den sahen ihr aber so feierlich aus, daß sie sich gar nicht zu ihnen näher wagte, sondern weit von der Laube, in die sie gegangen waren, stehen blieb und vorn übers Ge- länder die Dorfgasse hinabschaute. Eben ging Suschen da vorüber und sah recht betrübt aus. Laura rief sie an:
"Guten Abend, Suschen, wo gehst Du denn so eilig hin, daß Du gar kein Blickchen hinein wirfst?"
"Ach denke nur" antwortete Suschen, "meine schwarze Spitzenkrause ist nirgend zu sehen und ich weiß gar nicht mehr, wo ich sie suchen soll."
Nun wußte Laura recht gut, daß die "Spitzenkrause" nicht etwa ein Putzstück Suschens war, sondern vielmehr deren Lieblingshenne, die sie so genannt hatte, weil sie ganz schwarz aussah und nur um den Hals weiß ge- sprengelt war, was ihr allerdings gerade wie eine Spitzen- krause ließ. "Das ist ja ewig Schade" sagte Laura theil- nehmend, "seit wann ist sie denn weg?"
"Ja, ich vermißte sie eben erst vorhin, wie ich die Hühner noch einmal fütterte, ehe sie zu Bette gingen, da kam sie nicht mit. Heute Mittag war sie noch da, sie gluckte und ich dachte: die wird auch noch brüten wollen; ein Wenig spät ist's schon im Jahr, aber da's die Spitzenkrause ist, dacht ich, willst du ihr das Brüten nicht verwehren. Jch machte ihr schon ein Nest zurecht und zeigt's ihr -- aber sie ist wieder davon fort gelaufen,
den ſahen ihr aber ſo feierlich aus, daß ſie ſich gar nicht zu ihnen naͤher wagte, ſondern weit von der Laube, in die ſie gegangen waren, ſtehen blieb und vorn uͤbers Ge- laͤnder die Dorfgaſſe hinabſchaute. Eben ging Suschen da voruͤber und ſah recht betruͤbt aus. Laura rief ſie an:
„Guten Abend, Suschen, wo gehſt Du denn ſo eilig hin, daß Du gar kein Blickchen hinein wirfſt?“
„Ach denke nur“ antwortete Suschen, „meine ſchwarze Spitzenkrauſe iſt nirgend zu ſehen und ich weiß gar nicht mehr, wo ich ſie ſuchen ſoll.“
Nun wußte Laura recht gut, daß die „Spitzenkrauſe“ nicht etwa ein Putzſtuͤck Suschens war, ſondern vielmehr deren Lieblingshenne, die ſie ſo genannt hatte, weil ſie ganz ſchwarz ausſah und nur um den Hals weiß ge- ſprengelt war, was ihr allerdings gerade wie eine Spitzen- krauſe ließ. „Das iſt ja ewig Schade“ ſagte Laura theil- nehmend, „ſeit wann iſt ſie denn weg?“
„Ja, ich vermißte ſie eben erſt vorhin, wie ich die Huͤhner noch einmal fuͤtterte, ehe ſie zu Bette gingen, da kam ſie nicht mit. Heute Mittag war ſie noch da, ſie gluckte und ich dachte: die wird auch noch bruͤten wollen; ein Wenig ſpaͤt iſt’s ſchon im Jahr, aber da’s die Spitzenkrauſe iſt, dacht ich, willſt du ihr das Bruͤten nicht verwehren. Jch machte ihr ſchon ein Neſt zurecht und zeigt’s ihr — aber ſie iſt wieder davon fort gelaufen,
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den ſahen ihr aber ſo feierlich aus, daß ſie ſich gar nicht
zu ihnen naͤher wagte, ſondern weit von der Laube, in
die ſie gegangen waren, ſtehen blieb und vorn uͤbers Ge-
laͤnder die Dorfgaſſe hinabſchaute. Eben ging Suschen
da voruͤber und ſah recht betruͤbt aus. Laura rief ſie an:
„Guten Abend, Suschen, wo gehſt Du denn ſo eilig
hin, daß Du gar kein Blickchen hinein wirfſt?“
„Ach denke nur“ antwortete Suschen, „meine ſchwarze
Spitzenkrauſe iſt nirgend zu ſehen und ich weiß gar nicht
mehr, wo ich ſie ſuchen ſoll.“
Nun wußte Laura recht gut, daß die „Spitzenkrauſe“
nicht etwa ein Putzſtuͤck Suschens war, ſondern vielmehr
deren Lieblingshenne, die ſie ſo genannt hatte, weil ſie
ganz ſchwarz ausſah und nur um den Hals weiß ge-
ſprengelt war, was ihr allerdings gerade wie eine Spitzen-
krauſe ließ. „Das iſt ja ewig Schade“ ſagte Laura theil-
nehmend, „ſeit wann iſt ſie denn weg?“
„Ja, ich vermißte ſie eben erſt vorhin, wie ich die
Huͤhner noch einmal fuͤtterte, ehe ſie zu Bette gingen,
da kam ſie nicht mit. Heute Mittag war ſie noch da,
ſie gluckte und ich dachte: die wird auch noch bruͤten
wollen; ein Wenig ſpaͤt iſt’s ſchon im Jahr, aber da’s
die Spitzenkrauſe iſt, dacht ich, willſt du ihr das Bruͤten
nicht verwehren. Jch machte ihr ſchon ein Neſt zurecht
und zeigt’s ihr — aber ſie iſt wieder davon fort gelaufen,
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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/119>, abgerufen am 29.04.2024.
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