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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849.

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samkeit seiner Hüter entzogen. Aber dies unausgesetzte
Sinnen, auf das er angewiesen war und das nahe daran
war, seinen Geist krank zu machen -- eben dies Sinnen
machte ihn auch wieder gesund und gab seinen Gedanken
eine andere Richtung. Wie der erste Schmerz der Ver-
zweiflung vorüber war, richtete er sich auf zu strengster
Selbstprüfung -- und er fand sich ohne Schuld. Nur
das Edelste, nur das, was zum Wohle seiner Brüder und
seines ganzen Volkes dienen sollte, hatte er angestrebt.
Er war sich keiner unrechten Handlung dabei, nicht
einmal einer unklugen bewußt, er war immer in den
Grenzen der Mäßigung geblieben und hatte immer un-
verwandt sein Streben nach vorwärts richtend, doch nie
vergessen, daß die Zeit noch nicht reif sei, ein leuchtendes
Ziel im Sturmschritt zu erreichen. Vielleicht eben des-
halb, weil er vorsichtig und darum sicher zu Werke ging,
hatte man ihn bei Seite geschafft. Warum war er denn
eigentlich in diesem schmählichen Gefängniß? man ließ ihn
auf diese Frage, so oft er sie auch stellte, ohne Antwort.
Wenn er auf Untersuchung dringen wollte, so ward ihm
geantwortet, die Sache sei noch nicht so weit gediehen, es
werde mit der Zeit Alles an den Tag kommen. Es war
klar, man hatte ihn nur festgenommen, um ihn unschäd-
lich zu machen -- um eine Stimme zum Schweigen zu
bringen, welche immer die Wahrheit und deshalb auch

ſamkeit ſeiner Huͤter entzogen. Aber dies unausgeſetzte
Sinnen, auf das er angewieſen war und das nahe daran
war, ſeinen Geiſt krank zu machen — eben dies Sinnen
machte ihn auch wieder geſund und gab ſeinen Gedanken
eine andere Richtung. Wie der erſte Schmerz der Ver-
zweiflung voruͤber war, richtete er ſich auf zu ſtrengſter
Selbſtpruͤfung — und er fand ſich ohne Schuld. Nur
das Edelſte, nur das, was zum Wohle ſeiner Bruͤder und
ſeines ganzen Volkes dienen ſollte, hatte er angeſtrebt.
Er war ſich keiner unrechten Handlung dabei, nicht
einmal einer unklugen bewußt, er war immer in den
Grenzen der Maͤßigung geblieben und hatte immer un-
verwandt ſein Streben nach vorwaͤrts richtend, doch nie
vergeſſen, daß die Zeit noch nicht reif ſei, ein leuchtendes
Ziel im Sturmſchritt zu erreichen. Vielleicht eben des-
halb, weil er vorſichtig und darum ſicher zu Werke ging,
hatte man ihn bei Seite geſchafft. Warum war er denn
eigentlich in dieſem ſchmaͤhlichen Gefaͤngniß? man ließ ihn
auf dieſe Frage, ſo oft er ſie auch ſtellte, ohne Antwort.
Wenn er auf Unterſuchung dringen wollte, ſo ward ihm
geantwortet, die Sache ſei noch nicht ſo weit gediehen, es
werde mit der Zeit Alles an den Tag kommen. Es war
klar, man hatte ihn nur feſtgenommen, um ihn unſchaͤd-
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[309/0317] ſamkeit ſeiner Huͤter entzogen. Aber dies unausgeſetzte Sinnen, auf das er angewieſen war und das nahe daran war, ſeinen Geiſt krank zu machen — eben dies Sinnen machte ihn auch wieder geſund und gab ſeinen Gedanken eine andere Richtung. Wie der erſte Schmerz der Ver- zweiflung voruͤber war, richtete er ſich auf zu ſtrengſter Selbſtpruͤfung — und er fand ſich ohne Schuld. Nur das Edelſte, nur das, was zum Wohle ſeiner Bruͤder und ſeines ganzen Volkes dienen ſollte, hatte er angeſtrebt. Er war ſich keiner unrechten Handlung dabei, nicht einmal einer unklugen bewußt, er war immer in den Grenzen der Maͤßigung geblieben und hatte immer un- verwandt ſein Streben nach vorwaͤrts richtend, doch nie vergeſſen, daß die Zeit noch nicht reif ſei, ein leuchtendes Ziel im Sturmſchritt zu erreichen. Vielleicht eben des- halb, weil er vorſichtig und darum ſicher zu Werke ging, hatte man ihn bei Seite geſchafft. Warum war er denn eigentlich in dieſem ſchmaͤhlichen Gefaͤngniß? man ließ ihn auf dieſe Frage, ſo oft er ſie auch ſtellte, ohne Antwort. Wenn er auf Unterſuchung dringen wollte, ſo ward ihm geantwortet, die Sache ſei noch nicht ſo weit gediehen, es werde mit der Zeit Alles an den Tag kommen. Es war klar, man hatte ihn nur feſtgenommen, um ihn unſchaͤd- lich zu machen — um eine Stimme zum Schweigen zu bringen, welche immer die Wahrheit und deshalb auch

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Zitationshilfe: Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/317>, abgerufen am 14.05.2024.