Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849.

Bild:
<< vorherige Seite

"Die Hauptsache ist, daß wir die Jugend wecken
für männlichere und edlere Freuden, an denen wir zu-
gleich selbst mit Theil nehmen," sagte Johannes. "Es
ist ein Elend, wenn die jungen Bauerbursche kein an-
dres Vergnügen kennen als entweder, wenn sie Abends
von der Arbeit kommen, in der engen, dumpfen Stube
auf der Ofenbank gleich einzuschlafen oder in die Schenke
zu gehen, um zu trinken oder zu spielen. Das Er-
stere hat etwas Thierisches, indeß das Letztere oft gerade-
zu zum Laster wird, und noch zu allerhand groben Aus-
schweifungen führt."

"Unser Pfarrer hat sich, um den Leuten Anregung
zur Unterhaltung zu geben, um die Verbreitung nütz-
licher Volksschriften sehr verdient gemacht," nahm der
Schullehrer wieder das Wort. "Er hat bei sich selbst
eine Art von kleiner Leihbibliothek eingerichtet -- aber
die Sache scheint leider keinen rechten Fortgang zuhaben."

"Ach, das Lesen ist schon recht gut," fiel Johannes
ein, "aber Bücher allein thun es nicht, ich weiß, wie
es damit geht. Hat man sie auch glücklich bis in die
Wohnstube des Landmanns gebracht, so treiben, sie sich
dennoch oft Jahrelang auf Tischen und in den Fenster-
nischen herum und sind oft vor dem Zerreißen nicht
sicher. Den meisten Landleuten, wenn sie nicht schon
eine besonders gute Erziehung genossen haben, besonders

„Die Hauptſache iſt, daß wir die Jugend wecken
fuͤr maͤnnlichere und edlere Freuden, an denen wir zu-
gleich ſelbſt mit Theil nehmen,“ ſagte Johannes. „Es
iſt ein Elend, wenn die jungen Bauerburſche kein an-
dres Vergnuͤgen kennen als entweder, wenn ſie Abends
von der Arbeit kommen, in der engen, dumpfen Stube
auf der Ofenbank gleich einzuſchlafen oder in die Schenke
zu gehen, um zu trinken oder zu ſpielen. Das Er-
ſtere hat etwas Thieriſches, indeß das Letztere oft gerade-
zu zum Laſter wird, und noch zu allerhand groben Aus-
ſchweifungen fuͤhrt.“

„Unſer Pfarrer hat ſich, um den Leuten Anregung
zur Unterhaltung zu geben, um die Verbreitung nuͤtz-
licher Volksſchriften ſehr verdient gemacht,“ nahm der
Schullehrer wieder das Wort. „Er hat bei ſich ſelbſt
eine Art von kleiner Leihbibliothek eingerichtet — aber
die Sache ſcheint leider keinen rechten Fortgang zuhaben.“

„Ach, das Leſen iſt ſchon recht gut,“ fiel Johannes
ein, „aber Buͤcher allein thun es nicht, ich weiß, wie
es damit geht. Hat man ſie auch gluͤcklich bis in die
Wohnſtube des Landmanns gebracht, ſo treiben, ſie ſich
dennoch oft Jahrelang auf Tiſchen und in den Fenſter-
niſchen herum und ſind oft vor dem Zerreißen nicht
ſicher. Den meiſten Landleuten, wenn ſie nicht ſchon
eine beſonders gute Erziehung genoſſen haben, beſonders

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0109" n="101"/>
        <p>&#x201E;Die Haupt&#x017F;ache i&#x017F;t, daß wir die Jugend wecken<lb/>
fu&#x0364;r ma&#x0364;nnlichere und edlere Freuden, an denen wir zu-<lb/>
gleich &#x017F;elb&#x017F;t mit Theil nehmen,&#x201C; &#x017F;agte Johannes. &#x201E;Es<lb/>
i&#x017F;t ein Elend, wenn die jungen Bauerbur&#x017F;che kein an-<lb/>
dres Vergnu&#x0364;gen kennen als entweder, wenn &#x017F;ie Abends<lb/>
von der Arbeit kommen, in der engen, dumpfen Stube<lb/>
auf der Ofenbank gleich einzu&#x017F;chlafen oder in die Schenke<lb/>
zu gehen, um zu trinken oder zu &#x017F;pielen. Das Er-<lb/>
&#x017F;tere hat etwas Thieri&#x017F;ches, indeß das Letztere oft gerade-<lb/>
zu zum La&#x017F;ter wird, und noch zu allerhand groben Aus-<lb/>
&#x017F;chweifungen fu&#x0364;hrt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Un&#x017F;er Pfarrer hat &#x017F;ich, um den Leuten Anregung<lb/>
zur Unterhaltung zu geben, um die Verbreitung nu&#x0364;tz-<lb/>
licher Volks&#x017F;chriften &#x017F;ehr verdient gemacht,&#x201C; nahm der<lb/>
Schullehrer wieder das Wort. &#x201E;Er hat bei &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
eine Art von kleiner Leihbibliothek eingerichtet &#x2014; aber<lb/>
die Sache &#x017F;cheint leider keinen rechten Fortgang zuhaben.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ach, das Le&#x017F;en i&#x017F;t &#x017F;chon recht gut,&#x201C; fiel Johannes<lb/>
ein, &#x201E;aber Bu&#x0364;cher allein thun es nicht, ich weiß, wie<lb/>
es damit geht. Hat man &#x017F;ie auch glu&#x0364;cklich bis in die<lb/>
Wohn&#x017F;tube des Landmanns gebracht, &#x017F;o treiben, &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
dennoch oft Jahrelang auf Ti&#x017F;chen und in den Fen&#x017F;ter-<lb/>
ni&#x017F;chen herum und &#x017F;ind oft vor dem Zerreißen nicht<lb/>
&#x017F;icher. Den mei&#x017F;ten Landleuten, wenn &#x017F;ie nicht &#x017F;chon<lb/>
eine be&#x017F;onders gute Erziehung geno&#x017F;&#x017F;en haben, be&#x017F;onders<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[101/0109] „Die Hauptſache iſt, daß wir die Jugend wecken fuͤr maͤnnlichere und edlere Freuden, an denen wir zu- gleich ſelbſt mit Theil nehmen,“ ſagte Johannes. „Es iſt ein Elend, wenn die jungen Bauerburſche kein an- dres Vergnuͤgen kennen als entweder, wenn ſie Abends von der Arbeit kommen, in der engen, dumpfen Stube auf der Ofenbank gleich einzuſchlafen oder in die Schenke zu gehen, um zu trinken oder zu ſpielen. Das Er- ſtere hat etwas Thieriſches, indeß das Letztere oft gerade- zu zum Laſter wird, und noch zu allerhand groben Aus- ſchweifungen fuͤhrt.“ „Unſer Pfarrer hat ſich, um den Leuten Anregung zur Unterhaltung zu geben, um die Verbreitung nuͤtz- licher Volksſchriften ſehr verdient gemacht,“ nahm der Schullehrer wieder das Wort. „Er hat bei ſich ſelbſt eine Art von kleiner Leihbibliothek eingerichtet — aber die Sache ſcheint leider keinen rechten Fortgang zuhaben.“ „Ach, das Leſen iſt ſchon recht gut,“ fiel Johannes ein, „aber Buͤcher allein thun es nicht, ich weiß, wie es damit geht. Hat man ſie auch gluͤcklich bis in die Wohnſtube des Landmanns gebracht, ſo treiben, ſie ſich dennoch oft Jahrelang auf Tiſchen und in den Fenſter- niſchen herum und ſind oft vor dem Zerreißen nicht ſicher. Den meiſten Landleuten, wenn ſie nicht ſchon eine beſonders gute Erziehung genoſſen haben, beſonders

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/109
Zitationshilfe: Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/109>, abgerufen am 29.04.2024.