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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849.

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gelassen. Jch sagte Alles, was ich sagen konnte --
ich sprach nicht als Freund des Gefangenen oder seiner
Mutter, sondern nur als Seelsorger meiner Gemeinde,
als Christ, als Vater, als Mensch. Es war Alles um-
sonst. Jch will es nicht wiederholen, wie schnöde ich
abgewiesen ward!"

Bleicher Schrecken lag auf allen Gesichtern der Um-
stehenden -- aus Traugotts vor Wuth zitternden Lippen
rang sich ein Fluch -- Mutter Eva stöhnte und flehte
um den Tod -- sie hatte nicht verstanden, was der Pfar-
rer gesagt, aber sie ahnte Alles und rief: "Sagt's nur
seinen Henkern, daß sie mich ermorden -- ich kann ja
so nicht sterben! -- Johannes, Johanneslein!" --

So ging es fort und fort, bis der Abend kam, und
so ging es fort die ganze lange Nacht durch. Suschen
und Laura wachten vereint bei Mutter Eva. Sie konnte
keine Ruhe finden, Nichts genießen, auch nicht sprechen --
aber auch nicht sterben. Sie winselte nur in Einem
fort und wenn man auch keine Worte mehr hörte, so
wußte man doch, warum sie winselte und wonach sie
verlangte. --

Wie der Tag graute, sagte Suschen: "Jch kann es
nicht mehr aushalten, versuchen muß ich's, was ich ver-
mag. Es sind ja auch Menschen. Der Herr Amtmann
hat eine Frau, die auch einen Sohn hat; ich will zu

gelaſſen. Jch ſagte Alles, was ich ſagen konnte —
ich ſprach nicht als Freund des Gefangenen oder ſeiner
Mutter, ſondern nur als Seelſorger meiner Gemeinde,
als Chriſt, als Vater, als Menſch. Es war Alles um-
ſonſt. Jch will es nicht wiederholen, wie ſchnoͤde ich
abgewieſen ward!“

Bleicher Schrecken lag auf allen Geſichtern der Um-
ſtehenden — aus Traugotts vor Wuth zitternden Lippen
rang ſich ein Fluch — Mutter Eva ſtoͤhnte und flehte
um den Tod — ſie hatte nicht verſtanden, was der Pfar-
rer geſagt, aber ſie ahnte Alles und rief: „Sagt’s nur
ſeinen Henkern, daß ſie mich ermorden — ich kann ja
ſo nicht ſterben! — Johannes, Johanneslein!“ —

So ging es fort und fort, bis der Abend kam, und
ſo ging es fort die ganze lange Nacht durch. Suschen
und Laura wachten vereint bei Mutter Eva. Sie konnte
keine Ruhe finden, Nichts genießen, auch nicht ſprechen —
aber auch nicht ſterben. Sie winſelte nur in Einem
fort und wenn man auch keine Worte mehr hoͤrte, ſo
wußte man doch, warum ſie winſelte und wonach ſie
verlangte. —

Wie der Tag graute, ſagte Suschen: „Jch kann es
nicht mehr aushalten, verſuchen muß ich’s, was ich ver-
mag. Es ſind ja auch Menſchen. Der Herr Amtmann
hat eine Frau, die auch einen Sohn hat; ich will zu

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[302/0310] gelaſſen. Jch ſagte Alles, was ich ſagen konnte — ich ſprach nicht als Freund des Gefangenen oder ſeiner Mutter, ſondern nur als Seelſorger meiner Gemeinde, als Chriſt, als Vater, als Menſch. Es war Alles um- ſonſt. Jch will es nicht wiederholen, wie ſchnoͤde ich abgewieſen ward!“ Bleicher Schrecken lag auf allen Geſichtern der Um- ſtehenden — aus Traugotts vor Wuth zitternden Lippen rang ſich ein Fluch — Mutter Eva ſtoͤhnte und flehte um den Tod — ſie hatte nicht verſtanden, was der Pfar- rer geſagt, aber ſie ahnte Alles und rief: „Sagt’s nur ſeinen Henkern, daß ſie mich ermorden — ich kann ja ſo nicht ſterben! — Johannes, Johanneslein!“ — So ging es fort und fort, bis der Abend kam, und ſo ging es fort die ganze lange Nacht durch. Suschen und Laura wachten vereint bei Mutter Eva. Sie konnte keine Ruhe finden, Nichts genießen, auch nicht ſprechen — aber auch nicht ſterben. Sie winſelte nur in Einem fort und wenn man auch keine Worte mehr hoͤrte, ſo wußte man doch, warum ſie winſelte und wonach ſie verlangte. — Wie der Tag graute, ſagte Suschen: „Jch kann es nicht mehr aushalten, verſuchen muß ich’s, was ich ver- mag. Es ſind ja auch Menſchen. Der Herr Amtmann hat eine Frau, die auch einen Sohn hat; ich will zu

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Zitationshilfe: Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/310>, abgerufen am 14.05.2024.