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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849.

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besser kennen als ich. Jch bin auch armer Leute Kind,
aber doch in der Stadt geboren und aufgewachsen, da
sind die Menschen wieder anders, auch die Armen
und die Arbeiter. Mein Vater war ein Schuhmacher.
Damals in der sogenannten guten alten Zeit, als auch
das Handwerk noch einen goldnen Boden hatte, ging es
mit seinem Verdienst ganz gut -- ich konnte also in
eine leidliche Schule geschickt werden, und dann in das
Seminar kommen, weil meine Lehrer meinem Vater ge-
sagt hatten, ich könne und werde mehr lernen als ein
Handwerker, es sei schade um mich, wenn er mich dazu
bestimme -- beiläufig gesagt, ein ganz albernes Gerede,
denn Keiner ist zum Handwerker zu gut, und wenn er
als Handwerker recht viel lernt und weiß, desto besser
wird er auch sein Handwerk verstehen und damit vorwärts
kommen, und ein desto nützlicherer Staatsbürger wird er
übrigens werden. Wie ich nun aber schon auf dem Se-
minar war, kam die Gewerbefreiheit und ruinirte alle
Handwerker, die nicht mit einem großen Kapital sich wei-
ter helfen konnten oder von der alten soliden Arbeit der
neumodischen Schleuderarbeit sich zuwandten. So kam
auch mein Vater zurück -- und was soll ich's weiter
erzählen, ich habe die Noth und die Armuth in allen ihren
Gestalten kennen lernen! ich selbst erhielt mich nebenbei
mit Stundengeben und meine Schwester erhielt die alte

beſſer kennen als ich. Jch bin auch armer Leute Kind,
aber doch in der Stadt geboren und aufgewachſen, da
ſind die Menſchen wieder anders, auch die Armen
und die Arbeiter. Mein Vater war ein Schuhmacher.
Damals in der ſogenannten guten alten Zeit, als auch
das Handwerk noch einen goldnen Boden hatte, ging es
mit ſeinem Verdienſt ganz gut — ich konnte alſo in
eine leidliche Schule geſchickt werden, und dann in das
Seminar kommen, weil meine Lehrer meinem Vater ge-
ſagt hatten, ich koͤnne und werde mehr lernen als ein
Handwerker, es ſei ſchade um mich, wenn er mich dazu
beſtimme — beilaͤufig geſagt, ein ganz albernes Gerede,
denn Keiner iſt zum Handwerker zu gut, und wenn er
als Handwerker recht viel lernt und weiß, deſto beſſer
wird er auch ſein Handwerk verſtehen und damit vorwaͤrts
kommen, und ein deſto nuͤtzlicherer Staatsbuͤrger wird er
uͤbrigens werden. Wie ich nun aber ſchon auf dem Se-
minar war, kam die Gewerbefreiheit und ruinirte alle
Handwerker, die nicht mit einem großen Kapital ſich wei-
ter helfen konnten oder von der alten ſoliden Arbeit der
neumodiſchen Schleuderarbeit ſich zuwandten. So kam
auch mein Vater zuruͤck — und was ſoll ich’s weiter
erzaͤhlen, ich habe die Noth und die Armuth in allen ihren
Geſtalten kennen lernen! ich ſelbſt erhielt mich nebenbei
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[107/0115] beſſer kennen als ich. Jch bin auch armer Leute Kind, aber doch in der Stadt geboren und aufgewachſen, da ſind die Menſchen wieder anders, auch die Armen und die Arbeiter. Mein Vater war ein Schuhmacher. Damals in der ſogenannten guten alten Zeit, als auch das Handwerk noch einen goldnen Boden hatte, ging es mit ſeinem Verdienſt ganz gut — ich konnte alſo in eine leidliche Schule geſchickt werden, und dann in das Seminar kommen, weil meine Lehrer meinem Vater ge- ſagt hatten, ich koͤnne und werde mehr lernen als ein Handwerker, es ſei ſchade um mich, wenn er mich dazu beſtimme — beilaͤufig geſagt, ein ganz albernes Gerede, denn Keiner iſt zum Handwerker zu gut, und wenn er als Handwerker recht viel lernt und weiß, deſto beſſer wird er auch ſein Handwerk verſtehen und damit vorwaͤrts kommen, und ein deſto nuͤtzlicherer Staatsbuͤrger wird er uͤbrigens werden. Wie ich nun aber ſchon auf dem Se- minar war, kam die Gewerbefreiheit und ruinirte alle Handwerker, die nicht mit einem großen Kapital ſich wei- ter helfen konnten oder von der alten ſoliden Arbeit der neumodiſchen Schleuderarbeit ſich zuwandten. So kam auch mein Vater zuruͤck — und was ſoll ich’s weiter erzaͤhlen, ich habe die Noth und die Armuth in allen ihren Geſtalten kennen lernen! ich ſelbſt erhielt mich nebenbei mit Stundengeben und meine Schweſter erhielt die alte

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Zitationshilfe: Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/115>, abgerufen am 28.04.2024.