Nachdenken, und wenn man auch ohne den gewünschten Fund von dannen geht, so hat man doch tausend merkwürdige Entdeckungen in sich selbst gemacht, die dem Leben einen neuen Glanz und dem Gemüth eine lange, belohnende Beschäftigung geben. Das Leben auf einem längst bewohnten und ehemals schon durch Fleiß, Thätigkeit und Neigung verherrlichten Boden hat einen besondern Reiz. Die Natur scheint dort menschlicher und verständlicher geworden, eine dunkle Er¬ innerung unter der durchsichtigen Gegenwart wirft die Bilder der Welt mit scharfen Um¬ rissen zurück, und so genießt man eine dop¬ pelte Welt, die eben dadurch das Schwere und Gewaltsame verliert und die zauberische Dichtung und Fabel unserer Sinne wird. Wer weiß, ob nicht auch ein unbegreiflicher Einfluß der ehemaligen, jetzt unsichtbaren Be¬ wohner mit ins Spiel kommt, und vielleicht
Nachdenken, und wenn man auch ohne den gewünſchten Fund von dannen geht, ſo hat man doch tauſend merkwürdige Entdeckungen in ſich ſelbſt gemacht, die dem Leben einen neuen Glanz und dem Gemüth eine lange, belohnende Beſchäftigung geben. Das Leben auf einem längſt bewohnten und ehemals ſchon durch Fleiß, Thätigkeit und Neigung verherrlichten Boden hat einen beſondern Reiz. Die Natur ſcheint dort menſchlicher und verſtändlicher geworden, eine dunkle Er¬ innerung unter der durchſichtigen Gegenwart wirft die Bilder der Welt mit ſcharfen Um¬ riſſen zurück, und ſo genießt man eine dop¬ pelte Welt, die eben dadurch das Schwere und Gewaltſame verliert und die zauberiſche Dichtung und Fabel unſerer Sinne wird. Wer weiß, ob nicht auch ein unbegreiflicher Einfluß der ehemaligen, jetzt unſichtbaren Be¬ wohner mit ins Spiel kommt, und vielleicht
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0130"n="122"/>
Nachdenken, und wenn man auch ohne den<lb/>
gewünſchten Fund von dannen geht, ſo hat<lb/>
man doch tauſend merkwürdige Entdeckungen<lb/>
in ſich ſelbſt gemacht, die dem Leben einen<lb/>
neuen Glanz und dem Gemüth eine lange,<lb/>
belohnende Beſchäftigung geben. Das Leben<lb/>
auf einem längſt bewohnten und ehemals<lb/>ſchon durch Fleiß, Thätigkeit und Neigung<lb/>
verherrlichten Boden hat einen beſondern<lb/>
Reiz. Die Natur ſcheint dort menſchlicher<lb/>
und verſtändlicher geworden, eine dunkle Er¬<lb/>
innerung unter der durchſichtigen Gegenwart<lb/>
wirft die Bilder der Welt mit ſcharfen Um¬<lb/>
riſſen zurück, und ſo genießt man eine dop¬<lb/>
pelte Welt, die eben dadurch das Schwere<lb/>
und Gewaltſame verliert und die zauberiſche<lb/>
Dichtung und Fabel unſerer Sinne wird.<lb/>
Wer weiß, ob nicht auch ein unbegreiflicher<lb/>
Einfluß der ehemaligen, jetzt unſichtbaren Be¬<lb/>
wohner mit ins Spiel kommt, und vielleicht<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[122/0130]
Nachdenken, und wenn man auch ohne den
gewünſchten Fund von dannen geht, ſo hat
man doch tauſend merkwürdige Entdeckungen
in ſich ſelbſt gemacht, die dem Leben einen
neuen Glanz und dem Gemüth eine lange,
belohnende Beſchäftigung geben. Das Leben
auf einem längſt bewohnten und ehemals
ſchon durch Fleiß, Thätigkeit und Neigung
verherrlichten Boden hat einen beſondern
Reiz. Die Natur ſcheint dort menſchlicher
und verſtändlicher geworden, eine dunkle Er¬
innerung unter der durchſichtigen Gegenwart
wirft die Bilder der Welt mit ſcharfen Um¬
riſſen zurück, und ſo genießt man eine dop¬
pelte Welt, die eben dadurch das Schwere
und Gewaltſame verliert und die zauberiſche
Dichtung und Fabel unſerer Sinne wird.
Wer weiß, ob nicht auch ein unbegreiflicher
Einfluß der ehemaligen, jetzt unſichtbaren Be¬
wohner mit ins Spiel kommt, und vielleicht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/130>, abgerufen am 08.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.