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Talvj, Volkslieder der Serben, 1825

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abredet, es kam zum Gefecht, und Milosch hob seinen Geg-
ner aus dem Sattel, ohne ihn jedoch zu beschädigen.

Wir wissen nicht, ob es das Gefühl dieser Demüthigung
gewesen, welches Wuks geheimen Verhandlungen mit dem
Sultan den Ausschlag gegeben. Selbst Verrath im Herzen
brütend, beschloß er, des Zaren Verdacht auf den verhaßten
Milosch zu leiten. Heimlich klagte er ihn bey jenem des Ein-
1389verständnisses mit den Türken an. Beyde Heere lagen zum
Schlagen fertig, auf einer großen, im südlichsten Serbien
gelegnen Ebne, Kossowo +) deutsch Amselfeld geheißen. Ob
nun Lasar ihm vielleicht nicht unbedingten Glauben beymaß,
oder einer großmüthigen Regung folgte: genug, er prüfte Mi-
losch auf eine Weise, die in beyden eine hohe Seele voraussetzte.
Am Vorabend der Schlacht nämlich versammelte er seine Kriegs-
obersten zum Mahle um sich her. Auf einmal ergriff er den
Becher, wandte sich an Milosch, trank ihm zu, und sagte:
"Diesen Becher bring' ich Dir, Milosch Obilitsch! ich wün-
sche Dir, daß Du ihn im Wohlseyn leeren mögest, obwohl
Du mich morgen in der Schlacht dem Sultan verrathen
wirst!" -- Milosch sprang entsetzt auf. Aber dann ergriff
er den Becher, that dem Fürsten Bescheid, und schwur mit
den heiligsten Eiden, er wolle ihm beweisen, daß er seinem
Herrn und seinem Glauben treu sey.

Den andern Morgen vor Tagesanbruch war er mit zwey
jungen Helden, Milan Toplitza und Iwan Koßantschitsch,
deren die Lieder häufig gedenken, verschwunden. Er hatte
seine Absicht, Murat zu ermorden, und das Lager des Fein-
des dadurch in Verwirrung zu bringen, Allen geheim gehal-
ten. So konnte es nicht fehlen, daß sein Verschwinden für
jetzt Wuks Beschuldigung bestätigte, und daß die Heeresab-

+) mit und ohne pop'ie, Feld, lat. campus merularum, unga-
risch: rigomezrye.

abredet, es kam zum Gefecht, und Milosch hob seinen Geg-
ner aus dem Sattel, ohne ihn jedoch zu beschädigen.

Wir wissen nicht, ob es das Gefühl dieser Demüthigung
gewesen, welches Wuks geheimen Verhandlungen mit dem
Sultan den Ausschlag gegeben. Selbst Verrath im Herzen
brütend, beschloß er, des Zaren Verdacht auf den verhaßten
Milosch zu leiten. Heimlich klagte er ihn bey jenem des Ein-
1389verständnisses mit den Türken an. Beyde Heere lagen zum
Schlagen fertig, auf einer großen, im südlichsten Serbien
gelegnen Ebne, Kossowo †) deutsch Amselfeld geheißen. Ob
nun Lasar ihm vielleicht nicht unbedingten Glauben beymaß,
oder einer großmüthigen Regung folgte: genug, er prüfte Mi-
losch auf eine Weise, die in beyden eine hohe Seele voraussetzte.
Am Vorabend der Schlacht nämlich versammelte er seine Kriegs-
obersten zum Mahle um sich her. Auf einmal ergriff er den
Becher, wandte sich an Milosch, trank ihm zu, und sagte:
„Diesen Becher bring' ich Dir, Milosch Obilitsch! ich wün-
sche Dir, daß Du ihn im Wohlseyn leeren mögest, obwohl
Du mich morgen in der Schlacht dem Sultan verrathen
wirst!“ — Milosch sprang entsetzt auf. Aber dann ergriff
er den Becher, that dem Fürsten Bescheid, und schwur mit
den heiligsten Eiden, er wolle ihm beweisen, daß er seinem
Herrn und seinem Glauben treu sey.

Den andern Morgen vor Tagesanbruch war er mit zwey
jungen Helden, Milan Toplitza und Iwan Koßantschitsch,
deren die Lieder häufig gedenken, verschwunden. Er hatte
seine Absicht, Murat zu ermorden, und das Lager des Fein-
des dadurch in Verwirrung zu bringen, Allen geheim gehal-
ten. So konnte es nicht fehlen, daß sein Verschwinden für
jetzt Wuks Beschuldigung bestätigte, und daß die Heeresab-

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[XXXI/0051] abredet, es kam zum Gefecht, und Milosch hob seinen Geg- ner aus dem Sattel, ohne ihn jedoch zu beschädigen. Wir wissen nicht, ob es das Gefühl dieser Demüthigung gewesen, welches Wuks geheimen Verhandlungen mit dem Sultan den Ausschlag gegeben. Selbst Verrath im Herzen brütend, beschloß er, des Zaren Verdacht auf den verhaßten Milosch zu leiten. Heimlich klagte er ihn bey jenem des Ein- verständnisses mit den Türken an. Beyde Heere lagen zum Schlagen fertig, auf einer großen, im südlichsten Serbien gelegnen Ebne, Kossowo †) deutsch Amselfeld geheißen. Ob nun Lasar ihm vielleicht nicht unbedingten Glauben beymaß, oder einer großmüthigen Regung folgte: genug, er prüfte Mi- losch auf eine Weise, die in beyden eine hohe Seele voraussetzte. Am Vorabend der Schlacht nämlich versammelte er seine Kriegs- obersten zum Mahle um sich her. Auf einmal ergriff er den Becher, wandte sich an Milosch, trank ihm zu, und sagte: „Diesen Becher bring' ich Dir, Milosch Obilitsch! ich wün- sche Dir, daß Du ihn im Wohlseyn leeren mögest, obwohl Du mich morgen in der Schlacht dem Sultan verrathen wirst!“ — Milosch sprang entsetzt auf. Aber dann ergriff er den Becher, that dem Fürsten Bescheid, und schwur mit den heiligsten Eiden, er wolle ihm beweisen, daß er seinem Herrn und seinem Glauben treu sey. 1389 Den andern Morgen vor Tagesanbruch war er mit zwey jungen Helden, Milan Toplitza und Iwan Koßantschitsch, deren die Lieder häufig gedenken, verschwunden. Er hatte seine Absicht, Murat zu ermorden, und das Lager des Fein- des dadurch in Verwirrung zu bringen, Allen geheim gehal- ten. So konnte es nicht fehlen, daß sein Verschwinden für jetzt Wuks Beschuldigung bestätigte, und daß die Heeresab- †) mit und ohne поҧе, Feld, lat. campus merularum, unga- risch: rigomezrye.

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Zitationshilfe: Talvj, Volkslieder der Serben, 1825, S. XXXI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/51>, abgerufen am 28.04.2024.