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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

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Anstoß spielte, gab sie ihren ungetheilten Beifall zu erkennen, doch konnte es uns nicht entgehn, daß sie seitdem die Guitarre weniger häufig zur Hand nahm, als früher.

Körner liebte von Jugend auf das Wandern und hatte schon mit 15 oder 16 Jahren als leichter Troubadour mit der Guitarre auf dem Rücken und wenig Geld in der Tasche kleine Fußreisen durch die Sächsische Schweiz gemacht. Er übernachtete in einem Bauernhause oder bei einem befreundeten Dorfpfarrer, zog am Morgen singend durch die schattigen Thäler, lagerte sich unter einer alten Eiche und verzeichnete in sein Taschenbuch mit flüchtigem Griffel die ihm zufliegenden poetischen Eingebungen; er vertiefte sich in das Waldesdickicht, wurde von einem Gewitterregen tüchtig durchnäßt und erklomm dann eine einsame Berghöhe mit überraschender Fernsicht. Seine belebten warmen Schilderungen prägten sich unauslöschlich unserem Gedächtnisse ein, und machten solche Gebirgsfahrten für uns zum Ideal aller Reiseromantik.

Wegen seines klangvollen Basses war Körner, auf Veranlassung meines Vaters, in die Zeltersche, von Fasch gegründete Singakademie eingetreten, die in jener Zeit einzig in ihrer Art dastand. Eine Gesellschaft ächter Musikfreunde aus den gebildeten Ständen hatte sich vereinigt zur würdigsten Ausführung der besten klassischen Werke auf dem Gebiete der geistlichen Musik, die man sonst nirgend zu hören bekam. Der protestantische Gottesdienst, der seinen Mittelpunkt in der Predigt findet, gestattet nur das Choralsingen; er hat den ganzen musikalischen Apparat der katholischen Kirche, die Responsorien, die instrumentirten Messen, das Requiem etc. über Bord geworfen. Auch die Oratorien finden keinen Platz im protestantischen Ritus,

Anstoß spielte, gab sie ihren ungetheilten Beifall zu erkennen, doch konnte es uns nicht entgehn, daß sie seitdem die Guitarre weniger häufig zur Hand nahm, als früher.

Körner liebte von Jugend auf das Wandern und hatte schon mit 15 oder 16 Jahren als leichter Troubadour mit der Guitarre auf dem Rücken und wenig Geld in der Tasche kleine Fußreisen durch die Sächsische Schweiz gemacht. Er übernachtete in einem Bauernhause oder bei einem befreundeten Dorfpfarrer, zog am Morgen singend durch die schattigen Thäler, lagerte sich unter einer alten Eiche und verzeichnete in sein Taschenbuch mit flüchtigem Griffel die ihm zufliegenden poetischen Eingebungen; er vertiefte sich in das Waldesdickicht, wurde von einem Gewitterregen tüchtig durchnäßt und erklomm dann eine einsame Berghöhe mit überraschender Fernsicht. Seine belebten warmen Schilderungen prägten sich unauslöschlich unserem Gedächtnisse ein, und machten solche Gebirgsfahrten für uns zum Ideal aller Reiseromantik.

Wegen seines klangvollen Basses war Körner, auf Veranlassung meines Vaters, in die Zeltersche, von Fasch gegründete Singakademie eingetreten, die in jener Zeit einzig in ihrer Art dastand. Eine Gesellschaft ächter Musikfreunde aus den gebildeten Ständen hatte sich vereinigt zur würdigsten Ausführung der besten klassischen Werke auf dem Gebiete der geistlichen Musik, die man sonst nirgend zu hören bekam. Der protestantische Gottesdienst, der seinen Mittelpunkt in der Predigt findet, gestattet nur das Choralsingen; er hat den ganzen musikalischen Apparat der katholischen Kirche, die Responsorien, die instrumentirten Messen, das Requiem etc. über Bord geworfen. Auch die Oratorien finden keinen Platz im protestantischen Ritus,

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[200/0212] Anstoß spielte, gab sie ihren ungetheilten Beifall zu erkennen, doch konnte es uns nicht entgehn, daß sie seitdem die Guitarre weniger häufig zur Hand nahm, als früher. Körner liebte von Jugend auf das Wandern und hatte schon mit 15 oder 16 Jahren als leichter Troubadour mit der Guitarre auf dem Rücken und wenig Geld in der Tasche kleine Fußreisen durch die Sächsische Schweiz gemacht. Er übernachtete in einem Bauernhause oder bei einem befreundeten Dorfpfarrer, zog am Morgen singend durch die schattigen Thäler, lagerte sich unter einer alten Eiche und verzeichnete in sein Taschenbuch mit flüchtigem Griffel die ihm zufliegenden poetischen Eingebungen; er vertiefte sich in das Waldesdickicht, wurde von einem Gewitterregen tüchtig durchnäßt und erklomm dann eine einsame Berghöhe mit überraschender Fernsicht. Seine belebten warmen Schilderungen prägten sich unauslöschlich unserem Gedächtnisse ein, und machten solche Gebirgsfahrten für uns zum Ideal aller Reiseromantik. Wegen seines klangvollen Basses war Körner, auf Veranlassung meines Vaters, in die Zeltersche, von Fasch gegründete Singakademie eingetreten, die in jener Zeit einzig in ihrer Art dastand. Eine Gesellschaft ächter Musikfreunde aus den gebildeten Ständen hatte sich vereinigt zur würdigsten Ausführung der besten klassischen Werke auf dem Gebiete der geistlichen Musik, die man sonst nirgend zu hören bekam. Der protestantische Gottesdienst, der seinen Mittelpunkt in der Predigt findet, gestattet nur das Choralsingen; er hat den ganzen musikalischen Apparat der katholischen Kirche, die Responsorien, die instrumentirten Messen, das Requiem etc. über Bord geworfen. Auch die Oratorien finden keinen Platz im protestantischen Ritus,

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/212>, abgerufen am 27.04.2024.