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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849.

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die andern Nester sind auch leer und ich finde sie nir-
gends. Der Großknecht will sie auf der großen Dorf-
gasse gesehen haben, so such' und lauf' ich nun im gan-
zen Dorfe umher."

"Warte nur einen Augenblick, bis ich hinaus komme,"
bat Laura, "ich helfe Dir mit suchen, daß Du minde-
stens nicht so allein umher zu laufen brauchst."

Unser Schulmeister hatte gleich, wie sie kam, Sus-
chens Stimme vernommen, wenn er auch zu entfernt
war, ihre Worte zu verstehen. Warum mußte sie aber
gerade jetzt kommen? war das nicht ein Tropfen Bitter-
keit in den Kelch der Freundschaft, den er eben mit Jo-
hannes leeren wollte? hatten die beiden es nicht zu-
sammen abgekartet, daß sie hier vorübergehen wollte, wäh-
rend er drinn sei? Sie war jetzt so lange nicht zu
Laura gekommen und gerade heut' mußte sie kommen!
Unser Schulmeister ward sehr traurig -- aber Johannes
war ihm nur eben erst, durch Alles was er gesprochen,
zu lieb geworden, als daß er ihm jetzt hätte grollen kön-
nen -- er wußte selbst nicht, wie's ihm herausfuhr oder
warum er's eigentlich sagte, kurz, er sagte zu Johannes:
"Dort ist Suschen!" und deutete nach der Stelle, an
der sie stand. Johannes nahm das für eine Aufforderung,
daß sie hingehen und sie begrüßen wollten und eilte an
das Geländer. Langsam schlich unser Schulmeister nach

die andern Neſter ſind auch leer und ich finde ſie nir-
gends. Der Großknecht will ſie auf der großen Dorf-
gaſſe geſehen haben, ſo ſuch’ und lauf’ ich nun im gan-
zen Dorfe umher.“

„Warte nur einen Augenblick, bis ich hinaus komme,“
bat Laura, „ich helfe Dir mit ſuchen, daß Du minde-
ſtens nicht ſo allein umher zu laufen brauchſt.“

Unſer Schulmeiſter hatte gleich, wie ſie kam, Sus-
chens Stimme vernommen, wenn er auch zu entfernt
war, ihre Worte zu verſtehen. Warum mußte ſie aber
gerade jetzt kommen? war das nicht ein Tropfen Bitter-
keit in den Kelch der Freundſchaft, den er eben mit Jo-
hannes leeren wollte? hatten die beiden es nicht zu-
ſammen abgekartet, daß ſie hier voruͤbergehen wollte, waͤh-
rend er drinn ſei? Sie war jetzt ſo lange nicht zu
Laura gekommen und gerade heut’ mußte ſie kommen!
Unſer Schulmeiſter ward ſehr traurig — aber Johannes
war ihm nur eben erſt, durch Alles was er geſprochen,
zu lieb geworden, als daß er ihm jetzt haͤtte grollen koͤn-
nen — er wußte ſelbſt nicht, wie’s ihm herausfuhr oder
warum er’s eigentlich ſagte, kurz, er ſagte zu Johannes:
„Dort iſt Suschen!“ und deutete nach der Stelle, an
der ſie ſtand. Johannes nahm das fuͤr eine Aufforderung,
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[112/0120] die andern Neſter ſind auch leer und ich finde ſie nir- gends. Der Großknecht will ſie auf der großen Dorf- gaſſe geſehen haben, ſo ſuch’ und lauf’ ich nun im gan- zen Dorfe umher.“ „Warte nur einen Augenblick, bis ich hinaus komme,“ bat Laura, „ich helfe Dir mit ſuchen, daß Du minde- ſtens nicht ſo allein umher zu laufen brauchſt.“ Unſer Schulmeiſter hatte gleich, wie ſie kam, Sus- chens Stimme vernommen, wenn er auch zu entfernt war, ihre Worte zu verſtehen. Warum mußte ſie aber gerade jetzt kommen? war das nicht ein Tropfen Bitter- keit in den Kelch der Freundſchaft, den er eben mit Jo- hannes leeren wollte? hatten die beiden es nicht zu- ſammen abgekartet, daß ſie hier voruͤbergehen wollte, waͤh- rend er drinn ſei? Sie war jetzt ſo lange nicht zu Laura gekommen und gerade heut’ mußte ſie kommen! Unſer Schulmeiſter ward ſehr traurig — aber Johannes war ihm nur eben erſt, durch Alles was er geſprochen, zu lieb geworden, als daß er ihm jetzt haͤtte grollen koͤn- nen — er wußte ſelbſt nicht, wie’s ihm herausfuhr oder warum er’s eigentlich ſagte, kurz, er ſagte zu Johannes: „Dort iſt Suschen!“ und deutete nach der Stelle, an der ſie ſtand. Johannes nahm das fuͤr eine Aufforderung, daß ſie hingehen und ſie begruͤßen wollten und eilte an das Gelaͤnder. Langſam ſchlich unſer Schulmeiſter nach

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Zitationshilfe: Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/120>, abgerufen am 28.04.2024.