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Opitz, Martin: Buch von der Deutschen Poeterey. Breslau u. a., 1624.

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Denn ein Poete kan nicht schreiben wenn er wil/ sondern wenn
er kan/ vnd jhn die regung des Geistes welchen Ovidius vnnd
andere vom Himmel her zue kommen rermeinen/ treibet. Die-
se vnbesonnene Leute aber lassen vns weder die rechte zeit noch
gelegenheit: wie sich denn Politianus in einer epistel hefftig dar-
über beschwäret/ vnd Ronsardt/ wie Muretus meldet/ hat
pflegen zue sagen/ er empfinde nicht so grosse lust wann er seine
eigene Liebe beschriebe/ als er grossen verdruß einpfinde/ wann
er anderer jhre liebe beschreiben muste Wiewol etliche/ ge-
meiniglich aber die schlimmesten/ sich selber hierzue antragen/
vnd den leuten jhre träwme fast einzwingen. Diese meinet son-
derlich Aristokeles/ Eth. ad Nic. lib. 9. c. 7. da er saget/ das
sie ihre getichte vber die maße lieb haben/ vnd so hertzlich gegen
jhnen geneiget sein: wie die eltern gegen den kindern. Vnd Ci-
cero 5. Tus c.
spricht auch fast auff diesen schlag: In hoc cnim
genere nescio quo pacto magis quam in aliis fuum cuique
pulchrum est. adhuc neminem cognoui Poetam, & mihi
fuit cum Aquinio a micitia, qui sibi non optimus videre-
tur.
Das ferner die Poeten mit der warheit nicht allzeit vber-
einstimmen/ ist zum theil oben deßenthalben Vrsache erzehlet
worden/ vnd soll man auch wissen/ das die gantze Poeterey im
nachäffen der Natur bestehe/ vnd die dinge nicht so sehr beschrei-
be wie sie sein/ als wie sie etwan sein köndten oder solten. Es
sehen aber die menschen nicht alleine die sachen gerne/ welche
an sich selber eine ergetzung haben; als schöne Wiesen/ Berge/
Felde/ flüße/ ziehrlich Weibesvolck vnd dergleichen: sondern
sie hören auch die dinge mit lust erzehlen/ welche sie doch zue se-
hen nicht begehren; als wie Hercules seine Kinder ermordet/
wie Dido sich selber entleibet/ wie die Städte in den brand ge-
steckt werden/ wie die pest gantze Länder durchwütet/ vnd was
sonsten mehr bey den Pocten zue finden ist. Dienet also dieses
alles zue vberredung vnd vnterricht auch ergetzung der Leute;

welches

Denn ein Poete kan nicht ſchreiben wenn er wil/ ſondern wenn
er kan/ vnd jhn die regung des Geiſtes welchen Ovidius vnnd
andere vom Himmel her zue kommen rermeinen/ treibet. Die-
ſe vnbeſonnene Leute aber laſſen vns weder die rechte zeit noch
gelegenheit: wie ſich denn Politianus in einer epiſtel hefftig dar-
uͤber beſchwaͤret/ vnd Ronſardt/ wie Muretus meldet/ hat
pflegen zue ſagen/ er empfinde nicht ſo groſſe luſt wann er ſeine
eigene Liebe beſchriebe/ als er groſſen verdruß einpfinde/ wann
er anderer jhre liebe beſchreiben muſte Wiewol etliche/ ge-
meiniglich aber die ſchlimmeſten/ ſich ſelber hierzue antragen/
vnd den leuten jhre traͤwme faſt einzwingen. Dieſe meinet ſon-
derlich Ariſtokeles/ Eth. ad Nic. lib. 9. c. 7. da er ſaget/ das
ſie ihre getichte vber die maße lieb haben/ vnd ſo hertzlich gegen
jhnen geneiget ſein: wie die eltern gegen den kindern. Vnd Ci-
cero 5. Tus c.
ſpricht auch faſt auff dieſen ſchlag: In hoc cnim
genere neſcio quo pacto magis quam in aliis fuum cuique
pulchrum eſt. adhuc neminem cognoui Poetam, & mihi
fuit cum Aquinio a micitia, qui ſibi non optimus videre-
tur.
Das ferner die Poeten mit der warheit nicht allzeit vber-
einſtimmen/ iſt zum theil oben deßenthalben Vrſache erzehlet
worden/ vnd ſoll man auch wiſſen/ das die gantze Poeterey im
nachaͤffen der Natur beſtehe/ vnd die dinge nicht ſo ſehr beſchrei-
be wie ſie ſein/ als wie ſie etwan ſein koͤndten oder ſolten. Es
ſehen aber die menſchen nicht alleine die ſachen gerne/ welche
an ſich ſelber eine ergetzung haben; als ſchoͤne Wieſen/ Berge/
Felde/ fluͤße/ ziehrlich Weibesvolck vnd dergleichen: ſondern
ſie hoͤren auch die dinge mit luſt erzehlen/ welche ſie doch zue ſe-
hen nicht begehren; als wie Hercules ſeine Kinder ermordet/
wie Dido ſich ſelber entleibet/ wie die Staͤdte in den brand ge-
ſteckt werden/ wie die peſt gantze Laͤnder durchwuͤtet/ vnd was
ſonſten mehr bey den Pocten zue finden iſt. Dienet alſo dieſes
alles zue vberredung vnd vnterricht auch ergetzung der Leute;

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Zitationshilfe: Opitz, Martin: Buch von der Deutschen Poeterey. Breslau u. a., 1624, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/opitz_buch_1624/21>, abgerufen am 26.04.2024.