umständen, daß er bereit sei, ihr mit Rath und That bei- zustehen, wo sie dessen bedürfe und es irgend in seinen schwachen Kräften stehe. Freilich gäbe es keinen Trost für einen Verlust, wie den ihrigen; dennoch sei ein warmes, herzliches Mitgefühl stets wohl- thuend, und dieses empfinde er für sie — wenn sie ihm erlaube, das auszusprechen. Sie erlaubte es. Das von Herzen kommende Wort eines biedern, gefühlvollen Mannes ist stets von großer Wirkung, von größter, einer trostlosen und trostbedürftigen Frau gegenüber. Hätte Schwandt eben die Ge- wohnheit besessen, über sich zu reflektiren, nur die leiseste Hinneigung zur Selbstbespiegelung, er würde sich über seine Beredsamkeit gewun- dert haben; denn die sichtliche Wirkung seines Zuspruchs machte ihn wahrhaft beredt. Die Thränen der jungen Wittwe flossen immer sanfter, bis sie zu fließen aufhörten. Sie erhob sich; dabei wehte ihr Taschentuch im Winde. Das führte Schwandt in frischester Lebendigkeit den Moment vor die Seele, in welchem er seine theure Verstorbene zuerst sah; dieselbe war nämlich damals gerade beschäftigt, Wäsche auf- zuhängen. Nun fand zwar nicht die mindeste Aehnlichkeit statt zwi- schen den beiden Frauen; das arme Kind des Volks, das als Haus- hälterin diente, hätte sich nicht vortheilhaft ausgenommen neben der Offizierstochter und Künstlerwittwe. Diese war schön gewachsen, an- muthig, jede Bewegung voll stolzer Anmuth, die Hand von tadelloser Form und Weiße; Jene hatte eine etwas hohe Schulter, rothe, harte Hände, trat ziemlich stark auf, und Grazie fehlte ihr durchaus. Dann der einfache, zu der Arbeit passende Hausanzug, und die gleichfalls einfache, doch die Dame von Geschmack und Bildung bezeichnende Trauerkleidung! Auch die Situation — wie verschieden! Hier eine gebeugte, trostbedürftige Wittwe, mit deren thränenfeuchtem Taschen- tuch der Wind spielte, dort ein resolutes, auf eigenen, ziemlich großen Füßen stehendes Mädchen, das die Wäsche der Herrschaft auf einem Hofe aufhängte. Um Erinnerungen wach zu rufen, bedarf es indeß nicht einer durchgeführten Aehnlichkeit; es genügt dazu oft eine ganz zufällige kleine Analogie als Anknüpfungspunkt. Das Gedächtniß ist oft launenhaft, zumal das Gedächtniß des Herzens, der Liebe. Schwandt sah seine Julie, wie er sie zum ersten Mal erblickt hatte; er durchlebte noch einmal den ihm stets unvergeßlichen Moment ihrer ersten Begegnung. Ueber den Hof gehend, fiel ihm die zierliche Ordnung angenehm auf, in der die zusammengehörige Wäsche Reihe an Reihe prangte. Während er sich nach derjenigen umsah, die das Aufhängen so gut verstand, stieß er mit dem Kopf gegen eine Leine; seine Mütze flog herab und in einen großen Kübel Wasser. Eine weibliche Stimme schalt über die Waschfrau, welche die Leine nicht mit der Stütze höher gespannt habe; zugleich fischte Julie — denn sie war es — seine Mütze aus dem Waschzuber und schwenkte sie tüchtig aus, doch mit gebührender Rücksicht auf die Wäsche, wobei sie den Unfall lebhaft bedauerte. Das nahm ihr der junge Mann hoch auf — die meisten Mädchen hätten ihn ausgelacht! Bei ihrer raschen Bewegung löste sich aber eine der Nadeln, womit die Schürze aufgesteckt war, und die in dieser befindlichen Klammern wollten herausfallen. Julie griff hastig nach dem Schürzenzipfel — Schwandt desgleichen. Sein unerwarteter Diensteifer nützte jedoch nichts — im Gegentheil. Julie trat bei seiner raschen Annäherung erschrocken zurück, und die Klammern lagen am Boden. Entschuldigungen stam- melnd fiel er auf die Knie, die Klammern aufzusuchen. Er ward dadurch auf ewig an das Mädchen „geklammert“. Denn als sie niederschaute auf ihn, der so plötzlich zu ihren Füßen lag, als er gleichzeitig zu ihr emporblickte und ihre Blicke sich begegneten, da — brachen sie in ein helles Gelächter aus. Das war ihre erste Begegnung! Er dachte daran und der darauf folgenden schönen, leider auf ewig entschwundenen Zeit; dachte daran, wie er Julie täglich lieber gewonnen, höher geschätzt habe all' die Jahre hindurch, wie sie sich stets als eine tüchtige Wirthin, als ein gutes Herz, als ein fröhliches Gemüth be- währt habe und nun von ihm gegangen sei — auf Nimmer- wiederkehr! Erschüttert wandte er sich ab. Sein Schmerz wallte wieder heiß, überwältigend auf. Die „Nachbarin“ mußte jetzt ihm zusprechen. Sie that es mit nicht minderer Beredsamkeit, als vorhin er entwickelt hatte — und mit nicht minderem Erfolg. Die Tröstungen einer mit- fühlenden Frau schmiegen sich stets weich und lind, wie ein mildern- der Balsam, an das wunde Herz eines Mannes. Schwandt erlangte seine äußere Fassung endlich wieder. Sie hielten seitdem gute Nachbarschaft. Welchen Trost gewährte es Beiden, von ihren lieben Todten und von ihrem Schmerz zu einer mitfühlenden, verständnißvollen Seele zu reden! Sie theilten ihr Leid redlich mit einander, und getheilter Schmerz ist ja halber Schmerz. Es that dabei nichts, daß die Betrauerten so verschieden gewesen, wie die Trauernden verschieden waren; Sympathie gleicht Vieles aus — zuweilen Alles. Schwandt redete einfach und schlicht von seiner Julie und davon, wie er sie vermisse — Frau Wertel sprach schwung- haft, weniger von ihrem Gatten, als von ihrer Liebe zu ihm, ihrer Verzweiflung um ihn und seinen Tod. Jn ihr tauchte dabei der Gedanke auf, daß die Frau eines so biedern, tüchtigen Mannes eine glückliche Frau sei; er fand das Loos eines so geliebten und be- trauerten Mannes beneidenswerth. Beide trafen darin zusammen, daß sie den frühen Tod der Gattin, des Gatten, und gegenseitig sich selbst tief beklagten und einander nach Kräften zu trösten suchten. Die junge Frau hatte guten Grund, weniger von ihrem Verstor- benen zu reden als von ihrem Schmerz. Es war eine sogenannte Liebesheirath gewesen, ohne die Basis pekuniären Auskommens und der Uebereinstimmung ihrer Angehörigen. Sie hatten geglaubt, um glücklich zu sein bis an ihr seliges Ende, genüge es, einander zu lieben und zu heirathen. Die junge Dame war sehr stolz darauf gewesen, die Frau eines Malers zu sein, der wenigstens ein zweiter Rafael werden und sie für alle Zeiten verewigen sollte. Der talentvolle Künstler hatte gemeint, es bedürfe zur vollen Entfaltung seines Genius nur, daß sein Jdeal, seine angebetete Adolphine liebend neben ihm walle. Beide hatten sich getäuscht. Entbehren, Darben war ihre Sache nicht, eben so wenig mit Wenigem Haushalten — sie fand das zu gemein; sie war im Hause einer reichen Tante, zwar nur aus Mitleid, ohne berechtigten Anspruch, mit Luxus umgeben gewesen. Er hatte sich's nicht träumen lassen, daß eine Frau so theuer sei, daß sie nicht mit ihm, aus Liebe zu ihm sich über den Mangel des Ueberflüssigen und zuweilen auch des Nöthigen leicht hinwegsetzen könne, wie er es sonst gethan hatte und noch zu thun bereit war. Es kam zu Thränen, Vorwürfen, Zwistigkeiten. Die Liebe entwich darüber vielleicht nicht, wohl aber der Friede. Seine Arbeiten ge- diehen nicht dabei — das Hauswesen auch nicht. Er suchte Zer- streuung, Vergessenheit im Wein, bis ein Nervenfieber ihn dahinraffte. Möglich, daß seine Wittwe um so untröstlicher war, je weniger glücklich und friedevoll die letzte Zeit gewesen — Reue und Selbst- vorwurf schärft den Stachel des Schmerzes. Jm Grunde aber klagte sie nicht sich selber, auch nicht mehr, wie zu seinen Lebzeiten, Edgar an, sondern hauptsächlich das Schicksal. Jedenfalls erinnerte sie sich lieber der schönen Zeit der Jllusionen, als der überaus un- erquicklichen der Enttäuschungen. Viele Frauen — und auch manche Männer — haben ein gewisses Talent, die Vergangenheit in der Erin- nerung umzugestalten, Eingebildetes für Wahrheit zu halten und wirklich vorhanden Gewesenes zu ignoriren. Leider war des Uner- quicklichen auch jetzt noch reichlich genug vorhanden in ihrem Leben — sie kämpfte, wie früher, mit pekuniärer Noth. Da flossen denn die Thränen nicht allein dem Geliebten, sondern auch — dem Ernährer. Und sie pflegen um so heißer zu fließen, je weniger gut derselbe für die Zukunft gesorgt oder zu sorgen vermocht hatte. ( Schluß folgt. )

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Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 27. Berlin, 5. Juli 1868, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt27_1868/3>, abgerufen am 02.05.2024.