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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849.

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ter so geliebt, wie dieser die seinige und jetzt mußte er
wissen, daß sie todt sei -- durch seine Schuld -- daß
sie gestorben sei, getrennt von ihm -- daß sie, die
immer nur Liebesworte für ihn hatte, eine Schuld
auf sein Haupt gewälzt und ohne Vergebung dafür ge-
storben sei. Seine Mutter war todt -- er war ihr so
nahe gewesen und hatte doch nicht um ihren Segen bit-
ten dürfen, hatte nicht ihren letzten Athemzug von ihrem
Mund küssen können, hatte nicht einmal ihr die Augen
zuzudrücken und ihrem Sarge zu folgen vermögen. Es
gab keine Worte, die Größe seines Schmerzes auszudrük-
ken. Er rang lange mit sich selbst, mit seinem Schick-
sal und mit seiner Verzweiflung -- er versank tagelang
in dumpfes, trostloses Hinbrüten, in dem er immer nur
den einen Gedanken hatte: meine Mutter ist todt --
durch meine Schuld -- sie hatte es mir zuvor gesagt, daß
sie es nicht überleben würde, wenn mir einmal um mei-
nes Strebens willen ein Leids geschähe -- und ich habe
diese Warnung der mütterlichen Liebe nicht beachtet! --
Seine ganze geistige Kraft schien vernichtet von diesen Ge-
danken, die ihn so unausgesetzt quälten, was um so na-
türlicher war, als er ja die ganze Zeit seiner Haft eben
nichts Anderes thun konnte, als sinnen und grübeln, denn
er hatte ja keine Arbeit, keine Unterhaltung, keine Zer-
streuung und jedes Mittel dazu war ihm durch die Grau-

ter ſo geliebt, wie dieſer die ſeinige und jetzt mußte er
wiſſen, daß ſie todt ſei — durch ſeine Schuld — daß
ſie geſtorben ſei, getrennt von ihm — daß ſie, die
immer nur Liebesworte fuͤr ihn hatte, eine Schuld
auf ſein Haupt gewaͤlzt und ohne Vergebung dafuͤr ge-
ſtorben ſei. Seine Mutter war todt — er war ihr ſo
nahe geweſen und hatte doch nicht um ihren Segen bit-
ten duͤrfen, hatte nicht ihren letzten Athemzug von ihrem
Mund kuͤſſen koͤnnen, hatte nicht einmal ihr die Augen
zuzudruͤcken und ihrem Sarge zu folgen vermoͤgen. Es
gab keine Worte, die Groͤße ſeines Schmerzes auszudruͤk-
ken. Er rang lange mit ſich ſelbſt, mit ſeinem Schick-
ſal und mit ſeiner Verzweiflung — er verſank tagelang
in dumpfes, troſtloſes Hinbruͤten, in dem er immer nur
den einen Gedanken hatte: meine Mutter iſt todt —
durch meine Schuld — ſie hatte es mir zuvor geſagt, daß
ſie es nicht uͤberleben wuͤrde, wenn mir einmal um mei-
nes Strebens willen ein Leids geſchaͤhe — und ich habe
dieſe Warnung der muͤtterlichen Liebe nicht beachtet! —
Seine ganze geiſtige Kraft ſchien vernichtet von dieſen Ge-
danken, die ihn ſo unausgeſetzt quaͤlten, was um ſo na-
tuͤrlicher war, als er ja die ganze Zeit ſeiner Haft eben
nichts Anderes thun konnte, als ſinnen und gruͤbeln, denn
er hatte ja keine Arbeit, keine Unterhaltung, keine Zer-
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[308/0316] ter ſo geliebt, wie dieſer die ſeinige und jetzt mußte er wiſſen, daß ſie todt ſei — durch ſeine Schuld — daß ſie geſtorben ſei, getrennt von ihm — daß ſie, die immer nur Liebesworte fuͤr ihn hatte, eine Schuld auf ſein Haupt gewaͤlzt und ohne Vergebung dafuͤr ge- ſtorben ſei. Seine Mutter war todt — er war ihr ſo nahe geweſen und hatte doch nicht um ihren Segen bit- ten duͤrfen, hatte nicht ihren letzten Athemzug von ihrem Mund kuͤſſen koͤnnen, hatte nicht einmal ihr die Augen zuzudruͤcken und ihrem Sarge zu folgen vermoͤgen. Es gab keine Worte, die Groͤße ſeines Schmerzes auszudruͤk- ken. Er rang lange mit ſich ſelbſt, mit ſeinem Schick- ſal und mit ſeiner Verzweiflung — er verſank tagelang in dumpfes, troſtloſes Hinbruͤten, in dem er immer nur den einen Gedanken hatte: meine Mutter iſt todt — durch meine Schuld — ſie hatte es mir zuvor geſagt, daß ſie es nicht uͤberleben wuͤrde, wenn mir einmal um mei- nes Strebens willen ein Leids geſchaͤhe — und ich habe dieſe Warnung der muͤtterlichen Liebe nicht beachtet! — Seine ganze geiſtige Kraft ſchien vernichtet von dieſen Ge- danken, die ihn ſo unausgeſetzt quaͤlten, was um ſo na- tuͤrlicher war, als er ja die ganze Zeit ſeiner Haft eben nichts Anderes thun konnte, als ſinnen und gruͤbeln, denn er hatte ja keine Arbeit, keine Unterhaltung, keine Zer- ſtreuung und jedes Mittel dazu war ihm durch die Grau-

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Zitationshilfe: Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/316>, abgerufen am 13.05.2024.